Keine Suche nach dem Kommunismus des 21.Jahrhunderts – kritische Anmerkungen zum Kongress „Kapitalismus reloaded“

von
Peter Nowak
11/05

trend onlinezeitung

Die Blätter fallen von den Bäumen. Das ist alljährlich die Zeit der linken Konferenzen. Der Grund ist ziemlich einfach. Die diversen Stiftungen müssen vor Jahresende die Gelder, die noch übrig sind, ausgeben, um nicht weitere Kürzungen im nächsten Jahr zu erleiden.

Daher gibt es immer Mitte November hochkarätige Kongresse, auf denen sogenannte Koryphäen aus Deutschland und der Welt mehr oder weniger Schlaues sagen. Nach einigen Monaten kommt das Buch zum Kongress raus und nach ein oder zwei Jahren gibt es dann eben den neuen Kongress.

Vor zwei Jahren gab es in Frankfurt/Main den Kommunismuskongress, der nur wenig mit Kommunismus zu tun hatte. In diesem Jahr lädt ein breiter Kreis von Linksruck bis zu Kritik und Praxis zum Kongress „Kapitalismus Reloaded“ ein. Der Untertitel „Imperialismus, Empire und Hegemonie macht schon deutlich, dass es sich hierbei um eine ganz akademische Veranstaltung handeln wird. Frankfurt vor zwei Jahren lässt grüssen. Auf dem Kommunismuskongress war gerade mal Zeit für Verständnisfragen, für Diskussionen blieb nur in Ausnahmefällen Zeit.

Hinzu kommt noch der hohe Eintritt bei dem Berliner Kongress: 30 Euro. Auch 15 Euro sind für  Geringverdienende nicht erschwinglich. Selbst die Ermäßigungen sind für viele Hartz IV-EmpfängerInnen keine Alternative. Davon abgesehen, muss wirklich auf einem linken Kongress die Einteilung in Erwerbslose, Studierende etc. durch das Vorzeigen von entsprechenden Dokumenten zur Norm werden? Gab es nicht auch aus dem Kreis der an der Konferenz beteiligten Gruppen öfter die Forderung nach „Alles für Alle – und zwar umsonst“. Gab es nicht anlässlich der Maisteine 2004 die Aktion „Moma umsonst“, wo gegen die hohn Eintrittspreise der Nobelausstellung protestiert wurde. Müsste man nicht jetzt auch eine Kampagne „Kapitalismuskritik umsonst“ starten? Sage niemand, die ReferentInnen wären eben so teuer. Schließlich gehören zu den UnterstützerInnen die Rosa-Luxemburg- und Heinrich-Böll-Stiftung, die doch wohl für das nötige Geld sorgen sollen, wenn sie schon unter einer solchen Einladung stehen.

Diese Fragen sind nicht nur Nebensache sondern sie treffen den Kern eines solchen Unternehmen. Welchen Zweck erfüllt es? Soll die akademische Mittelschicht mal wieder über die angesagten linken Diskurse debattieren oder gehen wir endlich an die Suche nach dem Kommunismus des 21 Jahrhunderts. Die aber ist ohne die vielen AktivistInnen vor Ort, die in den letzten Jahren für ein „Ende der Bescheidenheit“ auf den Anti-Hartz-Demos eintraten, den Studierenden, die bei ihren Kämpfen eben mehr als nur den Erhalt von Bildungsprivilegien verteidigen wollen, die KriegsgegnerInnen, die eben nicht einen deutschen Weg gehen wollen, der Feministin , für die Frausein nicht schon Programm ist, die Flüchtlingsinitiative, die den kolonialen Wurzeln der europäischen Ausgrenzung nachspürt, nicht möglich. Es geht dabei keineswegs darum, einem Proletkult und einer Intellektuellenfeindlichkeit das Wort zu reden. Wir brauchen für unsere Suche nach dem Kommunismus des 21. Jahrhunderts Intellektuelle, die mit den AktivistInnen materialistisch den Wandel der postfordistischen Arbeitsverhältnisse und die Konsequenzen für eine künftige kommunistische Praxis untersuchen. Gehört die Parteiform mit dem Rückgang der Bedeutung des Massenfabrikarbeiters der Geschichte an? Wie kann eine Solidarität der Lohnabhängigen in Zeiten aussehen, wo die Arbeitenden nicht mehr in einer großen Fabrik sondern oft in individualisierten Ich-AGs ihren Beschäftigungen nachgehen. Ist das viele Gerede von den Netzstrukturen des Widerstandes nicht eine allzu schematische Übernahme der Netzbeziehungen in der Produktionssphäre des postfordistischen Zeitalters? Ist die Parole „Kampf gegen die Arbeit“ neben ihrer perspektivisch richtigen Stoßrichtung in Zeiten, in denen der Kapitalismus keine Vollbeschäftigung mehr erreichen kann, nicht auch systemstabilisierend?

Solche und andere Fragen sollten linke AktivistInnen und Intellektuelle zusammen beratschlagen. Dazu bedarf es aber keiner Frontalvorträge von linken Promis sondern eben der Debatte mit AktivistInnen. Es gab in den 80er Jahren unter dem Namen Volxuni alljährlich zu Pfingsten in Westberlin einen solchen Ansatz. Dort saßen wirklich GewerkschaftlerInnen, AktivistInnen sozialer Bewegungen mit linken Intellektuellen zusammen. Nach langen Versuchen diesen Kongress zu erneuern, scheint die Volxuni endgültig der Vergangenheit anzugehören. Der Argument-Kreis, der sie immer veranstaltete, gehört nun auch mit zum AufruferInnenkreis von Kapitalismus Reloaded. Vielleicht drücken solche Veranstaltungen das Dilemma der linken akademischen Mittelschicht aus, die sich schon mit den Verhältnissen arrangiert haben oder zumindest keine Möglichkeit der Veränderbarkeit sehen. Die Kongresse sind dann der alljährliche Beweis, dass man noch was mit linker Theorie zu tun hat.

Es ist klar, dass der Weg zum Kommunismus des 21.Jahrhunderts ein langer Suchprozess ist, der nicht auf einen Kongress gefunden wird. Aber man muss sich wenigstens auf die Suche machen. Ob das bei Kapitalismus Reloaded der Fall ist, ist zumindest zweifelhaft.  

Editorische Anmerkungen

Der Autor übergab uns seinen Artikel am 24.10.2005 zur Veröffentlichung.
 

Kongress KAPITALISMUS RELOADED
Imperialismus, Empire und Hegemonie Internationale Konferenz, 11. bis 13. November in Berlin

Mehr Informationen.... http://www.kapitalismus-reloaded.de/