Millionen Menschen in
Frankreich und auf der ganzen Welt waren schockiert, als
sie am 13.November von der Ermordung von 129 Menschen in
Paris erfuhren. Nachdem auch weitere 250 Personen schwer
verletzt worden sind, kann sich die Zahl der Toten sogar
weiter erhöhen.
Diese Tat wurde mit brutaler und barbarischer Präzision
durchgeführt. Die Explosionen in der Nähe des Stade de
France, wo gerade in Länderspiel stattfand, sowie das
Massaker an BesucherInnen eines Rockkonzerts in Bataclan,
die als Geisel genommen wurden, und den Gästen von nahe
gelegenen Cafés verdeutlichen, dass die Ziele dieser
reaktionären islamistischen Terroristen die „normale“
Bevölkerung, einfache Leute waren, deren einziges
„Verbrechen“ darin besteht, dass sie sich an diesem Abend
amüsieren wollten oder am falschen Ort zur falschen Zeit
waren.
Der „Islamische Staat“
(IS) hat die politische Verantwortung für diese
schockierenden Aktionen für sich reklamiert, und sie als
Gegenangriffe gegen die „Kreuzritter“ dargestellt, die sie
in Syrien angriffen hätten. Dabei hat der IS schon längst
seinen erzreaktionären Charakter offenbart, indem er die
Bevölkerung der von ihm eroberten Gebiete im Irak, in
Syrien, in Libyen und Westafrika zu den Hauptopfern seines
Vordringens gemacht hat, darunter EzidInnen, ChristInnen,
KurdInnen sowie Frauen und Jugendliche, die sich von
patriarchaler Unterdrückung befreit haben. Im Grunde sind
es alle, die er als Feinde seines totalitären und
faschistoiden Kalifats betrachtet.
Zweifellos werden die
ArbeiterInnen der Welt mit den Opfern dieses barbarischen
Aktes, deren FreundInnen, Verwandten und ArbeitskollegInnen
tiefe Solidarität empfinden.
Wurzeln des Djihadismus
Zur gleichen Zeit muss die ArbeiterInnenbewegung, ja alle
Menschen, die gegen Ausbeutung, Unterdrückung, soziale und
politische Reaktion kämpfen wollen, sicherstellen, dass die
französische und andere imperialistische Regierungen die
Trauer, den Schock und die Wut der Bevölkerung nicht
politisch missbrauchen. Die Taten der Djihadisten, die
durch nichts zu entschuldigen sind, bleiben unverständlich,
wenn sie nicht im Kontext der Aktionen der französischen
Regierung, ihrer NATO-Verbündeten wie auch Russlands im
Nahen Osten in den letzten Jahrzehnten begriffen werden.
Der reaktionäre Djihadismus war ursprünglich in den 1980er
Jahren von den USA und ihren Verbündeten wie z.B. Saudi
Arabien als Waffe gegen das afghanische Regime und ihre
Unterstützer in der Sowjetunion gefördert worden. Bin
Ladens Al Qaida und die Taliban in Afghanistan waren der
Rückstoß gegen die Dominanz der USA in der Region und deren
Ausbeutung. Und wir sollten uns daran erinnern, dass
frühere, unentschuldbare Akte des individuellen
Terrorismus, wie der Angriff auf die Twin Towers 2011
benutzt worden sind, um eine schier endlose Serie von
imperialistischen Kriegen und die Besetzung von Ländern wie
Irak und Afghanistan zu rechtfertigen.
Die Tatsache, dass Saddam
Husseins Irak rein gar nicht mit dem 9/11 zu tun hatte,
offenbarte Millionen Menschen auf der Welt, dass der sog.
„Krieg gegen den Terror“ eine verlogene Rechtfertigung für
die verstärkte imperialistische Dominanz über die
ölreichsten Region der Erde war und dazu diente, die
geringsten Anzeichen von Unabhängigkeit der dortigen
Staaten zu brechen. In Wirklichkeit war der ganze „Krieg
gegen den Terror“ nur ein Mittel zur Rechtfertigung dieser
Kriege, um diese Länder durch die imperialistischen Mächte
oder ihre Stellvertreter zu terrorisieren, zu besetzen, neu
zu ordnen und auszuplündern. Allein im Irak fiel dem
mindestens eine Million Menschen zum Opfer. In der Region
hat diese Politik zur Verwüstung ganzer Länder und ihrer
Infrastruktur geführt, Jahrzehnte wirtschaftlicher
Entwicklung wurde zunichte gemacht. Der „Islamische Staat“
(ISIS) ist ein genuines Produkt dieses von außen
erzwungenen Rückfalls in die Barbarei.
Reaktion der Regierung
Der französische Imperialismus ist dabei kein „unschuldiger
Akteur“. Es ist eine der Mächte, die am aktivsten in der
„islamistischen Welt“ intervenieren. Er greift in
afrikanischen Ländern wie Mali ein, als wären diese noch
immer Teile seines Kolonialreiches. Er hat sich an den
Bombardements von Libyen und jetzt von Syrien beteiligt.
Der „sozialistische“
Präsident Francois Hollande und die französische Regierung
haben auf den terroristischen Anschlag reagiert, in dem sie
mit schonungsloser Entschlossenheit und allen Mitteln gegen
den „kriegerischen Akt“ vorgehen wollen. Er hat zum ersten
Mal seit dem algerischen Unabhängigkeitskrieg den
Ausnahmezustand über ganz Frankreich verhängt. Er hat die
Armee und die Staatspolizei mobilisiert. Per Dekret hat er
eine Reihe von Bürgerrechten wie die Bewegungsfreiheit
eingeschränkt. Die Grenzkontrollen wurden wieder eingeführt
und das Schengen-Abkommen wurde ausgesetzt. Die Polizei
kann Personen ohne Angabe von Gründen anhalten und
durchsuchen.
Es ist möglich, dass Hollande die NATO auffordert, den
Unterstützungsfall zu erklären. Merkel und andere
imperialistische Führer haben schon jetzt ihre
Unterstützung für jedwede französische
„Anti-Terror“-Politik erklärt und Deutschland hat
Unterstützung durch die Geheimdienste und die Armee
offeriert. Auf ähnliche Weise haben Putin, Obama und
Cameron, die iranischen, israelischen sowie türkischen
Staats- bzw Regierungschefs ihre Unterstützung angeboten
und ihre Bereitschaft zur Teilnahme an einem weiteren
„Krieg gegen den Terror“ erklärt.
Die Syrien-Konferenz, die
diese Woche in Wien stattfindet, und die G20-Tagung in der
Türkei könnten den Rahmen abgeben, in dem die
imperialistischen und Regionalmächte ihre Intervention im
Nahen Osten abstimmen. Sie gehen möglicherweise in Richtung
auf gemeinsame politische und militärische Operationen, um
eine Neuordnung Syriens und andere Teile der Region
durchzusetzen, auch wenn dies natürlich jederzeit an ihren
Interessensgegensätzen untereinander scheitern kann.
In Frankreich und auf der ganzen Welt stehen wir in der
Gefahr, dass Hollande und die anderen imperialistischen
Staats- und Regierungschefs die Lage nicht nur zur weiteren
Einschränkung demokratischer Rechte nutzen werden, sondern
auch zur Rechtfertigung von verstärkter imperialistischer
Intervention, von Luftschlägen und möglicherweise sogar dem
Einsatz von Bodentruppen im Nahen Osten und in Afrika.
Zusätzlich werden die
extreme Rechte und konservative Kräfte die Situation
nutzen, um den Rassismus gegen Muslime und alle Flüchtlinge
anzuheizen. Wie die Djihadisten selbst, sehen auch diese
Kräfte die terroristischen Angriffe als Teil eines „Kriegs
der Zivilisationen“. Die sozialdemokratischen Führer wie
Hollande oder der konservative Mainstream um Merkel und
Cameron präsentieren ihre Antwort als „Verteidigung der
Demokratie“ und „unserer Werte“. Selbst einige Kräfte, die
sich der Linken zurechnen, haben die Entfremdung der
Muslime von der französischen Gesellschaft im Namen des
Säkularismus oder sogar des Feminismus betrieben durch
Forderungen wie das Verbots von Schleiern in öffentlichen
Gebäuden, vor Gericht oder in Schulen. Eine solche
fehlgeleitete Verteidigung „republikanischer Werte“ kann
nur die dringend notwendige Solidarität zwischen den
rassistisch Unterdrückten und der französischen
ArbeiterInnenbewegung schwächen.
All diese „Begründungen“, ob offen rassistisch oder
verlogen „demokratisch“, dienen letztlich nur als
ideologische Nebelkerzen, um die eigentlichen Ziele zu
verhüllen, die alle bürgerlichen Kräfte von der extremen
Rechten bis zum Zentrum unter Einschluss der Mehrheit der
reformistischen Führungen der „sozialistischen“ oder
„kommunistischen“ Parteien verfolgen.
Was ist denn in ihren
Augen bedroht? Was verteidigen sie wirklich? Es geht um die
Verfügungsmacht Frankreichs und der anderen
imperialistischen Mächte über den Reichtum der Länder des
Nahen Ostens und Afrikas, die sie über Jahrhunderte
ausgeplündert haben. Sie sind keine Verteidiger der
„Demokratie“, also der „Herrschaft des Volkes“, wie sie
behaupten, sondern der Herrschaft des imperialistischen
Finanzkapitals.
Ob „demokratisch“ oder
rassistisch – alle Parlamentsparteien von der Front
National bis zur Kommunistischen Partei haben erklärt, dass
jetzt die „nationale Einheit“ und „das Land“, also der
französische Imperialismus, an erster Stelle stehen müsse.
Klassenstandpunkt
Die ArbeiterInnenklasse und die Jugend Frankreichs und auf
der ganzen Welt dürfen diesen Weg nicht beschreiten. Sie
müssen von den Führungen ihrer Organisationen, den
Gewerkschaften, den sozial-demokratischen und
„Links“parteien fordern, dass sie jedwede falsche
„nationale“ oder „republikanische“ Einheit Frankreichs und
der anderen Mächte unter dem Vorwand des „Krieges gegen den
Terror“ ablehnen.
Sie müssen vielmehr
deutlich machen, dass die terroristischen Morde vom 13.
November, auch wenn sie durch nichts zu rechtfertigen sind,
nur verstanden werden können als reaktionäre Antwort auf
die Interventionen und Ausplünderung durch Frankreich und
die anderen imperialistischen Länder. Sie können nur
verstanden werden als Ergebnis von Verhältnissen, die ganze
Generationen der Bevölkerung des Nahen Ostens und der
MigrantInnen in Frankreich zu einem Leben ohne Hoffnung
verurteilt haben. In Frankreich sind sie den Attacken der
Rechten ausgesetzt und werden vom Staat in Ghettos
gepfercht und rassistisch unterdrückt. In den arabischen
Ländern und in Nordafrika verurteilen die verstärkte
Ausbeutung und die globale kapitalistische Krise
insbesondere die Jugend zu einer „Zukunft“ aus wachsender
Verelendung und Massenarbeitslosigkeit, wenn nicht
permanenter reaktionärer Kriege.
Der französische
Imperialismus und die anderen Mächte haben schon lange den
Ausgebeuteten und Unterdrückten den Krieg erklärt. Die
Schwäche, ja in vielen Fällen sogar das gänzliche Fehlen
von proletarischen und revolutionären Kräfte mit einer
Strategie zum Sturz von imperialistischer Herrschaft und
zur Beendigung kapitalistischer Ausbeutung hat jedoch viele
demoralisiert oder zum „Radikalismus der Verzweiflung“
getrieben.
Daher muss die
ArbeiterInnenklasse eine Stellung einnehmen, die von allen
bürgerlichen und imperialistischen Kräften politisch
unabhängig, ja diesen entgegengesetzt ist. Sie muss die
Politik, die von Hollande durchgeführt und von den
RassistInnen ebenso wie von den BürokratInnen der
offiziellen ArbeiterInnenbewegung unterstützt wird, nicht
nur ablehnen, sondern bekämpfen.
- Nein zum
Ausnahmezustand! Sofortige Aufhebung aller
Einschränkungen der demokratischen Rechte und
bürgerlichen Freiheiten!
- Nein zu jedem weiteren „Krieg gegen den Terror“! Nein
zur militärischen und jeder anderen Intervention des
französischen Imperialismus oder der NATO! Abzug aller
Truppen der imperialistischen und Regionalmächte aus
Syrien, Irak, Libyen, Westafrika und anderen Ländern der
Region!
- Verteidigt die MigrantInnen und MuslimInnen gegen
rassistische Angriffe durch den Staat, RassistInnen und
FaschistInnen! Organisierte Selbstverteidigung durch die
MigrantInnen und die Organisationen der
ArbeiterInnenklasse!
- Nein zu den Grenzkontrollen, nein zur Festung Europa!
Keine Einschränkungen der Rechte von MigrantInnen und des
Asylrechts! Öffnung der Grenzen, Arbeit und Wohnraum für
alle, bezahlt durch die Kapitalisten und Reichen!
- Solidarität mit den fortschrittlichen Kräften, die den
Islamischen Staat und reaktionäre Regimes wie das von
Assad bekämpfen, wie die kurdischen und verbliebenen
demokratischen Kräfte der syrischen Revolution!
Solidarität mit dem palästinensischen Volk!
Massenmobilisierungen,
Demonstrationen und politische Streiks für solche
Forderungen können nicht nur Hollandes Ruf nach einem
imperialistischen Rachefeldzug stoppen, dem noch weit mehr
unschuldige ZivilistInnen zum Opfer fallen würden als den
Anschlägen von Paris. Sie können auch den Millionen von
ArbeiterInnen, BäuerInnen und Verarmten auf der ganzen Welt
zeigen, dass es eine Alternative zur bitteren Wahl zwischen
islamistischer und imperialistischer Reaktion gibt –
nämlich die Einheit der ArbeiterInnenklasse und aller
unterdrückten Völker! Die Alternative liegt im gemeinsamen
Kampf gegen die Wurzel aller Formen der Reaktion, gegen das
kapitalistische System und die Ausbeutung der Welt durch
wenige imperialistische Mächte – sie liegt im gemeinsamen
Kampf für eine sozialistische Revolution und eine
sozialistische Welt!
Quelle: Per Email am
15.11.2015
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