„Die jungle world hat geburtstag – zehn
Jahre sind genug“ - mit dieser Überschrift auf dem Titelblatt
sorgt die Wochenzeitung aus Berlin wieder einmal für
Aufmerksamkeit. Nein – es geht nicht um eine Einstellung
sondern um einen Relaunch, der die LeserInnen überraschen
soll.
Doch zuvor wird mit der Jubiläumsausgabe noch
einmal an die Wurzeln erinnern: das kurzzeitige gemeinsame
Zeitungsprojekt junge Welt, wo es tatsächlich möglich war, das
die heute sich so bekämpfenden sogenannten Antiimps und die
sogenannten Antideutschen gemeinsam eine Zeitung machten. Dem
Text von Stefan Ripplinger, der die Vergangenheit in einer
zweiseitigen subjektiven Betrachtung noch einmal Revue
passieren lässt, merkt man gut an, dass er sich innerlich bis
heute noch graust über diese Zusammenarbeit mit den heute
bestenfalls als Nationalbolschewisten gescholtenen. So scheint
es ihm schwer zu fallen, den Titel der jungen Welt überhaupt
nur zu erwähnen, wenn es da heißt: „jene Tageszeitung, aus der
die Jungle World hervorging).
Nun wird bei solchen Nachbetrachtungen
zwangsläufig viel geklittert. So wird sich Rippliner nicht
mehr gerne darin erinnern, dass er sogar mit dem heute
besonders verhassten Werner Pirker gemeinsam einen
Diskussionsbeitrag zum Thema Haupt- und Nebenwidersprüche
verfasste. Damals ging es sowohl gegen die
Traditionskommunisten wie Sarah Wagenknecht wie gegen eher
Autonome wie Ivo Bozic.
Doch Zwischentöne sind Krampf im Klassenkampf
– das gilt auch für die Jungle Word, die mit dem Klassenkampf
gar nicht mehr so viel zu tun haben will. Doch wer gut und
böse war und ist, muss auch 10 Jahre nach der Gründung noch
einmal klargemacht werden.
Deshalb ist die Vorhersage des Bahamas-Vertreters Tjark
Kunstreich in seinem Beitrag zur Jubiläums-Ausgabe, dass die
Wiedervereinigung von Jungle World und junger Welt 10 Jahre
nach der Spaltung und einige Wochen nach der Großdemo in
Rostock möglich scheint, nur Polemik.
Zu Gast in Springers Welt
Denn längst gibt es Annäherungen aus einer
ganz anderen Richtung. Die aber spielten, obwohl sie viele
LeserInnen beschäftigten und sogar den Herausgeber Klaus
Behnken zu einer seinen seltenen inhaltlichen Beiträge bewogen
hatten, in der Jubiläums-Ausgabe keine Rolle.
Es war in Springers rechtskonservativer Welt,
wo am 5.Juni mitten während der G8-Proteste in Rostock, der
Ressortleiter der Jungle World Stefan Wirner einen Gastbeitrag
unter der Überschrift:
„Die radikale Linke erfüllt sich ihre Prophezeiung selbst“
veröffentlichte. „Ein linkes Plädoyer, sich der Wirklichkeit
zu stellen“, sollte es sein. Schon im Vorspann wurde klar,
wohin die Richtung gehen sollte:
„Wer die Anti-G-8-Szene in den vergangenen
Monaten nur ein wenig
beobachtet hatte, wusste längst: Die Autonomen waren von
Anfang an auf
Gewalt aus. Doch die meisten Linken lügen sich auch nach den
Ausschreitungen von Rostock weiter in
die Tasche: wieder soll an allem nur der
repressive Staat schuld sein.“
Nun ist diese Version der Wirklichkeit den
Welt-Lesern sehr vertraut. Was daran ein linkes Plädoyer sein
soll, erschließt sich allerdings nicht. Zumal Wirner dann ja
logischerweise den Beitrag in seinem Blatt veröffentlicht
hätte und nicht in der Welt, die die Linke ja höchstens liest,
um zu wissen, was Staatsschutz und Klassenfeind mal wieder
vorhaben.
Der gesamte Artikel ist denn auch ein Rundumschlag gegen die
„Linke“. Von der Jugendorganisation solid bis zur Linkspartei
scheint es nur SympathisantInnen oder VerharmloserInnen der
gewalttätigen Autonomen zu geben, weil sie über
Staatsrepression berichteten.
Auch die Gefangenorganisation Rote Hilfe
verfällt der Kritik, weil die von Staatsrepression zu
berichten wusste. Ein Redner der Interventionistischen Linken
wird gar indirekt einer gewissen Nähe zur RAF geziehen, nein
nicht zur Royal Air-Force, die ist in Jungle-Kreisen anders
als die Rote Armee Fraktion, um die es hier geht, nicht so
verpönt.
Der Absatz sollte im Ganzen zitiert werden, um
so deutlich zu machen, dass dieses linke Plädoyer so ganz auf
der Linie der Welt liegt, als wollte Wirner sich damit um eine
Stelle bei dem sicher besser als die Jungle zahlenden Welt
bewerben:
„Um zu betonen, in welcher Tradition man
sich sieht, forderte ein
Redner der „Interventionistischen Linken“ auf der
Abschlusskundgebung vom
Podium aus die Freilassung von Christian Klar. Auch für diesen
Redner
war das Böse schnell ausgemacht: Gegen die ehemaligen
RAF-Mitglieder habe der Staat nur
„Rache“ übrig. Von der vorzeitigen Haftentlassung
Brigitte Mohnhaupts im März hat er wohl nichts mitbekommen.“
Nun, dass jemand der die Freilassung von
RAF-Gefangenen fordert, sich in deren Tradition stellt, hat
die Welt schon seit den 70er Jahren behauptet. Dass man bei
soviel Eifer mal über die Fakten stolpert, soll vorkommen. So
wurde Brigitte Mohnhaupt eben nicht vorzeitig sondern nach
vollständiger Verbüßung ihrer Strafe entlassen. Dass
schließlich der von Wirner als „Ikone der Bewegung“
bezeichnete philippinische Professor Walden Bello mit seiner
Rede die Auseinandersetzung nicht anheizte, war am 5. Juni
eigentlich schon längst klar. Die erste Falschmeldung einer
Presseagentur war da schon mehrmals dementiert, auch wenn es
bis zum Eingeständnis des Fehlers noch einige Tage länger
dauerte. Aber Wirner ist wahrscheinlich der Meinung, Walden
hätte den deutschen Staat loben und die Autonomen beschimpfen
sollen. Oder wie ist seine Kritik zu verstehen, angesichts des
Brandes auf dem Platz nicht innegehalten zu haben. Auch der
Demomoderator hatte bei Wirner völlig versagt, weil er zum
Rückzug der Polizei aufforderte.
Mehr als ein individuelles Techtelmechtel
Nun könnte man denken, dass ist ein Problem von Wirner, der
hier einen Absprung zu einer besser bezahlten Stelle bei
Springer vorbereitet und das mit seiner vermeintlich linken
Vergangenheit natürlich besser bewerkstelligen kann. Doch
Wirner ist weiterhin Ressortleiter Inland bei der Jungle-World.
Seine Berichterstattung zu dem Gnadengesuch von Christian Klar
las sich auch streckenweise so, als gäbe es Jungle Welt schon?
So wird nicht nur von Wirner konsequent von Terroristen und
Terrorismus geschrieben, wenn es um die RAF und andere Gruppen
aus dem bewaffneten Widerstand geht. Es war einst die Welt,
die mit anderen Blättern aus dem Hause Springer jeden in die
Nähe des Sympathisantentums rückte, der oder die im
Zusammenhang mit RAF, 2. Juni etc. nicht von Terroristen oder
Bande schrieb. Deshalb haben sich auch Liberale dieser
Zumutung oft erfolgreich verweigert. Von diesem Akt der
Zivilcourage hat man aber bei der Jungle World kaum mehr was
mitgekommen, außer wenn Peter O. Chotjewitz mal seine selten
Beiträge zum Thema RAF etc. geschrieben hat.
Herzinger in der Jungle World
Es gibt ein weiteres Indiz, dass die Kontakte zum Hause
Springer keine Privatinitiative von Wirner sind. So hatte der
Welt am Sonntag – Redakteur Richard Herzinger erst am 23.Mai
2007 in der Jungle World nicht zum ersten Mal einen Kommentar
geschrieben. Doch der Beitrag unter der Überschrift „Leise
treten schwer gemacht“, hat es aus der Sicht eines Blattes,
das sich die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit und des
Antisemitismus widmet, ein Affront. Herzinger geißelt die
russische Regierung dafür, dass sie die EU unter Druck setzen
und spalten wolle. Dabei verteidigt der Welt-Redakteur
ausdrücklich die Demontierung eines Denkmals in Estland, das
an den Sieg über den mit dem NS-Regime verbündeten baltischen
Faschisten und Antisemiten erinnerte. „Für die
osteuropäischen und baltischen Staaten ist 1945 nicht nur ein
Datum der Befreiung von der NS-Herrschaft sondern auch der
Beginn einer neuen Fremdherrschaft. Die baltischen Staaten
wurden nach 1945 gar von der Sowjetunion einverleibt und „russifiziert“,
verbreitet Herzinger offen rechte Thesen in einem Blatt, das
sonst mit Recht jeden schrägen Vergleich der Linken
kritisiert. Nur wenige Seite vorher warnt Peter Bierl vor
merkwürdigen Bündnissen in der Antiglobalisierungsbewegungen
und kritisiert, dass die Abgrenzung nach rechts nicht bei der
NPD stehen bleiben dürfte. Diese Worte könnte Bierl im Fall
Herzinger auch der Jungle Redaktion ans Herz legen.
Jungle World – quo vadis?
Noch ist die Jungle World nicht zur Jungle
Welt geworden. Beiträge von Bernhard Schmid, Peter O.
Chotjewitz und Anderer stehen für einen anderen Kurs. Doch
regelmäßige Jungle Kolumnisten wie von Osten-Sacken warnen mit
fast gleichlautenden Worten auch in der Welt vor einem „Appeasement
mit den Islamisten“ und plädieren für ein hartes Vorgehen in
Syrien und dem Iran. Sie und viele andere stehen für eine
Richtung, die als Antideutsche begannen und sich zu
Neokonservativen wandelten. Die Bahamas ist da nur der
Trendsetter und gerade deshalb selbst in der eigenen Szene
nicht immer beliebt. Da treffen sie sich mit Prowestlern wie
Herzinger, die wie sich unschwer an seinen Kommentaren zeigt,
nie Antideutsche waren. Dass der Kommentar für die Demontage
eines Denkmals, das den Sieg über die baltisch-deutsche
Judenmörder-Konnektion feierte, keine großen Reaktionen bei
der Jungle World-Leserschaft auslöste, zumindest sind keine
Protestbriefe veröffentlicht worden, zeigt, dass solche
Gedanken dort mittlerweile zumindest akzeptiert sind. Daher
scheint es fraglich, ob der Weg von der Jungle World zur
Jungle Welt noch aufzuhalten ist.
Editorische Anmerkungen
Wir erhielten den Artikel vom Autor zur Veröffentlichung
am 2.7.2007.