Diese Rede blieb nicht unbeachtet. In diesem Punkt
mit seinem Vor-Vorgänger Nicolas Sarkozy
vergleichbar, brach Emmanuel Macron jüngst eine
Lanze für eine stärke Bindung der französischen
Politik an die katholische Kirche. Dies kündigte er
in einer Rede vor 400 geladenen Gästen der
französischen Bischofskonferenz am Abend des 09.
April 18 an. In dem Land, wo organisierte
Religionsgruppen und der Staat seit einem Gesetz
vom Dezember 1905 voneinander getrennt wurden,
nachdem die katholische Kirche Jahrhunderte
hindurch unmittelbare politische Macht mit ausübte,
stellt dieser Vorstoß von der Staatsspitze her
einen gewissen Tabubruch dar.
Macron, seit bald einem Jahr im Amt als
französischer Staatspräsident, wurde zwar bislang
auch schon mit anderen Gottheiten assoziiert. Seit
seinem berühmt-berüchtigten Ausspruch von Anfang
2017, das präsidiale Amt möge jupitérien
– „jupitergleich“ – ausgeübt werden, wurde er
mit einem entsprechenden Spitznamen bedacht und mit
dem römischen Gott, der auf seinen Statuen gerne
mit Blitzen hantiert, verglichen. In Wirklichkeit
war die damalige Aussage Emmanuel Macrons
allerdings nicht religiös oder mythologisch
motiviert; vielmehr war sie als eine Absage an den
Anspruch seines unmittelbaren Vorgängers François
Hollande, eine présidence normale zu
verkörpern, zu verstehen. Hollande meinte damit bei
seinem Antritt im Frühjahr 2012, er wolle keinen
abgehoben wirkenden und arroganten Staatschef
verkörpern wie vor ihm Sarkozy, sondern einen
normalen Menschen wie Ich und Du in den
Elyséepalast einziehen lassen. Nach fünf Jahren, in
denen Hollande durch die bürgerlichen Medien
bevorzugt als entscheidungsschwacher Versager
porträtiert wurde, wollte sein früherer Berater,
dann Konkurrent und nunmehriger Nachfolger Macron
das Ruder herumwerfen. „Vertikal“,
also von oben herunter regierend, habe eine
Präsidentschaft zu sein, verkündete er dazu.
Ähnlich instrumentell und vom politischen Zweck
denkend könnte auch die nunmehrige Annäherung
Emmanuel Macrons an den organisierten katholischen
Klerus sein. Über seine eigenen, eventuellen
religiösen Überzeugungen ist tatsächlich wenig
bekannt. Sein Vorgänger Nicolas Sarkozy, der in
einem Ende 2004 beim katholischen Verlag
Editions du Cerf erschienenen Buch gegen
eine strikte Einhaltung des Laizismus plädierte –
die Republik vermöge anders als „die Religionen“
keine dauerhaften, verbindlichen, die Gesellschaft
vereinigenden Werte zu stiften – und diese Aussage
Ende 2007 im Vatikan sowie Anfang 2008 in
Saudi-Arabien wiederholte, bezeichnete sich dabei
selbst als gläubigen Katholiken. Später
relativierte er zwar, er sei kaum praktizierend,
ließ aber dieses religiöse Glaubenskenntnis stets
im Raum stehen. Darüber, ob Emmanuel Macron sich
persönlich als Gläubigen versteht, ist dagegen
wenig bekannt.
Sicherlich hatte auch Nicolas Sarkozy vor allem
politische Nutzerwägungen im Auge gehabt, infolge
derer er die Religion als gesellschaftlichen
Ordnungsfaktor betrachtete. Vor diesem Hintergrund
erklärte er etwa bei seinem Staatsbesuch in der
wahhabitischen Monarchie 2008, der Lehrer vermöge
nie auf vergleichbare Weise, eine verbindliche
Moral zu verkörpern wie ein Priester, da nur
Letzterer – aufgrund des Zölibats – sein eigenes
Leben in Teilbereichen aufopfere.
Was erklärte nun Emmanuel Macron konkret zum Thema?
Seine vielbeachtete Kernsätze lauteten, an den
Marseiller Erzbischof und Vorsitzenden der
Bischofskonferenz – Georges Pontier – gerichtet:
„Um uns heute Abend hier zu treffen,
Monseigneur, haben Sie und ich die Skeptiker auf
beiden Seiten hinter uns gelassen. Und wenn wir es
taten, dann deswegen, weil wir auf unbestimmte
Weise das Gefühl teilen, dass die Bindung zwischen
dem Staat und der Kirche beschädigt ist und dass es
uns – Ihnen und mir – darum geht, sie zu
reparieren.“ Er fügte hinzu, dass
„eine Kirche, die behauptet, sich nicht für die
weltlichen Belange zu interessieren, nicht bis ans
Ende ihrer Berufung geht“ – aber auch, dass
„ein Präsident der Republik, welcher
behauptet, sich nicht für die Kirche und für die
Katholiken zu interessieren, an seiner Pflicht
fehlt.“
Zwar bekannte Macron sich nicht zu eigener
religiöser Zugehörigkeit. Er erklärte jedoch auf
leicht kryptische Weise, „aus gleichermaßen
biographischen, persönlichen und intellektuellen
Gründen“ habe er „eine höhere Idee
von den Katholiken“, als dass er
„eine Erosion des Vertrauens zwischen den
Katholiken und der Politik, den Politikern“
hinnehmen wolle.
Im
Rest seiner Rede nahm Macron noch zu konkreteren
politischen Aspekten Stellung. Auf die seit einigen
Jahren schwelenden Konflikte um die
Familienpolitik, insbesondere vor dem Hintergrund
der Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare – dies
jährt sich im kommenden Monat zum fünften Mal -,
antwortete Macron ausweichend: Die Botschaft der
Kirche stoße mitunter auf „eine komplexe und
widerspruchsreiche Realität“, und auch die
Katholiken selbst seien von Widersprüchen zu
manchen ethischen Fragen durchzogen. Offensiver
antwortete er auf das vorausgegangene Plädoyer von
Erzbischof Pontier, die Politik müsse sich auch um
„die Ärmeren“ kümmern, was sich auch
auf den Umgang mit Migranten bezog. Hier setzte
Emmanuel Macron nun zu einem deutlichen Plädoyer
für seine konkrete Migrationspolitik an, die
derzeit eher durch Abschreckung geprägt ist - vor
dem Hintergrund des in der darauffolgenden Woche im
Parlament debattierten neuen Asylgesetzes, das
Geflüchteten in vielen Fällen im Falle ihrer
Ablehnung eine Berufungsinstanz wegnimmt.
Dass Emmanuel Macron seine Grundsatzerwägungen zur
gesellschaftlichen und auch politischen Rolle von
Religionen just vor der Bischofskonferenz hielt,
könnte auch damit zusammenhängen, dass er sein
Vorhaben einer großen Ansprache zum Thema Umgang
mit dem Islam – dabei soll es unter anderem um eine
Entkoppelung zwischen dem Einfluss ausländischer
Botschaften und der Organisation des muslimischen
Glaubens in Frankreich gehen – auf unbestimmte Zeit
verschoben hat. Diese war zum Jahreswechsel als
Grundsatzrede angekündigt worden, Präsident Macron
wurde jedoch auch aus den Reihen seiner Berater und
Parteifreunde signalisiert, hier handele es sich um
ein ziemlich heißes Eisen. Ein islamistisch
motivierter Anschlag am 23. März 18 im
südwestfranzösischen Trèbes sorgte dafür, dass das
Vorhaben vorerst aufgegeben wurde, auch wenn
definitiv kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen
ihm und dem gewalttätigen Jihadismus besteht.
Deswegen dürfte Macron sich auf das Verhältnis zu
den Katholiken konzentriert haben, obwohl er
ursprünglich vorhatte, sich grundlegender zum
Verhältnis zwischen Republik und allen –
monotheistischen – Religionsgruppen zu
positionieren.
An
Kritik aus grundsätzlichen Erwägungen, insbesondere
wegen des Vorwurfs eines Angriffs auf die
französische Laizismustradition, mangelte es in den
darauffolgenden Tagen nicht. Auch ein politischer
Wegbegleiter wie der frühere
rechtssozialdemokratische Premierminister Manuel
Valls – er ist inzwischen Mitglied von Macrons
Präsidentenpartei La République en marche
(LREM) – zeigte sich wenig angetan. Valls gilt
als ein Vertreter eines laut Auffassung von
Kritiker/inne/n eher „autoritären Laizismus“, der
das Trennungsgebot gegenüber Religionsgruppen nicht
nur an den Staat richtet, sondern es auch als vom
Staat gegen die Gesellschaft durchzusetzendes
Programm versteht, etwa durch Durchsetzung von
Kopftuchverboten in bestimmten Bereichen, bis hin
zu Studierenden oder zu Kindermädchen, die bei sich
zu Hause Kleinkinder in den eigenen Wänden
betreuen.
Zu
Macrons Auftritt kommentierte Valls: „Ich
stelle nicht in Frage, dass er vor den Bischöfen
spricht. Ich leugne auch nicht die historische
Bindung zwischen dem Christentum und Frankreich.
Aber es gibt Themen, bei denen ich den Präsidenten
nicht verstanden habe. Etwa, wenn er von der
beschädigten Bindung zwischen Kirche und Staat
spricht. Es gibt keine Bindung. Sie ist
durchtrennt.“
Aber auch in weiten Teilen der Linken, die sich
ebenfalls zum Laizismus bekennen, sich zugleich
aber von Valls‘ eher etatistischer Konzeption
desselben scharf abgrenzen, rief Macrons Auftritt
Skepsis bis Empörung hervor. Der Linkspopulist
Jean-Luc Mélenchon kritisierte noch am Abend der
Präsidentenrede in heftigen Worten: „Die
Bindung zwischen Kirche und Staat hat es nicht zu
geben. Macron geht zu weit. Das ist
unverantwortlich! Macron mitten im metaphysischen
Delirium. Unerträglich. Man erwartete einen
Präsidenten, man bekam eine Miniaturausgabe eines
Priesters“. Einige Tage später warf
Mélenchon Macron dann in einem Video vor, Gefahr zu
laufen, „Feuer an die Republik zu legen“,
indem er das Zusammenleben durch solcherlei
Parteinahme gefährde.
Auf der politischen Rechten hingegen herrschte eher
inhaltliche Zustimmung zu Macron, auf der
konservativen wie auf der extremen. Verbunden wurde
dies jedoch mit Zweifeln an seiner Aufrichtigkeit.
Marine Le Pen bezeichnete Macrons Angebote an die
katholische Kirche sinngemäß als ein Linsengericht,
mit dem die Katholiken abgespeist werden sollten,
um sie „gütig zu stimmen“. Dadurch
wolle Macron sie in sein politisches Vorhaben einer
Revision des Gesetzes von 1905 einbinden – dessen
Nutznießer jedoch nicht sie seien, sondern die
Muslime, womit die Chefin des Front National auf
ihren Hauptfeind zu sprechen kommt. Ansonsten habe
die französische Nation natürlich
„christliche Wurzeln“.
Auf
einen innenpolitischen Konsens infolge seiner
jüngsten Rede wird Macron kaum rechnen dürfen.
Vielleicht streifte er allerdings in den Augen
von Gläubigen dadurch wenigstens sein Image als
wirtschaftsliberaler, materialistischer
Technokrat ab.
Editorischer
Hinweis
Diesen Artikel erhielten wir von B. Schmid für
diese Ausgabe.
Er erschien
zuerst – leicht gekürzt - im Feuilleton der
Berliner Wochenzeitung Jungle World, in ihrer
Ausgabe vom 26. April 2018