Die Demokratisierungsbemühungen von Mahmud Abbas
Gewaltverzicht zur Erlangung eines palästinensischen Staates

Von
GegenStandpunkt Marburg
11/05

trend onlinezeitung
Die palästinensische Politik hat seit der Wahl von Abbas zum Präsidenten im Januar 2005 einen neuen Kurs eingeschlagen: Während Arafat die bewaffnete Intifada als einzig wirksames Mittel zur Beendigung der Okkupation durch Israel ansah, lehnt sein Nachfolger den bewaffneten Kampf ab. Angesichts der massiven kriegerischen Reaktion des übermächtigen Gegners und der Verurteilung des Widerstands als Terrorismus durch die USA hält er dieses Mittel für untauglich. Darum erklärt er den Krieg von palästinensischer Seite aus für beendet:

"... jeder Krieg hat ein Ende ... jetzt ist die Zeit, sich an den Verhandlungstisch zu setzen." (Abbas im Interview, NYT, 14. 02. 2005)

Das Staatsgründungsprojekt der Palästinenser will er damit aber nicht aufgeben, sondern den seines Erachtens einzig möglichen Weg dorthin einschlagen: Mit seiner freiwilligen Unterordnung unter die globale "Bekämpfung des Terrors" und der Einführung demokratischer Strukturen hofft er den USA ein Angebot zu machen, das sie aufgreifen werden. Er setzt darauf, daß Bush die Gründung eines palästinensischen Gemeinwesens neben Israel, das sich im Sinne der amerikanischen Anforderungen reformiert, gegen die Regierung in Jerusalem durchsetzt. Auf diesen Antrag reagiert die Weltaufsichtsmacht zunächst auch positiv, Abbas wird nach Washington eingeladen und mit viel Lob bedacht:

"Die Wahl von Präsident Abbas vor vier Monaten ist ein Zeichen für die Anerkennung der Attraktivität und der Stärke der Demokratie ... in der ganzen Region. Die Palästinenser stimmten gegen die Gewalt und für die Souveränität, weil nur der Sieg über die Gewalt zur Souveränität führt. ... Wir werden Ihnen zur Seite stehen, Herr Präsident, wenn Sie die Korruption bekämpfen, den palästinensischen Sicherheitsapparat und das Justizsystem reformieren und Ihre Wirtschaft wieder beleben." (Ansprache Bushs beim Besuch von Abbas, Jordan Times, 27. 05. 2005)

Die Erfüllung der Bedingungen, die Bush dem Besuch aus Ramallah stellt, ist allerdings nicht ganz einfach. Abbas soll die militanten Palästinenser entwaffnen und hinter Gitter bringen, obwohl er noch nicht einmal über einen dafür geeigneten Sicherheits- und Justizapparat verfügt. Dennoch soll er das sorgfältig austarierte System von Polizeikräften, Milizen und Geheimdiensten - unter Arafat eine relativ verläßliche Stütze der Autonomiebehörde - abschaffen, um es durch ein aus Sicht Washingtons übersichtlicheres und vertrauenswürdigeres zu ersetzen.

Die USA verlangen neue Figuren in der politischen Führung, denen sie größere Kooperationsbereitschaft zutrauen, und "vollständige Transparenz" in der Verwaltung der Gelder, über die die Autonomiebehörde verfügt. Zudem wird eine "Wiederbelebung der Wirtschaft" verlangt, was nicht eines gewissen Zynismus entbehrt: Schließlich lebt das Gros der Palästinenser entweder von Tagelöhnerei bei israelischen Arbeitgebern - soweit das die israelische Regierung überhaupt noch erlaubt - oder von Zuwendungen des UNO-Flüchtlingshilfswerks.

Zu den dezidierten Forderungen des palästinensischen Präsidenten: "volle Souveränität über die Grenzen, die territorialen Gewässer und den Luftraum ... einzurichten" (FAZ 25. 04. 2005) und die Einhaltung der UN-Resolution 194 - das Recht der Flüchtlinge auf Rückkehr oder Entschädigung - äußert sich sein amerikanischer Amtskollege gar nicht erst. Zu mehr als einer Empfehlung an Scharon, ein lebensfähiges Staatswesen für die Palästinenser nicht schon im Vorfeld zu verbauen, ist Bush nicht bereit.

Die US-Regierung hat kein positives Interesse an der Gründung eines souveränen palästinensischen Staates, schon gar nicht in den Dimensionen, die die Palästinenser fordern. Sie ziehen bestenfalls die Gründung eines palästinensischen Homelands in Betracht, das sich bloß deshalb "Staat" nennen darf, weil es von den USA und ihren Verbündeten, vor allem aber von Israel kontrolliert wird.

Entscheidend ist für Bush, die Stellung Israels als verläßliche Kontrollmacht in der Region zu festigen. Darum sollen zur Beilegung des Nahostkonflikts auch in erster Linie die arabischen Nachbarn ihre Haltung zu Israel und der amerikanischen Aufsichtsmacht ändern. Bevor Israel in die Pflicht genommen wird, sind erst einmal die arabischen Staaten gefordert:

"Die arabischen Staaten müssen konkrete Maßnahmen treffen, um ein dem Frieden förderliches regionales Umfeld zu schaffen. Sie müssen finanzielle Hilfe anbieten, um die Friedensbemühungen von Präsident Abbas zu unterstützen. Und sie müssen sich weigern, Terroristen zu helfen oder Unterschlupf zu gewähren." (ebd.)

Wie der Lohn dafür ausfallen wird, läßt die Bush-Regierung ganz bewußt im Ungewissen. Der einzige Fortschritt, den Abbas für sich verbuchen kann, ist, daß ihm die Feindschaft Amerikas vorerst erspart bleibt - solange die USA auf ihn als "Hoffnungsträger" setzen.

Um sich diese Position zu erhalten, als Basis für die Schaffung eines möglichst eigenständigen palästinensischen Staates in den um möglichst wenig Territorium reduzierten Grenzen von 1967, kommt Abbas den Forderungen der USA nach. Er handelt unter Vermittlung der ägyptischen Regierung mit den militanten palästinensischen Gruppen einen Waffenstillstand aus.

Mit Israel vereinbart er die Zusage, daß es die Razzien und Liquidierungsaktionen gegen Hamas und Dschihad einstellt und nur noch "tickende Zeitbomben" ausschaltet, also Attentäter auf dem Wege zur Tat. Er wechselt die Führung der Sicherheitsdienste aus und unterstellt sie einem neuen Innenminister. Das Finanzwesen wird neu geordnet, Kommunalwahlen werden durchgeführt und Parlamentswahlen angesetzt. Um den reibungslosen Abzug Israels aus dem Gazastreifen zu garantieren, stellen sich die palästinensischen Sicherheitskräfte als lebende Schutzschilde zwischen die eigene Bevölkerung und die abziehenden Israelis.

Abbas' Hauptziel ist, die radikalen Kräfte in den politischen Prozeß zu integrieren, um den USA zu beweisen, daß ein friedlicher Palästinenserstaat möglich ist, wenn Israel seinerseits den Krieg beendet und dessen Gründung zuläßt. Dafür braucht er die Unterstützung seiner eigenen Leute wie die der radikalen Gruppen, die Kooperation Israels und schließlich die Hilfe Ägyptens, der "internationalen Gemeinschaft" und vor allem der Vereinigten Staaten.
Er führt also einen Kampf an drei Fronten und muß sich mit Ansprüchen der jeweiligen "Partner" arrangieren, die sich wechselseitig ziemlich ausschließen:

  1. Mit Israel führt Abbas eine ziemlich hoffnungslose Auseinandersetzung über die Bedingungen, unter denen es überhaupt bereit ist, den von Amerika erwünschten Prozeß "vertrauensbildender Maßnahmen" einzuleiten und fortzuführen. Er ist damit konfrontiert, daß die israelische Seite mit ihrer offensiven Sicherheitspolitik alle Bemühungen der Palästinensischen Autonomiebehörde um die Befriedung ihres Gemeinwesens und ein einvernehmliches Stillhalteabkommen mit den Radikalen regelrecht sabotiert. Und wenn er dann mit seinen Bemühungen scheitert, muß er sich von allen Seiten Schwäche und Unzuverlässigkeit nachsagen lassen. Dabei behält Israel stets das Heft in der Hand: Liquidierungen und Razzien mit Massenverhaftungen werden je nach israelischem Bedarf durchgezogen und Fortschritte bei der Entwaffnung radikaler Gruppen eingefordert, bevor es mit der "Vertrauensbildung" weitergehen könne. Gleichzeitig verhindert die israelische Regierung, daß die palästinensische Polizei mit längst bereitgestellten Waffen ausgerüstet wird, um ihrer Aufgabe, Anschläge gegen Israel zu unterbinden, gerecht werden zu können. Selbst die Bekämpfung gewöhnlicher Verbrechen, die wegen der katastrophalen Versorgungslage rapide zunehmen, ist kaum möglich.

  2. Der Palästinenser-Präsident ist dabei in jeder Hinsicht auf Hilfe aus dem Ausland angewiesen: aus Ländern, die auf politischem Wohlverhalten als Vorbedingung für Hilfeleistung bestehen und bei den Kriterien für solches Wohlverhalten weitgehend der Lesart Israels folgen. Allen seinen Unterstützern muß Abbas daher beständig Gutwilligkeit und Erfolge bei der Gleichschaltung seines Gemeinwesens vorweisen, wobei es ihm für ein solches Programm an den dafür notwendigen Mitteln fehlt. So nimmt Ägypten den "Friedensprozeß" als Gelegenheit wahr, sich als regionale Ordnungsmacht ins Spiel zu bringen; die EU-Staaten und Rußland bieten Abbas finanzielle Unterstützung an, um ihren Einfluß in der Region zu wahren, wollen aber auch Konflikte mit der obersten Weltaufsichtsmacht vermeiden. Die USA nehmen derweil die Oberkontrolle aller Beteiligten wahr: General Ward überwacht den Umbau der Sicherheitsapparate, der ehemalige Weltbank-Präsident Wolfensohn überprüft die Vorschläge der Palästinensischen Autonomiebehörde, die diese zur Linderung der unerträglichen Lebensverhältnisse infolge des Mauerbaus macht und koordiniert die Pläne für die Nutzung der freigewordenen Gebiete im Gazastreifen. Das Hauptaugenmerk der USA richtet sich aber darauf, den Einfluß der Hamas zu bremsen. Nach deren Erfolgen bei den Kommunalwahlen zu Beginn dieses Jahres drängt Washington Abbas, die Parlamentswahlen um ein halbes Jahr zu verschieben. Bis dahin soll er die Entwaffnung der militanten Gruppierungen vorantreiben und den Sieg gemäßigter Kräfte bei dem anstehenden Urnengang sicherstellen.

  3. In seiner eigenen Fraktion, der Fatah, hat Präsident Abbas es mit alten Kadern zu tun, die im Verzicht auf den bewaffneten Kampf nicht einen neuen Weg zu einem palästinensischen Staat, sondern die Preisgabe der "palästinensischen Sache" überhaupt sehen: eine Unterwerfung unter israelisches Diktat und die Anerkennung der Pflicht, als verlängerter Arm israelischer Sicherheitsinteressen zu fungieren. Alle Palästinenserfraktionen haben zwar im März die "Kairoer Erklärung" unterschrieben, in der ein Waffenstillstand festgelegt wurde. Gleichzeitig verpflichten sich die Unterzeichner aber auf das Ziel "eines souveränen palästinensischen Staates mit Jerusalem als Hauptstadt" und das "Recht der Flüchtlinge auf Rückkehr in ihre Heimat zu ihren Besitztümern". Sie unterstreichen das "Recht auf Widerstand" und fordern die "Freilassung aller palästinensischen Gefangenen". Je mehr sich Israel weigert, seine Versprechen einzuhalten, desto brüchiger wird der Waffenstillstand, desto schärfer wird gleichzeitig die Kritik an Abbas als "Handlanger der USA" und desto offensiver wird die Autorität der palästinensischen Regierung in Frage gestellt.

Die Bemühungen des palästinensischen Präsidenten, Hamas und Dschihad in eine "Regierung der nationalen Einheit" einzubinden, sind folgerichtig gescheitert. Die Hamas will sich nicht mit einer Politik gemein machen, bei der der Gazastreifen in ein "großes Gefängnis" für Palästinenser verwandelt wird. Sie wären bereit "das Existenzrecht Israels anzuerkennen", aber nur, wenn die Palästinenser dafür "einen souveränen Staat mit Jerusalem als Hauptstadt" erhalten, mit weniger wollen sie sich nicht zufrieden geben.

Vor der Wahl kommt eine Unterordnung unter die amtierende Regierung schon gleich nicht in Betracht. Daß sie sich im Falle einer Niederlage der auf Amerika ausgerichteten Politik unterordnen würden, versprechen sie nicht und ihre Waffen wollen sie auch nicht abgeben, bevor "Israel alle besetzten Gebiete geräumt hat". Den Waffenstillstand während des Abzugs der Israelis aus dem Gazastreifen halten sie nur deshalb ein, weil sie keine "nationale Katastrophe" (ein Hamas-Sprecher) wollen. Noch während des Rückzugs feiert die Hamas mit martialischen Aufzügen ihrer "Volksarmee" den Rückzug Israels als Sieg ihres Widerstandes und droht damit, die freigewordenen Gebiete zu besetzen, damit nicht die Palästinensische Autonomiebehörde im Alleingang entscheidet, was aus ihnen wird.

In dieser Lage versichert Präsident Abbas, "Es komme keineswegs zu einem Bürgerkrieg".

Da stellt sich allerdings die Frage, woraus sich eigentlich seine Zuversicht speist. Jedenfalls nicht daraus, daß die Gegensätze zwischen den Parteien nicht genug Grund für einen Bürgerkrieg abgäben; schon eher daraus, daß es machtvolle äußere Kräfte gibt, die ihn unterbinden wollen. Letztlich vertraut Abbas auf die Einsicht der radikalen Gruppen, daß sie diesen Bürgerkrieg nicht gewinnen können, daß er vielmehr Israel in die Hände spielen und zu einer "nationalen Katastrophe" führen würde.

Insofern gibt es doch noch Chancen für Wahlen in seinem Sinne.

 

Editorische Anmerkungen

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Ausgabe 31-05 vom 02. Nov. 2005
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