Martin Birkner / Robert Foltin
(Post-)Operaismus.
 Von der Arbeiterautonomie zur Multitude

11/06

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Ein „Ansatz“ kommt selten allein

Ein böses Vorurteil besagt, bei den Autonomen habe es sich um lederbejackte Theoriefeinde gehandelt, die aller „Hirnwixerei“ spinnefeind waren und lieber mächtig Bambule veranstalteten. Mag sein, wobei sich immer auch Autonome fanden, die es in den Disziplinen Glasbruch und Marx-Exegese gleichermaßen zu einer gewissen Virtuosität gebracht hatten. Sei es wie es ist – angesichts ihrer Nachfahren wünscht man sich selbst die lesefaulen Lederjacken zurück, die heute als Schreckgespenst dienen, um jeden linksakademischen Pfusch als Fortschritt aus dem finsteren Tal der Theorielosigkeit zu verkaufen.   

Ein Musterbeispiel für solchen Pfusch stellt das Einführungsbuch „Post-(Operaismus)“ dar, verfasst von zwei Redakteuren der Wiener Zeitschrift „Grundrisse“. Es fängt passabel an: Über den Operaismus haben die Autoren wenn auch nichts Neues, so doch wenig Falsches zu berichten. Und sicherlich stimmt, dass die großen Fabriken schon bald nach dem italienischen heißen Herbst 1969 nicht mehr das unstrittige Zentrum des Geschehens waren, was nicht nur die neue Frauenbewegung deutlich machte, der in diesem Buch gebührende Aufmerksamkeit gewidmet wird.  

Aber auch das ist nichts Neues, erheblich genauer dargestellt wird es in Steve Wrights Theoriegeschichte des Operaismus Den Himmel stürmen (Hamburg/Berlin 2005). Um den Operaismus geht es den Autoren gar nicht – er tritt nur als graue Raupe auf, die borniert durch die italienischen Fabrikhallen kriecht, bevor sie sich – St. Negri sei Dank – in einen kunterbunten Schmetterling namens „Post-Operaismus“ verwandelt und allerlei schwindelerregende Höhenflüge in die Gefilde von „Biopolitik“, „Spinozismus“ und „immaterieller Arbeit“ vollbringt. „Empire“ gilt den Autoren, wie es in idealistischer Vergötterung heißt, als „der große Wurf, der antikapitalistischen Kämpfen endlich wieder eine Sprache gab“, und folglich bleibt gerade das, was am Operaismus unbedingt zu verteidigen ist, auf der Strecke. Denn bei den Elaboraten Negris handelt es sich weniger um Post- als um blanken Anti-Operaismus: Die Operaisten kritisierten den Staatsfetischismus der Arbeiterbewegung – Negri ruft regelmäßig zu Wahlen auf und empfiehlt der „Multitude“ den Pakt mit der europäischen Bourgeoisie gegen die USA. Die Operaisten untersuchten und kritisierten die Fabrik – Negri verklärt die „immaterielle Arbeit“. Die Operaisten wollten die Autonomie des Proletariats gegen die kapitalistische Produktionsweise befördern – Negri träumt seine Blütenträume vom Bürgergeld. 

Auch wer das Proletariat nicht für den Träger des Weltgeistes hält, wird unschwer erkennen, dass dieser „postoperaistische“ Konformismus zwar Universitäten und Feuilletons in Verzückung versetzt, bei den hier und da wieder aufkeimenden Klassenkonflikten hingegen keine Geige spielt und antikapitalistischen Kämpfen schon darum keine Sprache zu geben vermag, weil solche Kämpfe – bewusste Kämpfe gegen das Kapital selbst und nicht nur seine Folgen – zur Zeit nirgends stattfinden. Die „Theorie“ Negris, die im Kern besagt, aufgrund der kreativ-kommunikativen Kooperation der „Multitude“ sei das Wertgesetz längst ausgehebelt, wäre auch wenig hilfreich, daran etwas zu ändern. Die wenigsten Lohnarbeiterinnen dürften wissen, was das Wertgesetz ist; immerhin aber bekommen sie es tagtäglich als Arbeitshetze und Unterwerfung unter die Maschinerie, als Standortkonkurrenz und immer öfter als Entlassung zu spüren, weshalb jeder Erfahrungsbericht eines Proleten mehr über die Verfasstheit der Welt sagt als alle Abhandlungen der „Postoperaisten“. Jede Kassiererin weiß, dass an ihrem Arbeitsplatz nicht das pralle Leben, sondern nur Stress und ein saftiger Rückenschaden auf sie warten, und dass das Leben, soweit es den Namen verdient, bestenfalls nach Ladenschluss beginnt. Die Wiener „Postoperaisten“ hingegen wissen zu berichten: „Leben und Produzieren lässt sich nicht mehr trennen, das Leben selbst ist die produktive Maschine, auch wenn es die Biomacht des Kapitalismus scheinbar verschwinden lässt.“  

Nicht genug, dass die Autoren all die süßen Mythen nachsagen, die ihnen Negri vorgeträllert hat. Obendrein versuchen sie das Fehlen jedes eigenen Gedankens wettzumachen, indem sie nicht nur einen, sondern gleich mehrere Dutzend angesagte Theoretiker in der verdörrten Sprache des Uni-Seminars wiederkäuen, deren vermeintliche Bedeutung für die Praxis durch Ausführungen zu allerlei Bewegungen und Kämpfen simuliert wird. Nirgends liefert das Buch etwas Neues, alles wird begriffslos aneinandergeklatscht: argentinische Tauschringe und Judith Butler, Kanak Attak und englischer akademischer Marxismus, Euromayday und Öko-Feminismus. In starker Untertreibung beschreiben die Autoren ihr Werk abschließend selbst als „manchmal eklektizistisch oder willkürlich erscheinende Zusammenschau“, besitzen aber ausreichend Selbstbewusstsein und Humor, um ihre Unfähigkeit, im Gewirr der „Ansätze“ einen Gedanken durchzuhalten, auf den „experimentellen Charakter der Revolution“ zurückzuführen. Bei dem Lektor, den der Verlag im Impressum verzeichnet, muss es sich um einen unbezahlten Praktikanten gehandelt haben, der sich an seinen Ausbeutern – vermutlich inspiriert von den proletarischen Kampfformen zur Zeit der Operaisten – durch Sabotage und Arbeitsverweigerung gerächt hat, was ebenso gut für den Klassenkampf wie schlecht für die Leserin ist.  

Aus Versehen rutscht selbst der ein oder andere Theoretiker, der mit der „Multitude“ nichts am Hut hat, in diese Suppe, die allerdings so trüb ist, dass es gar nicht weiter auffällt. Die Autoren referieren einige Einwände gegen den „Postoperaismus“, ohne sie weiterer Auseinandersetzung wert zu befinden; und wo nicht höflich-abwägender, sondern dezidiert-fundamentaler Einspruch lauert, kippt der Pluralismus – Wunder der Dialektik, welche die Autoren für überholt erklären – in autoritäre Kritikfeindschaft um: Die entsprechenden Beiträge werden kurzerhand als „antiautonom“ abgewatscht und nicht weiter beachtet. John Holloway hingegen kann man noch verdauen, auch wenn ihn außer seiner Begeisterung für den Zapatismus mit Negri nichts verbindet. Denn es wurde ein Aufsatz entdeckt, in dem er Autonomie „nicht, wie dies normalerweise bei Holloway der Fall ist, als Negativität gegen das Kapital, sondern als Vorgängigkeit unserer Kreativität bestimmt.“ Sogar von der Revolution als „Abschütteln des Parasiten“ soll darin, ganz im Sinne Negris, die Rede sein. Was jeder kritischen Theoretikerin den Magen umdreht, versetzt die Autoren in helle Euphorie: „Es scheint, als ob nun endlich ein fruchtbarer Dialog zwischen den verschiedenen postoperaistischen Theorieansätzen in Gang kommen könnte.“  

Leserinnen vorausgesetzt, die noch halbwegs bei Sinnen sind, hat das Buch strategischen Wert. Während Negri/Hardt ihre Ideologie in das Gewand großer Literatur zu kleiden wussten, reicht es bei ihren Epigonen nur zu Uni-Gestammel, was die Geistlosigkeit des „Postoperaismus“ angemessen ausdrückt und so zur Eindämmung des Übels beitragen könnte: „Nun galt es die für die zentralen Aspekte der sozialen Auseinandersetzung wichtigen gesellschaftlichen Felder auch für die Theoriebildung zu öffnen und – in kritischer Anknüpfung an bereits geleistete Arbeiten methodischer und inhaltlicher Art – theoretisch und kritisch zu bearbeiten.“  

I. M. Zimmerwald, Oktober 2006

Editorische Anmerkungen

Martin Birkner / Robert Foltin:
(Post-)Operaismus. Von der Arbeiterautonomie zur Multitude,
Schmetterling-Verlag, Stuttgart 2006, 200 S., 10 €