1968 und Folgen - Teil I
Die Schraube wird angezogen
Übersicht über die staatlichen Maßnahmen zum Berufsverbot

vom Aktionkomitee gegen Berufsverbote an der FU Berlin (1975)

11/2018

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Redaktionelle Vorbemerkung

Am 18. Oktober 2018 beschäftigte sich im Museum Neukölln auf dem Gutshof Alt-Britz die zweite Veranstaltung des Begleitprogrammes zur Ausstellung „Neukölln macht Schule. 1968–2018 “ mit dem bundesweiten  „Radikalenerlass“, wodurch es zu Berufsverboten (nicht nur) für Lehrer*innen in Neukölln in den 1970er Jahren kam. Darüber sprachen: Wolfgang Ewert, Mitglied der BBV-Fraktion der Neuköllner Grünen , Henning Holsten, Historiker, Ausstellungs- und Filmemacher und Reiner Rowald, ehemaliger Lehrer und als SEW-Mitglied ein Opfer des "Radikalenerlasses". Die Runde moderierte der Politologie Reinhard Wenzel, seines Zeichens Geschäftsführer der sozialdemokratischen August-Bebel-Stiftung.

Die Berufsverbotepolitik - vom sozialdemokratischen Kanzler Willy Brandt ausdrücklich begrüßt - nachdem sie 1971 auf Bundesländerebene fünfzehn Jahre nach dem KPD-Verbot wieder aufgenommen wurde und die BRD sich damit in einen autoritären, Menschenrechte mißachtenden Staat verwandelte, spielte in der Gesprächrunde keine Rolle. Vielmehr wurde durch den Historiker Holsten versucht, die mit der Berufsverbotepolitik einhergehende Schnüffel- und Denunziationspraxis aus den Charaktereigenschaften bestimmter Reaktionäre, wie z.B. dem damaligen Neuköllner Volksbildungstadtrat Gerhard Böhm (SPD) abzuleiten. Dieser narrativ-subjektivistischen Herangehensweise folgten auch Wolfgang Ewert, der 1978 als Schüler sich in einen Komitee gegen Berufsverbote engagiert hatte und Reiner Rowald, in den 1960er Jahren als politischer Liedermacher eine Berlinweit bekannte Persönlichkeit.

Reiner Rowald hatte übernommen, nicht nur von den politischen Disziplinierungen wegen seiner SEW-Mitgliedschaft zu berichten, sondern auch den Fall des Hans Apel vorzustellen. 1978 wurde dieser nach zehnjähriger Lehrertätigkeit als Beamter auf Lebenszeit in Berlin-Charlottenburg(!) wegen seiner Mitgliedschaft in der SEW "aus dem Dienst entfernt". Anstatt anhand dieses Falls exemplarisch die reaktionären bundesweiten Strukturen der Berufsverbotepolitik darzustellen, verlas Rowald einen langen Brief aus dem Nachlass des 1998 verstorbenen Hans Apel, worin dieser seine Gefühle an dem Tag schildert, als er seine Dienstschlüssel abgeben musste.


Songbook 1967

Nur am Rande erwähnte Reiner Rowald, dass es außer der  SEW noch andere betroffene "Rote" gab. Gemeint waren damit pauschal alle Kommunist*innen oder revolutionäre Sozialist*innen jenseits der SEW/DKP, die ebenfalls den politischen Disziplierungen der Berufsverbote-Politik ausgesetzt waren. In sechs Bänden des "Aktionskomitee gegen Berufsverbote" aus den Jahren 1975-1978 ist hingegen ohne solche ideologischen Auslassungen die Berufsverbotepolitik anhand vieler Fälle aus allen Bereichen des öffentlichen Diensts in Westberlin dokumentiert. Es hätte nicht geschadet darauf genauer einzugehen.

Aus Gründen historischer Ehrlichkeit - und weil in der IG Metall die Unvereinbarkeitsbeschlüsse heute nach wie vor in Kraft sind - wäre dieser Gesprächskreis auch gut beraten gewesen, wenn er den Ausschluss von zahllosen Kolleg*innen aus den DGB-Gewerkschaften in den 1970er Jahren wegen ihrer Mitgliedschaft in revolutionär-kommunistischen Organisationen angesprochen hätte. Allerdings von diesen Unvereinbarkeitsbeschlüssen waren SEW und DKP explizit ausgenommen (sic!).

Solch einem narrativen "Weißwaschen" (Brecht), heute allweil üblich wenn es um die Folgen von "68" geht, wollen wir mit entsprechenden  Informationen über die Politik der Berufsverbote und Unvereinbarkeitsbeschlüsse der 1970er Jahre entgegentreten.

Berlin im Oktober 2018
Karl-Heinz Schubert

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VORWORT

Im Mai 1975 wurde an der Freien Universität Berlin ein Aktions­komitee gegen die derzeitigen Überprüfungsverfahren der "politi­schen Treuepflicht" und die Berufsverbote im öffentlichen Dienst gegründet. In diesem Komitee haben sich ungeachtet ihrer politischen Differenzen die meisten politischen Hochschulgruppen auf der Grundlage einer gemeinsamen Plattform zusammengeschlossen, um gegen Berufsverbote und gegen den Abbau demokratischer Grund­rechte den Kampf und für olle Betroffenen materielle und juristi­sche Hilfe zu organisieren.

Das Aktionskomitee hat sich zur Aufgabe gesetzt, eine Alternative zur Märtyrerhaltung Einzelner oder politischer Gruppen einer­seits und zum individuellen "die Haut retten" andererseits zu entwickeln. Der beabsichtigten Einschüchterung aller Angehörigen des öffentlichen Dienstes durch die Überprüfung ihrer politischen Treue und durch die exemplarische Entfernung Einzelner kann ohne eine breite Öffentlichkeit nicht wirksam begegnet werden. Im Rahmen der Aufgabenstellung des AKtionskomitees steht auch diese erste Dokumentation von Einzelfällen politischer Disziplinierung in Westberlin, die zum 23. Juni 1975, dem Aktionstag der Studenten der Freien Universität , vorgelegt wird. Mit der Vorlage dieser ersten Dokumentation verbinden wir die Aufforderung an alle diejenigen, die gegenwärtig von politischer Überprüfung betroffen sind, sicn nicht eingeschüchtert in die Iso­lierung zu begeben, sondern sich kollektiv zu wehren.

Aktionskomitee gegen Berufsverbote
an der Freien Universität Berlin
- Juni 1975 -




INHALT

1. Vorwort
2.
Chronologie
3.
Dokumentation von Einzelfällen

3.1.
 Disziplinierung wegen Parteimitgliedschaft bzw. Parteiunterstützung (Fälle 1-4)
3.2. Verschleierte politische Disziplinierung (Fall 5)
3.3. Eingriff in die Freiheit von Forschung und Lehre (Fälle 6-9)
3.4. Ausweitung auf den nicht-staatlichen Bereich (Fälle 10-11)
3.5. Vorwurf verwandtschaftlicher und sozialer Beziehungen und anderes (Fälle 12-15)

Herausgegeben vom Aktionskomitee gegen Berufsverbote an der Freien Universität Berlin
1 Berlin 33 Ihnestr. 21 (OSI, Raum 100) Druck: Oktoberdruck 030/612 32 56

Die folgende Zusammenstellung soll in aller Kürze die wichtigsten Maßnahmen von Staatsseite seit 1971 in Erinnerung rufen und in Auszügen dokumentieren. Diese Zusammenfassung von Material soll zur politischen Analyse verwendet werden, ersetzt diese also nicht. Jedoch zeigt bereits die positivistische Faktenreihung eine deutliche Entwicklung und Steigerung der Repressionsmaßnahmen, die - über bloßes Dokumentieren hinaus -kurz nachgezeichnet werden soll.

1. Die Schraube wird angesetzt

Ohne Zweifel sind Berufsverbote nicht die ersten Repressions­maßnahmen gegen Linke in der Geschichte der Bundesrepublik und Westberlins, und schon gar nicht sind es die einzigen Maßnah­men im staatlichen Instrumentarium. Bereits 1950 wurde mit dem "B eschluß der Bundesregierung vom 19- Sept. 1950" ("Adenauer-Erlaß") eine Gründlage für die Entlassung mißliebiger Staats­bediensteter geschaffen, wenn sie der KPD, FDJ oder naheste­henden Organisationen angehörten. Die staatsanwaltlichen Er­mittlungen und Strafverfolgungen im Gefolge des KPD-Verbots von 1956 gingen jährlich in die Zehntausende (vgl. dazu: Lutz Lehmann, Legal und opportun, Berlin 1966).

Mit der Entwicklung der Studentenbewegung und der Formierung der DKP schien es zunächst, als ließe der Staat dieser Ent­wicklung zumindest insoweit ihren Lauf, als Behinderungen beim

Eintritt in den Staatsdienst nicht zentral gezielt von Seiten der Behörden vorgenommen wurden. Jedoch sammelten politische Polizei und Verfassungsschutz bereits alles erreichbare Mate­rial. Als dann endgültig klar wurde, daß auch sozialliberale Reformbestrebungen nicht den massenhaften Genuß der Früchte vom Baum marxistischer Erkenntnis ungeschehen machen konnten, ging man dazu über, den Zugang zum Staatsdienst umfassend zu kontrollieren und Linke gezielt fernzuhalten.

1971: Erste Maßnahmen richteten sich noch im Rahmen bestehender Bestimmungen primär gegen die Berufung linker Hochschullehrer:

  • Verhinderung der Berufung Horst Holzers nach Bremen,Begründung: DKP-Mitgliedschaft.

  • Verhinderung der Berufung von J. Meyer-Ingwersen nach Kastel mit der gleichen Begründung.

  • Aus einer der spektakulärsten Fälle die Verhinderung der Berufung von Ernest Mandel an die FU-Berlin (Anfang 1972), weil M. als Angehöriger der (trotz-kistischen)IV. Internationale als Gegner der frei­heitlich-demokratischen Grundordnung (FDGO) anzusehen sei. Als M. vor Studenten der FU sprechen sollte, erhielt er Einreiseverbot für die BRD und Westberlin.

Derartige Handhabungen der staatlichen Eingriffsmöglitfhkeiten bei Berufungen sind seitdem gängige Praxis, häufig werden auch Scheinbegründugen für die Ablehnung ("mangelmde Qualifikation") genannt.

Vorreiter für die zentralen Maßnahmen zum Berufsverbot war dann der Hamburger Senat, als es um die Einstellung von DKP-Mitgliedern nach dem 2. Staatsexamen in den Schuldienst ging:

Hamburger Senatsentscheid vom 25.11.1971:

"Grundsätzliche Entscheidung des Senats: Der Senat hat in einer Grundsatzerklärung festgestellt, daß die Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit bei politischen Aktivitäten des Bewerbers in rechts- und linksradikalen Gruppen unzulässig ist. Dies gilt nach Auffassung des Senats erst recht im Erziehungsbereich und jedenfalls dann, wenn der Betrefiende in den genannten Gruppen besonders aktiv ist. In seiner Entscheidung geht der Senat davon aus, daß ein Beamter nach §6 und §55 des Hamburgischen Beamtengesetzes durch sein gesamtes Verhalten die Gewähr dafür bieten muß,'daß er sich jederzeit zur freiheitlich-demokratischen Grund­ordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennt und für ihre Einhaltung eintritt. Diese Entscheidung gilt auch für die Beantwortung der Frage, ob ein Beamter in der Sobezeit seine Eignung bewiesen hat."

1972: Bezog sich der Hamburger Senatsentscheid auf die Ernen­nung zum Beamten auf Lebenszeit, griff kurz darauf die Mini­sterpräsidenkonferenz der Länder schon weiter aus:

28.1.1972: "Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen
Kräfte im öffentlichen Dienst."

"Nach den Beamtengesetzen in Bund und Ländern darf in das Beamtenverhältnis nur berufen werden, wer die Gewähr dafür bietet, daß er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt; sind Beamte verpflichtet, sich aktiv innerhalb und außerhalb des Dienstes für die Erhaltung dieser Grundordnung einzusetzen. Es handelt sich hierbei um zwingende Vorschriften. Jeder Einzelfall muß für sich geprüft und entschieden werden. Von folgenden Grundsätzen ist dabei auszugehen: (Bewerber) Ein Bewerber, der verfassungsfeindliche Aktivitäten ent­wickelt, wird nicht in den öffentlichen Dienst eingestellt. Gehört ein Bewerber einer Organisation an, die verfassungs­feindliche Ziele verfolgt, so begründet diese Mitgliedschaft Zweifel daran, ob er jederzeit für die freiheitliche demo­kratische Grundordnung eintreten wird. Diese Zweifel recht­fertigen in der Regel eine Ablehnung des Anstellungsantrags.

(Beamter) Erfüllt ein Beamter durch Handlungen oder wegen seiner Mitgliedschaft in einer Organisation verfassungsfeindlicher Zielsetzung die Anforderungen des Paragraphen §35 Beamtenrechtsrahmengesetz nicht, so hat der Dienstherr
aufgrund des jeweils ermittelten Sachverhalts die gebotenen Konsequenzen zu ziehen und insbesondere zu prüfen, ob die Entfernung des Beamten aus dem Dienst anzustreben ist.

Für Arbeiter und Angestellte im öffentlichen Dienst gelten entsprechend den jeweiligen tarifvertraglichen Bestimmungen dieselben Grundsätze."

Ergänzt wurden diese Bestimmungen durch eine gemeinsame Erklärung des Bundeskanzlers und der Ministerpräsidenten der Länder.

2. Die Schraube wird gedreht

Der Ministerpräsidentenerlaß wurde bald in die Tat umgesetzt. Dabei zeigten die Bundesländer unterschiedlichen Eifer, was Zahl und politisches Spektrum der Betroffenen anging: Versuch­te in den ersten Jahren Hessens Kultusminister Friedeburg die Anwendung in engen Grenzen zu halten, so legten Maier in Bayern und Hahn in Baden-Württemberg die Bestimmungen extensiv aus, bzw. gingen noch über sie hinaus. Charakteristisch für die meisten Bundesländer ist jedoch in dieser Zeit, daß sich die Zahl der Berufsverbote in Grenzen hielt und etliche Musterfälle in verschiedenen Bereichen durchexerziert wurden, als wolle die Bürokratie erst einmal prüfen, wie wirksam dieses neue Instrument greife, und sonst abschreckende Exempel statuieren (umfangreiche Dokumentation dieser früheren Fälle bei Bethge/Roßmann; Der Kampf gegen das Berufsverbot, Köln 1975) In erster Linie war der Schulbereich betroffen, Hochschule und Justiz folgten sehr schnell, die anderen Bereiche des öf­fentlichen Dienstes mit einigem Abstand. Zwei Fälle haben Musterbedeutung erhalten:

  • Anne Lenhart, die wegen Mitgliedsch ft in der DKP nicht in den Schuldienst von Rheinland-Pfalz aufgenomnen wurde. In einer gewundenen Urteilsbegründung hat das Bundesverwaltungsgericht 1975 diese Entscheidung bestätigt.
    (Am 14.3.73 hatte dieses Gericht in einem anderen Fall allerdings entschieden, daß vor dem Verbot einer Partei keinem Beschäftigtem im öffentlichen Dienst die Mitgliedschaft in dieser Partei zur Last gelegt werden könnte. Es handelte sich, jedoch um einen Oberstleutnant der Bun­deswehr, der in der NPD war.)

  • Heiner Saemisch, der wegen Mitarbeit in der "Roten Zelle Jura" an der Uni Kiel nicht in den juristischen Referendardienst, also ein Ausbildungsverhältnis mit staatlichem Monopolcharakter, aufgenomnen wurde. Der Fall liegt noch beim Bundesverfassungsgericht.

Der Berliner Senat folgte erst zögernd diesem Verfahren eines offen politischen Berufsverbots. Nach einigen untauglichen Disziplinierungsmaßnahmen kam der erste massive Eingriff im November 1973. Acht Bewerber für die Referendarausbildung wurden zu 'Einstellungsgesprächen" beim Schulsenator vorgeladen. Ein Rechtsbeistand wurde ausgeschlossen, Wortprotokoll nicht geführt, belastendes Material herangezogen, das nicht in der Personalakte enthalten war. Die Vorwürfe bezogen sich u.a. auf eingestellte Ermittlungsverhren wegen angeblicher Beleidigung eines Professors, Kandidatur für Uni-Gremien auf linken Listen und sogar auf Nutzung einer gemeinsamen Wohhung mit Trotzkisten. Fünf der Bewerber wurden abgelehnt. Diese Überprüfung und SeleKtion wiederholt sich seither zu jedem Einstellungsternin (z.T. im schriftlichen Verfahren). Bezeich­nend ist dabei die Tendenz zur Ausweitung: Waren anfangs primär Mitglieder der K-Gruppen und ehemalige Mitglieder von Roten Zellen betroffen und folgten dem SEW-Miitglieder, so trifft das Berufsverbot Mittlerweile auch deren Sympathisanten und unorganisierte.

3. Die Schraube wird weiter angezogen

Seit der zweiten Jahreshälfte 1974 verschärften sich deutlich, die Maßnahmen des Staates. Die Gesinnungskontrolle wurde an­nähernd lückenlos. Grundlage in Westberlin war hierfür das Rundschreiben II Nr. 112/1974 des Innensenators vom Okt.d.J.:

"Betr.: Prüfung der dienstrechtlich geforderten Treuepflicht von Bewerbern

1. Der Senat ist wie bisher der Auffassung, daß bis zu einer Änderung des Beamtenrechtsrahmengesetzes Richtlinien zur An­wendung der dienstrechtlichen Vorschriften über die Prüfung der Verfassungstreue der Bewerber für den öftentlichen Dienst und der im unmittelbaren und mittelbaren Landesdienst stehenden Dienstkräfte nicht zu erlassen sind.
Aufgrund der bisherigen Erfahrungen ist es jedoch notwendig, das Verfahren der Auskunfterteilung üoer Bewerber zu vereinheitlichen.

Nach Beratung im Senat ergehen daher die nachstehenden Regelungen:

2.4. Die Pflicht zur Anfrage beim Senator für Inneres wird zunächst erstreckt auf Bewerber für die Einstellung

a) in Ämtern der Besoldungsgruppe A9 und höher sowie in den Vorbereitungs- und Probedienst von Laufbahnen, deren Eingangsamt mindestens der Besoldungsgruppe A9 zugeordnet ist,

b)) in Dienstoosten der Vergütungsgruppe Vb BAT und höher,

c) als Angehöriger des Polizei- oder des allgemeinen Vollzugsdienstes und des Werksdienstes an Justizvollzugsanstalten,

d) als Angestellter in sozialpädagoischen Tätigkeiten.

2.5. Auch bei anderen Bewerbern kommen eine Anfrage in Betrac'nt, wenn das von der Einstellungsbehörde für erforderlich gehalten wird, z.B. weil der Bewerber in einer besonderen Vertrauensstellung beschäftigt werden soll oder ohne­hin Zweifel an der künftigen Erfüllung der politischen Treuepflicht des Bewerbers bestehen."

Ähnlich wurden die Verfahren in den Ländern der BRD perfektioniert. Wurden dort bis zum September ca. 100.000 Bewerber überprüft, so wurden es bis zum Februar 1973 550.000. Die-
selbe Wachstumsrate kann aucn seit den Februar veranschlagt werden.

Mit der Zahl der Überprüfungen durch den Verfassungsschutz stieg auch die Zahl der Berufsverbotefälle an. Gleichzeitig veränderte sich aucn die Qualität der Argumente: Der Betroffene musste jetzt nicht mehr aktives Mitgliedeiner unter dem offiziellen Etikett "verfassungsfeindlich" geführten Organisation sein, um abgelehnt zu werden. Betroffen ist z.B. jetzt auch, wer in Gruppen wie der SAZ ist und dazu noch einen Verwandten in radikalen Verhältnissen aufzuweisen hat (Fall Brentzel). Betroffen ist auch ein linkes SPD-Mitglied bei Bewerbungen, wenn ihm der Innensenator ein Dossier hinterherschickt, dem so zersetzende Aktivitäten wie die Unterschrift unter einen Vietnamaufruf und die unter einen Protest gegen ein erwartetes Verbot des KSV zu entnehmen sind (Fall Narr). Und betroffen sind jetzt nicht allein Bewerber, sondern auch Beamte auf Lebenszeit, so ein Lehrer, der entlassen werden soll, weil er auf einer SEW-Veranstaltung über seinen Berufsbereich referierte (Fall Apel). Auch gegen Unterzeichner von Wahlaufrufen (also nicht Mitglieder) der zu den Abgeordneten-hauswahlen zugelassenen Parteien wurden Disziplinarverfahren eingeleitet. Eine ähnliche Entwicklung läßt sich auch in der Bundesrepublik zeigen, wenn auch hier in einigen Ländern dieser Stand schon früher erreicht war (Bayern, Baden-Württemberg) .

4. Überdreht?

Wie die jüngste Vergangenheit zeigt, ist auch eine weitere Steigerung möglich. So wurden jüngst allein aus einer Wohn­gemeinschaft mit "Anhängern der Neuen Linken" (wer auch immer das sein mag) Zweifel an der Verfassungstreue einer Angestellten abgeleitet. In einem anderen Fall kam zu dieser Untat gar noch die eheliche Gemeinschaft mit einem Mitglied (vermutet) der "Liga gegen den Imperialismus" hinzu. Auch Teilnahme an Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg in den Jahren 1966/67 konnte bei dieser einstellenden Behörde gleiche Zweifel erwecken. Wenn auch in den genannten Fällen die politische Argumentation der einstellenden Behörde völlig auf ein "die janze Richtung paßt uns nich'"-Niveau heruntergekommen ist, gibt sie sich immerhin noch als politische Argumentation zu erkennen und ist damit auch angreifDar. Diese Möglichkeit - und damit auch die Möglichkeit, über die Gerichtsbarkeit einige Positionen als unhaltbar revidieren zu lassen - wird jedoch endgültig in dem Fall genommen, daß die auf einem Schreiben Schulsenator Löffllers beruhende Anweisung des Schönebergers Bezirksbürgermeister Kabus gängige Praxis der einstellenden Behörden wird:

"Beigefügt übersenden wir Ihnen die Abschrift eines an die Bezirksämter - Abt. Volksbildung - gerichteten Schreibens des Senators für Schulwesen vom -24. März 1975 zur Kenntninahme und der Bitte, auch in Ihrem Bereich entsprechend zu verfahren.

Insbesondere machen wir dabei auf die Bitte des Senators für Inneres aufmerksam, nach der bei Nachfragen von Bewer­bern und anderer Personenkreise nicht mehr von den Einstellungsbehörden auf das ausstehende Ergebnis des Überprüfungsverfahrens durch den Senator für Inneres verwiesen werden soll. In Schöneberg wurde bereits auf der Büroleiterbesprechung am 27. November 1974 bei der die Prüfung der dienst­rechtlich geforderten Treuepflicht von Bewerbern einziger Tagesordnungspunkt war und die Verfahrensweise zum Rundschreiben Inn II Nr. 112/1974 - geklärt worden ist, ausdrücklich darauf hingewiesen, daß gegenüber Bewerbern keinerlei Hinweise bezüglich einer Überprüfung durch den Senator für Inneres bzw. über deren Ergebnis gegeben werden dürfen.

Aus gegebenem Anlaß machen wir Sie noch einmal auf diese Ausführungen aufmerksam und bitten Sie dringend, keinesfalls von diesem Verfahren abzuweichen.

Auch dürfen gegenüber Bewerbern keine positiven Angaben zur fachlichen und persönlichen Eignung gemacht werden, w­raus dann Bewerber den Eindruck gewinnen könnten, die endgültige Mitteilung über die Einstellung sei eine 'reine Formsache' und ggf. nur noch von dem Ergebnis der Prüfung der dienstrechtlich geforderten Treuepflicht abhängig. Selbstverständlich dürfen den Bewerbern auch keine Einstellungstermine genannt werden.

Eine Arbeitsaufnahme ist erst möglich, wenn die Abteilung Personal und Verwaltung der Büroleitung den Einstellungstag mitgeteilt hat. Falls über einen Bewerber negative Erkenntnisse beim Senator für Inneres vorliegen sollten, wird dies der Büroleitung bekanntgegeben. Dem Bewerber wird von der Abteilung Personal und Verwaltun lediglich mitgeteilt, daß die Bewerbung nicht berücksichtigt werden konnte.

Bitte weisen Sie alle Amtsleiter, Stellenleiter oder sonstigen Mitarbeiter Ihres Bereiches, die mit Bewerbern Einstellungesgespräche führen, daraufhin, daß diese Verfahrensweise unbedingt eingehalzen werden muß. Falls entgegen dieser Anordnung Zusagen gemacht oder unberechtigte Auskünfte erteilt werden sollten, sind für etwaige Rechtsansprüche abgelehnter Bewerber die betreffenden Mitarbeiter haftbar."

Mit einer derartigen Praxis hat sich die Exekutive endgültig verselbständigt und kann in bürokratischem Absolutismus ihre Entscheidungen treffen.

Es scheint jedoch, als sei der Staatsapparat mit diesen Maßnahmen augenblicklich einige Schritte zu weit gegangen, für diese Einschätzung spricht die scharfe Kritik, die diese Anweisung sowohl von der liberalen Öffentlichkeit als auch von Seiten des Koalitionspartners FDP erfuhr. Aucn die zuletzt beschriebenen politischen Vorwürfe gegen Lehrer sind zum grossen Teil von der Behörde zurücksrenommen worden, weil wohl selbst als unhaltbar vor Gericht angesehen. In diese Richtung deuten auch einige Gerichtsentscheidungen der jüngsten Zeit (Pfender, Fahlbusch). Vorläufig scheint also an diesem Punkt die bisher kontinuierlich ihren Druck verstärkende Schraube staatlicher Repression nicht mehr zu greifen. Umso stärker wäre von unserer Seite hier anzusetzen. Zu irgendwelchem Jubel ist deswegen jedoch kein Grund. Denn zum einen ist durchaus eine Entwicklung denkbar (noch eine Mill. Arbeitslose mehr, etwas aufmüpfiger, dazu zwei publizistisch wirksame Bomben oder Kidnappings), in der auch derartige Praxis durch die Rechtsprechung abgesegnet wird. Und zum anderen ist auch ohne derartige Auswüchse die vielerorts bereits als "Normal" akzeptierte Praxis alles andere als normal, wenn in diesem Begriff zumindest ein Hauch von Demokratie mitschwingen soll. In dieser "Normalität" können wir uns nicht einrichten.


Kurze Nachbemerkung: In diesem Kurzen Überblick ist allein die staatliche eindeutig politische Berufsverbotspraxis umrissen worden. Aus der täglich erfahrenen, oft gar nicht mehr bewußten Repression in der beruflichen Praxis der betroffenen Linken ist damit nur ein kleiner Ausschnitt erfaßt. Dazu gehört sehr viel mehr, z.B. die schon immer gepflogene Praxis, linke Bewerber von einer Stelle abzuweisen, ohne je politisch zu argumentieren, sondern immer nur über die Qualifikation zu reden. Dazu gehören auch gut gezielte Rufmordkampagnen in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit. Dazu gehört auch die präventive Selbstzensur nicht von vornherein ablehnender Stellen. Bei dem Überangebot von Akademikern auf dem Arbeitsmarkt wird diese offizielle Entpolitisierung letztlich politisch motivierter Ablehnungen noch verstärkt zur Anwendung gelangen. Es gehört auch zu diesem Bereich schließlich die Übernahme der Berufsverbotspraxis in nichtstaatlichen Bereichen: Entlassung politisch unbequemer kirchlicher Mitarbeiter, Entlassung von Ärzten aus Krankenhäusern freier Träger, nachdem diese einen Wink vom Verfassungsschutz erhalten haben, Gewerkschaftsaussschlüsse. In einigen Fällen - so beim Unvereinbarkeitsbeschluß des Kolpingwerks gegenüber den Jusos - können diese Gruppen sogar Vorreiter der Entwicklung sein, wenn diese Entwicklung nicht wieder zurückgedrängt werden kann.

Quelle: Aktionskomitee gegen Berufsverbote(HG). Dokumente: Überprüfung der politischen Treuepflicht - Berufsverbot, Berlin 1975, Band 1, S.3-11 - OCR-Scan TREND 2018