Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

Emmanuel Macron und der LaLa-Laizismus

5-6/2018

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Diese Rede blieb nicht unbeachtet. In diesem Punkt mit seinem Vor-Vorgänger Nicolas Sarkozy vergleichbar, brach Emmanuel Macron jüngst eine Lanze für eine stärke Bindung der französischen Politik an die katholische Kirche. Dies kündigte er in einer Rede vor 400 geladenen Gästen der französischen Bischofskonferenz am Abend des 09. April 18 an. In dem Land, wo organisierte Religionsgruppen und der Staat seit einem Gesetz vom Dezember 1905 voneinander getrennt wurden, nachdem die katholische Kirche Jahrhunderte hindurch unmittelbare politische Macht mit ausübte, stellt dieser Vorstoß von der Staatsspitze her einen gewissen Tabubruch dar.

Macron, seit bald einem Jahr im Amt als französischer Staatspräsident, wurde zwar bislang auch schon mit anderen Gottheiten assoziiert. Seit seinem berühmt-berüchtigten Ausspruch von Anfang 2017, das präsidiale Amt möge jupitérien – „jupitergleich“ – ausgeübt werden, wurde er mit einem entsprechenden Spitznamen bedacht und mit dem römischen Gott, der auf seinen Statuen gerne mit Blitzen hantiert, verglichen. In Wirklichkeit war die damalige Aussage Emmanuel Macrons allerdings nicht religiös oder mythologisch motiviert; vielmehr war sie als eine Absage an den Anspruch seines unmittelbaren Vorgängers François Hollande, eine présidence normale zu verkörpern, zu verstehen. Hollande meinte damit bei seinem Antritt im Frühjahr 2012, er wolle keinen abgehoben wirkenden und arroganten Staatschef verkörpern wie vor ihm Sarkozy, sondern einen normalen Menschen wie Ich und Du in den Elyséepalast einziehen lassen. Nach fünf Jahren, in denen Hollande durch die bürgerlichen Medien bevorzugt als entscheidungsschwacher Versager porträtiert wurde, wollte sein früherer Berater, dann Konkurrent und nunmehriger Nachfolger Macron das Ruder herumwerfen. „Vertikal“, also von oben herunter regierend, habe eine Präsidentschaft zu sein, verkündete er dazu.

Ähnlich instrumentell und vom politischen Zweck denkend könnte auch die nunmehrige Annäherung Emmanuel Macrons an den organisierten katholischen Klerus sein. Über seine eigenen, eventuellen religiösen Überzeugungen ist tatsächlich wenig bekannt. Sein Vorgänger Nicolas Sarkozy, der in einem Ende 2004 beim katholischen Verlag Editions du Cerf erschienenen Buch gegen eine strikte Einhaltung des Laizismus plädierte – die Republik vermöge anders als „die Religionen“ keine dauerhaften, verbindlichen, die Gesellschaft vereinigenden Werte zu stiften – und diese Aussage Ende 2007 im Vatikan sowie Anfang 2008 in Saudi-Arabien wiederholte, bezeichnete sich dabei selbst als gläubigen Katholiken. Später relativierte er zwar, er sei kaum praktizierend, ließ aber dieses religiöse Glaubenskenntnis stets im Raum stehen. Darüber, ob Emmanuel Macron sich persönlich als Gläubigen versteht, ist dagegen wenig bekannt.

Sicherlich hatte auch Nicolas Sarkozy vor allem politische Nutzerwägungen im Auge gehabt, infolge derer er die Religion als gesellschaftlichen Ordnungsfaktor betrachtete. Vor diesem Hintergrund erklärte er etwa bei seinem Staatsbesuch in der wahhabitischen Monarchie 2008, der Lehrer vermöge nie auf vergleichbare Weise, eine verbindliche Moral zu verkörpern wie ein Priester, da nur Letzterer – aufgrund des Zölibats – sein eigenes Leben in Teilbereichen aufopfere.

Was erklärte nun Emmanuel Macron konkret zum Thema? Seine vielbeachtete Kernsätze lauteten, an den Marseiller Erzbischof und Vorsitzenden der Bischofskonferenz – Georges Pontier – gerichtet: „Um uns heute Abend hier zu treffen, Monseigneur, haben Sie und ich die Skeptiker auf beiden Seiten hinter uns gelassen. Und wenn wir es taten, dann deswegen, weil wir auf unbestimmte Weise das Gefühl teilen, dass die Bindung zwischen dem Staat und der Kirche beschädigt ist und dass es uns – Ihnen und mir – darum geht, sie zu reparieren.“ Er fügte hinzu, dass „eine Kirche, die behauptet, sich nicht für die weltlichen Belange zu interessieren, nicht bis ans Ende ihrer Berufung geht“ – aber auch, dass „ein Präsident der Republik, welcher behauptet, sich nicht für die Kirche und für die Katholiken zu interessieren, an seiner Pflicht fehlt.“

Zwar bekannte Macron sich nicht zu eigener religiöser Zugehörigkeit. Er erklärte jedoch auf leicht kryptische Weise, „aus gleichermaßen biographischen, persönlichen und intellektuellen Gründen“ habe er „eine höhere Idee von den Katholiken“, als dass er „eine Erosion des Vertrauens zwischen den Katholiken und der Politik, den Politikern“ hinnehmen wolle.

Im Rest seiner Rede nahm Macron noch zu konkreteren politischen Aspekten Stellung. Auf die seit einigen Jahren schwelenden Konflikte um die Familienpolitik, insbesondere vor dem Hintergrund der Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare – dies jährt sich im kommenden Monat zum fünften Mal -, antwortete Macron ausweichend: Die Botschaft der Kirche stoße mitunter auf „eine komplexe und widerspruchsreiche Realität“, und auch die Katholiken selbst seien von Widersprüchen zu manchen ethischen Fragen durchzogen. Offensiver antwortete er auf das vorausgegangene Plädoyer von Erzbischof Pontier, die Politik müsse sich auch um „die Ärmeren“ kümmern, was sich auch auf den Umgang mit Migranten bezog. Hier setzte Emmanuel Macron nun zu einem deutlichen Plädoyer für seine konkrete Migrationspolitik an, die derzeit eher durch Abschreckung geprägt ist - vor dem Hintergrund des in der darauffolgenden Woche im Parlament debattierten neuen Asylgesetzes, das Geflüchteten in vielen Fällen im Falle ihrer Ablehnung eine Berufungsinstanz wegnimmt.

Dass Emmanuel Macron seine Grundsatzerwägungen zur gesellschaftlichen und auch politischen Rolle von Religionen just vor der Bischofskonferenz hielt, könnte auch damit zusammenhängen, dass er sein Vorhaben einer großen Ansprache zum Thema Umgang mit dem Islam – dabei soll es unter anderem um eine Entkoppelung zwischen dem Einfluss ausländischer Botschaften und der Organisation des muslimischen Glaubens in Frankreich gehen – auf unbestimmte Zeit verschoben hat. Diese war zum Jahreswechsel als Grundsatzrede angekündigt worden, Präsident Macron wurde jedoch auch aus den Reihen seiner Berater und Parteifreunde signalisiert, hier handele es sich um ein ziemlich heißes Eisen. Ein islamistisch motivierter Anschlag am 23. März 18 im südwestfranzösischen Trèbes sorgte dafür, dass das Vorhaben vorerst aufgegeben wurde, auch wenn definitiv kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen ihm und dem gewalttätigen Jihadismus besteht. Deswegen dürfte Macron sich auf das Verhältnis zu den Katholiken konzentriert haben, obwohl er ursprünglich vorhatte, sich grundlegender zum Verhältnis zwischen Republik und allen – monotheistischen – Religionsgruppen zu positionieren.

An Kritik aus grundsätzlichen Erwägungen, insbesondere wegen des Vorwurfs eines Angriffs auf die französische Laizismustradition, mangelte es in den darauffolgenden Tagen nicht. Auch ein politischer Wegbegleiter wie der frühere rechtssozialdemokratische Premierminister Manuel Valls – er ist inzwischen Mitglied von Macrons Präsidentenpartei La République en marche (LREM) – zeigte sich wenig angetan. Valls gilt als ein Vertreter eines laut Auffassung von Kritiker/inne/n eher „autoritären Laizismus“, der das Trennungsgebot gegenüber Religionsgruppen nicht nur an den Staat richtet, sondern es auch als vom Staat gegen die Gesellschaft durchzusetzendes Programm versteht, etwa durch Durchsetzung von Kopftuchverboten in bestimmten Bereichen, bis hin zu Studierenden oder zu Kindermädchen, die bei sich zu Hause Kleinkinder in den eigenen Wänden betreuen.

Zu Macrons Auftritt kommentierte Valls: „Ich stelle nicht in Frage, dass er vor den Bischöfen spricht. Ich leugne auch nicht die historische Bindung zwischen dem Christentum und Frankreich. Aber es gibt Themen, bei denen ich den Präsidenten nicht verstanden habe. Etwa, wenn er von der beschädigten Bindung zwischen Kirche und Staat spricht. Es gibt keine Bindung. Sie ist durchtrennt.“

Aber auch in weiten Teilen der Linken, die sich ebenfalls zum Laizismus bekennen, sich zugleich aber von Valls‘ eher etatistischer Konzeption desselben scharf abgrenzen, rief Macrons Auftritt Skepsis bis Empörung hervor. Der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon kritisierte noch am Abend der Präsidentenrede in heftigen Worten: „Die Bindung zwischen Kirche und Staat hat es nicht zu geben. Macron geht zu weit. Das ist unverantwortlich! Macron mitten im metaphysischen Delirium. Unerträglich. Man erwartete einen Präsidenten, man bekam eine Miniaturausgabe eines Priesters“. Einige Tage später warf Mélenchon Macron dann in einem Video vor, Gefahr zu laufen, „Feuer an die Republik zu legen“, indem er das Zusammenleben durch solcherlei Parteinahme gefährde.

Auf der politischen Rechten hingegen herrschte eher inhaltliche Zustimmung zu Macron, auf der konservativen wie auf der extremen. Verbunden wurde dies jedoch mit Zweifeln an seiner Aufrichtigkeit. Marine Le Pen bezeichnete Macrons Angebote an die katholische Kirche sinngemäß als ein Linsengericht, mit dem die Katholiken abgespeist werden sollten, um sie „gütig zu stimmen“. Dadurch wolle Macron sie in sein politisches Vorhaben einer Revision des Gesetzes von 1905 einbinden – dessen Nutznießer jedoch nicht sie seien, sondern die Muslime, womit die Chefin des Front National auf ihren Hauptfeind zu sprechen kommt. Ansonsten habe die französische Nation natürlich „christliche Wurzeln“.

Auf einen innenpolitischen Konsens infolge seiner jüngsten Rede wird Macron kaum rechnen dürfen. Vielleicht streifte er allerdings in den Augen von Gläubigen dadurch wenigstens sein Image als wirtschaftsliberaler, materialistischer Technokrat ab.

Editorischer Hinweis

Diesen Artikel erhielten wir von B. Schmid für diese Ausgabe.  Er erschien zuerst – leicht gekürzt - im Feuilleton der Berliner Wochenzeitung Jungle World, in ihrer Ausgabe vom 26. April 2018