AUFBRUCH ZUM PROLETARIAT
Dokumente der Basisgruppen
eingeleitet und ausgewählt von Karl-Heinz Schubert
Westberlin 1988
edition ­ wi
Texte aus Politik & Wirtschaft & Kultur

Herausgegeben von: Johannes Brunner, Werner Hausmann, Michael Kaufmann, Karl Müller, Walter Schneider
Redaktion: Karl Müller
ISBN 3-927371-00-9

Zur Herausgabe der Dokumentation

2.Juni 67, Springerkampagne, Vietnamkongreß, Dutschkeattentat und Osterunruhen, Maikampagne, Pariser Mai, Notstandsgesetze, Rote Zellen - so ungefähr dürfte die Auflistung ausfallen, wenn - wie in diesem Jahr erneut - über die Bedeutsamkeit der Jugend- und Studentenbewegung nachgedacht wird. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Bewegung - nämlich ihre Arbeiterbezogenheit - wurde bisher - wenn überhaupt - nur als Randphänomen behandelt.

Die Jugend- und Studentenbewegung war eine vielschichtige und widersprüchliche Suchbewegung, in der es zunächst darum ging, eine konservativ erstarrt erscheinende Gesellschaft von der Uni aus durch Aufklärung und Aktion als Klassengesellschaft zu dechiffrieren, um dann Wege einer radikalen Veränderung zu projektieren. Die Basisgruppen, die vom April 1968 bis zum Winter 1969/70 in den westberliner Stadtteilen bestanden, haben für diesen Entwicklungsprozeß exemplarische Bedeutung.

Vereinfacht kann gesagt werden, daß die Basisgruppen Ausdruck einer notwendigen Zwischenphase auf dem Weg der Ablösung von einer studentischen Politik hin zu einer Politik waren, die beanspruchte das historische Subjekt "Arbeiterklasse" zu einem Bewußtsein über sich selbst und damit zur Revolution zu führen. Folglich stand auch die Frage des Verhältnisses von Intellektuellen und Arbeiterklasse mit im Zentrum der ideologischen Auseinandersetzungen. Gleichsam einer inneren Logik folgend, trieb diese Debatte während eines guten Jahres ihrer Beendigung durch das abrupte Übergehen ihrer Träger auf die marxistisch-leninistische Parteikonzeption entgegen. Indem dieser Vorgang sich nicht neben, sondern gerade im Kontext einer gesellschaftlichen Bewegung vollzog - deren Teil man ja war, konnten die handelnden Akteure die Parteikonzeption nur durch selektives, voluntaristisches Insbesitznehmen der Geschichte der Weimarer KPD (sofern sie sich als MLer begriffen) entwickeln. Eine Bilanzierung des Übergangs von der Basisgruppenkonzeption zur Parteikonzeption konnte deshalb auch nicht im Verlaufe des Vorgangs selber erfolgen.

Als die Krise der ML-Parteien Ende der 70er Jahre diese in die Auflösung trieb, gab es zwar zahlreiche selbstkritische Rückblicke, aber in diesen Bilanzierungsversuchen blieb die Basisgruppenkonzeption, dh. die unmittelbare Vorgeschichte der K-Gruppen, ausgespart. Dieser offenkundliche Mangel an selbstkritischer Wahrnehmung wurde durch das bruchlose Eintauchen zahlreicher vormals selbsternannter "proletarischen Kader" studentischer Provenienz in die Bewegung der GRÜNEN begünstigt. Eine umfassende Reflektion über Bruch und Kontinuität des "alten", gescheiterten Politikverständnis unterblieb, da es sich bei der grünen Bewegung - wie vormals bei der Jugend- und Studentenbewegung - um eine gesellschaftliche Bewegung handelt - in deren scheinbar gesellschaftsverändernder Praxis man sich ungebrochen berufen fühlen kann, Massen über grundlegende Probleme, deren Zusammenhänge von ihnen wieder nicht adäquat erfaßt werden können, aufzuklären; doch diesmal - anstelle von Eigentums- und Staatsfrage - mit der Ökologie- und Friedensproblematik im Zentrum.

Mit der Dokumentation wird versucht, die Entwicklung der westberliner Basisgruppen nachzuzeichnen, ihre Praxis zu veranschaulichen, sowie ihre ideologischen Grundlagen und politischen Absichten zu markieren. Von daher will sie nicht nur ein Beitrag zu dieser noch ausstehenden Bilanzierung sein, sondern auf Zusammenhänge hinweisen, die noch heute von aktueller Bedeutung sind. Denn schon bei oberflächlicher Betrachtung springen die Parallelen direkt ins Auge: "Basisdemokratisch" und "dezentral" sind Schlagwörter, mit denen die grüne Bewegung ihr angeblich neues Organisationskonzept charakterisiert. Dies war auch das ursprüngliche Konzept der Basisgruppen. In diesen Organisationstrukturen waren damals - wie heute bei den GRÜNEN - informelle Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen maßgebend, die sich entgegen dem Anspruch nicht demokratisch, sondern über Seilschaften legitimierten. Solche informellen Gruppen konstituierten sich auf jeweils disparaten ideologischen Grundlagen und konkurrierten entlang von Kampagnen und Projekten um die entsprechenden Mehrheiten. Diese Verhaltens- und Entscheidungsmuster sind für eine Sammlungsbewegung typisch und drücken ihre Inkonsistenz aus. Erscheinen den Akteuren die Widersprüche, die solch eine Sammlungsbewegung hervortreiben, im Rahmen dieser Bewegung nicht lösbar, setzen Zerfall und Neugruppierung der die Bewegung bestimmenden Kräfte ein.

Für die Dokumentation mußten tausende Seiten von Flugblättern, Zeitschriften und Rundschreiben durchgesehen werden. Übriggeblieben ist eine daran gemessen geringe Zahl von Dokumenten, deren Nachdruck in überwiegend chronologischer Reihenfolge erfolgt. Neben der Begrenzung auf Dokumente, die im unmittelbaren Zusammenhang mit der Geschichte der Basisgruppen stehen, war die Auswahl noch durch eine weitere politische Absicht bestimmt, die - knapp skizziert - so lautet: Der Weg der Basisgruppen und der im Anschluß geschaffenen K-Gruppen hat sich für eine grundlegende Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse als nicht gangbar erwiesen. Dennoch hat diese Bewegung Fragen aufgeworfen, die für alle Kräfte, die an einem solchen strategischen Ziel festhalten, von zentraler Bedeutung sind. Wer heute unter der Losung "Den Widerstand in Betrieb und Stadtteil verbinden" einen Beitrag zu einer revolutionären Politik leisten und sich dadurch auch von grüner Politik absetzen will, sollte Kenntnis von der Geschichte der Basisgruppen und den damit verbundenen Fragen haben.

Der Dokumentation, deren Auswahl im wesentlichen von Karl-Heinz Schubert besorgt wurde, haben wir noch zwei Texte von ihm vorangestellt. Der eine versteht sich als ein knapper, deskriptiver Abriß der Geschichte der Basisgruppen, wodurch ein erstes Einordnen der Dokumente und ihr Verständnis erleichtert werden sollen. Der zweite Text, der mit der Bemerkung "Zehn Thesen zur polemischen Skizzierung" untertitelt ist, will zu einer politischen Auseinandersetzung auffordern.

Wir danken allen, die uns mit ihren Privatarchiven unterstützten und so erst diese Dokumentation möglich machten. Unser Dank gilt besonders auch denen, die mit uns diese Dokumentation als "68er" und als "Nicht-68er" von der Projektierung bis zur Endfassung diskutierten.

DIE HERAUSGEBER