Rund 100 Besucher/innen und Vertreter/innen
der sozialen Bewegungen kamen zum achten Kongress der
Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. am 19. und 20.
November in Tübingen.
Der diesjährige Kongress hatte den Titel "Friedliche Kriege? -
Die Zivilisierung des Militärischen oder die Militarisierung des
Zivilen". Die Veranstalter hatten dieses Thema gewählt, da die
Militarisierung Deutschlands und der EU meist "humanitär"
begründet wird und vormals ausschließlich zivil agierende
Akteure immer häufiger direkt und indirekt in die militärischen
Strategien eingebunden werden. Etwa die Hälfte der Besucher
waren aus dem ganzen Bundesgebiet gekommen, darunter viele
Vertreter/innen aus Friedensinitiativen und sozialen Bewegungen.
Bei der abschließenden Diskussion am Sonntag wurden
Handlungsperspektiven gegen die Demontage des Zivilen sowie
(westliche) Kriegspolitik und Militarisierung entwickelt und auf
die Gefahr eines drohenden Krieges gegen den Iran hingewiesen.
Der Kongress wurde mit einer Einführung in das Thema durch
Daniel Weitbrecht und IMI-Gründungsmitglied Tobias Pflüger,
parteiloser auf der Liste der PDS gewählter Abgeordneter im
Europaparlament eröffnet. Unter dem Titel "Neue Bedrohungen -
Neue Kriege" stellte IMI-Vorstand Jürgen Wagner politische und
wissenschaftliche Legitimationsstrategien vor, die dem sich
verstärkenden Interventionismus zu Grunde liegen. Diese Ansätze
gehen im Wesentlichen davon aus, dass die Konflikte und
humanitären Katastrophen primär durch die dortigen Akteure
selbst verschuldet seien. Nur durch westliche Militärmissionen
und die anschließende Integration in die neoliberale
Wirtschaftsordnung, so die herrschende Argumentation, sei
dauerhaft Stabilität und Entwicklung zu gewährleisten. Genau
diese Wirtschaftsordnung und die von ihr verursachte Verarmung
sind jedoch der entscheidende Faktor für die gewaltsame
Eskalation von Konflikten, kritisierte Wagner, weshalb ein
Teufelskreis von Intervention, Ausbeutung und Krieg entstünde.
Vor dem "Ende des Zivilen" warnte im Anschluss IMI-Beirat
Christoph Marischka. Westliche Militärs stünden im Einsatz immer
öfter Zivilisten gegenüber und der Umgang mit ihnen werde auch
in den Militärstrategien immer wichtiger. Um den neuen
"Bedrohungen" besser begegnen zu können, würden deshalb auch die
"Sicherheits"-Politiker und Strategen zur Effektivierung ihrer
Militär- und Kriegspolitik verstärkt auf die Integration von und
die Zusammenarbeit mit vormals rein zivilen Trägern setzen, etwa
der Entwicklungszusammenarbeit oder der humanitären Hilfe. Die
Bereitschaft zu zivil-militärischer Zusammenarbeit ermögliche
der EU erst, weltweit militärisch zu intervenieren. Solche
Kooperationen führten auch dazu, dass zunehmend militärische
Missionen aus den Töpfen für Entwicklungshilfe finanziert würden
und diskreditierten sämtliche Ansätze einer neutralen,
unabhängigen und rein zivilen Konfliktbearbeitung.
Tobias Pflüger konkretisierte dies anhand der Bundeswehr, für
die laut eigener Homepage zivil-militärische Zusammenarbeit (CIMIC,
Civil Military Cooperation) ein integraler "Bestandteil der
militärischen Operationsführung im Ausland" ist. CIMIC hat im
Ergebnis nichts mit humanitärer Hilfe zu tun und dient
ausschließlich "der Unterstützung und Effektivierung von
Militäroperationen", wie Pflüger anhand von Bundeswehrdokumenten
nachwies. Ein zentrales Element des Konzeptes sei insbesondere
die Förderung der Marktwirtschaft, womit der Ausverkauf
einheimischer Industrie an westliche Investoren einhergehe.
Besonders deutlich werde der Mechanismus anhand des Beispiels
Afghanistan, weshalb ein sofortiger Rückzug der deutschen
Truppen zu fordern ist. Insbesondere dass Deutschland im Zuge
der dortigen Einsätze weiterhin einen Stützpunkt im usbekischen
Termez betreibt ist ein Skandal. Termez wird - obwohl ein rein
deutscher Stützpunkt - von Truppen aus NATO- und EU-Ländern als
zentraler Umschlagplatz genutzt. Die Bundeswehr arbeitet dort
eng mit einem Land zusammen, das schwerste
Menschenrechtsverletzungen begeht. Deshalb hat die EU Sanktionen
gegen Usbekistan verhängt. Dieser Bundeswehr-Stützpunkt muss
umgehend geschlossen werden, so die Forderung Pflügers.
Im Abendvortrag referierte TAZ-Redakteur Andreas Zumach über die
"UN als Spielfeld der großen Mächte". In einem geschichtlichen
Abriss machte er die Dominanz der USA sowohl im Sicherheitsrat
als auch in der Vollversammlung deutlich. Vor allem die
fortschrittlicheren Elemente der jüngsten UN-'Reform'bemühungen
wären durch die USA, vertreten durch US-Botschafter John Bolton
blockiert worden. Besonders warnte Zumach vor der dramatischen
Erosion des Völkerrechts, die sich insbesondere in den Versuchen
zeige, dass völkerrechtlich verbindliche Angriffsverbot immer
weiter zu untergraben. In der anschließenden Diskussion mit dem
Publikum wurden vor allem Fragen zur eskalierenden Strategie
gegenüber dem Iran laut. Zumach machte auf die eskalierende
Rolle der EU gegen den Iran aufmerksam. Er warnte eindringlich
vor der Gefahr eines atomaren Regionalkriegs.
In der Fortsetzung des Kongresses am Sonntagmorgen beschrieb
Claudia Haydt, Vorstandsmitglied der IMI, am Beispiel
Afghanistan wie problematisch sich die Praxis
zivil-militärischer Zusammenarbeit darstellt. Entwicklungshilfe
werde inzwischen primär zur marktwirtschaftlichen
Umstrukturierung nicht zur Armutsbekämpfung genutzt, wie aus
Papieren des Auswärtigen Amtes hervorgehe. Damit ein solcher
"Wiederaufbau" funktionieren könne, seien aber zivile Experten
unerlässlich, die allerdings eng an militärische Strukturen
angebunden seien und von der afghanischen Bevölkerung de facto
als Teil des Besatzungsregimes wahrgenommen würden.
Welche Auswirkung diese bedenkliche Verquickung habe, zeige ein
Anschlag, bei dem 5 Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen ums Leben
kamen. Dieser Anschlag stand im direkten zeitlichen Zusammenhang
zur Verteilung eines Flugblattes, in dem die ISAF, also der
militärische Arm des Besatzungsregimes, die Bevölkerung zur
Unterstützung ihrer Operationen aufgefordert hatte. Dies sei
notwendig, um "zu gewährleisten, dass humanitäre Hilfe auch
weiterhin bereit gestellt wird". Dieses Beispiel verdeutlicht
drastisch, wie humanitäre Hilfe zunehmend für militärische Ziele
instrumentalisiert werde und welche Gefahren hierdurch
entstünden, so Haydt.
Anschließend führte Jürgen Wagner am Beispiel des Sudan aus, wie
westliche und vor allem deutsche Interessenspolitik fast
zwangsläufig zu einem Bürgerkrieg und damit einer humanitäre
Katastrophe führen wird, in den dann aus angeblich moralischen
Gründen militärisch eingegriffen werden müsse. Ein unter
westlichen Interventionsdrohungen zustande gekommenes
"Friedensabkommen", so Wagner, beinhalte, dass sich der Südteil
des Landes im Jahr 2011 abspalten könne. Sämtliches Öl des Sudan
befinde sich im Süden, werde aber derzeit noch ausschließlich
über den Norden abtransportiert, was augenblicklich eine
Abspaltung unmöglich macht. Aus diesem Grund sei ein deutsches
Investitionsprojekt (unter Leitung der deutschen Firma
Thormählen) in Höhe von 8 Mrd. Dollar, eingefädelt von
Bundeskanzler Gerhard Schröder, "staatliche Sezessionshilfe", so
Wagner, da hierdurch die Voraussetzungen für eine Abspaltung
geschaffen würden. Am Beispiel Sudan zeige sich, dass deutsche
Wirtschaftsinteressen und deutsche Militäreinsätze Hand in Hand
gingen.
In der Abschlussdiskussion stellten Vertreter der sozialen
Bewegungen ihre Projekte vor. IMI-Beirat Johannes Plotzki führte
durch eine Schilderung der Verhältnisse im mexikanischen
Bundesstaat Chiapas in die Diskussion ein und zeigte anhand des
Projektes "Prodesis" die dortige "zivile" Einflussnahme der EU
auf.
Auf dem Abschlusspodium, präsentierten unter anderem das
Netzwerk Peoples Global Action (Marc Amman), eine Kampagne gegen
den Militärstandort Spangdahlem (Markus Pflüger von der
AGF-Trier) und ein Fahrradmarathon gegen Militärstandorte
(Roland Blach von der DFG-VK), ihre praktische Arbeit. Claus
Schreer vom Bündnis gegen die NATO-Sicherheitskonferenz in
München rief zur Beteiligung an den Protesten gegen die
Münchener Sicherheitskonferenz am 3. und 4. Februar auf. Danach
wurde mit breiter Beteiligung diskutiert, mit welchen Themen
sich die Friedens- und Antikriegsbewegung in der nächsten Zeit
auseinandersetzen sollte.
Dabei wurde die Notwendigkeit betont, rechtzeitig einem Krieg
gegen den Iran entgegenzuwirken und den Abzug der Bundeswehr aus
Afghanistan zu fordern. Hierfür soll, in einem ersten Schritt
die Schließung des in Usbekistan befindlichen
Bundeswehr-Stützpunktes Termez gefordert werden.
Der EU-Verfassungsvertrag werde mit der EU-Präsidentschaft
Österreichs (2006) wieder auf die Agenda rücken. Die
Militarisierungskomponenten werden bereits gegenwärtig
unabhängig vom Scheitern des Ratifizierungsprozesses und teils
ohne Rechtsgrundlage umgesetzt.
Wiederholt wurde von den Teilnehmer/innen in der Debatte
gefordert, dass innerhalb der Friedens- und Antikriegsbewegung,
aber auch in humanitären Organisationen und der
Entwicklungshilfe eine intensive Debatte über zivil-militärische
Zusammenarbeit angestoßen werden müsse. Der Sachverhalt lässt
sich auf den Begriff des Missbrauchs von Entwicklungshilfe für
Militäraktionen bringen. Dies ist die einzige Möglichkeit, eine
Demontage des Zivilen zu verhindern und antimilitaristische oder
militärkritische Positionen zu erhalten.
Diese Positionen fanden breite Zustimmung, so dass sich die
Ergebnisse des achten IMI-Kongress mit den vier Kernforderungen
zusammenfassen lassen:
-
Keine Eskalationsstrategie gegenüber dem Iran
-
Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan
-
Keine Militarisierung der EU
-
Keine Zusammenarbeit mit dem Militär, auch
nicht im Rahmen vermeintlich "ziviler" Krisenprävention.
Editorische Anmerkungen
Der Artikel wurde
gespiegelt von Indymedia am 23.11.05
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