So
viel steht jedenfalls fest: Am Ende bleibt alles in
der Familie. Dies dürfte sich die Vorsitzende des
Verfassungsgerichts in der afrikanischen
Erdölrepublik Gabun, Marie-Madeleine Mborantsuo,
Ende vergangener Woche gesagt haben. In der Nacht
vom Freitag zum Samstag (vom 23. zum 14. September
d.J.) gab die Dame das offizielle Ergebnis einer
verfassungsrichterlichen Überprüfung der
umstrittenen Ergebnisse der Präsidentschaftswahl
vom 27. August 2016 bekannt.
Theoretisch dürfte die
61jährige höchste Richterin im Staat, die allerdings
gar nicht als Juristin, sondern als Steuerexpertin
ausgebildet wurde, gar nicht mehr amtieren. Ihr
letztes rechtsgültiges Mandat an der Spitze des
Verfassungsgerichts lief vor zehn Jahren ab, da die
Verfassung des Landes auf Äquatorhöhe die Zahl der
Amtszeiten auf diesem Posten auf zwei begrenzt. Doch
als ihre zweite Amtsperiode ablief, hielt der
damalige Staatspräsident Omar Bongo eine schützende
Hand über sie. Frau Mborantsuo hat zwei Kinder mit
dem Autokraten, der von 1967 bis zu seinem Tod im
Juni 2009 ununterbrochen als Staatsoberhaupt
amtierte, gezeugt.
Omar Bongo hatte nicht
nur recht zahlreiche Kinder – ihre Gesamtzahl wird
auf rund siebzig geschätzt -, sondern ist auch der
Vater des jetzigen Präsidenten Ali Bongo. Er wurde,
nach einer kurzen Interimsperiode von ein paar Wochen
nach dem Ableben seines Vaters, Ende August 2009
offiziell ins oberste Staatsamt gewählt. Nach
Auffassung vieler interner Oppositioneller und
externer Beobachter ging es dabei nicht sauber zu,
die Niederschlagung von Unruhen im Anschluss forderte
damals fünfzehn Tote. Vor allem die Hafenstadt
Port-Gentil erhob sich damals, zum wiederholten Male,
gegen das Regime. Schon im April/Mai 1990 war eine
Revolte von Port-Gentil ausgegangen, gegen die damals
direkt französische Truppen eingesetzt wurden.
Frankreich verfügt über eine Militärbasis in der
Hauptstadt Libreville und kontrolliert Gabun
wirtschaftlich, wenngleich chinesische Unternehmen
ihm dort mittlerweile Konkurrenz bereiten. 2009
wurden dann auch direkt französische Interessen, wie
etwa Tankstellen von TOTAL – dieser Konzern dominiert
die Rohölförderung in Gabun -, attackiert.
Die
Präsidentschaftswahl in Gabun hat stets nur einen
Durchgang, in dem eine relative Mehrheit genügt, was
Wahlbetrug und Manipulation ungeheuer erleichtert,
zumal 2009 das Oppositionslager durch mehrere
konkurrierende Kandidaturen aufgesplittert war. Um
eine Wiederkehr dieser Situation zu vermeiden, hatten
sich die Anführer von 26 unterschiedlichen
Oppositionskräften in diesem Jahr Mitte August darauf
geeignet, alle Kandidaturen zurückzuziehen, die jener
des gewichtigsten Herausforderers von Ali Bongo
hätten schaden können.
Deswegen wurde Jean Ping auch als „Einheitskandidat
der Opposition“ bezeichnet. Auch wenn der 73jährige,
genau betrachtet, so oppositionell auch wieder nicht
ist: Von 1990 bis 2008 amtierte er als Minister unter
Omar Bongo, war unter anderem dessen Außenminister.
Danach stieg er zum Generalsekretär der Afrikanischen
Union (AU) auf. Doch 2012 entzog ihm der Nachfolger
Omar Bongos, dessen Sohn Ali, die notwendige
Unterstützung seines Landes für eine Wiederwahl.
Hauptsächlich aus diesem Grund ging Jean Ping danach
in die Opposition über und beschloss, selbst zur
Präsidentschaft zu kandidieren. Einige frühere
Berater des früheren Präsidenten Omar Bongo, die
dessen Sohn und Nachfolger für unreif und zur
Amtsausübung nicht befähigt halten, schlossen sich
ihm an.
Da also das vormalige
Regimelager gespalten war und Jean Ping zudem
ebenfalls zur erweiterten Familie zählt – er hat zwei
gemeinsame Kinder, Nesta und Christopher, mit Ali
Bongos Schwester Pascaline Bongo, die lange Jahre
hindurch die Finanzangelegenheiten des Familienclans
verwaltete -, schien es dieses Mal möglich, dass das
Verfassungsgericht die zweifelhafte Wiederwahl Ali
Bongos beanstandet. Anders als 2009, als es seine
erste Wahl durchwinkte. Es hätte genügt, wenn das
Gericht eine erneute Auszählung der abgegebenen
Stimmen in der Provinz Haut-Ogooué angeordnet hätte.
Dort, wo auch der Wahlkreis Ali Bongos liegt, erhielt
er angeblich über 95 Prozent der Stimmen bei über 99
Prozent Wahlbeteiligung. Niemand glaubt an diese
Zahlen. In allen anderen Provinzen unterlag Ali Bongo
seinem Herausforderer Ping.
Doch das
Verfassungsgericht entschied sich nicht für diesen
Weg, sondern begnügte sich damit, die auf den
offiziellen Auszählprotokollen angegebenen
Stimmenzahlen nochmals zusammenzuaddieren. Die real
abgegeben oder nicht abgegebenen Voten wurden nicht
überprüfte. Bei einem solchen Verfahren konnte Ali
Bongo nur gewinnen. Das Gericht erlaubte sich sogar
den Luxus, alle Anträge der Opposition und Jean Pings
abzuweisen, doch zwei Korrekturaufforderungen des
Präsidentenlagers nachzugeben – dadurch erhielt Ali
Bongo offiziell sogar noch ein paar zusätzliche
Stimmen mehr.
Die
„internationale Gemeinschaft“, also die Großmächte
und das Generalsekretariat der UN, hatten die
Opposition - nach ersten gewaltsamen Zusammenstößen
auf den Straßen von Anfang September dieses Jahres –
dazu aufgefordert, den Rechtsweg zu beschreiten und
das Verfassungsgericht ihres Landes anzurufen. Die
Opposition und die Ping-Anhänger hatten dieses
scheinbar guten Rat befolgt, zwar nicht voller
Glauben an einen juristischen Sieg, aber um sich
nicht den Vorwurf einzuhandeln, sie hielten sich
nicht an die Spielregeln.
Nun
hat sich diese institutionelle Strategie als Falle
für die Opposition erwiesen. Denn die wichtigsten
Großmächte und ihre Repräsentanten nutzten die
Gelegenheit des Urteilsspruchs, um sich nunmehr mehr
oder minder explizit hinter Ali Bongo zu stellen und
ihm die „demokratische Legitimität“ zuzusprechen. Die
US-Administration und die Afrikanische Union
erklärten, das Ergebnis „zur Kenntnis zu nehmen“, und
UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon forderte die
Opposition dazu auf, das Urteil zu respektieren.
Ähnlich reagierte die EU-Außenbeauftragte Federica
Mogherini. Allerdings äußerte sich kurz nach ihr die
EU-Wahlbeobachtermission, die sich vor Ort aufhält,
und erklärte ihrerseits, das Urteil habe Vorwürfe
bezüglich einer Wahlmanipulation nicht entkräftet.
Auch
Frankreichs Außenminister Jean-Marc Ayrault erklärte,
das Urteil habe „nicht alle offenen Fragen
beantwortete“, und stellte das amtliche Ergebnis
dadurch weiterhin in Frage. Diese Stellungnahme ist
insofern bemerkenswert, als Frankreich die
Hauptstütze des amtierenden Regimes darstellt und die
Präsidentengarde (Garde républicaine), die
Speerspitze der Repression, ausbildet. Allerdings
versucht die Pariser Politik zugleich, die
Neokolonialmacht Frankreich nicht erneut im Fokus der
Proteste stehen zu lassen, wie es noch 2009 der Fall
war. Dies ist insofern gelungen, als in diesem Jahr
bislang keine französischen Interessen angegriffen
wurden. Hinzu kommt aber auch eine innenpolitische
Dimension. Der Konservative Nicolas Sarkozy, der 2017
erneut zur Präsidentschaftswahl antreten und
Amtsinhaber François Hollande herausfordern dürfte,
sofern die Konservativen ihm – und nicht seinem
Rivalen Alain Juppé – die Kandidatur anvertrauen, ist
einer der heißesten Unterstützer Ali Bongos. Als
einer der ersten Gratulanten überhaupt, neben dem
tschadischen Diktatur und derzeitigen
AU-Generalsekretär Idriss Déby, beglückwünschte
Sarkozy ihn zur „Wahl“.
Editorischer Hinweis
Den
Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe. |