Fidel Castro, einer der
Anführer der kubanischen Revolution, ist im Alter von
90 Jahren gestorben. Sein Tod wird von Millionen
betrauert werden, besonders im überwiegenden Teil der
Welt, der immer noch von den imperialistischen
Ländern der USA und Europas, deren Banken und
Monopole ausgebeutet, unter Kriegen und Besatzung
leiden. Sein Ableben wird nicht nur vom kubanischen
Exil in Florida, sondern allen ReaktionärInnen
weltweit gefeiert werden, darunter der neu gewählte
Präsident Donald Trump.
Für SozialistInnen wird
es Zeit sein, nicht nur Castros Beitrag zur Epoche
von Kriegen und Revolutionen zu bewerten, sondern die
gesamte Geschichte des US-Imperialismus in
Lateinamerika und darüber hinaus. Als einziges der
zahlreichen antiimperialistischen Regimes, die auf
dem Kontinent regierten – von Jacobo Árbenz in
Guatemala 1951 über Salvador Allende 1970 bis zu Hugo
Chávez 1999 – waren Fidel Castro und GenossInnen in
der Lage, an der Macht zu bleiben und dem
nordamerikanischen Koloss auf dem Gipfel seiner Macht
die Stirn zu bieten.
Popularität
Allein dies würde für die Tatsache von Kubas
Popularität bei den Millionen der von US- und
europäischen Imperialismen Unterdrückten und
Ausgebeuteten auf der ganzen Welt genug zählen. Kubas
50-jährige Unterstützung für verschiedene
Oppositionsbewegungen gegen den US-Imperialismus und
dessen Verbündete trägt natürlich auch dazu bei.
Welch kritische
Einschätzung auch immer revolutionäre MarxistInnen –
TrotzkistInnen – am Regime Castros vornehmen müssen,
sei es bezüglich des Mangels an von der
ArbeiterInnenklasse direkt ausgeübter politischer
Macht auf Kuba oder der falschen
Revolutionsstrategie, für die es in globalem Maßstab
eintrat, so müssen wir doch anerkennen, dass allein
dessen mehrere Jahrzehnte währende Existenz den
Widerstand enorm ermutigt hat.
Zu Hause vermochte
es eine höchst erfolgreiche Alphabetisierungskampagne
durchzuführen, Bildungs- und Gesundheitswesen stark
auszubauen und vieles an Armut und Ungleichheit
abzuschaffen, welches die Regime von vor 1959 geprägt
hatte.
Obwohl es unter
einer fast totalen Blockade litt, die Washington
organisiert hatte und von den Marionettenregimen in
Süd- und Zentralamerika unterstützt worden war,
überlebte es und setzte den heuchlerischen
„DemokratInnen“ im Weißen Haus seinen Widerstand
entgegen.
Eine Zeit lang
unterstütze es Guerillabewegungen in Lateinamerika
und Afrika südlich der Sahara einschließlich jenen,
die die Apartheid bekämpften zu einer Zeit, als
Margaret Thatcher hinter den Kulissen alles, was sie
konnte, aufbrachte, um das üble rassistische Regime
in Südafrika zu stützen.
Es war nicht nur dazu in der Lage, weil es in einer
Revolution entstanden war, die von der Bewegung des
26. Juli angeführt wurde und in ihrer Endphase
riesige Massenunterstützung durch ArbeiterInnen in
Städten und Dörfern erfuhr, sondern auch weil die
Vereinigten Staaten Castro und seine
WeggefährtInnen unablässig von ihren
ursprünglich revolutionär-nationalistischen Zielen in
Richtung antikapitalistischer Aktionen trieben, um
die Errungenschaften der Revolution zu verteidigen.
Washington
unterhielt einen gnadenlosen Kalten Krieg gegen alle
Spielarten nationalistisch oder kommunistisch
geführter Befreiungsbewegungen. Es organisierte
zahllose Putsche auf der ganzen Welt gegen selbst nur
gemäßigte bürgerlich-nationalistische Regime (in
Brasilien, Indonesien, Bolivien, Chile usw.). Es
führte einen 20 Jahre dauernden unglaublich blutigen
Krieg in Vietnam (mit bis zu 3 Millionen Toten).
Entwicklung der Revolution
Die beinhart konterrevolutionäre Politik der USA
spielte eine gewaltige Rolle bei der Entstehung des
kubanischen Kommunismus. Im April 1959 hatte Castro
Kommunismus wie Faschismus als verschiedene Arten von
„Totalitarismus“ bezeichnet und erklärte, die
kubanische Revolution sei „humanistisch“ – nicht rot,
sondern „olivgrün“. Seine erste Regierung schloss
bedeutende bürgerliche Kräfte ein. Aber Castros
Unterfangen, eine begrenzte Landreform durchzuführen,
mündete schnurstracks in Sabotage seitens der
Großgrundbesitzer und US-Firmen, die große Teile des
Bodens und der Zuckerverarbeitung kontrollierten.
Castro sah sich
gezwungen, ArbeiterInnen in Stadt und Land dagegen zu
mobilisieren, und seine bürgerlichen Minister dankten
ab. Über das nächste Jahr hinweg musste er immer mehr
Sektoren der Wirtschaft verstaatlichen – Ende 1960
waren es 80 % der Industrie. In der Folge verhängten
die USA ein Handelsembargo über Kuba. Die UdSSR
erkannte eine strategisch günstige Gelegenheit und
sprang mittels Wirtschaftshilfe ein. 1961 wurde eine
Plankommission nach sowjetischem Vorbild
eingerichtet. Im Gefolge war Kuba zum ersten
„kommunistischen Staat“ in den beiden amerikanischen
Halbkontinenten geworden – „90 Meilen von Miami
entfernt“.
Dadurch rettete sich
Kuba vor Zusammenbruch und Invasion nach dem Fiasko
in der Schweinebucht 1961 und der Raketenkrise 1962,
indem das Regime nicht nur eine Diktatur über die
pro-kapitalistischen Kräfte auf der Insel errichtete,
sondern auch über die ArbeiterInnenklasse. Zwischen
1961 und 1963 fusionierte die Bewegung des 26. Juli
mit der Kubanischen Kommunistischen Partei. Die
Unterdrückung der kubanischen TrotzkistInnen und
unabhängigen Gewerkschaften folgte auf dem Fuß.
Obwohl die Revolution fortschrittliche politische
Positionen in Bezug auf Frauenrechte annahm, führte
sie zu einer Verschlechterung der Situation für
LGBTIA-Menschen, die jahrzehntelang andauern sollte.
Es ist unstrittig: ohne Enteignung der kubanischen
Bourgeoisie und der nordamerikanischen Kapitalisten,
ohne Nationalisierung der Produktionsmittel,
Einrichtung eines Außenhandelsmonopols und
Inkraftsetzung einer bürokratischen Planwirtschaft
nach stalinistischem Modell hätte ein unabhängiges
Kuba nicht lange überleben können, hätte es nicht
eine Welle von Revolutionen auf dem Kontinent
inspiriert und gefördert.
Doch trotz aller
populistischen Verzierungen und Che Guevaras
heroischer Abenteuer Mitte der 1960er Jahre war diese
bürokratische Diktatur auch ein Hindernis für die
proletarische Revolution auf Kuba und international.
Castro erwies sich anlässlich seines Chilebesuchs
1971 trotz begeisterten Empfangs als regelrechter
Stalinist. Er unterstützte Allendes friedlichen
parlamentarischen Weg, warnte ihn aber vor zu vielen
„sozialistischen“ und antikapitalistischen Maßnahmen.
Guevara schien zu
glauben, die internationale Ausbreitung des
kubanischen Revolutionsmodells sei unverzichtbar,
aber sein unerschütterlicher Glaube an die Strategie
des „Guerillafokus“ verurteilte seine Bemühungen zum
Scheitern. Castro selbst und die Sowjetunion
unterstützten ihn auf alle Fälle nicht wirklich.
Trotzdem spielte die kubanische Revolution – Seite an
Seite mit dem heldenhaften vietnamesischen Widerstand
gegen den US-Imperialismus – eine bedeutende Rolle in
den 1960er und 1970er Jahren bei der Radikalisierung
neuer Generationen von antiimperialistischen und
revolutionären SozialistInnen. Natürlich spielte sie
auch eine rückschrittliche Rolle, indem sie das sehr
befleckte revolutionäre Glaubensbekenntnis des
Stalinismus aufpolierte – im Glanz von Castro selbst,
Guevara, Ho Chi Minh und Mao. Deshalb schlugen viele
dieser jungen RevolutionärInnen den falschen Kurs
ein, und „revolutionäre Parteien“ und Bewegungen
ansehnlicher Größe scheiterten.
Nicht zuletzt
spielte die in den Personen Fidels und Ches
symbolisierte kubanische Revolution eine Rolle in der
Beschleunigung der Degeneration der in der Vierten
Internationale verkörperten trotzkistischen Bewegung.
Sie war bereits zentristisch geworden und hatte sich
Tito und Mao angepasst, als diese mit dem Kreml
aneinander gerieten. Die Mehrheit – das Vereinigte
Sekretariat – schmiegte sich programmatisch dem
Castroismus an, gab die Notwendigkeit einer
politischen Revolution für Kuba und Vietnam auf und
weigerte sich sogar, die kubanischen TrotzkistInnen,
die POR, zu verteidigen, als sie von Castro selbst in
den Untergrund getrieben und ins Gefängnis geworfen
wurden.
Für diese
PseudotrotzkistInnen fehlten einfach auf Kuba noch
„die Formen proletarischer Demokratie“, d. h. Räte,
die später auf einem Weg der Reform hinzugefügt
werden konnten. Zusätzlich akzeptierten sie ohne
Umschweife, aber auf katastrophale Weise die
Guerillastrategie in Lateinamerika. Viele der
TrotzkistInnen, die dem Guevarismus und Castroismus
nicht aufsaßen, versagten darin, Kuba als Staat
anzuerkennen, in dem der Kapitalismus besiegt war,
und diese Errungenschaft zu verteidigen.
Das Auseinanderfallen der Sowjetunion 1991 und die
Restauration des Kapitalismus in China führten Kuba
in die Bredouille. Die USA verschärften ihre Blockade
in der Hoffnung, einen ähnlichen Zusammenbruch auf
Kuba fördern zu können. Aber die Anti-US-Moral der
KubanerInnen stabilisierte das Regime, welches auch
einige seiner hyperzentralisierten und repressiven
Züge lockerte.
Die „bolivarianische Revolution“ Hugo Chávez’ in
Venezuela schuf ein beiderseitig nützliches
Schlupfloch für Kuba in Gestalt billiger Ölimporte im
Austausch mit ganzen Wogen kubanischer ÄrztInnen.
Diese halfen den „bolivarianischen Missionen“, ein
Gesundheitswesen in die Slums des Landes zu
verpflanzen. Auch der „rosa Aufschwung“ (von Regimen
wie in Bolivien, Brasilien, Ecuador und Venezuela)
auf dem Kontinent erleichterte Kubas Los ebenso wie
Hilfe aus China.
Nachdem jedoch Fidel
die Macht an seinen Bruder, Raúl Castro, übergeben
hatte, beschleunigten sich der Prozess der Öffnung
zur kapitalistischen Weltwirtschaft und die
Einführung von „Marktreformen“; zunehmende
Ungleichheit war das Resultat. Wie überall woanders
kann dieser Prozess nur zu einem Ergebnis führen –
der Wiederherstellung des Kapitalismus. Raúls
Bürokratie führt diese sicherlich im Schilde,
bevorzugt aber den chinesischen Weg gegenüber dem
russischen – d. h. die herrschende Bürokratie soll
die absolute politische Macht behalten.
Barack Obamas Besuch
verdeutlichte, dass ein Sektor des US-Kapitals die
Wende von der Blockade zur Invasion mit
US-Konsumgütern und Investitionen als schnellsten
Kurs zur Restauration bevorzugt. Trump hat dieser
liberalen Öffnung seine Gegnerschaft erklärt.
Wenn also das
kubanische Proletariat nicht eine politische
Revolution durchführt, die castroistische Bürokratie
beseitigt und in deren Verlauf Organe der
ArbeiterInnendemokratie (Räte) errichtet, wird Kuba
schlussendlich Kapitalismus und Imperialismus
ausgeliefert sein, in Anbetracht seiner
geographischen Lage wieder einmal der harschen
Hegemonie durch die USA. Augenscheinlich stemmen sich
Teile der Jugend dagegen. Es ist Aufgabe
revolutionärer Trotzkistinnen, sie für die
Perspektive einer neuerlichen Revolution zu gewinnen,
die die Errungenschaften zwischen 1959 und 1961 gegen
innere Konterrevolution und Imperialismus verteidigt
und diese Strategie international verbreitet.
Lehren
Das Bürgertum und
seine Medien – ob in „ausgewogenen“ Kommentaren oder
in antikommunistischen Tiraden – wird Castros Tod als
Zeichen für das schließliche Ende des „Jahrhunderts
an Revolutionen“ auffassen. Sie werden ihn für die
Propaganda der Vorstellung ausnutzen, dass jeder
Anlauf zum Sturz des Kapitalismus in Wirklichkeit
scheitern muss und jedes Land, das ihn unternimmt,
einst wieder zum Kapitalismus zurückkehren wird, jede
soziale Revolution im Grunde utopisch ist.
Reformistische SozialistInnen aller Schattierungen
werden exakt dieselbe Schlussfolgerung ziehen.
Doch die Lehren, die
die ArbeiterInnenklasse daraus gewinnen muss, sind
völlig verschieden davon: Die
kubanische Revolution versinnbildlichte, dass eine
von der mächtigsten imperialistischen Macht, die die
Welt je gesehen hat, ausgehaltene bürgerliche
Diktatur durch einen beherzt und entschlossen
geführten Kampf besiegt werden kann. Die
ArbeiterInnenklasse und die ländliche Bevölkerung
können zum Sturz eines Feindes aufgerüttelt werden,
der unbezwingbar erscheint.
Kuba zeigte jedoch
auch, was für den Erfolg notwendig ist: die
Revolution muss die Staatsmacht erobern, die
Streitkräfte des alten Regimes zerstören und die
Kapitalistenklasse enteignen, wenn sie diese Erfolge
dauerhaft erhalten und gegen den unvermeidlichen
Gegenschlag der Konterrevolution verteidigen will.
Aber Kuba und der
Castroismus verdeutlichen auch, dass eine
antikapitalistische Umwälzung zu einem Hindernis für
weitere Fortschritte werden und schließlich die
Erfolge der Revolution selbst untergraben wird, falls
sie nicht zur direkten Ausübung politischer Macht
durch die ArbeiterInnenklasse selbst mittels
ArbeiterInnenräten führt. Falls sie diese in Händen
einer bürokratischen Kaste belässt, wird diese den
wirtschaftlichen und politischen Kollaps herbeiführen
oder eigenhändig die Restauration des Kapitalismus.
Kubas Geschichte
beweist auch: Trotz heldenmütiger Massen und
handfester sozialer Errungenschaften, trotz sogar der
ursprünglichen Absichten einiger kubanischer
RevolutionärInnen selbst kann der Sozialismus nicht
in einem isolierten Land aufgebaut werden. Wenn das
auf ein großes Land wie die Sowjetunion zutraf, war
dies umso mehr auf Kuba der Fall.
Die sozialistische
Revolution des 21. Jahrhunderts wird zweifelsohne
ihre Anregung aus der Kühnheit und Entschlusskraft
der kubanischen Revolution schöpfen. Doch zugleich
muss sie aus ihren Schranken Schlüsse ziehen: Sie
muss auf echten Organen proletarischer Klassenmacht
fußen, auf ArbeiterInnenräten, und sie muss sich
weltweit verbreiten – oder sie wird untergehen.
per email
von ARBEITER/INNEN/MACHT-INFOMAIL
Nummer 917, 28. November 2016 |