Die Kette der Vollstrecker
oder Nichtdeutsche außerhalb des Rechts
von Silke Studzinsky12/04
trend
onlinezeitungZahlreiche Untersuchungen belegen bereits, daß Nichtdeutsche schneller und für längere Zeit in Untersuchungshaft kommen, öfter zu höheren Strafen als Deutsche verurteilt werden und auch in der Haft zusätzlichen Erschwernissen ausgesetzt sind. [1]
Diese unterschiedliche Behandlung hat vielfältige Ursachen, läßt sich aber für die Ermittlungsbehörden und die Gerichte durchaus noch mit Gesetzen vereinbaren, wenngleich sich auch eine rassistische Komponente durch die Verfahren zieht.
Die Differenzierung beruht auf einer ungleichen Interpretation der unbestimmten Rechtsbegriffe in den Gesetzen.
Anders sieht die Praxis aus für Ausländer[2], die keinen Aufenthalt in Deutschland haben und beschuldigt werden, eine Straftat begangen zu haben.
Selbstverständlich und automatisch geraten sie auch bei kleinen Vergehen in Untersuchungshaft, die regelmäßig bis zur Hauptverhandlung andauert.
Aber damit nicht genug:
Wird nach einer Verurteilung der Haftbefehl aufgehoben und die Entlassung aus dem Saal angeordnet, wenn kein weiterer Haftbefehl gegen den Verurteilten besteht, ist die Odyssee für ihn noch lange nicht zu Ende.
Im Verhandlungssaal entdeckt man in solch einem völlig unspektakulären Verfahren nämlich überraschend Zuschauer, die so gar nicht zum Umfeld des Angeklagten gehören. Scheinbar unscheinbar und doch so auffällig lauern schon zwei bis drei junge, sportliche Männer oder Frauen, mit legerer Kleidung darauf, dem ausländischen Menschen die gerade gewonnene Freiheit wieder zu entziehen.
In vorauseilendem Gehorsam wird die Ausländerbehörde vom eifrigen Gericht vom Termin vorher informiert und es werden Zivilbeamte angefordert, damit die gerade Freigelassenen „in Amtshilfe“ in das Abschiebungsgewahrsam transportiert werden.
Dort werden sie dann „unverzüglich“ einem Richter vorgeführt, der auf Antrag der Ausländerbehörde einen Haftbeschluß macht, um die Abschiebung aus der Abschiebehaft zu vollstrecken.
Dieser Vorgang ist normaler Alltag in bundesdeutschen Gerichten, so daß man allein wegen der Selbstverständlichkeit, die dieser Vorgehensweise innewohnt schon annimmt, diese Praxis sei rechtmäßig.
Doch weit gefehlt:
Es gibt keinerlei Rechtsgrundlage für eine solche Freiheitsentziehung. Oder um es anders auszudrücken eine solche Festnahme ist rechtswidrig und verwirklicht den Straftatbestand der Freiheitsberaubung:
- für die festnehmenden Zivilbeamten , indem sie ohne daß ein Haftbefehl bzw. –beschluß existiert, einer Person die Freiheit entziehen, wozu sie nicht berechtigt sind
- für die zu diesem rechtswidrigen Verhalten anstiftenden und Hilfe leistenden Richter, die die Polizei zur Festnahme angefordert haben und
- für die Beihilfe leistenden Staatsanwälte, die in diesem Moment in der Regel noch im Saal sind und die rechtswidrige Ingewahrsamnahme dulden und nicht verhindern.
Sie alle sind an dieser Freiheitsberaubung beteiligt.
Die Ausländerbehörde erfährt aufgrund der Mitteilungspflichten, die u.a. zwischen Justiz und Ausländerbehörde bestehen, wenn ein Ausländer ein Strafverfahren hat und wird auch darüber informiert, wenn die Person in Untersuchungshaft kommt. Spätestens jetzt wird dem Gefangenen eine Ausweisung zugestellt. Wenn die Behörde nicht von einer freiwilligen Ausreise ausgeht, müßte sie nun einen Haftantrag stellen und für einen Haftbeschluß bereits während der Untersuchungshaft sorgen.
Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts[3] ist das grundgesetzlich verbürgte Recht auf Freiheit unverletzlich und ein besonders hohes Rechtsgut, in das nur aus wichtigem Grund eingegriffen werden darf. Deshalb darf die Freiheit der Person gemäß Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG nur aufgrund eines Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden und die Freiheitsentziehung darf nur ein Richter treffen. Eine Freiheitsentziehung durch die Polizei, um eine nachträgliche Entscheidung durch einen Richter herbeizuführen, ist nur in den Ausnahmefällen des Art. 104 Abs. 2 S. 2 und 3 GG zulässig, wenn der mit der Freiheitsentziehung verfolgte verfassungsrechtlich zulässige Zweck nicht erreichbar wäre, sofern der Festnahme die richterliche Entscheidung vorausgehen müßte. [4]
Durch Art. 104 GG ist auch die Freiheit einer nichtdeutschen Person geschützt.
Meistens besteht auch ausreichend Zeit von einigen Monaten für die Ausländerbehörde um einen richterlichen Beschluß zu bekommen. Die Ausländerbehörde selbst ist natürlich nicht befugt, freiheitsentziehende Maßnahmen zu tätigen, so daß sie eigenständig für eine richterliche Entscheidung sorgen müßte, die dazu berechtigt, die im Strafgericht verurteilte Person nach der Aufhebung des Untersuchungshaftbefehls direkt im Saal noch festzunehmen.
Allerdings kümmert sich die Behörde darum nicht, denn sie kann sich angesichts der gegenwärtigen Praxis darauf verlassen, daß die Strafrichter eifrige und willige Helfer dabei sind, Deutschland von Ausländern ohne Aufenthaltsrecht zu befreien, auch wenn eine Rechtsgrundlage für die Ingewahrsamnahme nicht besteht.
Obwohl bereits zahlreiche Entscheidungen[5] existieren, in denen immer wieder (im nachhinein – nach erfolgter Abschiebung) festgestellt wurde, daß eine Festnahme ohne richterlichen Beschluß rechtswidrig ist, dauert diese Praxis unverändert fort.
Viele Verteidiger sind über diese Feinheiten nicht informiert und nehmen es widerspruchslos hin, wenn ihre Mandanten aus dem Verhandlungssaal nach aufgehobenem Untersuchungshaftbefehl ohne Rechtsgrundlage in die Abschiebehaft gebracht werden.
Aber auch engagierte Versuche, eine solche Festnahme zu verhindern, scheitern, denn die anwesenden Strafrichter und Staatsanwälte dulden und unterstützen solche Festnahmen, dann sogar wider besseres Wissen, also selbst wenn sie von der Verteidigung über die Rechtsprechung aufgeklärt werden und aufgefordert werden, die rechtswidrige Festnahme zu unterbinden.
Aber auch damit noch nicht genug:
Auf Strafanzeigen wegen Freiheitsberaubung bzw. Beihilfe dazu gegen Strafrichter und Staatsanwälte und festnehmende Beamten werden gar nicht erst Ermittlungen eingeleitet mit der Begründung, daß eine Straftat nicht vorliege. Gegen die eigene Zunft geht man natürlich nicht vor.
Obwohl also auf der einen Seite Gerichte feststellen, daß solche Freiheitsentziehungen rechtswidrig sind, führt dies nicht einmal zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen Freiheitsberaubung und ermutigt geradezu die Fortsetzung der rechtswidrigen Praxis.
Ist der Betroffene erst einmal im Verhandlungssaal, wenn auch rechtswidrig, festgenommen und ergeht dann später ein Beschluß, der die Abschiebungshaft anordnet, führt dies allerdings nicht dazu, daß diese Haftanordnung allein dadurch rechtswidrig würde, weil die vorausgegangene Festnahme keine Rechtsgrundlage hatte.
Bei rechtmäßigem Vorgehen wäre die betroffene Person zwar gar nicht erst bei dem Richter im Abschiebegewahrsam gelandet, so daß es sich hier eigentlich um „Früchte vom verbotenen Baum handelt“.
Diese Auffassung teilt die Rechtsprechung (selbstverständlich!) nicht.
Ein Versuch, einen Richter im Abschiebegewahrsam dazu zu bewegen, einen Betroffenen sofort freizulassen, der ihm im Laufe des Abends noch vorgeführt werden sollte, aber noch nicht war, und der sich also immer noch auf die oben beschriebene Weise unrechtmäßig in Haft befand, scheiterte ebenfalls.
Die beschriebene Praxis zeigt sehr deutlich, wieviel das grundgesetzlich verankerte Freiheitsrecht von Ausländern zählt- nämlich gar nichts. Die spätere Feststellungsklage, daß eine Festnahme rechtswidrig war, macht die Abschiebung nicht hinfällig, erst recht nicht rückgängig und ist nicht mehr als ein wertloses Stück Papier. Immerhin- die Kosten für diese erfolgreiche Klage zahlt der Staat. Soviel ist der rechtsstaatliche Anschein dann doch wert.
Berufsrichter, Staatsanwälte, Polizeibeamte und Behördenmitarbeiter beteiligen sich wider besseres Wissen an den illegalen Freiheitsentziehungen. Sie alle handeln im Konsens miteinander. Die Betroffenen haben in der Regel keine Stimme in diesem ganzen Verfahren oder wenn nur eine theoretische.
Ein Ende dieser Praxis ist nicht absehbar, vollstreckt man doch nur etwas was schon „irgendwie“ seine Richtigkeit hat. Denn betroffen sind ja „nur“ diejenigen, die das Land sowieso zu verlassen haben. Es trifft also schon die „Richtigen“, da tritt das von der Verfassung beschworene wertvolle Freiheitsrecht schon mal in den Hintergrund und bleibt Papier. Das Freiheitsrecht ist wohl doch ein Recht, was Ausländern ohne Aufenthaltsstatus nicht zusteht.
Anmerkungen
[1] z.B. Die Studie des 8.Deutschen Präventionstag unter http://www.praeventionstag.de/content/8_praev/doku/gaitanides und die Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen von April 2004 unter http://www.bafl.de/template/zuwanderungsrat/expertisen_2004/expertise_pfeiffer.pdf
[2] Allein zur erleichterten Lesbarkeit werden in diesem Artikel ausschließlich die männlichen Formen verwendet.
[3] BVerfG in InfAuslR 2002, 408 ff.
[4] BVerfGE 22, 311 (317)
[5] so unter vielen: Landgericht Berlin Beschluß vom 31.3.2003, 84 T 46/03
Editorische Anmerkungen
Der Text wurde uns im Dezember 2004 von der Autorin zur Veröffentlichung gegeben. Er erschien auch in der Zeitschrift CILIP.