Die Erbfolge des Hauses
Hohenzollern war im Jahre 1473 so geregelt worden,
daß beim Vorhandensein mehrerer Erben die Mark
Brandenburg stets ungeteilt dem Erst-, die
fränkischen Besitzungen dem Zweit- und Drittgeborenen
zufallen, weitere Teilungen aber unter keinen
Umständen stattfinden sollten. Demgemäß fiel 1486 bei
dem Tode des Kurfürsten Albrecht, welcher den
gesamten Besitz des Hauses in seiner Hand vereinigt
hatte, die Mark an seinen älteren Sohn Johann, das
fränkische Gebiet an seinen jüngeren Sohn Friedrich.
Johann starb 1499 und hinterließ zwei Söhne von 15
und 9 Jahren, namens Joachim und AJbrecht. Nach jenem
wunderbaren Naturgesetze, welches Fürstensöhne schon
in ungleich jüngerem Alter mit menschlicher Weisheit
begnadet als andere Menschenkinder - wenigstens wenn
sie frühzeitig zur Regierung kommen, denn im anderen
Falle sind sie oft mit fünfzig oder sechzig Jahren
noch nicht mündig, wie die deutschen Byzantiner in
einem gewissen Falle uns erst kürzlich haarscharf
nachgewiesen haben -, wurden Joachim und Albrecht
gemeinsame Herrscher der Mark Brandenburg.
So vermied man zwar
eine Teilung des Landes und damit - wenigstens
äußerlich - eine Verletzung des Hausgesetzes, aber
der ältere Bruder fand gemäß fürstlicher Anschauung
und Sitte gar keinen Geschmack an der Mitregierung
des jüngeren, insbesondere nicht, als derselbe
allmählich der Kinderstube entwuchs. Was aber nun
tun? Einen Nachgeborenen des Hauses Hohenzollern
hilflos und nackt in die Welt zu stoßen, ging doch
nicht an; ihn mit fränkischem Besitze zu versorgen,
war auch unmöglich, denn der Markgraf Friedrich hatte
inzwischen acht Söhne erzeugt, so daß in dem
fränkischen Gebiete gar der beklagenswerte Zustand
drohte, daß sechs nachgeborene Hohenzollern vergebens
nach Land und Leuten lugten. Blieb demnach nur der
geistliche Stand. Markgraf Albrecht entdeckte in sich
den inneren Beruf zum Priester, erhielt mit sechzehn
Jahren die Weihe als solcher, und sein Bruder Joachim
feilschte nun um eine kirchenfürstliche Stellung für
ihn. Ein Versuch, das Bistum Utrecht von dem
bisherigen Inhaber für eine Jahrespension von 6000
rhein. Gulden zu erkaufen, scheiterte zwar, aber um
so glänzender gelang die Sache beim zweiten Anlauf.
Kurfürst Joachim gehörte zu den ersten Handelsleuten
der Zeit. Gleich drei deutsche Bistümer heimste er
für den Bruder ein, neben Halberstadt die Erzbistümer
Magdeburg und Mainz: jenes gab den
Vorsitz im Fürsten-, dieses im
Kurfürstenkollegium; im Jahre 1514, im Alter von 24
Jahren, war Markgraf Albrecht dem Range nach der
erste Fürst in Deutschland, und das Haus Hohenzollern
verfügte über zwei unter den sieben
Kurfürstenstimmen.
Die Sache hatte nur
einen Haken: Sie kostete unmenschlich viel Geld. Die
Häufung von Kirchenämtern auf Albrechts jugendliches
Haupt widersprach den kirchlichen Gesetzen; Papst
Leo X. war nun zwar nicht der Mann, sich an die
Kirchengesetze zu binden, er gab gern seine
Zustimmung dazu, daß Albrecht gleich drei Bistümer
verwaltete, wofür Kurfürst Joachim in einem Schreiben
vom 18. März 1514 dem päpstlichen Stuhle die tiefste
Devotion gelobte, aber der Papst war ein noch
größerer Handelsmann als Joachim und dachte: umsonst
ist der Tod. Insbesondere das Erzbistum Mainz war
nach dem Preiskurant der römischen Kurie sehr teuer.
Joachim mußte sich verpflichten, ein für 42000 Gulden
verpfändetes kurmainzisches Amt dem Hochstift
einzulösen; Albrecht sollte an Annaten für seine
Besteigung des erzbischöflichen Thrones 25 000
Dukaten entrichten. Wie diese für die damalige Zeit
ungeheure Summe aufbringen? Sie auf die Bewohner des
Mainzer Bistums abzuladen, wie es sonst üblich war,
ging so ohne weiteres gar nicht oder doch nur sehr
schwer an, denn der Mainzer Stuhl war kurz
hintereinander mehrmals erledigt worden; das Bistum
hatte jedesmal für die Annaten aufkommen müssen und
war infolgedessen tief erschöpft. Da machte der Papst
dem neuen Erzbischof und Primas von Deutschland
folgenden Vorschlag: „Wohlan denn, ich verkünde einen
Sündenablaß für alle Deine Diözesen; den treibe ein,
und von dem Erlöse machen wir halbpart. Die eine
Hälfte fällt dem päpstlichen Stuhle zu; mit der
anderen Hälfte bezahlst Du die Annaten, und damit der
.Heilige Vater' dabei auf keinen Fall zu kurz kommt,
zahlen die Fugger in Augsburg auf Deine Rechnung und
Gefahr den Betrag der Annaten vorschußweise." Dieser
Handel leuchtete allen Beteiligten ein, und auf Grund
des päpstlichen Vorschlags wurde das reinliche
Geschäft abgeschlossen, mit der Eintreibung des
Ablasses in den norddeutschen Bistümern Albrechts
insbesondere der Dominikaner Tetzel betraut, ein
gleichfalls sehr hervorragender Handelsmann jener
Zeit.
Das Weitere ist
jedem Schulkinde bekannt. Aus der Vorgeschichte der
gegen den Ablaßhandel Tetzeis gerichteten Thesen
Luthers ergibt sich nun aber, daß dieser äußerliche
Ausgangspunkt der Reformationsbewegung ökonomische
Gründe hatte und durch ökonomische Rücksichten seine
geschichtliche Bedeutung gewann. Die Thesen an die
Türen der Wittenberger Schloßkirche anzuschlagen,
war - darin hat Janssen ganz recht -weder
„merkwürdig" noch eine „Tat", sondern ein nach
damaligen Sitten sehr alltäglicher Vorgang. Die
Thesen verwarfen bekanntlich auch nicht den Ablaß
grundsätzlich, sondern tadelten nur seinen
„Mißbrauch"; sie traten der römischen
Schandwirtschaft sehr viel behutsamer und
glimpflicher entgegen, als ihr von anderer Seite,
insbesondere in humanistischen Schriften, längst
entgegengetreten war. Man kann auch nicht etwa sagen,
die humanistische Bildung sei „Kaviar fürs Volk"
gewesen, Luther aber habe in derber volkstümlicher
Weise den Stier an den Hörnern gepackt. Denn die
Thesen waren gleichfalls lateinisch und noch dazu -
absichtlich -in jener schnörkelhaften Rätselschrift
der scholastischen Theologie abgefaßt, welche dem
Volke erst recht unverständlich war; man kann sich
heute noch davon überzeugen, wenn man die Thesen etwa
mit einer gleichzeitigen Schrift Huttens vergleicht.
Luther selbst hat später oft genug seine Verwunderung
darüber ausgesprochen, daß seine Thesen so tief
einschlagen konnten. Er vollbrachte seine
„weltgeschichtliche Tat" völlig absichts-und
ahnungslos; so sehr es ihm zum Lobe gereichen mag,
daß er zu jener kleinen Minderheit der deutschen
Geistlichen gehörte, welche wenigstens die ärgsten
Mißbräuche der römischen Kirche einzuschränken
versuchte, eine so kindliche Auffassung der
geschichtlichen Entwicklung bezeugt es, wenn man an
die persönliche Initiative Luthers oder gar an seine
Eigenschaft als „großer Mann" die
Reformationsbewegung anknüpfen will.
Wenn Luthers
Ablaßthesen, obgleich sie an Geist und Schärfe weit
hinter anderen Kundgebungen gegen die päpstliche
Ausbeutung zurückstanden, dennoch eine um so größere
Wirkung hatten, so war dabei der innere Zusammenhang
der Dinge ein rein ökonomischer. Die päpstliche
Plünderung Deutschlands hatte längst eine tief
gärende Erbitterung im Volke hervorgerufen, und der
zwischen dem Papst Leo X. und dem Hause Hohenzollern
wegen des Mainzer Bischof Stuhles abgeschlossene
Geschäftsvertrag war selbst für jene durchaus nicht
verwöhnte Zeit ein etwas hartes Ding. Besonders die
Bevölkerung Kursachsens, in welcher Luther lebte und
wirkte, mußte über dieses neue Attentat auf ihren
Geldbeutel erbittert sein; setzt man selbst den
höchsten Grad von Gottes- und Fürstenfurcht bei ihr
voraus, was ging sie denn dieser neueste Raubzug
überhaupt an? Der Kurfürst Friedrich von Sachsen, der
mächtigste unter den weltlichen Fürsten des Reiches,
dem mehr noch als sein stattliches Gebiet sein durch
den Segen der sächsischen Bergwerke stets gefüllter
Geldkasten in jener ebenso geldhungrigen wie
geldarmen Zeit eine außergewöhnliche Macht verlieh,
war nicht minder erbittert als die Bevölkerung seines
Landes. Er hatte schon lange vor Luthers Ablaßthesen
Schritte gegen die ewigen Ablässe getan, was um so
bezeichnender ist, als er persönlich ein äußerst
bigotter Katholik war und Unsummen Geldes
verschwendete, um fragwürdige
Heiligenknochen zu kaufen, die er in derselben
Schloßkirche von Wittenberg, an welche Luther seine
Thesen anschlug, zur Anbetung ausstellte. Der neueste
Ablaß schlug aber auch bei ihm dem Fasse den Boden
aus. Er sollte sein Land „auspowern" lassen, um einem
nachgeborenen Sohn des Hauses Hohenzollern die
größten Diözesen des Reiches zu verschaffen, um die
Wettiner durch die Hohenzollern überflügeln zu lassen
- welche Zumutung! Ihm konnte deshalb nichts
Willkommneres geschehen, als daß in seiner
Residenzstadt Wittenberg ein Geistlicher, ja ein
Mönch - mehr als die Pfarr- und Weltgeistlichen waren
damals die Mönche die eigentlichen Vorkämpfer des
Papsttums - gegen den Ablaß zu predigen begann.
Luther wurde gleich bei seinem ersten Auftreten ein
Werkzeug des Fürstentums - wenn auch unbewußt, wie er
denn in dem logischen Verlaufe der Dinge weiterhin
ein bewußter Vorkämpfer jeder Fürstendespotie
geworden ist. Wie alle sogenannten „großen Männer"
war er nicht ein Erzeuger, sondern ein Erzeugnis der
geschichtlichen Entwicklung; seine Ablaßthesen waren
eine mäßige Leistung, die nur deshalb eine ungleich
größere Wirkung hatten oder eigentlich zu haben
schienen als ungleich geistvollere und schärfere
Bekämpfungen der päpstlichen Plünderung, weil
inzwischen die innere Entscheidung reif geworden war
und sich an dem ersten, dem besten Anlasse entlud.
Je befriedigter aber
der Wettiner Friedrich von Luthers Auftreten war, um
so zorniger waren natürlich die Hohenzollern Albrecht
und Joachim. Ihr feines Plänchen war gründlich
durchkreuzt, und diese gewiegten Geschäftsleute
befanden sich in der angenehmen Stimmung eines
heutigen Gründers, der seine Aktien eben unter
glänzenden Aussichten an der Börse eingeführt hat und
sie plötzlich, etwa durch die „freche" Kritik eines
„verlaufenen" Zeitungsschreibers zu reiner Makulatur
entwertet sieht. Was half aber alles Schelten auf den
„frechen, verlaufenen" Mönch, was half es, daß
Joachim den aus Sachsen vertriebenen Ablaßkrämer
Tetzel mit Pauken und Trompeten in der Mark empfing,
ihn sogar an seiner Universität Frankfurt zum Doktor
ernennen ließ? Von der Bevölkerung der Mark war
nicht viel zu holen, und was noch etwa zu holen war,
das gab selbst der dümmste Teufel nicht mehr her. Die
Ablaßzettel standen eben gleich Null.
Quelle: Franz Mehring, Gesammelte Schriften,
Band 5, Zur deutschen Geschichte, Berlin 1964,
S.271-274
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