Es war vorauszusehen. Der Tod des
Selbstmordattentäters Sebastian in NRW hat wieder einmal einigen
JournalistInnen viel Zeilengeld eingebracht. SozialpädogInnen,
KulturwissenschaftlerInnen etc. nutzten die Gelegenheit, um die
Psyche des jungen Mannes als solchen und die Befindlichkeiten
von Sebastian K. im Besonderen zu ergründen.
Katharina Rutschky sieht sich im Feuilleton
der Frankfurter Rundschau angesichts des Selbstmordattentäters
von Emstetten gleich an ein Erlebnis am Stadtrand Berlins
erinnert, wo drei jungen Männer einen Hund aus einem eiskalten
See retteten, und dabei selbst Leben und Gesundheit riskierten.
Was die beiden Dinge miteinander zu tun haben? Eigentlich
nichts, aber wenn es Zeilengeld bringt..
Natürlich haben sich die Kontroll- und
Verbotsfreaks aller Couleur die Gelegenheit nicht entgehen
lassen, ihr Lamento über Jugendgewalt und Computerspiele zu
wiederholen. Vor Generationen waren es noch das Fernsehen, noch
früher der Jazz und andere Kulturneuerungen, welche die
Jugend verderben würden. Nur leider haben diese konservativen
Klagen auch handfeste Folgen. Schon werden neue Gesetze und
Bestimmungen diskutiert. Auch wer mal eben so in Rage sagt, „den
bring ich um“, sollte vorsichtig sein. Er könnte als künftiger
Selbstmordattentäter aus dem Verkehr gezogen werden. Wer gar
Listen über Freund- und Feindschaften führt, ist besonders
verdächtigt. Vielleicht sind es ja dann Todeslisten.
Doch was überhaupt nicht oder nur am Rande
erwähnt wird, sind die Erklärungen dieses Sebastian B.
Schließlich hat er ja durchaus seine Weltsicht
der Dinge
verbreitet. Was bei SelbstmordattentäterInnen im Nahen Osten die
Bekennervideos sind, ist bei ihm das Internet.
Wenn in den Zeitungsberichten darauf
überhaupt eingegangen wurde, dann nur um den Texten jegliche
Plausibilität und Logik abgesprochen. Am deutlichsten sprach es
die Feuilleton-Redakteurin der Frankfurter Rundschau Ina Hartwig
aus. „Das völlig krause Weltbild des Bastian B. – bar jeder
konsistenten Ideologie – ist angereichert mit moralischen
Versatzstücken („ich war der Konsumgeilheit verfallen“) und
gewürzt mit Gewaltlust („habe mir Rache geschworen“ und vor
allem offenbart es eine drängende Nachruhmphantasie“.
So stellt Hartwig schon mal klar, wer in
einer Klassengesellschaft etwas zu sagen hat. Ein junger Mann
aus der Untersicht, wie Sebastian B., gehört ihrer Meinung nach
garantiert nicht dazu. Wenn im Feuilleton ständig über Konsum
pro und Contra räsoniert wird, sind das natürlich wichtige
Beiträge zu einer Diskussion, wenn Sebastian B. darüber
schreibt, sind es nur moralische Versatzstücke. Dass in einem
Text, der ein Selbstmordattentat ankündigt, Gewalt vorkommt,
dürfte eigentlich so überraschend nicht sein. Für Zitate von
Ghandi ist das in der Regel nicht der richtige Platz.
Natürlich sind die Erklärungen von
Sebastian B. vielfach wirr, unausgereift und mit seinen
Vergasungsphantasien gegenüber türkischen Mitschülern gibt es
auch faschistoide Stellen darin. Die nachträgliche Relativierung
des Autors ändert daran nichts, sie macht eher deutlich, dass
er sehr wohl gewusst hat, was er schreibt und welche Wirkung es
hat.
Bemerkenswert ist eher, dass sich in seinen
Erklärungen viele Elemente eines Jugendlichen finden, der sich
auch einer linken Bewegung anschließen könnte.
So beschreibt er subjektiv sehr gut, wie
sich junge Menschen fühlen, in der alles zur Ware wird:
„Ich erkannte das die Welt wie sie mir
erschien nicht existiert, das sie eine Illusion war, die
hauptsächlich von den Medien erzeugt wurde. Ich merkte mehr
und mehr in was für einer Welt
ich mich befand. Eine Welt in der Geld alles regiert, selbst
in der Schule ging es nur
darum... “
Wahrscheinlich sind bei vielen 18jährigen,
die heute auf Demonstrationen gehen, die Weltbilder nicht
weniger diffus. Erst im Laufe von politischen
Auseinandersetzungen auf theoretischer und praktischer Art gibt
es Klärungsprozesse.
Diese Einsichten sind gepaart mit einer
grundsätzlichen Lebensablehnung, die wahrscheinlich
Versatzstücke aus der Gruftibewegung sein können, der sich
Sebastian B. zurechnete.
„Wozu das alles? Wozu soll ich
arbeiten? Damit ich mich kaputtmaloche um mit
65 in den Ruhestand zugehen und 5 Jahre später abzukratzen?
Warum soll ich mich noch anstrengen
irgendetwas zu erreichen, wenn es
letztendlich sowieso für'n Arsch ist weil ich früher oder
später krepiere?
Ich kann ein Haus bauen, Kinder bekommen und was weiß ich
nicht alles. Aber wozu? Das Haus wird irgendwann abgerissen,
und die Kinder sterben auch mal. Was
hat denn das Leben bitte für einen Sinn?“
Der Fall Sebastian B. zeigt sich einmal
mehr, welches Potential eine Linke hierzulande hätte, und wie
wenig es ihr gelingt, es auszunutzen. Junge Leute wie er wären
vor 10 oder 15 Jahren noch bei den Autonomen gelandet und hätten
eine Politisierung durchlaufen. Heute gibt es in vielen Städten
keine solchen linken Strukturen mehr und die Jugendlichen selbst
mit kritischen Gedankengut flüchten sich in Irrationalismus und
Tod.
Die Schills von der Spree
Oder sie werden ein Fall für die Justiz und
Kandidaten für geschlossene Jugendheime. Auf einer ganzen Seite
konnten am 21.November 2006 im Tagesspiegel die Jugendrichterin
Kirsten Heisig und ihr Kollege Günter Räcke ein Plädoyer von Law
and Order und Null-Toleranz gegenüber Jugendlichen, vor allem
mit nichtdeutschen Hintergrund ablegen.
Nach dem Vorbild der Lehrer an der
Rütli-Schule im Frühjahr dieses Jahres inszenierten auch die
beiden Richter, die sich wohl am schon gescheiterten Hamburger
Richter Gnadenlos Barnabas Schill ein Vorbild nahmen, als
VertreterInnen der schweigenden Mehrheit,
die sie in Deutschland zweifellos sind und als Mahner in letzter
Minute. Dabei ist das, was sie fordern von der linken Mitte bis
nach Rechtsaußen weitgehend Konsens. Die Funktion solcher
Interventionen ist klar. In Zeiten der kapitalistischen Krise,
wo die Vorstellung aufgegeben wird, dass alle Mitglieder der
Gesellschaft zumindest nicht hungern müssen, wo statt „Bildung
für Alle“ Elitenbildung für wenige propagiert wird, soll die
Unterschicht durch geschlossene Heime, Arbeitszwang und ähnliche
Instrumentarien bei der Stange gehalten werden. Im Interview
spricht Richter Gnadenlos Heisig an einer Stelle die soziale
Dimension selber an:
„Weil diesen Jugendlichen der Zugang
zum Handy und MP-3-Player verwehrt ist, verschaffen sie sich
das mit Gewalt.“
Daher so das Fazit des Richterduos werde
auch Berlin an geschlossenen Jugendheimen in Zukunft nicht
herumkommen.
Die Jugendlichen , die noch mit dem Leben
abgeschlossen haben, wie Sebastian B. sollen als ordentliche
Zwangsmitglieder einer Klassengesellschaft mit wenig
Verteilungsspielraum beizeiten lernen, wo der Hammer hängt.
Es ist nur die Frage, ob und wann es der
Linken gelingt, unter diesen Jugendlichen wieder Fuß zu fassen.
Damit sie einen Ausweg als ein Selbstmordattentat oder ein Leben
zwischen Jugendheim und Gefängnis erkennen.
Editorische Anmerkungen
Der Artikel wurde uns vom Autor am 29.11.2006
zur Verfügung gestellt.