Die Initiative Mietenwahnsinn
stoppen! entstand aus einem Arbeitskreis von Recht auf Stadt
Wien. Das folgende Forderungspapier zum Themenkomplex “Wohnen
in Wien” wurde im April 2015 erstellt und soll zur Diskussion
über die Wiener Wohnungspolitik, ihre Vorzüge und ihre
Schwachstellen anregen.Wohnen in Wien hat sich in
den letzten Jahren rapide verändert. So sehr die Stadt mit
ihren Slogans und Werbekampagnen auch versucht, eine scheinbar
heile Welt vorzugaukeln, so sehr kämpfen mittlerweile die
Bewohner_innen tagtäglich mit den Auswirkungen sich
verschlechternder Lebensbedingungen und Wohnverhältnisse. Die
Stadt und ihre repräsentativen Organe schafften es bislang
immer wieder gekonnt, kritische Stimmen, die auf Versäumnisse
im Wohnungsbau hinwiesen, im Keim zu ersticken. Viel wichtiger
war ihnen, das Image und den Status einer “Vorzeigestadt“
aufrecht zu erhalten, in der es, ganz im Gegensatz zu anderen
europäischen Städten, eben keine horrenden Mieten, keine
Verdrängung im Sinne von Gentrifizierung, auch keine
segregierten Viertel oder No-Go-Areas gebe. Doch mittlerweile
scheint es fast so, als hätte sich die Stadt zu lange auf dem
Mythos des “Roten Wien“ ausgeruht und den ehemals
funktionierenden Wohlfahrtsstaat nach unternehmerischen
Kriterien umgestaltet. Spätestens seit dem Fall des Eisernen
Vorhangs und dem Beitritt zur Europäischen Union wurden
Wettbewerbsfähigkeit und investorenfreundliche
Stadtentwicklung zum obersten Postulat. Dies führt heute dazu,
dass genau jene negativen Erscheinungen, von denen die
Regierung lange Zeit nichts wissen wollte, stärker denn je zu
Tage treten.
Wien galt lange als
Nachzüglerin, wenn es um die Neoliberalisierung der Stadt und
ihrer politischen Institutionen ging. Schritt für Schritt, und
immer unter der Obhut einer sozialdemokratischen
Vorherrschaft, veränderten sich aber auch hier sukzessive die
politischen Rahmenbedingungen und das neoliberale Dogma prägt
mittlerweile die Stadtpolitik nachhaltig. Es ist zwar wichtig
zu betonen, dass wir uns, wenn wir über Probleme z.B. am
Wohnungsmarkt in Wien reden, noch immer auf einem sehr hohen
Niveau bewegen – die Stadt Wien besitzt immerhin noch knapp
220.000 Wohnungen. Nichtsdestotrotz stimmen die konkreten
Erfahrungen der Bewohner_innen mit der positiven
Selbstdarstellung der Stadt nicht mehr überein. Zu den realen
Veränderungen zählen neben der oben genannten Gentrifizierung
und Verdrängung auch die damit in Zusammenhang stehenden,
massiven Mietsteigerungen, sowie die steigenden Kosten für
Strom, Gas und öffentliche Verkehrsmittel in den letzten
Jahren.
Aber was heißt das nun
konkret? In Wien leben ca. 60% der Bevölkerung in einer durch
öffentliche Gelder geförderten Wohnung. Pro Jahr kommen ca.
5.000 neue, geförderte Wohnungen hinzu; das ist immerhin die
Hälfte der gesamten Bauleistung. Der Ursprung dieser Logik ist
im Roten Wien (1918-1934) zu suchen: Ende des 1. Weltkriegs
erzwingen kämpfende Arbeiter_innen als Folge der Wohnungskrise
die Einführung der Mieterschutzverordnung (1917/18) und des
Mietengesetzes (1922). Der Immobilienmarkt wurde fortan
unprofitabel für privates Kapital und Grundstücke konnten
seitens der Stadt günstig erworben werden. Die Stadt schuf
sich durch die Einführung unterschiedlicher Luxussteuern
(Breitnersteuern), darunter auch die Wohnbausteuer, einen
enormen finanziellen Spielraum. Erst dadurch war sie im Stande
zwischen 1925 und 1934 etwa 64.000 Gemeindewohnungen für ca.
220.000 Arbeiter_innen zu bauen. Davor musste sich die Stadt
aber noch zwischen zwei möglichen Optionen zur Lösung der
Wohnungskrise entscheiden: entweder sie förderte
Selbsthilfekooperativen, wie es zu der Zeit die
Siedler_innenbewegung war, oder sie unterstützte den Bau von
Gemeindewohnungen; sie entschied sich für Letzteres.
Die Zeit des
„Austromarxismus“ fand zwar 1934 ein gewaltvolles Ende, doch
viele Ideen der sozialistischen Wohnbaupolitik wurden nach dem
2. Weltkrieg fortgesetzt. Bis eben 2004, als in der
Rößlergasse 15 in Wien-Liesing, der letzte Gemeindebau
errichtet wurde. Dieser Bruch steht aber nur am Ende einer
langen Kette an Maßnahmen zur Aushöhlung und Abschaffung der
sozialen Wohnbautätigkeit in Wien. Im Verlauf der 1980er und
1990er Jahre gab es schon massive Liberalisierungen und
Deregulierungen im Bereich des Mieterschutzes und des
Mietrechts, die u.a. die Einführung der befristeten
Mietverträge zur Folge hatte. Auch die sukzessive Verlagerung
des geförderten Wohnbaus, vom Gemeindebau zu gemeinnützigen
(teilweise auch gewerblichen) Wohnbauträgern, ist Teil einer
neuen Strategie, in der die Stadt nicht mehr als Bauherrin
oder Vermieterin auftritt, sondern sich vermehrt um die
Verwaltung ihrer Liegenschaften kümmert und die Bautätigkeit
anderen überlässt. Zusätzlich entzog die Stadtregierung durch
die (Teil-) Privatisierung, Auslagerung und Zusammenfassung
von ehemals städtischen Betrieben und Magistratsabteilungen in
Holdings, Unternehmungen, Stiftungen und Fonds dem Gemeinderat
die Kontrolle. Die Folge davon sind Entdemokratisierung und
Intrasparenz bei der Vergabe- und Auftragspolitik.
Dieser Wandel im Bereich des
Wohnens lässt sich mittlerweile ganz gut in Zahlen fassen:
zwischen 2000 und 2010 stiegen die Mieten in Wien um 37%, im
privaten Sektor sogar um 67%. Der Ausgabenanteil vom Einkommen
an der Miete ist seit 2004 von 16% auf 25% gestiegen und die
Anzahl der erfassten Wohnungslosen hat sich seit 2006
verdoppelt. Auch die Zahl der Delogierungen steigt.
Insbesondere im Gemeindebau werden aufgrund der steigenden
Mieten fast 1000 Wohnungen pro Jahr (2011) zwangsgeräumt; das
bedeutet im Schnitt bis zu sieben Wohnungen pro Tag. Weitere
absurde Hürden in der Unterstützung ärmerer
Bevölkerungsschichten im Bereich des Wohnens, sind die Regel,
dass erst ab einem gewissen Mindesteinkommen die Möglichkeit
der Wohnbeihilfe besteht; d.h. zu niedriges Einkommen
verunmöglicht den Bezug von Wohnbeihilfe!
Für uns als Recht auf
Stadt-Kollektiv der Initiative „Mietenwahnsinn stoppen!“ ist
wichtig, einen kritischen Blick auf aktuelle städtische
Transformationsprozesse in Wien zu werfen und gegen diese
negativen Auswirkungen anzukämpfen. Wir wollen mit der
hegemonialen Selbstdarstellung der Stadt brechen und nicht nur
auf die soziale Ungleichheit im Wohnungsbau hinweisen, sondern
auch positive Utopien jenseits der paternalistischen SP-Grünen
Stadtpolitik entwickeln, auf Aktivierung und
Selbstermächtigung setzen, anstatt auf eine intransparente,
klientelistische Vertretungspolitik. Wie das funktionieren
könnte sehen wir international an vielen Orten des
Widerstandes gegen Delogierung, Mietensteigerung und
Gentrifizierung wie aktuell in Spanien.
Aber auch in Wien kämpfen die
Menschen auf vielen Ebenen gegen die Wohnungskrise, wir sehen
das beim Widerstand der PizzeriA gegen einen privaten
Immobilieninvestor, der solidarischen Unterstützung gegen die
Delogierung von Monika R. oder dem tagtäglichen Kampf gegen
Wohnungslosigkeit beim neunerhaus sowie dem Kampf gegen
Vertreibung von Marginalisierten. Besonders tragisch bleibt
uns der Fall Cafer I. in Mariahilf in Erinnerung. Cafer war
der letzte verbleibende Mieter eines Zinshauses, das nun
saniert wird. Er wurde unter noch immer nicht geklärten
Umständen tot vor seiner Wohnung aufgefunden. Delogierungen
passieren auch in Wien bis zu sieben Mal pro Tag und jede
einzelne Räumung ist eine zu viel.
Unsere vier zentralen
Forderungen sind daher:
1. ZWANGSRÄUMUNGEN
STOPPEN, KEIN RAUSMOBBEN VON ALTMIETER_INNEN!
Wir fordern den sofortigen
Stopp von Delogierungen von Mieter_innen, die sich ihre Miete
nicht mehr leisten können. Genauso fordern wir Schritte gegen
das Rausmobben von Altmieter_innen, um eine Immobilie
aufwerten zu können. In beiden Fällen ist die Stadt gefragt,
durch sozialpolitische Maßnahmen, wie der Übernahme von
Mietschulden, oder der Entziehung von Baubewilligungen im Zuge
von Renovierungen, entgegen zu wirken. Der Aufwertung ganzer
Grätzel inklusive Verdrängung oftmals weniger
zahlungskräftiger Mieter_innen könnte eine an sozialen
Kriterien orientierte Mietobergrenze entgegenwirken.
Lagezuschläge müssen generell abgeschafft werden.
2. HER MIT DEM
GEMEINDEBAU!
Wir fordern die generelle
Wiederaufnahme des Gemeindebaus. Kommunaler Wohnbau fand in
den letzten Jahren nur mehr über den geförderten Wohnbau
statt. Dabei ist klar, dass der geförderte Wohnbau als
Mittelschichtssubventionierung, gerade in Zeiten immer
prekärer werdender Arbeits- und Lebensbedingungen für viele
Menschen immer schwerer leistbar wird. Im Februar 2015 gab
Bürgermeister Häupl zwar bekannt, das die Stadt wieder
Gemeindewohnungen bauen wird. Es bleibt aber abzuwarten, ob
diese Ankündigung reine Wahlkampfrhetorik bleibt bzw. wieviel
und unter welchen Bedingungen dann auch wirklich umgesetzt
wird.
Wir fordern ebenso Offenheit für neue Schritte der
Kommunalisierung, besonders durch die Stärkung der
demokratischen Mitgestaltung, etwa in Form der schon
existierenden Mieter_innenräte, die Stärkung Urbaner Commons
(Gemeingüter) und die Berücksichtigung von Wohn- und
Lebensformen, jenseits des Kleinfamilienmodells.
3. SPEKULATION
VERHINDERN! LEERSTAND BESETZEN!
Wer Wohnraum oder auch
Büroflächen trotz oder gerade wegen steigender Mietpreise
leerstehen lässt, sollte nicht nur, wie unlängst von der SP
gefordert, durch eine Leerstandsabgabe besteuert werden,
sondern dieser Leerstand muss der Gesellschaft wieder zur
Verfügung stehen. Wir fordern hier die entsprechenden
Rahmenbedingungen zur Rekommunalisierung von leerstehendem
Wohnraum und Büroflächen. Darüber hinaus gilt es demokratische
Institutionen auf lokaler Ebene zu schaffen, um diesen
Leerstand gemeinsam zu verwalten und über dessen Nutzung zu
bestimmen. Mit der Kriminalisierung von Leerstandsbesetzungen
muss Schluss sein.
4. KEINE PROFITE MIT
DER MIETE! WOHNRAUM DARF KEINE WARE SEIN!
Des Recht auf Wohnen gehört
wie das Recht auf (Teilhabe an der) Stadt zu den grundlegenden
Sozialen Rechten, die gewährleisten, dass alle Menschen ein
gutes und würdiges Leben führen können. Dementsprechend darf
Wohnen keine Ware sein. Die marktförmige (De-)Regulierung von
Wohnraum produziert Ungerechtigkeit und Ungleichheit. Wohnraum
muss daher dem Markt entzogen und vergesellschaftet werden und
allen hier lebenden Menschen, egal welcher Herkunft, zur
Verfügung stehen.
Wien, April 2015
Quelle: linksunten.indymedia.org vom 16.5.2015