Die ersten
proletarischen Jugendorganisationen entstanden
bedeutend später als die
Organisationen der erwachsenen Arbeiterschaft, um
Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, also
ungefähr um dieselbe Zeit, als der europaische
Kapitalismus in seine imperialistische Phase
eintrat. Dieses zeitliche Zusammentreffen ist kein
Zufall, die proletarische Jugendbewegung ist ein Kind
des imperialistischen Zeitalters, das einschneidende
Änderungeil in der Lage der arbeitenden Jugend
hervorgerufen hat:
1.
Durch die stürmische Entwicklung des Kapitalismus
wurden immer breitere Kreise der Jugend in den
kapitalistischen Produktionsprozeß hineingezogen.
Maschinenarbeit und Arbeitsteilung ermöglichten in
immer weiterem Maße die Verwendung der billigen,
jungen Arbeitskräfte. Gleichzeitig änderte sich
auch die Stellung der Lehrlinge in den
Handwerksbetrieben, die sich durch
Lehrlingszüchterei gegen die Konkurrenz der
Großbetriebe zu halten versuchen. Die aus der Zeit
der Zunftverfassung verbliebenen patriarchalischen
Formen der Handwerkslehre (Zugehörigkeit des
Lehrlings zur Meisterfamilie, Erziehungsrecht des
Meisters usw.) verloren ihren positiven Inhalt und
wurden ein Mittel verschärfter kapitalistischer
Ausbeutung.
Diese ganze Entwicklung bedeutete jedoch nicht nur
verstärkte kapitalistische Ausbeutung, sondern auch
wachsende Selbständigkeit des jugendlichen
Arbeiters und Lehrlings. Er wurde von der Familie
unabhängig, sein Selbstbewußtsein erwachte. Die
noch im Banne zünftlerischer Traditionen stehende
erwachsene Arbeiterschaft mußte die Arbeiterjugend
entsprechend ihrer wachsenden Bedeutung im
Produktionsprozeß als eine neue Kraft in der
Arbeiterbewegung anerkennen.
2. Die Last des sich mit der
imperialistischen Entwicklung immer mehr
verstärkenden Militarismus empfand die zum
Selbstbewußtsein erwachende junge Arbeiterschaft
um so drückender.
Einen großen Einfluß
auf die Entstehung und Entwicklung der proletarischen
Jugendorganisationen hatte auch die russische
Revolution 1905. Auch hierin kennzeichnet sich die
internationale proletarische Jugendbewegung als ein
echtes Kind der imperialistischen Epoche, die nicht
nur eine Zeit verschärfter Ausbeutung und Reaktion,
sondern auch der Vorabend der proletarischen
Revolution ist.
Die Hauptaufgaben
der Jugendorganisationen ergaben sich schon aus
ihren Erstehungsursachen. In erster Linie stand der
Kampf gegen den Militarismus, die sozialistische
Erziehungsarbeit und der Kampf
um Jugendschutz. Indessen wurden diese Aufgaben nicht
gleichmäßig in allen Ländern gestellt, man muß
vielmehr nach ihrer Aufgabenstellung zwei Richtungen
in den Anfängen der proletarischen Jugendbewegung
unterscheiden.
Die erste und
älteste Richtung, die sich den antimilitaristischen
Kampf als Hauptaufgabe stellte, umfaßte die große
Mehrheit der Jugendorganisationen. Das typischste
Beispiel dieser Organisationen waren die „Jungen
Garden" Belgiens, die, in den Jahren 1886/89
gegründet, zugleidi die erste proletarische
Jugendorganisation waren. Sie wurden als
Rekrutenvereine mit dem ausgesprochenen Zweck der
antimilitaristischen Propaganda geschaffen, nachdem
in den vorangegangenen Jahren mehrmals bei Streiks
das Militär gegen die Arbeiterschaft eingesetzt
worden war. Die Haupttätigkeit der „Jungen Garden"
war die ideologische Vorbereitung der jungen Arbeiter
auf die Militärdienstzeit und die Agitation bei der
periodischen Ausmusterung und Einberufung der
Rekruten. Diese Arbeit hatte großen Erfolg, und trotz
Verfolgungen wuchs die Organisation rasch.
Nach dem Muster der
„Jungen Garden" entstanden Organisationen des
ähnlichen Typus in Schweden 1895, Schweiz 1900,
Italien 1901, Norwegen 1902, Spanien 1903,
Süddeutschland 1904 und in einigen anderen Ländern.
In allen diesen
Ländern waren die Jugendorganisationen ausgesprochen
politisch, nahmen an allen politischen Kämpfen der
Arbeiterschaft aktiven Anteil. Neben dem
antimilitaristischen Kampf leisteten sie durchwegs
auch sozialistische Erziehungsarbeit, dagegen stand
der Kampf um wirtschaftliche Forderungen und
Jugendschutz mehr im Hintergrund.
Die zweite Richtung, die sich als Hauptaufgabe den
Kampf um Jugendschutz stellte, war vertreten durch
die Organisationen in Österreich (gegründet 1894)
und Norddeutschland (gegründet 1904/05).
Beide Organisationen
entstanden als Lehrlingsvereine mit der Hauptaufgabe
der Kontrolle und Verbesserung der
Jugendschutzbestimmungen. Sie erklärten sich
ausdrücklich als unpolitisch, ihre Erziehungsarbeit
war keine ausgesprochen sozialistische, sondern
allgemeine Bildungsarbeit. Antimilitaristische
Agitation lehnte der norddeutsche Verband ab, der
österreichische kannte sie nur in der Theorie.
Die Ursachen dieser
Einstellung waren verschiedene.
1. Der äußere
Anlaß war die reaktionäre Gesetzgebung in Preußen
und Österreich, die politische Jugendorganisationen
untersagte. Das durfte jedoch nur die Taktik, aber
nicht die Grundsätze der Organisation bestimmen.
Schließlich hatten ja auch in anderen Ländern die
Arbeiterjugendorganisationen stark unter
Verfolgungen zu leiden.
2. Der tiefere
Grund war der, daß in Deutschland und Österreich
Sozialdemokratie und Gewerkschaften nicht nur am
stärksten, sondern auch schon am meisten
reformistisch verseucht waren und ihren
reformistischen Einfluß auch auf die
Jugendorganisationen geltend machten. Unter diesem
Einfluß wurde insbesondere in Österreich der
ursprünglich nur aus taktischen Gründen
vorgeschützte unpolitische Charakter der
Jugendorganisationen allmählich zum Grundsatz.
3. Die
Alterszusammensetzung spielte in diesem
Zusammenhang auch eine gewisse Rolle. Die
norddeutsche und österreichische Organisation
umfaßte hauptsächlich die 14- bis 18jährigen (die
Lehrlinge). Dagegen lag in den romanischen und
skandinavischen Organisationen das Schwergewicht
bei den älteren und politisch aktiveren
Jahrcsklasscn (den Rekruten). Diese
Jugendorganisationen trugen teilweise die
Charakterzüge einer zweiten, jungsozialistisehen
Partei, neben den dort verhältnismüßig schwachen
sozialdemokratischen Parteien.
Zweifellos machten
sich in der norddeutschen und österreichischen
Organisation schon in ihren Anfängen gewisse
reformistische Tendenzen bemerkbar. Aber es wäre
grundfalsch, die damaligen norddeutschen und
österreichischen Verbände in ihrer Gesamteinstellung
als reformistisch zu bezeichnen oder mit der heutigen
SAJ. zu vergleichen. Sie waren trotz einiger Mängel
Kampf Organisationen, die tapfer gegen die Polizei
und Lehrlingsschinderei kämpften.
Andererseits waren
in den skandinavischen und romanischen
Jugendorganisationen auch starke syndikalistische
und anarchistische Strömungen. In Schweden war die
Mehrheit der sozialistischen Jugendorganisationen
anarchistisch, worauf 1903 die Spaltung und
Neugründung einer sozialdemokratischen
Jugendorganisation erfolgte. Eine Spaltung zwischen
Syndikalisten und Sozialdemokraten erfolgte auch in
Italien 1907, wobei ebenfalls die Mehrheit bei den
Syndikalisten blieb.
Alle
Jugendorganisationen waren in jener Periode
organisatorisch und politisch
selbständig, mit Ausnahme Böhmens (der
heutigen Tschechoslowakei). Die Stellung der
sozialdemokratischen Parteien und Gewerkschaften zu
den Jugendorganisationen war fast überall eine
ablehnende. In fast allen Ländern schuf sich die
Arbeiterjugend ihre Organisationen aus eigener
Initialioe und eigener Kraft, ohne die Hilfe der
Parteien und Gewerkschaften. In vielen Fällen haben
diese die Jugendorganisationen nicht nur nicht
unterstützt, sondern sogar bekämpft. Nur einige
Führer des linken Flügels in der II. Internationale
verstanden die Bedeutung der proletarischen
Jugendbewegung und unterstützten sie.
Quelle: 20 Jahre Jugendinternationale, von
den Anfängen der proletarischen Jugendbewegung,
hrg. v. Exekutiv-Komitee der kommunistischen
Jugendinternationale, Wien 1927, S. 5ff
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