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aus *UZ* unsere Zeit, Zeitung der DKP, Nr.40 08. Oktober 1999

Filmkritik 
"Etwas Mengele ist in jedem von uns" 

von Klaus Wagener

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Das ist die krude Botschaft, die Mengele, nein eigentlich nur seine Stimme, suggestiv in den laufenden Abspann eingeblendet, quasi als Übervater aus dem Jenseits, dem irritierten Zuschauer mit auf den Weg gibt.

Die Story. Peter Rohm ist Rechtsanwalt. Ein junger Dynamiker, intelligent, mit gesundem Geschäftsinstinkt, ohne hinderliche Skrupel. Das egozentrische Kleinbürgerkind. Jungenhaft-unbedarft dargestellt von Kai Wiesinger. Seit Jahren recherchiert er akribisch für ein Mengele-Buch, doch eher aus persönlichem Ehrgeiz, aus Eitelkeit, denn aus politischem Engagement.

Rohm wird nun wegen dieser Forschung und seiner Fähigkeiten als Anwalt und nicht zuletzt wegen seiner politischen Naivität von dem reichen rechtsradikalen Verleger Müller in eine Falle gelockt, unter Drogen gesetzt und nach Südamerika verfrachtet. Hier bietet ihm der greise Mengele, exklusiv für sein Buch, die Wahrheit über Auschwitz sozusagen als Gegenleistung für seine Verteidigung. Oder, falls er ablehnt, das Rückflugticket. Rohm lehnt zuächst ab, ist aber dennoch von der Idee fasziniert. In Gedanken spielt er die zu erwartenden Ereignisse durch: Rückkehr, Verhaftung, die Presse, Aufmarsch der Neonazis, Krawalle, der Prozeß, der Glaskäfig, die Zeugen.

Also beginnt Mengele seine Geschichte. Für ihn waren die Selektionen nur eine Art aktiver Sterbehilfe für ohnehin Todgeweihte. Er ersparte damit den Opfern die unmenschlichen Bedingungen des Lagers. Die Erkenntnisse der Menschenversuche: Meilensteine der medizinischen Wissenschaft. Rohm greift nach matter Gegenwehr schließlich diese Argumente auf, macht sie zu seinen eigenen. Er läßt sich immer distanzloser auf Mengele ein und verteidigt ihn dann mit allen Mitteln, zieht Parallelen zur Aufweichung des Euthanasietabus in der aktuellen Diskussion, stellt die Zeugen, Ausschwitzüberlebende, die nun in einer traumatischen Situation Mengele wieder gegenüberstehen, in bester NS-Anwaltstradition als unglaubwürdige Lügner dar. Der Staatsanwalt, ein eher schwacher Moralist, gerät angesichts dieser offensiven Strategie immer wieder ins Wanken. Mengele und sein Zauberlehrling beherrschen eindeutig die Szene.

Hier zeigt sich die Besetzung mit Götz George als Problem. Er liefert eine glänzende schauspielerische Leistung. Aber gerade dadurch gerät Mengele derartig monolithisch, von einer unangreifbaren, intelligenten Souveränität, daß alle anderen neben ihm wie Würstchen aussehen. Er leugnet nicht, beschönigt nichts, gibt die Massenmorde ruhig zu, und behandelt das Gericht wie dumme Dilettanten, die die Größe seiner Mission nicht verstehen. Hier spielt George alle an die Wand. Keiner hat wirkliche Argumente. Gestotter. George ist dem Reiz erlegen, aus Mengele eine brillante, faszinierend starke Persönlichkeit zu machen, die über erhebliche Attraktivität verfügt. Er will das Monster, aber er erschafft Nietzsches Übermenschen. Ein singuläres Wesen, jenseits aller Normen.

Regisseur Roland Richter verwendet für "Nichts als die Wahrheit" das Genre des klassischen Gerichtsfilms. um zunächst vordergründige Fragen wie die Anwendung rechtsstaatlicher Normen auf Naziverbrecher zu diskutieren. Es geht ihm bei seiner Wahrheitssuche allerdings nicht um die Fakten, die übrigens keineswegs so bekannt sein dürften, wie uns der Film suggeriert. Es ist ein Film aus der Perspektive der Kinder der Täter. Es geht um den Umgang mit den Verbrechen der Eltern. Widerstand kommt hier nicht vor, er hat somit keine Traditionslinie in das heutige Deutschland. Richter verlagert so sein Thema in die individuellen Normen und Wertvorstellungen der heutigen politischen Generation, die über Gut oder Böse entscheidet.

Da gibt es die kalten Verbrecher, (Mengele) und die unwissenden Mitläufer wie Rohms Mutter, die als Schwesternschülerin ohne ihr Wissen geistig Behinderten die Todesspritze setzte. Rohms Mutter stellt sich schließlich ihrer Tat, bereut und erhält von Rohm die Absolution. Mengele dagegen rechtfertigt sein Tun, er wird von ihm letztendlich verstoßen. Ein neutestamentarischer Reue- und Bußgedanke durchweht den Film.

Das Abdrängen der faschistischen Greuel auf die Ebene subjektiv- ethischer Normen, die Stilisierung von Auschwitz zu einem mythischen Begriff, der sich rationaler Analyse verschließt, die Dämonisierung einiger Symbolfiguren zu Inkarnationen des Bösen schlechthin verstellen letztlich, und hierfür gibt es Gründe, die Möglichkeit, gesellschaftliche Ursachen des Faschismus aufzuspüren und ihnen politisch zu begegnen.

Seit dem Zusammenbruch des Faschismus stellte sich für das restaurierte Deutschland immer die Frage, wie mit der Stigmatisierung durch die ungeheuren Verbrechen der Faschisten umzugehen ist, an deren Aufrechterhaltung neben den Antifaschisten auch die imperialistischen Konkurrenten wie z. B. die USA (Goldhagen) ein wechselndes Interesse haben. Nach den Verdrängungen der Adenauerzeit gab es später immer wieder Versuche, Schlußstriche zu ziehen. Wie jüngst auch Herr Walser meinte, sich an dieser Front verdient machen zu müssen. Letztlich sind diese Versuche alle gescheitert. Eine Wiedergewinnung außenpolitischer Handlungsfreiheit läßt sich bislang nur unter Einschluß des antifaschistischen Gestus erlangen. Hier sind auch die Grundlinien der Debatte um das Holocaust-Denkmal festzumachen. Es stellt sich das Problem, wie aus der Barriere Antifaschismus sozusagen ein imperialer Impetus zu gewinnen ist. If you can't beat them, join them. Und folgerichtig bombten Fischer und Co. nicht trotz, sondern wegen Auschwitz im Kosovo. "Wir haben verstanden." So richtig die Sau rauslassen kann nur, wer von seiner Mission als Gutmensch überzeugt ist. Es ist die ideologische conditio sine qua non aller großen Greueltaten. Und, das ist das Neue, sie kann aus einer Art unpolitisch-moralischem Antifaschismus gewonnen werden.

Dazu bedarf es der ständigen Selbstvergewisserung. Die Identifikationsfigur des Films z. B. Peter Rohm, wie er sich hier an Mengele abarbeitet, exemplarisch für die Haltung zum Faschismus, politisch naiv, nicht uneitel, geschäftlich erfolgreich, aber doch letztlich auf der ethisch-korrekten Seite, bietet dem rosa-grüne Wählerpotential das De- stillat der eigenen Grundhaltungen. Wie er hätten auch sie sich verhalten. Rohm geht nie weiter als sie. Seine Erkenntnisse sind nicht tiefer als ihre, alles bleibt affirmativ. Er ist ein Gutmensch. Mit ihm kann man sich innerlich auf die Schulter klopfen.

Nichts als die Wahrheit ist, es gab nicht nur Auschwitz-Birkenau, da war auch das Stammlager und da war Auschwitz-Monowitz. Die riesigen Buna-Anlagen der IG-Farben. Lebensnotwendig für die Fortführung des Krieges. Dieses und die anderen Betriebe der Heimatfront verschlangen hunderttausende Arbeitssklaven. Ausgepreßt, zu Tode geschunden in wenigen Monaten, warteten auf sie, wie auf die sofort als arbeitsunfähig selektierten, die Gaskammern von Birkenau. Hier ging es nicht um Mystik, um das unbegreiflich Böse. Hier ging es um Krieg und damit zuallererst um Profit. Hier wurden die Milliardäre gemacht, deren Schutz gegen die unverschämte Raffgier der ehemaligen Arbeitssklaven, sich der sozialdemokratische Kanzler und sein vorbestrafter Steuerhinterzieher eine Herzenssache sein lassen. Hier entstand das Kapital, das heute wieder und bislang recht erfolgreich zur Beherrschung Europas angetreten ist.

Seit der unpolitisch-moralische Antifaschismus Teil der Legitimationsstrategie des deutschen Imperialismus geworden ist, muß sich jeder, der auf dieser Ebene argumentiert fragen, ob er nicht, ungewollt, zur Legitimierung der Machtinteressen genau derjenigen beiträgt, die schon aus Auschwitz ihren Profit gezogen haben.

Daher hinterläßt der Film einen sehr ambivalenten Eindruck. Es ist schon das subjektive Interesse zu spüren, einen ehrlichen Beitrag zur Aufarbeitung unseres Umgangs mit der Vergangenheit zu leisten. Aufgrund der analytischen Schwächen und der Stilisierung Mengeles steht aber zu befürchten, daß er erheblich anders funktioniert, als von seinen Machern intendiert.

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