Im Kampf gegen das TREND-Verbot hatte sich
bei den drei Redakteuren eine Art von politischem Quasi-Konsens
herausgebildet, der sie nach Wegen suchen ließ, gemeinsam
radikaldemokratisch und antifaschistisch - vor allem aber in
eigener Regie - journalistisch tätig zu bleiben. Ihre politische
Kritik am Berliner Senat, ihrem Dienstherrn, und der mit ihm
kooperierenden GEW war weniger aus den ökonomischen Bedingungen
ihres Arbeitsverhältnisses abgeleitet, sondern resultierte eher
aus dem eigentümlichen Bild vom deutschen Staat, das sich seit
1990 bei den „Autonomen“(6)(7) - d.h. dem parteipolitisch nicht
organisierten linksradikalen Spektrum - unter dem Schlagwort „4.
Reich“ und der Parole „Nie wieder Deutschland“ herausgebildet
hatte. Entstanden war die politische Linie, die diesen
politischen Kampfbegriffen zugrunde lag, im Niedergangsprozess
des Kommunistischen Bundes Ende der 1980er Jahre(8). Deren
Spezifikum bestand darin, im Begriff der Nation den
klassenanalytischen Staatsbegriff verschwinden und stattdessen
den Staat als ein strukturelles Sammelsurium einzelner
Herrschaftsapparate wieder erscheinen zu lassen (9). Mit einem
in dieser Weise verkürzt konstruierten deutschen Nationalstaat
erschien nun staatliches Handeln, wodurch die Einwohner:innen
der BRD nach völkischen Kriterien sortiert unterschiedlich
behandelt wurden/ werden, als faschistisches Erbgut des 3.
Reiches. Rassismus und Fremdenhass wurden mithilfe der
Psychoanalyse als sich massenpsychologisch ausdrückende
Triebabfuhr der entschlüsselten deutschen Volksseele
gedacht(10).
Zu diesem Zeitpunkt verfügten linke Kräfte in
der BRD bereits seit mehr als einem Jahrzehnt im Internet über
Netzwerke - bestehend aus Mailboxen und Newsgruppen. Besondere
Bedeutung erlangte dabei seit 1987 das CL-Netz, dessen
Gründer:innen aus dem Spektrum der Jusos kamen(11). Der
Datenaustausch erfolgte durch eine puristische Textübermittlung
mittels grüner oder bernsteinfarbener Einheitsschriftzeichen auf
schwarzen Bildschirmen ohne Bilder und andere graphische
Elemente. Allerdings konnten damit selbst die wenigen
gestalterischen Ansprüche der gedruckten TREND-Zeitung im
Internet noch nicht umgesetzt werden. Erst das auf der
Seitenbeschreibungssprache HTML basierende WordWildWeb-Konzept,
dass sich seit 1994 im Internet zu verbreiten begann, schien
hingegen die graphischen Ansprüche der drei TREND-Macher:innen
möglich werden zu lassen. Befördert wurde die Entwicklung
„bunter Reklametafeln an der Datenautobahn“ durch die zunehmende
Indienstnahme des World Wide Web (WWW) seitens transnational
agierender Dienstleistungsunternehmen. Dies wiederum beflügelte
die Entwicklung geeigneter Software(12). So brachte 1995
Microsoft das Betriebssystem „Windows 95“ auf den Markt, worin
standardmäßig eine Schnittstelle zum Internet integriert war. Im
selben Jahr wurde von Microsoft „Frontpage“ als
Produktionsmittel zur grafischen Webseitengestaltung ohne
HTML-Kenntnisse auf den Markt gebracht.
Diese neuen Entwicklungen beflügelten
Kretschmann, Langer und Schubert TREND als Onlinezeitung
erscheinen zu lassen. Die virtuelle Form war für sie nicht nur
eine kostengünstige Lösung zur Verbreitung von Nachrichten und
Kommentaren, sondern sie bot auch die Möglichkeit eine
politische Publizität zu erlangen, die mit einem lokalen
Printmedium, wie es TREND zuvor gewesen war, niemals hätte
erreicht werden können. Ende des Jahres stand für die Drei fest,
sich ab 1996 journalistisch im Internet zu betätigen. Ihre
Adressaten wurden nun für sie stadtpolitische Gruppen aus dem
„autonomen“ Spektrum sowie in Betrieben oppositionell agierende
Linke. Im Nachhinein lassen sich ihre damaligen journalistischen
und politischen Überlegungen, mit denen im World Wide Web mit
TREND an den Start ging, folgendermaßen beschreiben:
TREND sollte im WWW als
strömungsübergreifende Nachrichtenplattform für das
linke&radikale Spektrum dienen. Ihre bisherigen Schwerpunkte
Antifaschismus und Antimilitarismus sowie Gewerkschafts- und
Sozialpolitik wurden dementsprechend erweitert. Hinzu kamen
soziale Bewegungen - auch im internationalen Kontext - sowie
Berichte über entsprechende Ereignisse und Sachverhalte.
Desweiteren wurden ausgewählte Nachrichten und Texte aus dem
CL-Netz durch TREND ins WWW übertragen. Mit diesen Aktivitäten
wollte TREND einen Beitrag zur Vernetzung linker&radikaler
Milieus durch ein strömungsübergreifende Konzept exemplarisch
veranschaulichen, wie bestehende Zusammenhänge trotz vorhandener
ideologischer Differenzen aufeinander zu gehen und dieses
Bemühen publizistisch umsetzen. Dazu wurde auch ein virtueller
Gedächtnisspeicher aufgebaut. Er enthielt gezielt ausgewählte
Texte und Dokumente der 1968er Jugend- und Studierendenbewegung,
um sie für die damals aktuellen Debatten in den sozialen
Bewegungen und in autonomen Spektren bereitzustellen. Dieses
Archiv wurde durch eine virtuelle Bibliothek ergänzt, die Texte
enthielt, die sozialemanzipatorische Praxen theoretisch
unterlegten und reflektierten.
Um diese Ansprüche zu unterstreichen, untertitelten die drei
Gründer der Onlinezeitung das TREND-Logo mit dem Slogan
„Onlinezeitung für die alltägliche Wut“. Er sollte bewusst
doppelt gelesen werden können. Bei TREND sollten diejenigen eine
virtuelle Veröffentlichungsplattform bekommen, für die der
kapitalistische Alltag nur noch mit Wut im Bauch zu ertragen
war. Denn – so die TREND-Macher:innen - als gesellschaftliches
Phänomen konnte diese Wut, die zum integralen Bestandteil des
kapitalistischen Alltags geworden war, ihr Ende nur durch eine
selbstbestimmte kollektive Aufhebung des Kapitalismus finden.
Schließlich fiel die
Providerwahl ganz pragmatisch auf CompuServe(13). Denn ab Januar
1996 hatte CompuServe in einer breiten Werbekampagne mit sehr
preisgünstigen Internet-Angeboten Kleinkapitalist:innen und vor
allem private User umworben. Diese Angebote enthielten eine
eigene Homepage in Verbindung mit einer Emailadresse auf dem
„Ourworld.CompuServe“-Server.
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