Der Afghanistan-Krieg, die Taleban 
und das Öl


von Jan Heller (Karatschi/Kabul)
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Der Begriff "Great Game" stammt wohl von Rudyard Kipling. In seinem spannenden Roman "Kim" schildert der Verfasser des berühmten "Dschungelbuchs" das Vordringen britischer und russischer Agenten nach Afghanistan - den Auftakt der versuchten Kolonisierung Afghanistans einerseits von Britisch-Indien aus und von Russisch-Mittelasien andererseits im 19. Jahrhundert. Dieser Wettlauf zweier Kolonialmächte war das "Great Game".

Wo in der afghanischen Hauptstadt Kabul die verkehrsreiche Lulula-Puschta-Straße nach Westen führt, fällt an einer Straßenecke neben einer hoch geschlossenen Toreinfahrt ein knallgelbes Schild auf. Darauf steht nur ein Wort: Bridas.

Ein Büro in Kabul

Bridas ist der Name einer privaten argentinischen Ölfirma, die nicht zu den Großen der Branche gehört, aber für ihre Risikogeschäfte bekannt ist.
Firmenchef Carlos Bulgheroni war 1991 der Erste, der in die Erdgasförderung im mittelasiatischen Turkmenistan, einer früheren Sowjetrepublik, investierte. Um das turkmenische Gas exportieren zu können, fasste er den kühnen Plan, von dort aus eine 1.500 km lange Pipeline ausgerechnet durch das von einem heftigen Bürgerkrieg geschüttelte Afghanistan nach Pakistan zu verlegen. Im März 1995 schloss Bulgheroni ein Abkommen mit den Regierungen Turkmenistans und Pakistans über eine Machbarkeitsstudie dafür. Ein knappes Jahr später hatte er die schriftliche Zustimmung aller afghanischen Kriegsparteien, einschließlich der erst Ende 1994 in Erscheinung getretenen Taleban-Bewegung, in der Tasche.

So verwegen und irreal der Plan erschien, rief er doch Konkurrenz auf den Plan: die zwölftgrößte US-Ölgesellschaft United Oil of California (UNOCAL) mit Firmensitz in Houston (Texas). Sie versicherte sich der Mitarbeit einflussreicher Lobbyisten wie Ex-Außenminister Kissinger, des früheren US-Botschafters in Pakistan, Robert Oakley, und des ehemaligen Mitarbeiters der UN-Sondermission in Afghanistan, Charlie Santos, ebenfalls US-Amerikaner, und konnte Personen in Schlüsselpositionen in der Clinton-Administration - wie die damalige Vizeaußenministerin für Südasien, Robin Raphel, und Mitglieder des Nationalen Sicherheitsrates (NSC) - für die Idee einer leicht modifizierten Afghanistan-Pipeline, der "Central Asia Oil Pipeline" (CAOP), gewinnen. (Bridas sprach von Ideendiebstahl und verklagte UNOCAL - bisher ohne Ergebnis.)

NSC-Energieexpertin Sheila Heslin bestätigte während einer Anhörung vor dem US-Senat im September 1997, dass es Washington im Wesentlichen darum ging, "die monopolistische Kontrolle Russlands über den Abtransport des Öls aus der Region (Mittelasien und "Kaspi-Raum" -J.H.) zu brechen" und damit Russland eine globalökonomische Schlüsselposition abzujagen.

Diese Idee konnte sich festsetzen, weil zu dieser Zeit die US-iranische Wiederannäherung noch nicht absehbar war, der Kaukasus in Flammen stand (Abchasien- und Südossetienkonflikt in Georgien; Karabach-Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien) und in Kurdistan die PKK noch stark war. Alternativrouten durch diese Gebiete erschienen nicht weniger utopisch als die Afghanistan-Variante.

UNOCAL hatte nun nur noch den Konkurrenten Bridas auszuschalten. Dies gelang durch politischen Druck von US-Repräsentanten auf die Regierung Pakistans. Auch Turkmenistan schwenkte auf UNOCAL um. Im Oktober 1997 unterzeichneten UNOCAL, Pakistan und Turkmenistan ein Abkommen über künftige Preisgestaltung und Gewinnverteilung.

Afghanistan - nur ein Stein im Mosaik

Afghanistan ist nur ein Schauplatz im Ringen um die Kontrolle über das Erdöl und Erdgas, das mit dem Zerfall der Sowjetunion "frei" wurde. Die Region, in der dieser Kampf ausgetragen wird, reicht vom Bosporus und sogar vom Balkan über den Kaukasus, Iran, Afghanistan bis nach Kaschmir und Chinesisch-Turkestan (Xinjiang). "Der Kampf um die Kontrolle über das Öl in Mittelasien ist zum neuesten Kapitel der alten Rivalität zwischen Russland, den USA und Japan" und einer "Wiederholung des ‚Great Game' in Zentralasien im 19. Jahrhundert zwischen Britannien und Russland" geworden, schreibt Paul Sampson, Herausgeber der Londoner Ölbusiness-Zeitschrift "Nefte Compass", die sich mit Russland und den Staaten am Kaspischen Meer befasst. "Auf dieser neuen Weltkarte", führt er weiter aus, "übernimmt da Kaspische Meer die Rolle des Persischen Golfes als Zentrum der Aufmerksamkeit", da alle Industriestaaten angesichts zunehmender Instabilität in Saudi-Arabien sowie politischer Probleme mit Irak und Iran "ernsthaft nach alternativen Lieferern" von Erdöl und -gas suchen.

Mittelasiens (gesicherte) Reserven an Erdöl belaufen sich auf insgesamt knapp 10 Mrd. Tonnen, davon der Löwenanteil im kasachischen Teil des Kaspi-Schelfs. Zum Vergleich: Im Persischen Golf lagern mindestens 85 Mrd. t Öl; in der Nordsee 3 Mrd. t Öl. Bei Erdgas verfügt allein Turkmenistan (mit ca. 15 Bio m3) über etwa 10% der Weltreserven. Die "ölführende Schicht" reicht aber noch weiter. In Chinesisch- bzw. Ost-Turkestan (Xinjiang) ca. 11 Mrd. t. Erdöl, zwei Fünftel der chinesischen Vorräte, deren Erschließung (für den Westen) noch Zukunftsmusik ist, um die aber ebenfalls schon gepokert wird. Am Kaspischen Meer und in Mittelasien hat sich alles, was Rang und Namen in der Branche hat, Positionen gesichert: Chevron, Mobil, BP, Amoco, SOCAR, Exxon, Britsh Gas, Agip, die norwegische Statoil, Russlands LukOil und GasProm von Ex-Permier Tschernomyrdin, Mitsui aus Japan.

Das Problem für diese Firmen liegt nicht so sehr in der Erschließung und Erkundung der Vorräte, sondern in der Modernisierung der Ölanlagen und vor allem im Export. Bisher hatte Russland durch das alte sowjetische Pipeline-System - an das die ehemaligen Sowjetrepubliken und jetzigen "neuen unabhängigen Staaten" (NUS) angeschlossen sind - das absolute Monopol inne: "Alle Pipelines fließen nach Norden." Deren Durchlauf wird entweder bewusst gedrosselt (aus politischen Erwägungen, um die Abhängigkeit zu erhalten) oder weil ihre Kapazität ihre Grenzen erreicht hat.

Um dieses Monopol zu durchbrechen, ist es tatsächlich ein neues "Great Game", diesmal um die "Südpassage", losgebrochen. Das wird auf wirtschafts-diplomatischer Ebene entschieden. Statt, wie bei Kipling, Agenten in die Berge zu schicken, ruft heute Präsident Clinton in Baku oder Taschkent an oder bietet Frankreichs Präsident Chirac dort seine vermittelnden Dienste an.
In den Konstruktionsbüros wurden unterdessen neue Pipeline-Routen nach Süden entworfen, mit dem Ausgangspunkt Kaspisches Meer, und inzwischen teilweise mit deren Bau begonnen. 1) Aber jede Route hat auch ihre Hindernisse in z.T. kriegerischen Konflikten: mit der Bosporus-Frage, den Konflikten in Türkisch-Kurdistan, Abchasien, Berg-Karabach, Tschetschenien und Daghestan (GUS/Kaukasus), in den armenisch-georgischen Rivalitäten, im US-Embargo gegen Iran, und natürlich mit dem Afghanistan-Krieg. Die Ostroute durch China ist viel zu teuer. In Georgien klaffte eine Lücke im Rohrleitungssystem, die erst jüngst geschlossen wurde; zum System gehörende Streckenabschnitte durch Kurdistan waren wegen des Krieges mit der PKK außer Betrieb. Im Kaukasus gießen wirtschaftliche bzw. militärische Interessengruppen aus Russland wahlweise Öl ins Feuer bzw. betätigen sich als "neutrale" Vermittler, um die Alternativ-Pipelines zu sabotieren.

Abgesehen vom Krieg, ist auch die Afghanistan-Route günstig. Über Pakistans Häfen am Indischen Ozean können potentielle Abnehmer in Japan, den ölhungrigen Tiger-Staaten in Südostasien und eines Tages vielleicht sogar in Indien am schnellsten versorgt werden.

Die Wächter der Pipeline

Gleichzeitig mit dem Pipeline-Plan war auch die Idee geboren, die Taleban als Instrument zur inneren Stabilisierung Afghanistans und damit als Sicherheitsgaranten für den ungehinderten Rohstoff-Transport einzusetzen. Pakistans Regierung, zunächst zumindest mit der nicht nur stillschweigenden Duldung Washingtons, nahm die "Finanz- und Waffen-Pipelines" nach Afghanistan wieder in Betrieb, die sich schon im US-Stellvertreterkrieg der afghanischen Mudschahedin gegen die sowjetischen Besatzungstruppen (1979-89) bewährt hatte. US-Diplomaten machten sich als erste nach Kabul auf, als die Taleban dort einmarschiert waren, um Kontakte herzustellen. Im Ruhestand befindliche oder noch aktive Angehörige des pakistanischen Militärgeheimdienstes ISI, der schon die CIA-Gelder an die Mudschahedin kanalisiert hatte, wurden reaktiviert.

Ein zweite "Finanz-Pipeline" kam vom Golf, ebenfalls ein Erbe des Afghanistan-Krieges. "Abgesandte aus Bahrain, Qatar und Saudi-Arabien haben den Taleban Gelder zur Verfügung gestellt", berichtete die "Far Eastern Economic Review". Die Abhängigkeit der Petrodollar-Monarchien am Golf von den USA und ihre Stellvertreterfunktion bei der Finanzierung islamistischer Kräfte im ganzen islamisch geprägten Raum sind wohlbekannt.

Richard Keller Chef der "UNOCAL Pakistan Ltd.", nannte die Einnahme Kabuls durch die Taleban eine "positive Entwicklung". Christopher Taggart, UNOCALs Vize-Exekutivdirektor für die internationale Energieprojekte, soll Washington indirekt nahegelegt haben, die neue Regierung diplomatisch anzuerkennen. Er kündigte an, seine Firma werde den Pipeline-Bau durch "nichtmonetäre Zahlungen" vorantreiben. Über die University of Nebraska mit ihrem Afghanistan-Forschungszentrum wurden Ausbildungsprojekte für Afghanen begonnen, die beim Pipeline-Bau beschäftigt werden sollten. Dörfern an der Route wurden soziale und Infrastrukturmaßnahmen zugesichert.

Ein Projekt auf Eis

Doch die Taleban konnten nicht alle Erwartungen erfüllen. Zwar kontrollieren sie heute etwa 90% Afghanistans, aber der Krieg - und damit die Unsicherheit für eine Pipeline - dauert an. Zudem haben sie sich als unbequeme Partner für die USA erwiesen. Weil die Taleban dem Islamistenführer Usama bin Laden Asyl gewähren und, entgegen erster gegenteiliger Ansätze, groß in den internationalen Drogenhandel eingestiegen sind, ging Washington mittlerweile nicht nur auf Distanz, sondern setzte auch UN-Sanktionen gegen die Taleban durch. In den USA sorgte eine breite Kampagne von Menschenrechtsgruppen, die die frauenverachtende Politik der Taleban attackieren, zusätzlich dafür, dass eine wirtschaftliche Kooperation mit den Taleban zum Tabuthema wurde.

Als auch die Weltbank sich weigerte, einen kleinen Anteil an der Finanzierung von CAOP zu übernehmen (eine Weltbank-Beteiligung gilt bei solchen Projekten als "Sicherheitssiegel"), sah sich UNOCAL Ende 1998 gezwungen, aus dem Pipeline-Konsortium auszusteigen und das Projekt auf Eis zu legen. Auch für die US-Regionalpolitik hatten sich inzwischen die Prioritäten verändert. Besonders die verbesserten Beziehungen zu Iran sorgten dafür, dass die Iran-Variante (die kürzeste und billigste Route) wieder stärker ins Kalkül kam.

Andererseits wurde inzwischen klar, dass eine "Super-Pipeline" allein nicht ausreicht, um das Export-Monopol Russlands zu brechen. Die Afghanistan-Variante hat also noch nicht ausgedient. Vor allem Turkmenistans Präsident Niazow hält daran fest und hat sich der Unterstützung von Teilen der neuen pakistanischen Regierung versichert. Allerdings hindert ein weiterer Rechtsstreit zwischen Turkmenistan und Bridas, deren Chancen auf das Projekt nach dem UNOCAL-Ausstieg theoretisch wieder gestiegen waren, bis jetzt die Verwirklichung des Bulgheroni-Planes. Aber ein eingefrorenes Projekt kann man wieder auftauen...

Editoriale Anmerkung:
Der Artikel erschien in illoyal - Journal für Antimilitarismus, Nr. 12 Sommer 2000 und  wurde von http://www.illoyal.kampagne.de/nr12/seite10.html
gespiegelt.