Frankreichs extreme Rechte hat einige
aktuelle Sorgen. Am Spätnachmittag des Dienstag, den 05. Mai 15
wurde das Rathaus von Béziers, der mit 71.000 Einwohner/inne/n
bevölkerungsstärksten der rechtsextrem regierten Städte im Land
– insgesamt fünfzehn Kommunen mit knapp 500.000 Bewohner/inne/n
– durch die Kriminalpolizei durchsucht. Dies war die Antwort auf
die Sprücheklopferei des amtierenden Bürgermeisters, Robert
Ménard, am Vorabend bei einer Fernsehdebatte.
Ménard, einstmals ein radikaler Linker in den
1970er Jahren und später Vorsitzender der NGO “Ärzte ohne Grenzen”,
ist seit Jahren wieder auf der extremen Rechten gelandet, wo seine
familiäre Herkunft liegt. ALs Kind von Eltern, die als französische
Kolonialsiedler in Algerien lebten und bei der Entkolonisierung die
rechte Terrororganisation OAS (“Organisation geheime Armee”)
unterstützten, hat er an die familiäre Tradition wieder angeknüpft.
Konsequent ließ er im März dieses Jahres den “Boulevard des 19. März
1962“ in seiner Kommune, der nach dem Datum des Waffenstillstands im
Algerienkrieg benannt war, umtaufen. Seitdem trägt die breite Straße
den Namen von Hélie de Saint-Marc, der mit der Waffe gegen die
französische Politik des Rückzugs aus Nordafrika während der
Entkolonisierung kämpfte. An der feierlichen Einweihung des neuen
Straßennamens sowie der Gegendemonstration von Antifaschist/inn/en
nahmen 2.000 bis 3.000 Menschen, beide widerstreitenden Seiten
zusammengerechnet, teil. Rathäuser haben zwar keine bedeutende
Macht, zumal seitdem die finanzielle Mittelausstattung der Kommunen
durch den Zentralstaat zurückgeht. Aber auf ideologischem Gebiet
können sie Symbole setzen und dadurch politische Pfähle einschlagen.
Am Montag Abend dieser Woche (04. Mai 15) nun
tönte Ménard bei einer TV-Debatte, es sei nun genug mit Forderungen
nach Mittelausstattungen für die Schulen in seiner Stadt, denn diese
zählten angeblich „64 Prozent muslimische Kinder“. Die
haarsträubende Behauptung lässt sich statistisch weder belegen noch
untermauern – noch formal widerlegen. Denn so genannte
„ethnische Statistiken“, welche soziale Merkmale der
Bevölkerung nach Religionsgruppen oder Herkunft aufschlüsseln, sind
in Frankreich ausdrücklich gesetzlich verboten. Der rechte Präsident
Nicolas Sarkozy versuchte dieses Verbot 2007 aufzuheben, doch wurde
vom Verfassungsgericht gestoppt. Ménard behauptete nun lautstark,
sein Rathaus habe dennoch eigene Statistiken anfertigen lassen. Dies
sei leicht, denn „auch wenn man das Gegenteil behauptet, kann
man die Konfessionszugehörigkeit doch leicht von den Namen und
Vornamen ableiten“. Was einen Karikaturisten zu der Aussage
verleitete, es lasse sich nun leicht feststellen (ebenso aufgrund
der Vornamen), dass alle nicht-muslimischen Kinder in Béziers „aus
Hollywood stammen“.
Angesichts dieses freimütigen Bekenntnisses zu
einer vollkommen illegalen Praxis reagierte die Staatsanwaltschaft
schnell und leitete ein Ermittlungsverfahren ein. Ménard ruderte am
späteren Dienstag Abend und am Mittwoch (06. Mai 15) zurück und
behauptete nun: „Niemand wird in Béziers nach
Religionszugehörigkeit gespeichert, niemand. Wir haben überhaupt
nicht die Mittel dazu!“
Dieser Auftritt war unfreiwillig gut im Timing.
Denn den ganzen Mittwoch, den 06. Mai d.J. über nahmen zwischen 100
und 150 Gewerkschafter/innen aus ganz Frankreich an einem Treffen in
Béziers teil, um im Namen der abhängig Beschäftigten Zeichen gegen
die rechtsextreme Politik zu setzen. Ihre Tagung war eine
Fortsetzung des Treffens von rund 1.000 Menschen im Pariser
Gewerkschaftshaus am 29. Januar 2014, zu dem die
Gewerkschaftsverbände CGT, Solidaires und FSU aufgerufen hatten.
Gemeinsam wollen die Verbände gegen die Versuchung einer Stimmabgabe
für die extreme Rechte, welche – wie sie einräumen, um nach besseren
Antworten darauf zu suchen - auch in den eigenen Reihen vorkommt,
argumentativ und politisch kämpfen.
„Der
Front National tritt als Anti-Sparpolitik- und als Anti-Systempartei
an, doch wo er örtlich regiert, verschärft er die Austerität nur
noch“, erklärte um die Mittagszeit CGT-Führungsmitglied
Pascal Debay bei einer Pressekonferenz. Diese Feststellung wurde den
ganzen Tag über auch in vier Arbeitsgruppen zu den Themen
„Rechtsextreme Kommunen als Arbeitgeber“, „Kommunalpolizei und
Repression“, „Bildung und Erziehung“ sowie
„Kulturpolitik“ herausgearbeitet. Auf all diesen Feldern
wurde die Politik der öffentlichen Hand zugunsten gesellschaftlicher
Bedürfnisse in den rechtsregierten Kommunen zurückgefahren. In
Béziers schloss Ménard Kinder, die mindestens einen arbeitslosen
Elternteil aufweisen, vom preisreduzierten Kantinenessen aus – mit
der Begründung, die Eltern könnten ja kochen -, und der kommunale
Sozialhaushalt für Härtefälle wurde um fünf Prozent
Finanzausstattung verringert. Gleichzeitig führte Ménard neue
„Straftatbestände“, welche in keinem Gesetzbuch stehen, ein: Wer
tagsüber Wäsche an den Fenstern aufhängt – und dadurch in seinen
Augen das Stadtbild verschandelt – oder auf den Boden spuckt, soll
eine Strafe bezahlen. Und wer bei einem solchen „Vergehen“ erwischt
wird, soll auch eine Moralpredigt im Rathaus über sich ergehen
lassen. Wer sich dem entzieht, soll von sozialen Härtefallhilfen der
Kommune ausgeschlossen bleiben.
Béziers ist nur eines von fünfzehn
Rathäusern, die derzeit durch die extreme Rechte in Frankreich
geführt werden, darunter elf durch den Front National (FN) und vier
durch die ebenfalls neofaschistische Regionalpartei ,Ligue du Sud’
im Raum Avignon – Letztere ist im Wesentlichen eine Abspaltung vom
FN. (Hinzu kommen ein halbes Dutzend kleinerer Kommunen mit formal
parteilosen Bürgermeistern.) Béziers ist mit rund 71.000
Einwohner/inne/n die bevölkerungsreichste dieser fünfzehn Städte.
Die südfranzösische Stadt muss ökonomisch als abgehängt gelten.
Mehrfach wurde sie insbesondere durch
Weinbaukrisen wirtschaftlich gebeutelt. Im frühen zwanzigsten
Jahrhundert waren hier industrielle Weinhersteller erstarkt, die
jedoch zum Teil Panschpraktiken betrieben; Zucker wurde unter ihren
Wein gemischt, oder er wurde mit Wasser gestreckt. Jener Fusel, mit
dem die Soldaten im Ersten Weltkrieg abgefüllt wurden, um sie in den
Schützengräben stillzuhalten – offiziell stand ihnen ein „Anrecht“
auf täglich einen Liter Wein zu – kam zum Teil hierher. Doch nach
dem Ausgang des Ersten Weltkriegs wurden diese Massenbestellungen
durch die Armee storniert, und ferner wurden Qualitätskontrollen für
den Wein eingeführt. Ein Teil der Hersteller ging pleite, oder er
entging dem Bankrott durch einen Übergang zu Qualitätsproduktion,
opferte dabei jedoch einen Teil seiner Betriebe und des Personals.
Späterhin erlebte das Gewerbe in der Region nochmals eine Blüte dank
der Verarbeitung von Wein-Ausgangsprodukten, die aus dem französisch
kolonisierten Algerien hier eingeschifft wurden. Nach der
Entkolonisierung von 1962 in Algerien war es vorbei mit der
massenhaften Einfuhr von Fässern mit Trauben oder Traubensaft. Auch
deswegen vielleicht ist die kolonialistische Nostalgie in der Gegend
stark verankert, sie hätte demnach eine materielle Grundlage..
Heute erweckt die Stadt den Eindruck, als habe
sie ihre Zukunft zum größten Teil hinter sich. Das Stadtzentrum und
das Viertel rund um den Bahnhof wirken in den Abendstunden
weitgehend wie verwaist, viele Länden sind zu, offene Restaurants
sind beinahe leer. Gleichzeitig führte der vorherige Bürgermeister
Raymond Couderc, welcher 19 Jahre lang regierte (von 1995 bis 2014)
und in jener Zeit einige ideologische Grundlagen für die Übernahme
der Stadt durch die extreme Rechte – insbesondere in Sachen
Kolonialnostalgie – legte, in seiner Amtszeit ein neues Stadtwappen
ein. Es prangt etwa auf den städtischen Mülltonnen und verkündet
stolz: „Béziers – Ein Eroberungsgeist!“ (Béziers, Un esprit de
conquête)
Eine Folgetagung des
Gewerkschafter/innen/treffens wird am Freitag, den 02. Oktober 15 in
(der früheren Stahlarbeiterstadt) Hayange in Lothringen, einer
anderen der FN-regierten Kommunen, stattfinden. Oder, sofern es sich
in der Stadt selbst als unmöglich erweist, im nahen Thionville.
Allein, es steht zu befürchten, dass das Wetter dort weniger sonnig
ausfallen dürfte.
Editorische Hinweise
Den Artikel erhielten wir vom Autor
für diese Ausgabe.