Betrieb & Gewerkschaft
Frankreich: Widerstände gegen Privatisierung
Zu spät! bei Electricité de France, aktiver Streik bei den EisenbahnerInnen

von Bernhard Schmid

11/05

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Am Montag, 21. November 2005, zur Mittagszeit fand die erste Börsennotierung des bisher öffentlichen französischen Stromversorgungsunternehmens EDF (Electricité de France) statt. In den vorangegangenen vier Wochen sind Aktien für sieben Milliarden Euro verkauft worden, bei einem Preis von 32 Euro (für Privatpersonen) bzw. 33 Euro (für Grobanleger) pro Aktie. Im Moment scheinen die Privatleute stärker angezogen worden zu sein als die Grobanleger, so dass der für Erstere reservierte Aktienanteile im Laufe der letzten vier Wochen um 10 Prozent erhöht worden war, jenen der Grobanleger entsprechend verringernd. Am ersten Börsentag der EDF-Aktie notierte diese bei Börsenschluss am Abend bei 32 Euro (ungefähr 40 Cents unterhalb des Kurses am Mittag) und lag damit genau auf der Höhe des Ankaufpreises für Privatanleger.

Bereits am ersten Tag mussten aber die Banken Stützungskäufe durchführen, um einen Einbruch des Kurses der EDF-Aktien zu verhindern – denn zahlreiche Kleinanleger wollten ihre Titel bereits wieder verkaufen, um einen kleinen Gewinn einzustreichen, was aber den Aktienkurs abstürzen zu lassen drohte. Die französische (privatisierungsfreundliche) Presse bewertete deshalb den Auftakt zum Börsengang von Electricité de France als „enttäuschend“ (so die rechte Boulevardzeitung France Soir), und die arbeitgebernahe Wirtschaftszeitung Les Echos titelt „Die Banken stützen den Börsenkurs von EDF“.

Allgemein wird erwartet, dass viele Klein- und Kleinstanleger nur ein wenig am „Börseneinführungsfieber“ teilnehmen wollten, das vielerorts geschürt worden war. Bei der französischen Post (der „Bank der Armen“ in Frankreich) warben riesige Plakate für den Kauf von EDF-Aktien direkt im Postbüro. Am Zeitungskiosk propagierten kleine Werbezettel, die auf den Titelseiten bestimmter Tageszeitungen (Le Figaro) befestigt worden waren, die Teilnahme an der Börseneinführung von EDF. Nach wenigen Tagen könnten viele dieser Kleinanleger aber bereits wieder die Lust verlieren und, sofern möglich mit ein wenig Gewinn, verkaufen. Das ist etwa bei France Télécom passiert; dieses Unternehmen hatte im Oktober 1997 (auf dem Höhepunkt) 3,9 Millionen Aktionäre, heute sind es noch 1,5 Millionen. Durch das schnelle Abstoben ihrer Aktien durch viele Klein- und Kleinstanleger sank auch der Preis der Télécom-Anteile in den Keller, der sich bis heute nicht richtig erholt hat: Die Aktie der französischen Télécom kostet derzeit 21 Euro, gegenüber 27,75 Euro zu Anfang. Auf die Dauer können wohl nur Grobanleger das Platzen solcher anfänglicher Spekulationsblasen überdauern und danach genügend Geduld aufbringen, um abzuwarten, bis ihre Aktien wieder halbwegs an Wert gewonnen haben.

Ein Riesenerfolg“

Private Investoren besitzen damit nunmehr – für den Anfang - 15 Prozent des früheren Staats- und Monopolunternehmens auf dem französischen Energiemarkt, das seit 2003 aus der bisherigen Einheitsstruktur EDF-GDF (Electricité de France – Gaz de France) herausgebrochen worden ist. Die Börseneinführung von GDF hat bereits im Juli 2005 stattgefunden. Bei EDF wurden nicht bisherige Unternehmensanteile verkauft, sondern die Börseneinführung ging mit einer Kapitalerhöhung einher - d.h. die Anlieger haben frisches Geld für EDF aufgebracht, damit das Stromunternehmen weiterhin aktiv den „global player“ spielen kann. Bereits in den letzten 10 Jahren hat sich das Noch-Staatsunternehmen EDF bereits wie ein Privatkonzern aufgeführt, der weltweit Unternehmensbeteiligungen aufkauft und an Fusionen teilnimmt. Von Polen bis Argentinien kaufte EDF sich in die Energieversorgung anderer Länder ein.

Obwohl der Ankaufpreis der Aktie relativ hoch lag, gilt die Börseneinführung von EDF – übersieht man die schnelle Flucht vieler Kleinanleger - als „Rekorderfolg“. 4,85 Millionen  kleine Anleger haben (und sei es nur sehr vorübergehend...) eine oder mehrere EDF-Aktien erworben.

Das sind eine knappe Million Aktienkäufer mehr als bei der Börseneinführung der französischen Télécom im Jahr 1997 (unter einer sozialdemokratisch geführten „Linkskoalition“, deren wichtigste Regierungspartei zuvor ihren Wahlkampf mit dem Versprechen bestritten hatte, die Privatisierung von France Télécom zu stoppen...). Das andere Energieversorgungsunternehmen, Gaz de France, hatte im Sommer 2005 drei Millionen Anleger angezogen.

Die übrigen Folgen und Auswirkungen der Teilprivatisierung von Electricité de France bleiben abzuwarten. Kurz vor dem Parlamentsvotum vom Juni 2004, das den Weg zu dieser Teilprivatisierung frei machte, hatte die EDF-Direktion noch von einer zu erwartenden Erhöhung (!) der Strompreise für KonsumentInnen um circa 15 Prozent gesprochen. Bei dem bereits seit Juli 05 teilprivatisierten Unternehmen Gaz de France (GDF) ist der Gaspreis für den Endverbraucher bereits, im Oktober 2005, um 12 Prozent angehoben worden. Allerdings wurde gleichzeitig der Preis des Abonnenements für Festkunden abgesenkt, so dass letztere (vorläufig) keine höheren Kosten haben sollen, so jedenfalls die Direktion.

Bei France Télécom waren im Herbst 1997 zunächst 30 Prozent des Unternehmens zur Privatisierung ausgeschrieben worden. Nunmehr ist der Staatsanteil an der französischen Télécom aber bereits unter die Hälfte gesunken. 

Reaktionen: CGT butterweich!

Von vielen Seiten her war erwartet worden, dass die CGT, die mit Abstand stärkste Gewerkschaftsorganisation bei dem Stromversorgungsunternehmen, sich der Privatisierung in heftiger Form widersetzen könnte. Die Basis der CGT Energie hatte im Frühjahr 2004, kurz vor dem entscheidenden Parlamentsvotum, einige halbwegs spektakuläre Aktionen unternommen. So hatte sie verschiedenen „prominenten“ Stromkunden, darunter dem Amtssitz des Premierministers (damals Jean-Pierre Raffarin) und dem Arbeitgeberverband MEDEF, zeitweise den Saft abgedreht. Umgekehrt war 8.000 Haushalten, denen aufgrund unbezahlter Rechnungen der Strom abgesperrt worden war, die Energieversorgung durch die abhängig Beschäftigten bei EDF „eigenmächtig“ wieder hergestellt worden.

Dies waren jedoch Aktionen gewesen, die von der Basis ausgingen. Der CGT-Apparat seinerseits ist bei EDF ziemlich eng mit dem Unternehmen verflochten: Electricité de France war in der Wiederaufphase nach dem Zweiten Weltkrieg durch den damaligen kommunistischen Energieminister, Marcel Paul (selbst ehemaliger CGT-Gewerkschafter), als öffentlicher Dienst eingerichtet worden. Die privaten Energiekonzerne, deren Eigentümer gröbtenteils durch die Kollaboration mit den Nazi-Besatzern „belastet“ waren, hatte man zuvor enteignet. Beim Aufbau des Staatsunternehmens waren zunächst viele Führungspositionen mit Leuten aus der CGT besetzt worden, so dass Viele aus dem KP- und CGT-Spektrum das Funktionieren dieses öffentlichen Diensts bereits als so etwas wie eine Vorwegnahme der angestrebten (staats)sozialistischen Gesellschaft betrachteten. Später jedoch war die antifaschistische Koalition (der Jahre 1944 – 47) an der Regierung auseinander gebrochen, die KP hatte die Regierung am 5. Mai 1947 verlassen, und das offizielle Frankreich schlug eine bürgerliche Richtung ein. EDF wurde daraufhin wie ein „normales“ Staatsunternehmen verwaltet. Die CGT „klebte“ jedoch auch weiterhin eng an der Unternehmensbürokratie von Electricité de France an, und war in späteren Jahrzehnten eng in den „Atomfilz“ eingeflochten, der auch in Frankreich zur Durchsetzung der Nuklearenergie diente. Zudem benutzte die CGT die Milliardensummen, die sie im Betriebsrat von EDF verwaltete, noch bis in die späten 1990er Jahre zur (illegalen) Parteienfinanzierung für die KP. Dies war natürlich „an höherer Stelle“ ebenfalls bekannt, und genau dies macht die CGT Energie heute erpressbar. In den letzten Apriltagen 2004, kurz vor dem entscheidenden Parlamentsvotum, war der EDF-Betriebsrat in dieser Sache (illegale Parteienfinanzierung) nach Dokumenten durchsucht worden – ein überdeutlicher Warnschuss vor den Bug.

Dennoch war vielfach erwartet worden, dass die CGT sich auf etwas härtere Weise der jetzigen Börseneinführung von EDF widersetzen würde. Denn einerseits wurde doch mit einem erheblichen Druck seitens der Basis gerechnet. Und andererseits mutmabte man, der Dachverband CGT benötige einen sichtbaren (und möglichst erfolgreichen) Widerstand gegen die Privatisierung des „Kronjuwels“ EDF als wichtiges Symbol im Vorfeld des nächsten Kongresses des Gewerkschaftsverbands. Der nächste CGT-Kongress findet Ende April 2006 im nordfranzösischen Lille statt.  

Ein fehlgeschlagener „Deal“ und eine „geniale“ Strategie (hihi harhar)

Die Führungsspitze unter CGT-Generalsekretär Bernard Thibault hatte allem Anschein nach erwartet, die amtierende konservative Regierung unter Premierminister Dominique de Villepin werde sich auf einen „Deal“ mit ihr einlassen. Mitte Oktober 05, als der Arbeitskampf bei der von Privatisierung bedrohten Schifffahrtsgesellschaft SNCM in Marseille bereits in die vierte Woche ging, bahnte sich ein „Deal“ an, den vor allem die Pariser Abendzeitung Le Monde durch detaillierte Berichte zu untermauern und wohl auch zu befördern suchte. CGT-Generalsekretär Bernard Thibault sei, so hieb es, demnach bereit, die aufsässige Gewerkschaftsbasis in Marseille – der dortige Bezirksverband gehört innerhalb der CGT der Opposition an und ist radikaler, wenngleich teilweise traditionskommunistisch und nur teilweise basisorientiert – zu zügeln. Thibault war demzufolge gewillt, eine Privatisierung der Schifffahrtsgesellschaft SNCM hinzunehmen, solange der Staat die versprochene „Sperrminorität“ von 25 Prozent (die von ihm nur während anderthalb Jahren garantiert wird) behalte und verspreche, eine Zerschlagung des Transportunternehmens zu verhindern. Im Gegenzug, so ging es aus der Berichterstattung hervor, rechne die CGT-Spitze damit, die konservative Regierung werde ihr das wichtige „Symbol“ eines Zurückweichens bei der Privatisierung von EDF „gönnen“.

„Das ist, was man seitens der CGT-Führung glauben wollte. Der angebliche ‚Deal’ war jedoch höchst einseitig abgeschlossen, nämlich durch die Gewerkschaftsspitze mit sich selbst, und niemand hatte ihr etwas Derartiges auch wirklich versprochen“ spottet das CGT-Mitglied Jean-Jacques P., Betriebsrat in der Privatindustrie. Tatsächlich scheint die CGT in Sachen EDF-Privatisierung, mit Verlaub!, gründlich auf die Schnauze gefallen zu sein.

Und was tut die CGT-Spitze jetzt? Sie hat anscheinend eine „geniale“ Strategie entworfen. Und die besteht worin? Erstens sollten am Montag mittag (zeitgleich zur ersten Börsennotierung von Electricité de France) einige Stapel von Petitionen, mit Unterschriften gegen die Privatisierung, vor dem Amtssitz des Premierministers überreicht werden. Das wird die konservative Regierung bestimmt, besonders zum jetzigen Zeitpunkt und angesichts des aktuellen Standes des Privatisierungsvorhabens, fürchterlich beeindruckt haben und lieb den Premier sicherlich zutiefst erschaudern. Glaubt man der Tageszeitung Libération vom vorigen Wochenende (19./20. November), so kommt als zweite Stufe der Strategie die wirklich geniale Idee hinzu – na? wer errät es? - nunmehr einen Aktionärsverband von „lohnabhängigen Aktienbesitzern bei EDF“ zu bilden. (Den Lohnabhängigen des Unternehmens werden ebenfalls Aktien zum Kauf angeboten.) Damit ist die CGT-Spitze offenkundig den Ratschlägen ihres Führungsmanns vom „modernen“ Flügel, Jean-Christophe Le Duigou gefolgt, der in dem Libération-Artikel zum Thema auch zu Wort kommt.

Der Vorsitzende der CGT Energie, Jean-Paul Escoffier, bezeichnet diese Aktionärsstrategie demnach als „Ergänzung zur gewerkschaftlichen Aktivität“, die nicht in Konkurrenz zu ihr zu geraten drohe. Die Mehrheitsgewerkschaft CGT scheint für diese Idee auch die anderen Gewerkschaften bei EDF (und GDF) gewinnen zu wollen. Seitens der rechtssozialdemokratischen CFDT wiederum zeigt man sich äuberst reserviert über die Idee. Doch nicht aus grundsätzlicherem Widerstand gegen die Privatisierung heraus, sondern weil man dort der Auffassung ist, „höhere Kompetenzen als die CGT bei der Bildung von Lohnabängigen-Aktionärsverbänden“ zu besitzen. So äubert sich der Vorsitzende der CFDT-Branchengewerkschaft, Jacques Mouton, gegenüber Libération („...die CGT würde uns diese Erfahrung sicherlich gerne nehmen“). Beim anderen teilprivatisierten Unternehmen, Gaz de France, hat die Direktion bereits angeboten, ihrerseits eine solche Aktionärsvereinigung von Mitarbeitern finanziell zu unterstützen – unter der Voraussetzung, dass alle im Unternehmen präsenten Gewerkschaften hinter ihr stehen. Hier ist es anscheinend bisher vor allem die rechtssozialdemokratische CFDT, die sich sträubt und sich auf ihre „Unabhängigkeit von der Direktion“ beruft. Genaueres dazu ist noch nicht bekannt und bleibt abzuwarten.

Und sonst? Neben den berühmten Petitionen hat die CGT sonst nichts Sichtbares gegen sdie Börseneinführung von Electricité de France unternommen. Nicht einmal die Abhaltung von Grobveranstaltungen im gesellschaftlichen Rahmen, auberhalb des Unternehmens. Ähnlich wie bereits bei der Schifffahrtsgesellschaft in Marseille, überlässt die CGT auch dieses Mal die Initiative zu solchen sektorenübergreifenden Mobilisierungen allein den politischen Kräften. Am 8. November hielten die Linksparteien des politischen Spektrums, von den Linksnationalisten des MRC (von Jean-Pierre Chevènement) über die französische KP bis zur trotzkistisch-undogmatischen LCR, eine gemeinsame Grobveranstaltung im traditionsreichen Pariser Versammlungssaal La Mutualité gegen die Privatisierung von EDF ab. Die französische Sozialdemokratie war dazu ebenfalls eingeladen worden, hatte sich jedoch unter einem Vorwanrd (nämlich dem Verweis auf andere Teilnehmer, die wie die Kleinpartei Les Alternatifs „an der Sozialistischen Partei gemessen, wenig repräsentativ“ seien) zurückgezogen.

Beim Kampf um die Schifffahrtsgesellschaft SNCM in Marseille waren es ebenfalls allein die politischen Kräfte gewesen (und nicht die CGT, die noch in den 1980er Jahre in einem ähnlichen Fall zweifellos ganz Marseille sektorenübergreifend mobilisiert und alle wichtigen Betriebe „lahmgelegt“ hätte), die zu einer Grobveranstaltung über die Grenzen des Unternehmens hinaus aufgerufen hatten. So kam es am 3. Oktober 05 in Marseille zu einer Grobkundgebung, bei der Vertreter von politischen Kräften die Reden hielten, vom linkssozialdemokratischen Flügelmann (bei der Sozialistischen Partei) Jean-Luc Mélenchon über KP-Sekretärin Marie-George Buffet bis zu Olivier Besancenot von der LCR (trotzkistisch-undogmatisch) und Arlette Laguiller von LO („Arbeiterkampf“, trotzkistisch und eher dogmatisch). Der Dachverband CGT überlieb ihnen die Initiative dazu und unternahm nichts in dieser Richtung. CGT-Generalsekretär Bernard Thibault seinerseits kam erst dann nach Marseille, als der Kampf bei der Schifffahrtsgesellschaft SNCM „gelaufen“ (und in einer Niederlage geendet) war, zwecks Teilnahme an einer samstäglichen Demonstration am 15. Oktober – jenem Tag, an dem bei der SNCM die Arbeit wieder aufgenommen wurde. Die allermeisten Teilnehmer/innen am vorausgegangenen vierwöchtigen Arbeitskampf „ersparten“ sich freilich die Teilnahme an dieser Demo lieber.

Die CGT-Führung erscheint derzeit als ebenso strategielos wie zahnlos. Ihrer früheren historisch-strategischen Gewissheiten („die ehernen Gesetze der Geschichte führen zum Sozialismus“) schon seit längerem beraubt und mit einer derzeitigen knallhart handelnden Regierung ohne wirkliche Kompromissbereitschaft konfrontiert, dümpelt sie offenkundig vor sich hin. Und wartet auf bessere Zeiten, also die mögliche Regierungsubernahme durch die Sozialdemokraten im Jahr 2007, die aber wiederum ziemlich in den Sternen steht. Sogar manche Sozialdemokraten scheinen die Initiativen der CGT und anderer Gewerkschaften derzeit zu schlapp zu finden - da sie zu der Ansicht kommen müssen, mit solch geringer Konfliktbereitschaft der führenden Gewerkschaften werde man den Stuhl der jetzigen Regierung nie ernsthaft ansägen können, als Vorbereitung für einen möglichen Regierungswechsel.

Tatsächlich hatten einige Sozialdemokraten vom linklen Flügel im Vorfeld der Börseneinführung von EDF recht radikal klingende Töne gespuckt. Der frühere Premier- und Wirtschaftsminister Laurent Fabius (in Wirklichkeit ein Wirtschaftsliberaler, der jedoch nach der Wahlniederlage von 2002 zu dem Ergebnis kam, im Vorfeld entscheidender Wahlen müsse die Sozialdemokratie eher die verbalradikale Opposition als den „guten Verwalter“ spielen, da sie ansonsten auf ewig hinaus profillos bleibe) hatte angekündigt, im Falle eines Wahlsieges werde man „die Renationalisierung von EDF“ anpacken. Der Repräsentant des traditionssozialdemokratischen Mitte-Links-Flügels in der Partei, Henri Emmanuelli, seinerseits erklärte noch vor vier Wochen: „Wir werden EDF nicht unbedingt wieder verstaatlichen, aber wir werden von der Regierung aus die Anweisung geben, dass das Stromversorgungsunternehmen sämtliche Gewinne in die Forschung und für öffentlich nützliche Zwecke reinvestieren muss und sie nicht als Dividenden an die Aktionäre ausschütten darf. Man wird rasch merken, dass die Aktien dann wertlos sind.“ Inzwischen hält sich die französische Sozialdemokratie allerdings mit solch (verbal)radikalen Oppositionstönen zurück: Auf dem Parteitag vom Ende vergangener Woche (18. – 20. November) im westfranzösischen Le Mans konnte sich ihr Mitte-Rechts-Flügel klar durchsetzen. Der gröbte Teil der Parteilinken hat sich aber letztendlich zu einem gemeinsamen Leitantrag mit der bisherigen Parteiführung bereit gefunden, also zu einem inhaltlichen Kompromiss. Der dominierende Mitte-Rechts-Flügel hat jedoch bereits angekündigt, man habe nicht vor, „die durch die (jetzt regierende) Rechte gemachten Gesetze wieder abzuschaffen“, wenn man an die Regierung komme. Das sei nicht konstruktiv, man konzentriere sich besser darauf, dann eigene Gesetze zu machen. Damit dürfte, de facto, die Frage einer Rücknahme der EDF-Privatisierung wohl vom Tisch sein. 

Widerstände gegen Privatisierungen und Eisenbahner-Streik

Anderswo im Land gibt es dagegen noch entschiedene Widerstände gegen Privatisierungspläne und gegen die Zerschlagung („nicht rentabler“) öffentlicher Dienste. Am Samstag, 19. November beteiligten sich rund 30.000 Personen an einer landesweiten Demonstration „gegen die Angriffe auf die öffentlichen Dienste“. Die CGT(-Basis) stellte über ein Drittel der Demonstration. An ihr beteiligten sich ansonsten auch -  in gröberem Mabe - ATTAC Frankreich, die linken Basisgewerkschaften SUD-Solidaires (mit einem sehr bunten und kämpferischen Block) sowie mehrere Linksparteien (MRC, die französische KP, LCR, LO, Les Alternatifs) und Sans papiers-Kollektive.

Exkurs: 44. Streiktag bei den Marseiller Verkehrsbetrieben

An ihrer Spitze ging ein Block von Streikenden (aus den Reihen der CGT) bei den Marseiller Verkehrsbetrieben RTM, „Régie des transports marseillais“. Die abhängig Beschäftigten bei der RTM streiken seit nunmehr über einem Monat, am heutigen Dienstag befinden sie sich am 44. Streiktag. Sie kämpfen für ihre Löhne - aber vor allem gegen ein Privatisierungsvorhaben betreffend die zukünftige Marseiller Strabenbahn (die 2007 eröffnet werden soll), als „trojanisches Pferd“ für das Eindringen des Privatkapitals im gesamten Transportsektor, wie die örtlichen Gewerkschaften sich ausdrücken. Die Marseiller Stadtregierung unter dem wirtschaftsliberalen Oberbürgermeister Jean-Claude Gaudin möchte unbedingt die Privatfirma Connex an dem Strabenbahnprojekt beteiligen, neben der (öffentlichen) RTM. Der Arbeitskampf hatte Anfang November zunächst am 33. Tag abgebrochen werden müssen, da ein Verwaltungsgericht entschieden hatte, es handele sich um einen rechtswidrigen „politischen Streik“, zudem sei sein Gegenstand nicht konform zu dem Inhalt der Streikankündigung. (Im öffentlichen Dienst ist in Frankreich, seit einem Dekret von 1963, eine Streikvorwarnung fünf Tage vor Ausbruch eines Arbeitskampfs obligatorisch. Im Privatsektor dagegen nicht.) Am vorletzten Freitag hatte der Arbeitskampf allerdings erneut, mit einem veränderten Text der Streikankündigung, begonnen.

Seitdem hält der Ausstand mit unvermindeter Wucht an. Am vorletzten Wochenende schien sich jedoch erstmals ein Kompromiss anzubahnen: Die Beteiligung von Privatfirmen an Projekten im Transportsektor sollte demnach (sowohl von der wirtschaftliche Bedeutung als auch von der zeitlichen Länge her) beschränkt, aber nicht ausgeschlossen werden. Der Oberbürgermeister von Marseille, Jean-Claude Gaudin, blieb dabei, dass die „délégation de service public“, d.h. der Beschluss zur (zumindest teilweisen) Übertragung eines öffentlichen Diensts an Private, unantastbar bleibe. Zudem sah der durch die Direktion und die Stadt Marseille vorgelegte Kompromissvorschlag vor, dass die über 40 Streiktage den abhängig Beschäftigten vom Lohn abgezogen werden sollten, aber dass die Abzüge über eine Dauer von zehn Monaten verteilt (statt auf ein mal durchgeführt) werden sollten. Der angestrebte Kompromiss kam aber nicht zustande, da die Mehrzahl der Gewerkschaften nach wie vor den Einstieg des Privatkapitals bei den Marseiller Verkehrsbetrieben grundsätzlich ablehnen.

Am Montag traten dann zwei Gewerkschaften (die populistische Force Ouvrière (FO), die laut Personalratswahl-Ergebnissen 18 Prozent der Beschäftigten vertritt, und die „unpolitisch“-reformistische UNSA, die 6 Prozent vertritt) aus der Streikfront aus. Sie beriefen sich u.a. darauf, dass die Lohnverluste für die streikenden Beschäftigten nicht länger hinnehmbar seien und dass es nicht mehr möglich sei, die Beteiligung von Privatkapital zu verhindern (falls man dies durchsetzen wolle, „dann fährt ein Jahr lang in Marseille gar kein Bus mehr“, so Alain Requenna von FO). Dagegen bleiben die Mehrheitsgewerkschaften, die zusammen über 75 Prozent der Beschäftigten vertreten, bei ihrer Hauptforderung – kein Eintritt der Firma Connex, und keine Auftrennung der RTM in unterschiedliche Einheiten (Bus und Metro, sowie Strabenbahn), um diesen Eintritt zu ermöglichen  – hart. Es handelt sich um die Sektionen der CGT, der CFDT, der linken Basisgewerkschaft SUD und der christlichen CFTC bei den Marseiller Verkehrsbetrieben. Diese vier Gewerkschaften blieben auch am Dienstag in der Streikfront.

Am Dienstagmorgen hatte eines von vier Busdepots, jenes im Marseiller Nordosten, den Betrieb wieder aufgenommen. Die übrigen drei Busdepots blieben im Streik. Die CGT verlor am Dienstag vor einem Marseiller Gericht, wo sie den Erlass einer Einstweiligen Verfügung beantragt hatte, um den Abschluss befristeter Arbeitsverträge mit Dritten durch die Marseiller Verkehrsbetriebe – in der Absicht, das streikende Personal zu ersetzen – verbieten zu lassen. Vom juristischen Standpunkt her ist der Abschluss befristeter Arbeitsverträge zu diesem Zweck (um mit einem Streik des festangestellten Personals fertig zu werden) strikt untersagt. Das gesetzliche Verbot wird allerdings dadurch umgangen, dass man das auf Zeit eingestellte Ersatzpersonal andere Strecken abfahren lässt als die, welche die Busfahrer normalerweise befahren. Aufgrund der veränderten Streckenführung beruft der Arbeitgeber (die Direktion der Marseiller Verkehrsbetriebe) sich darauf, dass das befristet eingestellte Personal nicht dieselben Arbeitsplätze besetze – damit fällt der Abschluss von Zeitverträgen angeblich nicht unter das Verbot, das im französischen Arbeitsgesetzbuch vorgesehen ist.  

Fortsetzung: Widerstände gegen Privatisierung und Eisenbahner-Streik

Hinter der Abordnung der Streikenden von der RTM, die Applaus ernteten, gingen in der samstäglichen Demo die regionalen Kollektive gegen die Zerschlagung öffentlicher Dienste im ländlichen Raum. Vor allem in zentral- und westfranzösischen Départements wie der Creuse und der Charante (Bezirk von Angoulême) bestehen solche regionalen Kollektive. Die erste landesweite Demonstration gegen den Abbau „unrentabler“ öffentlicher Dienste im ländlichen Raum hatte am 5. März dieses Jahres in Guéret, der Bezirkshauptstadt des Départements La Creuse, im Schneegestöber stattgefunden; in der Creuse waren in den Monaten davor rund 250 Bürgermeister aus Protest gegen die Zerschlagung öffentlicher Dienste von ihren Ämtern zurückgetreten. Die Demonstration vom vergangenen Samstag bildete die unmittelbare Fortsetzung dieser Aktion.  

Am stärksten als Berufgsgruppe vertreten waren am Sonnabend, neben den EDF-Beschäftigten, die französischen Eisenbahner. Diese traten am gestrigen Montag um 20 Uhr in den (unbefristeten, und alle 24 Stunden per Urabstimmung der Streikversammlungen verlängerbaren) Arbeitskampf. Am Dienstag früh entsprach der Erfolg des Ausstands dem, was vorher erwartet worden war. Durchschnittlich ein Drittel der Züge verkehrten (40 Prozent der Hochgeschwindigkeitszüge TGV, 28 Prozent der sonstigen Überregionalzüge). Den Gewerkschaften blies dagegen in den Medien ein ziemlich eisiger Wind entgegen. Da im März 2006 Personalratswahlen bei der Bahngesellschaft SNCF stattfinden, werden die Gewerkschaften in den Hauptmedien allgemein beschuldigt, nur aus – durch die Vorwahlperiode erklärbarer - Rivalität untereinander zu handeln. Die CGT (sie repräsentiert zur Zeit 47,1 % der Stimmen bei der Eisenbahn, und 36,3 % bei den Lokführern) wird angegriffen, sie betreibe verbale Demagogie, um ihre bisher führende Stellung gegenüber dem Herausforderer SUD-Rail (SUD Schienenverkehr, 14,8 % bei der letzten Personalratswahl der Bahngesellschaft, 22,4 % bei den LokführerInnen) zu verteidigen.

„Die Nutzer (der Bahn) werden zu Opfern der Konkurrenz zwischen den Gewerkschaften“ schreibt etwa die Regionalzeitung Sud-Ouest, derzufolge die CGT „unerträglich“ ist, während die Pariser Abendzeitung Le Monde ein bisschen moderater titelt: „SNCF: Ein Streik vor dem Hintergrund gewerkschaftlicher Rivalitäten“. Am übelsten war – einmal mehr – die rechte Boulevardzeitung France Soir: In ihrer Karikatur (in der Ausgabe vom Wochenende) sieht man einen vermummten jungen Mann im typischen Look von Banlieue-Jugendlichen, aber mit einem CGT-Button an der Jacke, der einen Molotow-Cocktail in der Hand hält. In der dazu gehörigen Sprechblase liest man: „Jetzt, wo die Banlieues sich beruhigt haben, werden wir das Feuer an die Vorstadt-ZÜGE legen“ (Hervorhebung im Original). Im Vordergrund sieht man den „Molli“ im Blickfeld, im Hintergrund die Züge.

Die Botschaft ist mal wieder klipp und klar: „Soziale Kämpfe sind gleichbedeutend mit Gewalt und Terror“. (France Soir hatte bereits während der damaligen Arbeitskämpfe bei Electricité de France, gegen die Privatisierung, im Juni 2004 mittels einer Karikatur streikende Elektrizitätswerker und „islamistische Terroristen“ miteinander verglichen...)

In Wirklichkeit haben die Gewerkschaften aber durchaus sehr konkrete Gründe. 

Hintergründe des Bahnstreiks

Ihre Hauptforderung lautet „gegen die schleichende Privatisierung der (Bahngesellschaft) SNCF“. Wie die GewerkschafterInnen bei der französischen Eisenbahn erklären, besteht bei der SNCF keine direkte Privatisierungsdrohung für die gesamte Bahngesellschaft (dies wäre politisch derzeit unmöglich durchsetzbar!) -  wohl aber werde diese vom französischen Staat „finanziell erdrosselt“, um ihre Funktionen allmählich zugunsten des Privatsektors auszudünnen. Ferner plant die Direktion zwar nicht die Börseneinführung der Bahngesellschaft SNCF oder die direkte Einführung von Privatkapîtal (was sich heute niemand trauen würde), wohl aber die Aufteilung der SNCF in unterschiedliche Einheiten, die zukünftig nach betriebswirtschaftlichen Kriterien „erfolgreich“ sein müssen. „Man beschuldigt uns, derzeit schon die Kreidestriche auf dem Boden zu ziehen, die es später ermöglichen werden, das Haus (SNCF) aufzuteilen und dann Zimmer für Zimmer zu verkaufen“, so fasst die Nummer Zwei der SNCF-Direktion – Guillaume Pepy – in Libération vom Montag, 21. 11. 05 die Kritik treffend zusammen.

Die Furcht der Beschäftigten und GewerkschafterInnen findet noch zusätzliche Nahrung, wenn man liest, dass die Fachzeitschrift für den Schienenverkehr La Vie du Rail in ihrer jüngsten Ausgabe berichtet, dass hochrangige Funktionäre im französischen Finanzministerium „über Privatisierungs-Szenarien bei der SNCF“ nachdächten (zitiert nach Libération vom 21. November).

Bereits heute beschäftigt die Webpage für Reisebuchungen bei der Bahn im Internet, www.voyages-sncf.com, ihre Mitarbeiter nach privatrechtlichen Verträgen und nicht unter dem besonderen Statut der EisenbahnerInnen – die Webpage soll aber künftig zum zentralen Pfeiler der Verkaufspolitik der Bahngesellschaft SNCF werden. Auch im Gütertransportbereich hat die SNCF eine privatrechtliche Filiale gegründet, die VFLI, die bisher noch kaum Bedeutung hat, aber künftig einen wachsenden Anteil am Waggontransport übernehmen soll. Die Direktion der Bahngesellschaft SNCF hat den Gewerkschaften aber am Vorabend des Streiks, am Montag, eine schriftliche Garantie ausgestellt, dass keine Privatisierung (noch einmal: d.h. keine direkte Privatisierung der Bahngesellschaft selbst, was ihre Aufteilung in unterschiedliche Einheiten und deren eventuelle „Verpartnerung“ mit Privatfirmen nicht aussschliebt!) geplant sei. Auch Präsident Jacques Chirac hielt am Dienstag eine entsprechende Ansprache, worin er versicherte, „niemand“ plane eine „Privatisierung der SNCF“. In den Medien wird dies als argumentative Waffe gegen den Streik benutzt, etwa im öffentlichen Radiosender France Info, der seine Berichte vom Dienstag morgen entsprechend ausgestaltet: „Obwohl die Direktion ein schriftliches Versprechen, keine Privatisierung sei vorgesehen, abgegeben und damit die Hauptforderung der CGT erfüllt hat, fing der Streik...“ Um die Mittagszeit wurden dann auch entsprechende ausgewählte Reaktionen von (verhinderten) Zugpassagieren ausgestrahlt, die in zum Teil höchst aggressivem Ton feststellten: „Die Eisenbahner streiken, obwohl sie schriftliche Garantien bekommen haben, dass es keine Privatisierung geben wird. Sie machen sich wirklich über uns lustig!“ Allerdings kamen auch einzelne andere auf dem Bahnsteig gebliebene Passagiere zu Wort, die ihrerseits groβes Verständnis für den Ausstand bekundeten („Die Eisenbahner können sich wenigstens noch zur Wehr setzen und Aufmerksamkeit erregen, in den Privatunternehmen werden die Leute einfach eingemacht“).

 Auf einem gemeinsamen Flugblatt der Gewerkschaften CGT, Force Ouvrière, SUD Rail (SUD Schienenverkehr) und FGAAC (Berufsgruppengewerkschaft der Lokführer; sie vertritt 31,8 % dieser Berufsgruppe) wird erklärt, die bisherige Preisgabe des Schienenverkehrs beim Gütertransport durch Unterfinanzierung entspreche „650.000 LKWs, die seit dem 1. Januar 2005 zusätzlich auf Frankreichs Straben rollen“. Mit schönen Grüben an die Ökologie... Eine durch die Regierung bestellte Finanzstudie (Audit) stelle zudem die Stillegung von 11.000 Streckenkilometern Eisenbahn als „nicht hinreichend rentabel“ auf den Prüfstand. Würden die Empfehlungen dieser Regierungsstudie befolgt, dann wären ganze Grobräume künftig vom Eisenbahnnetz abgeschnitten (etwa alles, was in einem Dreieck zwischen Clermont-Ferrand, Toulouse und Montpellier liegt), wie eine auf dem Flugblatt wiedergegebene Karte anschaulich aufzeigt.

Als einzige Gewerkschaften nehmen die rechtssozialdemokratische CFDT und die christliche Gewerkschaft CFTC nicht an dem heute abend beginnenden Ausstand bei der französischen Eisenbahn teil. (Von der Standesvertretung der höheren Angestellten, der CFE-CGC, möchten wir einmal absehen.)

Am Mittwoch, 23. November ruft zudem die CGT bei den Pariser Verkehrsbetrieben (RATP, Régie autonome des transports parisiens) zu einem 24stündigen Streik bei dem Metro- und Busbetreiber im Grobraum Paris auf. Die dortige Mehrheitsgewerkschaft, CGT RATP, kritisiert „die Infragestellung der öffentlichen Dienste“ und „die zunehmende Dereglementation im Transportwesen“.

Editorische Anmerkungen

Der Artikel wurde von Bernhard Schmid (Paris) am Montag, den 21. November 2005 verfaßt und am 22.11.2005 bei TELEPOLIS erstveröffentlicht und uns sodann am 23.11.2005 zur Verfügung gestellt.