Betrieb & Gewerkschaft
Die Situation nach dem Ende des Kampfs um die Schifffahrtsgesellschaft SNCM
Und: Zum französischen Billigflaggenregister RIF
 
von
Bernhard Schmid
11/05

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Kaum war der 23tägige Arbeitskampf bei der Schifffahrtsgesellschaft SNCM mit einer schweren Niederlage zu Ende gegangen (trend.infopartisan berichtete), d.h. ohne die Privatisierung von zwei Dritteln der Gesellschaftsanteile verhindern zu können und ohne Bezahlung der Streiktage, kreisen auch schon die Aasgeier des bürgerlichen Journalismus über der „Affäre“. Nach der offenen Kraftprobe - die durch die nackte Drohung „Entweder Beendigung des Streiks oder Konkurs und Entlassung aller 2.400 Beschäftigten“ entschieden wurde - folgt jetzt die ideologische Großoffensive, um (wie jemand anders es nennen würde) „Herzen und Köpfe“ für die gerechte Sache der Privatisierung zu gewinnen. Wenn dabei eifrig mit Dreck geworfen und Nebel verbreitet werden muss, stört das dabei auch nicht weiter. 

Eine Überschrift in der Blattrubrik „Unternehmen“ der Pariser Abendzeitung „Le Monde“ vom 19. Oktober resümiert die ideologische Großoffensive hervorragend. (Dieser umbenannte Teil der Zeitung, der früher „Wirtschaft“ hieß und jetzt auf den Namen „Unternehmen“ – im Plural – hört, umfasst den offen neoliberalen Flügel von „Le Monde“. Dagegen steht die Rubrik „Gesellschaft“ eindeutig eher links, während der Auslandsteil von wechselnder Orientierung und Qualität ist.) Dort liest man am Abend des 18. Oktober auf zwei Dritteln einer Zeitungsseite: „Die Ernennung eines Präsidenten der SNCM durch (Anm.: die neue Betreiberfirma) Connex könnte Jahren der Misswirtschaft ein Ende setzen.“ Die Botschaft ist klar: Mit der Privatisierung wird jetzt endlich alles gut! Keine Rede ist auf den folgenden vier Zeitungsspalten selbstverständlich von der Misswirtschaft – der Privatfirma Connex selbst, die es immerhin geschafft hat, den von ihr übernommenen Teil des privatisierten britischen Eisenbahnnetzes derart miserabel zu verwalten, dass es selbst der Blair-Regierung zu bunt wurde und ihr die Lizenz entzogen wurde (trend.infopartisan berichtete). - Die privaten Übernehmer, Connex und der Investmentfonds „Butler Capital Partners“, sollen jetzt innerhalb von zwei Monaten ihren Platz bei der SNCM einnehmen. Ihnen wird bereits jetzt garantiert, dass sie auch nach der Privatisierung weiterhin öffentliche Subventionen für den Touristentransport kassieren werde, im Namen der Strukturförderung für Korsika. 

Begonnen hatte die ideologische Offensive am Samstag, 15. Oktober – die Fährschiffe der SNCM liefen soeben wieder aufs Meer aus – mit dem Interview eines ehemaligen Generaldirektors der SNCM auf dem Kabelfernsender LCI (La chaîne info). Der ehemalige Generaldirektor, der 14 Monate lang an der Spitze der SNCM gestanden hatte (und sein Amt mit den Worten gegenüber den Beschäftigten angetreten hatte: „Ich verspreche Euch Blut und Tränen“), ließ sich dort lang und breit über – angebliche – Korruption, Misswirtschaft und Geldverschwendung in dem öffentlichen Unternehmen aus. Freilich nicht über die eigene: Derselbe Ex-Generaldirektor hatte beispielsweise zu seinem Amtsantritt die gesamte, neue, Büroeinrichtung herausreißen und komplett neu einsetzen lassen. Der offiziell zur Verfügung stehende Dienstwagen war ihm nicht genug gewesen, er hatte zusätzlich noch ein Dienst-Motorrad verlangt. Dagegen fand er es „unverschämt“, dass die Beschäftigten der SNCM ihren Jahresurlaub gern bevorzugt im Sommer beantragen – dann hat die Schifffahrtsgesellschaft zwar Hochsaison, aber die Kinder der Beschäftigten haben eben auch dann ihre Schulferien. 

Am Montag, 17. Oktober legte die Boulevardzeitung „Le Parisien“ mit einer angeblichen gewaltigen Enthüllungsstory nach und breitete aus, dass „Seeleute und Gewerkschaften“ sich aus Geldern aus dem Speisen- und Getränkeverkauf an Bord bedient hätten. „Manche“, so fährt der gar erschröckliche Enthüllungsreport fort, „zögerten anscheinend auch nicht, sich aus den Lebensmittelvorräten der Kompagnie zu bedienen“. Dahinter scheint sich allerdings nicht viel mehr als die „furchtbare“ Tatsache zu verbergen, dass Mitarbeiter der Bordkantinen verderbliche Lebensmittel vor dem Verfallsdatum, die am Ende einer Reise hätten weggeworfen werden müssen, lieber vorher selbst verzehrten... 

Eine Gesamtschau der Vorwürfe (die namentlich im „Parisien“ vom 17. Oktober und in „Le Monde“ vom 19. Oktober ausgebreitet werden) ergibt,  dass ein ziemliches Amalgam vorgenommen wird aus Affären, die Einzelpersonen, aber nicht das Personal der SNCM als solches betreffen, und angeblichen strukturellen Problemen. So scheint es ein Bestechungssystem gegeben haben, das dazu beitrug, mitgeführte Autos auf den Fähren der SNCM unter Wert zu deklarieren und so (teilweise illegal) nach Algerien einzuführen. Es wäre auch extrem verwunderlich gewesen, wenn es keine solche Bestechungsversuche gegeben hätte, da der Schwarzmarkt zwischen 30 und 40 Prozent der Wirtschaftsaktivität Algeriens ausmacht! (Was wiederum seinen Platz in der internationalen Arbeitsteilung widerspiegelt, als reiner Öl- und Gaslieferant, der ansonsten - auf legalen und illegalen Wegen - mit Waren westlicher bzw. nördlicher Provenienz überschwemmt wird. Versuche Algeriens, aus dieser „Nische“ in der internationalen Arbeitsteilung auszubrechen, wurden durch die wirtschaftlichen Großmächte aktiv vereitelt...) Deswegen wurden in der Vergangenheit einzelne Beschäftigte der SNCM teils von ihrem Posten abberufen (194), teils auch verhaftet und der Justiz vorgeführt (2004). Nur, diese Angelegenheit hat nichts mit einer strukturellen, systemhaften Misswirtschaft bei der SNCM als solcher zu tun! Ähnlich steht es um eine Erpressungsaffäre, die ein Betriebsrestaurant der SNCM in Aubagne (bei Marseille) betrifft. Dabei handelte es sich um eine versuchte Erpressung durch Banden bewaffneter korsischer Nationalisten, die jedoch völlig außerhalb des Unternehmens standen und mit dessen Personal nichts zu tun hatten. 

Das Einzige, was an halbwegs Greifbarem und Solidem von den Vorwürfen übrig zu bleiben scheint, ist der (bisher nicht bewiesene!) Verdacht, dass ein Verkäufer in einer Bar an Bord des SNCM-Fährschiffs „Méditerranée“, der auf einer Liste der CGT zum (durch die Beschäftigten bestimmten) betrieblichen Vertrauensmann gewählt wurde, möglicherweise in die Kasse gegriffen habe. Aufgrund dieses Verdachts, der im April 2005 aufkam, wollte die Direktion ihn damals kündigen, kam aber damals auf juristischem Wege nicht damit durch. 

Übrigens: Wer einmal richtig herzhaft lachen will, kann sich in dieser Sache den Blog der durchgeknallten deutschen Ex-Linken und (laut eigenen Angaben vom September 2005) jetzigen FDP-Wählerin Gudrun Eussner vornehmen. Es handelt sich um eine deutsche Dame, die ihre Rente in Perpignan verjubelt und sich deswegen im Internet als vermeintliche (freilich vollkommene ahnungslose) „Frankreichspezialistin“ aufführt. Um den eventuellen LeserInnen, die sich auf ihre Homepage (www.eussner.net) verirren sollten, zu suggerieren, die Privatisierung der SNCM sei (im Namen „des Steuerzahlers“) das Allheilmittel gelesen, schreibt sie am 18. Oktober mühsam Zeile um Zeile die Vorwürfe aus der Boulevardpresse ab. Und fantasiert dann, da es ja irgendwie auch um den Maghreb geht, munter auf eigene Faust weiter, dass „vielleicht sogar islamistische Terroristen“ (in ihrem Weltbild, wie sich aus anderen Blogbeiträgen ergibt, bildet die globale islamische Bedrohung das dräuende absolute Böse auf der Welt) von einem angeblichen gigantischen Bestechungsnetzwerk bei der SNCM profitiert hätten. Das hatte bis dahin noch niemand behauptet... aber der Fantasie sind freilich keine Grenzen gesetzt. Vielleicht hat ja auch jemand an geeigneter Stelle den Tipp bezüglich künftig noch möglicher Propagandaregister vernommen. A propos, Ossama Bin Laden soll auch gern seinen Urlaub auf den Fähren der SNCM verbracht haben...

Die Gewerkschaften nach der Niederlage gegen die Privatisierungsdrohung 

Nachdem der spektakuläre Arbeitskampf bei der SNCM mit einer dramatischen Niederlage endete, sind die Gewerkschaften gespalten. Die „moderaten“ Gewerkschaften, allen voran die populistische FO (Force Ouvrière) und die christliche CFTC, hatten bereits mehrere Tage vor der Niederlage zur Wiederaufnahme der Arbeit aufgerufen. Obwohl sie nur marginale Bedeutung in den Reihen des SNCM-Bordpersonals mit Ausnahme der Bordoffiziere haben, trugen sie damit erheblich dazu bei, dass sich die Berichterstattung der örtlichen und überregionalen Medien immer spürbarer gegen die (weiterhin) Streikenden zu drehen begann. 

Die CGT bildete die Hauptträgerin des Streiks, war dabei aber auch erheblichen inneren Spannungen unterworfen. Ihre Pariser Führung unter Bernard Thibault versuchte bereits eine knappe Woche vor dem Streikende einen Kompromiss (rund um die Beibehaltung einer Minderheitsbeteiligung der öffentlichen Hand) einzufädeln, während die örtliche CGT dies noch ablehnte. Seit dem Streikende, das die CGT aber allenthalben als „keine Niederlage, sondern nur eine Unterbrechung zwecks Übergang zu anderen Kampfformen“ zu verkaufen versucht, wurden aber die zu Tage getretenen Widersprüche – jedenfalls nach außen hin – vollkommen überdeckt.  

Die Marseiller CGT lud den frankreichweiten Generalsekretär, Bernard Thibault, am vorigen Samstag (15. Oktober) zur örtlichen Demonstration „für die Verteidigung der öffentlichen Dienste“ ein. An ihr nahmen, laut Angaben der CGT (die aber die Teilnehmerzahlen oft aufbläht), 15.000 Personen teil. Aber, jedenfalls laut örtlichen Beobachtern aus der radikalen Linken, „nur wenige Dutzend Beschäftigte der SNCM“. Die anderen scheinen sich nach der Niederlage vorerst zurückgezogen zu haben. Aus der radikalen Linken wird der CGT heute vor allem vorgeworfen, dass sie sich nicht rechtzeitig und nicht ausreichend um eine Ausweitung des Streiks, etwa auf die Beschäftigten des Energieversorgungsunternehmens EDF (dem akut die Börseneinführung droht) und die Eisenbahner, bemüht hat.  

Die korsisch-nationalistische Gewerkschaft STC (Syndicat des travailleurs corses) und ihre Seeleute-Organisation ihrerseits hatte am Nachmittag des Donnerstag (13. Oktober) – am selben Tag wie die CGT – zur Wiederaufnahme der Arbeit aufgerufen. Freilich hatte sie Sorge getragen, dass die CGT ihre Basis vor den eigenen Leuten abstimmen ließ.-Deswegen können die korsisch-nationalistischen Gewerkschafter jetzt, relativ bequem, der CGT allein den Schwarzen Peter zuschieben und von „Verrat der CGT“ sprechen. Die eigenen Vorschläge des korsisch-nationalistischen Gewerkschaftsbunds STC für die Zukunft der Schifffahrtsgesellschaft wirken freilich reichlich kurios, wenn nicht lachhaft komisch. So schlägt der STC vor, die öffentliche Transportgesellschaft SNCM solle vom französischen Staat auf die Region Korsika (die freilich ein weitaus geringes Steueraufkommen, aus dem ihr Unterhalt finanziert werden müsste, aufweist) übertragen werden. Um die Attraktivität der Fährlinien der SNCM zu erhöhen, schlägt die korsisch-nationalistische Gewerkschaft allen Ernstes vor, verstärkt „korsische Volkslieder“ auf den Schiffen erklingen zu lassen sowie „die Reichhaltigkeit der korsischen Sprache“ durch Angehörige der einzigen Universität auf Korsika (in Corte) darstellen zu lassen. (Zitiert nach „Le Canard enchaîné“ vom 19. Oktober). Folkloristische Beschwörung statt Politik: So einfach kann man es sich auch machen!  

Das französische Billigflaggenregister RIF 

Zu den bescheidenen Zugeständnissen der französischen Regierung, die im Zuge der Beendigung des Streiks abgegeben wurde, gehört die Aufnahme von „Gesprächen“ mit den Reederverbänden über die Konsequenzen des neuen französischen Billigflaggenregisters RIF für die Schifffahrtsgesellschaft SNCM. Die Informationen, die dazu bisher in Labournet wiedergegeben wurden, sind noch unvollständig, bzw. an einem Punkt fehlerhaft, da die Einrichtung des Billigflaggenregisters RIF nicht erst geplant ist – sondern bereits Wirklichkeit wurde. Hier also genauerer Informationen zu diesem brisanten Punkt. 

Die Einrichtung des RIF (Registre international français) wurde im März/April 2005 vom französischen Parlament abgesegnet und bedeutet, dass Schifffahrtsunternehmer bis zu 75 Prozent Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Ländern zu Löhnen und Arbeitsbedingungen ihrer Herkunftsländer beschäftigen können. Im April 2005 hatten die Beschäftigten der SNCM bereits 17 Tage gegen diese „Bolkestein-Richtlinie auf dem Wasser“ (so die CGT) gestreikt. Damals versprach die französische Regierung noch (um diesen Arbeitskampf zu beenden), sie wolle dafür Sorge tragen, dass die Dumpingarbeit-Richtlinie nicht auf die Schiffsverbindungen zwischen Frankreich und dem Maghreb Anwendung finde. Davon ist aber jetzt, nach dem Ausgang des Arbeitskampfs bei der SNCM, in der Form gar nicht mehr die Rede.

Die Regierung sagt nunmehr zu, in Diskussionen mit den Reedereiverbänden zu „versuchen“, dass diese Legalisierung von Billigarbeit nicht auf die SNCM angewendet, sondern diese allein (!) ausgenommen wird. Jedenfalls für die Fährverbindungen der SNCM zwischen dem französischen Festland und Korsika will die Pariser Regierung dafür Sorge tragen, dass das RIF keine Anwendung findet: für die Schifffahrtslinien der SNCM zwischen Frankreich und den Maghrebländern will die Regierung dies nach bisherigem Bekunden lediglich probieren. 

„Wenn aber allein die SNCM weiterhin Arbeitskräfte mit französischen Tarifverträgen beschäftigt und ihre Konkurrenten philippinische Seeleute zu Dumpinglöhnen einstellen können, hat die Gesellschaft keinerlei Überlebenschance“, fürchtet die Tageszeitung L’Humanité (Wochenendausgabe vom 15./16. Oktober). Bereits heute ist die SNCM unter anderem deshalb finanziell angeschlagen, weil ihr Hauptkonkurrent (die Gesellschaft „Corsica Ferries“) zwar im französisch-korsischen Bastia ansässig ist, aber Seeleute mit italienischen Arbeitsverträgen einstellen kann – zu Bruttolöhnen, die um 30 Prozent darunter liegen.

Editorische Anmerkungen

Der Autor übergab uns seinen Artikel am 2.11.2005 zur Veröffentlichung in der Fassung von Ende Oktober 05