Redaktionelle Vorbemerkung
Am 18. Oktober 2018
beschäftigte sich im
Museum Neukölln auf dem Gutshof Alt-Britz die
zweite Veranstaltung des Begleitprogrammes zur
Ausstellung „Neukölln macht Schule. 1968–2018 “ mit
dem bundesweiten „Radikalenerlass“, wodurch
es zu Berufsverboten (nicht nur) für Lehrer*innen
in Neukölln in den 1970er Jahren kam.
Darüber sprachen: Wolfgang Ewert, Mitglied
der BBV-Fraktion der Neuköllner Grünen , Henning Holsten,
Historiker, Ausstellungs- und Filmemacher und Reiner
Rowald, ehemaliger Lehrer und als SEW-Mitglied
ein Opfer des "Radikalenerlasses". Die Runde
moderierte der Politologie Reinhard Wenzel,
seines Zeichens Geschäftsführer der
sozialdemokratischen August-Bebel-Stiftung.
Die Berufsverbotepolitik - vom sozialdemokratischen
Kanzler Willy Brandt ausdrücklich begrüßt - nachdem
sie 1971 auf Bundesländerebene fünfzehn Jahre nach
dem KPD-Verbot wieder aufgenommen wurde und die BRD
sich damit in einen autoritären, Menschenrechte
mißachtenden Staat verwandelte, spielte in der
Gesprächrunde keine Rolle. Vielmehr wurde durch den
Historiker Holsten versucht, die mit der
Berufsverbotepolitik einhergehende Schnüffel- und
Denunziationspraxis aus den Charaktereigenschaften
bestimmter Reaktionäre, wie z.B. dem damaligen
Neuköllner Volksbildungstadtrat Gerhard Böhm (SPD)
abzuleiten. Dieser narrativ-subjektivistischen
Herangehensweise folgten auch Wolfgang Ewert, der
1978 als Schüler sich in einen Komitee gegen
Berufsverbote engagiert hatte und Reiner Rowald, in
den 1960er Jahren als politischer Liedermacher eine
Berlinweit bekannte Persönlichkeit.
Reiner Rowald
hatte übernommen, nicht nur von den
politischen Disziplinierungen wegen seiner
SEW-Mitgliedschaft zu berichten, sondern auch
den Fall des Hans Apel vorzustellen. 1978 wurde
dieser nach zehnjähriger Lehrertätigkeit als
Beamter auf Lebenszeit in
Berlin-Charlottenburg(!) wegen seiner
Mitgliedschaft in der SEW "aus dem Dienst
entfernt". Anstatt anhand dieses Falls
exemplarisch die reaktionären bundesweiten
Strukturen der Berufsverbotepolitik
darzustellen, verlas Rowald einen langen Brief
aus dem Nachlass des 1998 verstorbenen Hans
Apel, worin dieser seine Gefühle an dem Tag
schildert, als er seine Dienstschlüssel abgeben
musste. |
Songbook 1967 |
Nur am Rande erwähnte Reiner Rowald, dass es außer
der SEW noch andere betroffene "Rote"
gab. Gemeint waren damit pauschal alle Kommunist*innen oder revolutionäre
Sozialist*innen jenseits der SEW/DKP, die ebenfalls
den politischen Disziplierungen der
Berufsverbote-Politik ausgesetzt waren. In sechs
Bänden des "Aktionskomitee gegen Berufsverbote" aus
den Jahren 1975-1978 ist hingegen ohne solche
ideologischen Auslassungen
die Berufsverbotepolitik anhand vieler Fälle aus
allen Bereichen des öffentlichen
Diensts in Westberlin dokumentiert. Es hätte nicht
geschadet darauf genauer einzugehen.
Aus Gründen historischer Ehrlichkeit - und weil in
der IG Metall die Unvereinbarkeitsbeschlüsse heute
nach wie vor in Kraft sind - wäre dieser
Gesprächskreis auch gut beraten gewesen, wenn er
den Ausschluss von zahllosen Kolleg*innen aus den
DGB-Gewerkschaften in den 1970er Jahren wegen ihrer
Mitgliedschaft in revolutionär-kommunistischen
Organisationen angesprochen hätte. Allerdings von
diesen Unvereinbarkeitsbeschlüssen waren SEW und
DKP explizit ausgenommen (sic!).
Solch
einem narrativen "Weißwaschen" (Brecht), heute
allweil üblich wenn es um die Folgen von "68" geht,
wollen wir mit entsprechenden Informationen
über die Politik der Berufsverbote und
Unvereinbarkeitsbeschlüsse der 1970er Jahre
entgegentreten.
Berlin im Oktober 2018
Karl-Heinz Schubert
+++++++++++++++++++++
VORWORT
Im Mai 1975 wurde
an der Freien Universität Berlin ein
Aktionskomitee gegen die derzeitigen
Überprüfungsverfahren der "politischen
Treuepflicht" und die Berufsverbote im
öffentlichen Dienst gegründet. In diesem
Komitee haben sich ungeachtet ihrer
politischen Differenzen die meisten
politischen Hochschulgruppen auf der Grundlage
einer gemeinsamen Plattform
zusammengeschlossen, um gegen Berufsverbote und
gegen den Abbau demokratischer Grundrechte den
Kampf und für olle Betroffenen materielle und
juristische Hilfe zu organisieren.
Das
Aktionskomitee hat sich zur Aufgabe gesetzt,
eine Alternative zur Märtyrerhaltung
Einzelner oder politischer Gruppen einerseits
und zum individuellen "die Haut retten"
andererseits zu entwickeln. Der beabsichtigten
Einschüchterung aller Angehörigen des
öffentlichen Dienstes durch die Überprüfung
ihrer politischen Treue und durch die
exemplarische Entfernung Einzelner kann ohne
eine breite Öffentlichkeit nicht wirksam
begegnet werden. Im Rahmen
der Aufgabenstellung des AKtionskomitees
steht auch diese erste Dokumentation von
Einzelfällen politischer Disziplinierung
in Westberlin, die
zum 23. Juni 1975, dem
Aktionstag der Studenten der Freien Universität
, vorgelegt wird.
Mit der Vorlage dieser
ersten Dokumentation
verbinden wir die Aufforderung an alle diejenigen,
die gegenwärtig von politischer
Überprüfung
betroffen sind, sicn
nicht eingeschüchtert in die Isolierung zu
begeben, sondern sich kollektiv zu wehren.
Aktionskomitee
gegen Berufsverbote
an der Freien Universität Berlin
- Juni 1975 - |
INHALT
1. Vorwort
2. Chronologie
3. Dokumentation von
Einzelfällen
3.1.
Disziplinierung
wegen Parteimitgliedschaft bzw.
Parteiunterstützung (Fälle 1-4)
3.2.
Verschleierte politische
Disziplinierung (Fall 5)
3.3. Eingriff in
die Freiheit von Forschung und Lehre
(Fälle 6-9)
3.4. Ausweitung
auf den nicht-staatlichen Bereich
(Fälle 10-11)
3.5. Vorwurf
verwandtschaftlicher und sozialer
Beziehungen und anderes (Fälle 12-15)
Herausgegeben vom
Aktionskomitee gegen Berufsverbote an der
Freien Universität Berlin
1 Berlin 33
Ihnestr. 21 (OSI, Raum 100) Druck:
Oktoberdruck 030/612 32 56 |
|
Die folgende Zusammenstellung soll in aller Kürze
die wichtigsten Maßnahmen von Staatsseite seit 1971
in Erinnerung rufen und in Auszügen dokumentieren.
Diese Zusammenfassung von Material soll zur
politischen Analyse verwendet werden, ersetzt diese
also nicht. Jedoch zeigt bereits die
positivistische Faktenreihung eine deutliche
Entwicklung und Steigerung der
Repressionsmaßnahmen, die - über bloßes
Dokumentieren hinaus -kurz nachgezeichnet werden
soll.
1. Die Schraube wird angesetzt
Ohne Zweifel sind Berufsverbote nicht die ersten
Repressionsmaßnahmen gegen Linke in der Geschichte
der Bundesrepublik und Westberlins, und schon gar
nicht sind es die einzigen Maßnahmen im
staatlichen Instrumentarium. Bereits 1950
wurde mit dem "B eschluß der Bundesregierung vom 19-
Sept. 1950"
("Adenauer-Erlaß") eine Gründlage für die
Entlassung mißliebiger Staatsbediensteter
geschaffen, wenn sie der KPD, FDJ oder
nahestehenden Organisationen angehörten. Die
staatsanwaltlichen Ermittlungen und
Strafverfolgungen im Gefolge des KPD-Verbots von
1956 gingen jährlich in die Zehntausende (vgl.
dazu: Lutz Lehmann, Legal und opportun, Berlin
1966).
Mit der Entwicklung der Studentenbewegung und der
Formierung der DKP schien es zunächst, als ließe
der Staat dieser Entwicklung zumindest insoweit
ihren Lauf, als Behinderungen beim
Eintritt in den Staatsdienst nicht zentral gezielt
von Seiten der Behörden vorgenommen wurden. Jedoch
sammelten politische Polizei und Verfassungsschutz
bereits alles erreichbare Material. Als dann
endgültig klar wurde, daß auch sozialliberale
Reformbestrebungen nicht den massenhaften Genuß der
Früchte vom Baum marxistischer Erkenntnis
ungeschehen machen konnten, ging man dazu über, den
Zugang zum Staatsdienst umfassend zu kontrollieren
und Linke gezielt fernzuhalten.
1971: Erste Maßnahmen richteten sich noch im
Rahmen bestehender Bestimmungen primär gegen die
Berufung linker Hochschullehrer:
-
Verhinderung der Berufung Horst
Holzers nach Bremen,Begründung: DKP-Mitgliedschaft.
-
Verhinderung der Berufung von J. Meyer-Ingwersen
nach Kastel mit der gleichen Begründung.
-
Aus einer der spektakulärsten Fälle die
Verhinderung der Berufung von Ernest Mandel an
die FU-Berlin (Anfang 1972), weil M. als Angehöriger der (trotz-kistischen)IV.
Internationale als Gegner der
freiheitlich-demokratischen Grundordnung (FDGO)
anzusehen sei. Als M.
vor Studenten der FU sprechen sollte, erhielt er
Einreiseverbot für die BRD und Westberlin.
Derartige Handhabungen der staatlichen
Eingriffsmöglitfhkeiten bei Berufungen sind seitdem
gängige Praxis, häufig werden auch
Scheinbegründugen für die Ablehnung ("mangelmde
Qualifikation") genannt.
Vorreiter für die zentralen Maßnahmen zum
Berufsverbot war dann der Hamburger Senat, als es
um die Einstellung von DKP-Mitgliedern nach dem 2. Staatsexamen in den Schuldienst ging:
Hamburger Senatsentscheid
vom 25.11.1971:
"Grundsätzliche Entscheidung des Senats: Der Senat
hat in einer Grundsatzerklärung festgestellt, daß
die Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit bei
politischen Aktivitäten des Bewerbers in rechts-
und linksradikalen Gruppen unzulässig ist. Dies
gilt nach Auffassung des Senats erst recht im
Erziehungsbereich und jedenfalls dann, wenn der
Betrefiende in den genannten Gruppen besonders
aktiv ist. In seiner Entscheidung geht der Senat
davon aus, daß ein Beamter nach §6
und
§55 des Hamburgischen Beamtengesetzes durch sein
gesamtes Verhalten die Gewähr dafür bieten muß,'daß
er sich jederzeit zur freiheitlich-demokratischen
Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennt
und für ihre Einhaltung eintritt. Diese
Entscheidung gilt auch für die Beantwortung der
Frage, ob ein Beamter in der Sobezeit seine Eignung
bewiesen hat."
1972: Bezog
sich der Hamburger Senatsentscheid auf die
Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit, griff kurz
darauf die Ministerpräsidenkonferenz der Länder
schon weiter aus:
28.1.1972:
"Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen
Kräfte im öffentlichen Dienst."
"Nach den
Beamtengesetzen in Bund und Ländern darf in das
Beamtenverhältnis nur berufen werden, wer die
Gewähr dafür bietet, daß er jederzeit für die
freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne
des Grundgesetzes eintritt; sind Beamte
verpflichtet, sich aktiv innerhalb
und außerhalb des Dienstes für die Erhaltung dieser
Grundordnung einzusetzen. Es handelt sich hierbei
um zwingende Vorschriften.
Jeder Einzelfall muß für sich geprüft und
entschieden werden. Von folgenden Grundsätzen ist
dabei auszugehen: (Bewerber) Ein Bewerber, der
verfassungsfeindliche Aktivitäten entwickelt, wird
nicht in den öffentlichen Dienst eingestellt.
Gehört ein Bewerber einer Organisation an, die
verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, so
begründet diese Mitgliedschaft Zweifel daran, ob er
jederzeit für die freiheitliche demokratische
Grundordnung eintreten wird. Diese Zweifel
rechtfertigen in der Regel eine Ablehnung des
Anstellungsantrags.
(Beamter) Erfüllt ein
Beamter durch Handlungen oder wegen
seiner Mitgliedschaft in einer Organisation
verfassungsfeindlicher Zielsetzung die
Anforderungen des Paragraphen §35
Beamtenrechtsrahmengesetz nicht, so hat der
Dienstherr
aufgrund des jeweils ermittelten Sachverhalts die
gebotenen Konsequenzen zu ziehen und insbesondere
zu prüfen, ob die Entfernung des Beamten aus dem
Dienst anzustreben ist.
Für Arbeiter und
Angestellte im öffentlichen Dienst gelten
entsprechend den jeweiligen tarifvertraglichen
Bestimmungen dieselben Grundsätze."
Ergänzt wurden diese
Bestimmungen durch eine gemeinsame Erklärung des
Bundeskanzlers und der Ministerpräsidenten der
Länder.
2. Die Schraube wird gedreht
Der
Ministerpräsidentenerlaß wurde bald in die Tat
umgesetzt. Dabei zeigten die Bundesländer
unterschiedlichen Eifer, was Zahl und politisches
Spektrum der Betroffenen anging: Versuchte in den
ersten Jahren Hessens Kultusminister Friedeburg
die Anwendung in engen Grenzen zu halten, so legten
Maier in Bayern und Hahn in Baden-Württemberg die
Bestimmungen extensiv aus, bzw. gingen noch über
sie hinaus. Charakteristisch
für die meisten Bundesländer ist jedoch in dieser
Zeit, daß sich die Zahl der Berufsverbote in
Grenzen hielt und etliche Musterfälle in
verschiedenen Bereichen durchexerziert wurden, als
wolle die Bürokratie erst einmal prüfen, wie wirksam
dieses neue Instrument
greife, und sonst abschreckende
Exempel statuieren
(umfangreiche Dokumentation dieser früheren Fälle
bei Bethge/Roßmann; Der
Kampf gegen das Berufsverbot, Köln 1975) In erster
Linie war der Schulbereich betroffen, Hochschule
und Justiz folgten sehr schnell, die anderen
Bereiche des öffentlichen Dienstes mit einigem
Abstand. Zwei Fälle haben
Musterbedeutung erhalten:
-
Anne Lenhart,
die wegen Mitgliedsch
ft in der DKP nicht in den Schuldienst von
Rheinland-Pfalz aufgenomnen wurde. In einer gewundenen
Urteilsbegründung hat das
Bundesverwaltungsgericht 1975 diese Entscheidung
bestätigt.
(Am 14.3.73 hatte dieses
Gericht in einem anderen Fall allerdings
entschieden, daß vor dem
Verbot einer Partei keinem Beschäftigtem im
öffentlichen
Dienst die Mitgliedschaft in dieser
Partei zur Last gelegt
werden könnte. Es handelte
sich, jedoch um einen Oberstleutnant der
Bundeswehr, der in der NPD
war.)
-
Heiner Saemisch,
der wegen Mitarbeit in der
"Roten Zelle Jura" an der Uni Kiel nicht in den
juristischen Referendardienst, also ein Ausbildungsverhältnis
mit staatlichem Monopolcharakter,
aufgenomnen wurde. Der Fall liegt noch beim
Bundesverfassungsgericht.
Der Berliner Senat
folgte erst zögernd diesem Verfahren eines offen
politischen Berufsverbots.
Nach einigen untauglichen Disziplinierungsmaßnahmen
kam der erste massive
Eingriff im November
1973. Acht Bewerber für
die Referendarausbildung wurden zu 'Einstellungsgesprächen"
beim Schulsenator vorgeladen.
Ein Rechtsbeistand wurde
ausgeschlossen, Wortprotokoll
nicht geführt, belastendes Material herangezogen,
das nicht in der Personalakte enthalten war. Die
Vorwürfe bezogen sich u.a.
auf eingestellte Ermittlungsverhren
wegen angeblicher Beleidigung eines
Professors, Kandidatur für
Uni-Gremien auf linken
Listen und sogar auf Nutzung einer
gemeinsamen
Wohhung mit Trotzkisten.
Fünf der Bewerber wurden abgelehnt. Diese
Überprüfung
und SeleKtion wiederholt sich seither zu jedem
Einstellungsternin (z.T. im schriftlichen
Verfahren). Bezeichnend ist
dabei die Tendenz zur Ausweitung: Waren
anfangs primär Mitglieder der K-Gruppen
und ehemalige
Mitglieder von Roten Zellen
betroffen und folgten dem SEW-Miitglieder,
so trifft das Berufsverbot Mittlerweile
auch deren Sympathisanten und unorganisierte.
3. Die Schraube wird weiter
angezogen
Seit der zweiten
Jahreshälfte 1974 verschärften sich deutlich,
die Maßnahmen des
Staates. Die Gesinnungskontrolle wurde annähernd
lückenlos. Grundlage in Westberlin war hierfür das
Rundschreiben II Nr. 112/1974 des Innensenators
vom Okt.d.J.:
"Betr.: Prüfung der dienstrechtlich geforderten
Treuepflicht von Bewerbern
1.
Der Senat ist wie bisher der Auffassung, daß bis zu
einer Änderung des Beamtenrechtsrahmengesetzes
Richtlinien zur Anwendung der dienstrechtlichen
Vorschriften über die Prüfung der Verfassungstreue
der Bewerber für den öftentlichen Dienst und der im
unmittelbaren und mittelbaren Landesdienst
stehenden Dienstkräfte nicht zu erlassen sind.
Aufgrund der bisherigen Erfahrungen ist es jedoch
notwendig, das Verfahren der Auskunfterteilung üoer
Bewerber zu vereinheitlichen.
Nach
Beratung im Senat ergehen daher die nachstehenden
Regelungen:
2.4.
Die Pflicht zur Anfrage beim Senator für Inneres
wird zunächst erstreckt auf Bewerber für die
Einstellung
a) in
Ämtern der Besoldungsgruppe A9 und höher sowie in
den Vorbereitungs- und Probedienst von Laufbahnen,
deren Eingangsamt mindestens der Besoldungsgruppe
A9 zugeordnet ist,
b))
in Dienstoosten der Vergütungsgruppe Vb BAT und
höher,
c)
als Angehöriger des Polizei- oder des allgemeinen
Vollzugsdienstes und des Werksdienstes an
Justizvollzugsanstalten,
d)
als Angestellter in sozialpädagoischen Tätigkeiten.
2.5.
Auch bei anderen Bewerbern kommen eine Anfrage in
Betrac'nt, wenn das von der Einstellungsbehörde für
erforderlich gehalten wird, z.B. weil der Bewerber
in einer besonderen Vertrauensstellung beschäftigt
werden soll oder ohnehin Zweifel an der künftigen
Erfüllung der politischen Treuepflicht des
Bewerbers bestehen."
Ähnlich wurden die Verfahren in den Ländern der BRD
perfektioniert. Wurden dort bis zum September ca.
100.000 Bewerber überprüft, so wurden es bis zum
Februar 1973 550.000. Die-
selbe Wachstumsrate kann aucn seit den Februar
veranschlagt werden.
Mit
der Zahl der Überprüfungen durch den
Verfassungsschutz stieg auch die Zahl der
Berufsverbotefälle an. Gleichzeitig veränderte sich
aucn die Qualität der Argumente: Der Betroffene
musste jetzt nicht mehr aktives Mitgliedeiner unter
dem offiziellen Etikett "verfassungsfeindlich"
geführten Organisation sein, um abgelehnt zu
werden. Betroffen ist z.B. jetzt auch, wer in
Gruppen wie der SAZ ist und dazu noch einen
Verwandten in radikalen Verhältnissen aufzuweisen
hat (Fall Brentzel). Betroffen ist auch ein linkes
SPD-Mitglied bei Bewerbungen, wenn ihm der
Innensenator ein Dossier hinterherschickt,
dem so zersetzende Aktivitäten wie die Unterschrift
unter einen Vietnamaufruf und die unter einen
Protest gegen ein erwartetes Verbot
des KSV zu entnehmen sind (Fall Narr). Und
betroffen sind jetzt nicht allein Bewerber, sondern
auch Beamte auf Lebenszeit, so ein Lehrer, der
entlassen werden soll, weil er auf einer
SEW-Veranstaltung über seinen Berufsbereich
referierte (Fall Apel). Auch gegen Unterzeichner
von Wahlaufrufen (also nicht Mitglieder) der zu den
Abgeordneten-hauswahlen
zugelassenen Parteien wurden Disziplinarverfahren
eingeleitet. Eine ähnliche
Entwicklung läßt sich auch in der Bundesrepublik
zeigen, wenn auch hier in einigen Ländern dieser
Stand schon früher erreicht war (Bayern,
Baden-Württemberg) .
4. Überdreht?
Wie die jüngste
Vergangenheit zeigt, ist auch eine weitere
Steigerung möglich. So wurden jüngst allein aus
einer Wohngemeinschaft mit "Anhängern
der Neuen Linken" (wer auch immer
das sein mag) Zweifel an der Verfassungstreue einer
Angestellten abgeleitet. In einem anderen Fall kam
zu dieser Untat gar noch die eheliche Gemeinschaft
mit einem Mitglied (vermutet) der "Liga
gegen den Imperialismus"
hinzu. Auch Teilnahme an Demonstrationen gegen den
Vietnamkrieg in den Jahren 1966/67 konnte bei
dieser einstellenden Behörde gleiche Zweifel
erwecken. Wenn auch in den genannten Fällen die
politische Argumentation der einstellenden Behörde
völlig auf ein "die janze Richtung paßt uns
nich'"-Niveau heruntergekommen ist, gibt sie sich
immerhin noch als politische Argumentation zu
erkennen und ist damit auch angreifDar. Diese
Möglichkeit - und damit auch die Möglichkeit, über
die Gerichtsbarkeit einige Positionen als unhaltbar
revidieren zu lassen - wird jedoch endgültig in dem
Fall genommen, daß die auf einem Schreiben
Schulsenator Löffllers
beruhende Anweisung des Schönebergers
Bezirksbürgermeister
Kabus gängige Praxis der einstellenden Behörden
wird:
"Beigefügt übersenden
wir Ihnen die Abschrift eines an die Bezirksämter -
Abt. Volksbildung - gerichteten Schreibens des
Senators für Schulwesen vom -24. März 1975 zur
Kenntninahme und der Bitte, auch in Ihrem Bereich
entsprechend zu verfahren.
Insbesondere
machen wir dabei auf die
Bitte des Senators für Inneres aufmerksam, nach der
bei Nachfragen von
Bewerbern und anderer Personenkreise nicht mehr
von den Einstellungsbehörden
auf das ausstehende Ergebnis des Überprüfungsverfahrens
durch den Senator für Inneres verwiesen werden
soll. In Schöneberg wurde bereits auf der
Büroleiterbesprechung am 27. November 1974
bei der die Prüfung der dienstrechtlich
geforderten Treuepflicht von Bewerbern
einziger Tagesordnungspunkt war und die
Verfahrensweise zum Rundschreiben Inn II Nr.
112/1974 - geklärt worden
ist, ausdrücklich darauf hingewiesen, daß gegenüber
Bewerbern keinerlei Hinweise bezüglich einer
Überprüfung durch den Senator für Inneres bzw. über
deren Ergebnis gegeben
werden dürfen.
Aus gegebenem Anlaß
machen wir Sie noch einmal
auf diese Ausführungen aufmerksam und bitten Sie
dringend, keinesfalls von diesem Verfahren
abzuweichen.
Auch dürfen gegenüber
Bewerbern keine positiven Angaben zur fachlichen
und persönlichen Eignung
gemacht werden, wraus dann Bewerber den Eindruck
gewinnen könnten, die
endgültige Mitteilung über
die Einstellung sei eine 'reine Formsache' und ggf.
nur noch von dem Ergebnis
der Prüfung der dienstrechtlich geforderten
Treuepflicht abhängig.
Selbstverständlich dürfen den Bewerbern auch keine
Einstellungstermine genannt werden.
Eine Arbeitsaufnahme
ist erst möglich, wenn die Abteilung
Personal und Verwaltung der Büroleitung den
Einstellungstag mitgeteilt hat. Falls über einen
Bewerber negative
Erkenntnisse beim Senator
für Inneres vorliegen sollten, wird dies der
Büroleitung bekanntgegeben. Dem Bewerber wird von
der Abteilung Personal und Verwaltun lediglich
mitgeteilt, daß die Bewerbung nicht berücksichtigt
werden konnte.
Bitte
weisen Sie alle Amtsleiter,
Stellenleiter oder
sonstigen Mitarbeiter Ihres Bereiches, die mit
Bewerbern Einstellungesgespräche
führen, daraufhin, daß diese
Verfahrensweise unbedingt eingehalzen
werden muß. Falls entgegen
dieser Anordnung Zusagen gemacht oder unberechtigte
Auskünfte erteilt werden
sollten, sind für etwaige Rechtsansprüche
abgelehnter Bewerber die betreffenden
Mitarbeiter haftbar."
Mit einer derartigen
Praxis hat sich die
Exekutive endgültig verselbständigt
und kann in bürokratischem Absolutismus
ihre Entscheidungen
treffen.
Es scheint jedoch,
als sei der Staatsapparat mit diesen Maßnahmen
augenblicklich einige Schritte zu weit gegangen,
für diese Einschätzung
spricht die scharfe Kritik, die diese Anweisung
sowohl von der liberalen Öffentlichkeit als auch
von Seiten des Koalitionspartners FDP
erfuhr. Aucn die zuletzt
beschriebenen politischen Vorwürfe
gegen Lehrer sind zum
grossen Teil von
der Behörde zurücksrenommen
worden, weil wohl selbst als unhaltbar vor Gericht
angesehen. In diese Richtung
deuten auch einige Gerichtsentscheidungen
der jüngsten Zeit (Pfender, Fahlbusch).
Vorläufig scheint also an diesem Punkt die bisher
kontinuierlich ihren Druck verstärkende Schraube
staatlicher Repression nicht mehr zu greifen. Umso
stärker wäre von unserer Seite hier anzusetzen. Zu
irgendwelchem Jubel ist deswegen jedoch kein
Grund. Denn zum einen ist
durchaus eine Entwicklung denkbar (noch eine Mill.
Arbeitslose mehr, etwas
aufmüpfiger, dazu zwei publizistisch wirksame
Bomben oder Kidnappings), in der auch derartige
Praxis durch die Rechtsprechung abgesegnet wird.
Und zum anderen ist auch ohne derartige Auswüchse
die vielerorts bereits als "Normal" akzeptierte
Praxis alles andere als normal, wenn
in diesem Begriff zumindest
ein Hauch von Demokratie mitschwingen soll. In
dieser "Normalität" können wir uns nicht
einrichten.
Kurze Nachbemerkung:
In diesem Kurzen Überblick
ist allein die staatliche
eindeutig politische Berufsverbotspraxis umrissen
worden. Aus der täglich erfahrenen, oft gar nicht
mehr bewußten Repression in
der beruflichen Praxis der betroffenen Linken ist
damit nur ein kleiner Ausschnitt erfaßt. Dazu
gehört sehr viel mehr, z.B. die
schon immer gepflogene Praxis, linke
Bewerber von einer Stelle
abzuweisen, ohne je politisch zu argumentieren,
sondern immer nur über die Qualifikation zu reden.
Dazu gehören auch gut gezielte Rufmordkampagnen
in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit.
Dazu gehört auch die präventive Selbstzensur nicht
von vornherein ablehnender Stellen. Bei dem
Überangebot von Akademikern auf dem Arbeitsmarkt
wird diese offizielle Entpolitisierung
letztlich politisch
motivierter Ablehnungen noch verstärkt
zur Anwendung gelangen.
Es gehört auch zu diesem Bereich schließlich
die Übernahme der Berufsverbotspraxis
in nichtstaatlichen Bereichen: Entlassung politisch
unbequemer kirchlicher Mitarbeiter, Entlassung von
Ärzten aus Krankenhäusern freier Träger, nachdem
diese einen Wink vom
Verfassungsschutz erhalten haben, Gewerkschaftsaussschlüsse.
In einigen Fällen - so beim Unvereinbarkeitsbeschluß
des Kolpingwerks gegenüber
den Jusos - können diese Gruppen
sogar Vorreiter der Entwicklung sein, wenn diese
Entwicklung nicht wieder zurückgedrängt werden
kann.
Quelle: Aktionskomitee gegen Berufsverbote(HG).
Dokumente: Überprüfung der politischen Treuepflicht
- Berufsverbot, Berlin 1975, Band 1, S.3-11 - OCR-Scan
TREND 2018
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