I.
Repräsentative Meinungsumfragen
haben ergeben, dass eine Mehrheit der BundesbürgerInnen gegen
den neoliberalen Privatisierungswahn öffentlicher Dienste und
öffentlichen Eigentums ist. Eine Mehrheit ist ebenfalls für
einen Mindestlohn von 10 Euro die Stunde, für eine Erhöhung
des Eckregelsatzes auf 500 Euro und gegen den
Bundeswehreinsatz in Afghanistan. Privatisierung, Sozialraub
durch die Agenda 2010 und der grandiose Wiedereintritt in den
Kreis der Krieg führenden imperialistischen Mächte, das waren
die politischen Schwerpunkte von Rot-Grün und danach der
großen Koalition. Die Ergebnisse repräsentativer
Meinungsumfragen zeigen, dass sich eine solche Politik nicht
auf eine Mehrheit der Bevölkerung berufen kann.
Soweit sich die von Politik und Medienmeinung abweichenden
eigenen Positionen der Menschen in den Ergebnissen der
Bundestagswahlen wiederfinden lassen, kommt das vor allem in
dem respektablen Ergebnis der Partei „die Linke“ zum Ausdruck.
Trotz dieser großen Unterstützung gegen die Privatisierung
„öffentlicher Dienste“ etc., für einen Mindestlohn von 10 Euro
die Stunde und Anhebung des Eckregelsatzes auf mindestens 500
Euro wurde jedoch eine Schwarz-Gelbe Mehrheit in den Bundestag
gewählt.
Meiner Meinung nach drückt das
zunächst zweierlei aus:
1. Die Agitation und
Aufklärungsarbeit von sozialen und politischen Initiativen im
außerparlamentarischen Bereich (z. B. Attac oder Klartext und
das Rhein-Mainbündnis gegen Sozialabbau), wie auch der Partei
„die Linke“, gegen Privatisierung und für elementare soziale
Interessen der Lohnabhängigen war sehr erfolgreich.
2. Sobald der Blick sich aufs „Ganze“ richtet und eine
Wahlentscheidung ansteht, dominiert die Hoffnung der Menschen
auf ökonomisches Wachstum des Kapitals. Soziale Reformen ja,
aber nicht in schroffer Konfrontation mit dem Kapital. Soziale
Interessen werden der „ökonomischen Vernunft“ untergeordnet.
Diese Unterordnung wirkt umso stärker, je bedrohlicher die
kapitalistische Krise und je gebrochener die Kontinuität von
Klassenkämpfen ist. Je stärker durch die Verhältnisse selbst
die Systemfrage gestellt wird, desto schwieriger wird der
Kampf um Reformen, wo starke sozialistische/kommunistische
Kräfte fehlen. So besinnt sich die Mehrheit der aktiven
WahlbürgerInnen (NichtwählerInnen sind mittlerweile wohl die
Mehrheit) auf die bürgerlichen Parteien. Die
selbstverständliche Erkenntnis, wonach sich der
Sozialismus/Kommunismus nicht durch Wahlen einführen lässt,
muss erweitert werden durch die Erkenntnis, dass selbst eher
mickrige soziale Reformen sich kaum mit Wahlen durchsetzen
lassen.
Die Partei „die Linke“ stellt
die genannten gegen Privatisierung, Sozialraub und Krieg
gewandten Positionen in den Kontext ihrer reformistischen
Strategie. Es handelt sich nicht um eine Partei, die das
Kapitalverhältnis grundsätzlich attackiert und dem
Privateigentum an Produktionsmitteln das Gemeineigentum als
Ziel gegenüberstellt. Sofern diese Partei eine Vorstellung von
Gemeineigentum hat, endet das bei der Verstaatlichung. Das
Ziel einer klassenlosen Gesellschaft ohne staatlichen
Repressionsapparat erscheint ihr allenfalls „utopisch“. Sie
hat keine Systemalternative zu bieten und kann daher auch
nicht für diese gewählt werden.
Im Übrigen kann sich Zustimmung
zu einer sozialistischen/kommunistischen Zielsetzung nur im
Kontext von Klassenkämpfen herausbilden, die sich „naturgemäß“
auf dem Boden der kapitalistischen Gesellschaft abspielen und
dem Kapital im einzelnen, wie im Ganzen (gesellschaftliches
Gesamtkapital) Zugeständnisse abringen wollen. Von einer
Politik, die sich die Entfaltung von Klassenkämpfen zum Ziel
setzt, ist die Partei „die Linke“ meilenweit entfernt. Allein
darum ist auch ihr Reformismus, der auf parlamentarische
Erfolge setzt, unglaubwürdig (was sich bereits heute in realen
Regierungsbeteiligungen etwa in Berlin zeigt) und obendrein
perspektivlos.
II.
Die repräsentativen
Meinungsumfragen zeigen, wie erfolgreich eine bestimmte
Aufklärungsarbeit im Kontext der Aufstellung und Begründung
elementarer sozialer Forderungen sein kann. Die breite
Unterstützung solcher Forderungen demonstriert, dass
Verständigung über grundlegende gemeinsame Ziele unter den
Lohnabhängigen nach wie vor möglich ist. Dies gilt unabhängig
davon, ob diese Forderungen reformistisch begründet werden
(z.B. Attac gegen die Privatisierung) oder mit einer
grundsätzlich antikapitalistischen Argumentation, wie das bei
Klartext und Rainer Roth der Fall ist. (die Arbeit von
Klartext war wesentlich für die Verbreitung der Forderungen
nach 10 Euro Mindestlohn und 500 Euro Eckregelsatz.)
Sozialrevolutionäre können
viele mehr oder weniger gute Gründe etwa gegen die
letztgenannten Forderungen anführen, denn 10 Euro Mindestlohn
und ein Eckregelsatz von 500 Euro sind in der Tat ein
erbärmliches Existenzminimum in Anbetracht des tatsächlichen
Reichtums, der in der bürgerlichen Gesellschaft produziert
wird. Die Leute, die diese Forderungen entwickelt und aus der
konkreten, scharfen Kritik an den aktuellen Zuständen
begründet haben, beweisen jedoch Gespür für das, was
gegenwärtig mehrheitsfähig ist und zur Verständigung gegen das
Kapital beiträgt.
Wenn beispielsweise gegenwärtig
bei Opel eine solche Friedhofsruhe herrscht, dann liegt das
nicht zuletzt daran, dass es in der Belegschaft an
Verständigung über gemeinsame Ziele mangelt, die soziale
Interessen der Lohnabhängigen ausdrücken und gegen das Kapital
durchgesetzt werden müssen. Selbst wenn alle Lohnabhängigen
bei Opel jetzt Kommunisten wären und sie hätten keine
konkreten Ziele, die sie jetzt und hier durchsetzten wollten,
gäbe es die gleiche Lähmung, wie sie jetzt besteht. Denn
zumindest eins dürfte unumstritten sein: bei Opel allein lässt
sich der Kommunismus schlecht einführen.
Was die sozialrevolutionäre
Bewegung (wenn man von einer solchen Bewegung momentan
überhaupt sprechen kann) anbetrifft, so wird Verständigung
über gemeinsame Ziele nicht besonders geschätzt. Abrenzung
untereinander steht dagegen hoch im Kurs. Die Organisationen
und Zirkel sind ein wirklich „leuchtendes Vorbild“ für die
soziale Klasse, auf die sie ihre Aktivitäten irgendwie
beziehen, die sie aber vor allem „führen“ möchten. Die Aufgabe
von KommunistInnen wäre es, einen wesentlichen Beitrag dazu zu
leisten, dass aus der objektiv existierenden Klasse der
LohnarbeiterInnen ein handlungsfähiges Subjekt wird, das
bestimmte soziale Ziele durchsetzen will. Das ist vor allem
eine unterstützende, dienende Funktion. Kommunistische
Organisationen verfehlen ihren Zweck, wenn sie sich bereits
als Inbegriff der Subjektivität der Klasse sehen und daraus
einen penetranten Führungsanspruch gegenüber der bloß objektiv
existierenden Klasse ableiten.
III.
Rund 30 Jahre lang habe ich
mich als Kommunist in verschiedenen Industriebetrieben
„herumgetrieben“. Meine praktische Erfahrung und theoretische
Reflexion besagt kurz zusammen gefasst folgendes:
1. In Anbetracht des
„Werttotalitarismus“ (der funktionierenden Durchdringung des
gesellschaftlichen Lebens durch die Reproduktion von Kapital)
und der insgesamt verheerenden und nicht genügend kritisch
aufgearbeiteten Erfahrungen des „Realsozialismus“ lassen sich
unmittelbar auf den Kommunismus abzielende Argumentationen
kaum vermitteln. (Es bedurfte nicht des offenen Bruches mit
den Theorien über Partei und Diktatur des Proletariats, wie
sie in der Komintern von Anfang an vorherrschten, um den
„Realsozialismus“ zu einem Repressionsmonster werden zu
lassen. Was ein bezeichnendes Licht auf diese Theorien wirft.)
Die vorhandenen, sich kommunistisch nennenden Sekten, können
in ihrer gegenwärtigen Verfassung nicht zur Verständigung
unter den Lohnabhängigen und damit zur Polarisierung zwischen
Lohnarbeit und Kapital beitragen. Ohne diese zunehmende, auch
subjektive Polarisierung, kann mensch aber jede Hoffnung auf
die Erkämpfung eines klassenlosen gesellschaftlichen Zustandes
sozialer Freiheit begraben. Die erwähnten Sekten schwimmen
jedenfalls wie kleine Fettperlen auf dem Ozean.
2. Zur Verständigung unter den Lohnabhängigen und zur daraus
resultierenden Konfrontation mit dem Kapital führen nur
soziale (Teil-)Forderungen, sei es im Betrieb, in einer
Branche, national oder international. Aus meinem begrenzten
Erfahrungshorizont heraus weiß ich, wie wichtig die Agitation
linksradikaler Kräfte (für Festgeldforderungen) vor und in der
Streikbewegung 1973 war. Ebenso wichtig war die Agitation für
die 35 Stundenwoche für die entsprechenden Streiks und die
Durchsetzung der Forderung in der Metallindustrie.
Das gleiche gilt für die
betriebliche Ebene.
Die geduldige Agitation und
zähe Argumentation z.B. für die Forderungen nach einer
Begrenzung der Schichtzeit von 6-14 und von 14-22 Uhr bei Opel
in Bochum war wesentlich für die Verständigung in der
Belegschaft über gemeinsame soziale Interessen gegenüber dem
Opel-Kapital. Auf dieser Grundlage konnten die Lohnabhängigen
zu einem wenigstens partiell handlungsfähigen kollektiven
Subjekt werden. Im funktionierenden Getriebe der
Kapitalreproduktion reproduziert Lohnarbeit als solche nur
Konkurrenz! Allein die Verständigung über bestimmte soziale
Ziele, die ohne die aufklärende und aufrüttelnde Agitation von
Minderheiten nicht läuft, hebt diese Konkurrenz mehr oder
weniger dauerhaft auf.
Gleiches gilt selbst noch für
ungleich „reformistischere“ Ziele. (Es kommt halt immer auf
die konkreten Umstände an!). Vor mehreren Jahren arbeitete ich
als Maschinenschlosser in einem mittelständischen Betrieb des
Maschinenbaus. Es gab keinen Betriebsrat, und der
(Manchester-)Kapitalist unterlief das Lohnfortzahlungsgesetz
mit einer Anwesenheitsprämie.
Man hätte das einfach durch
eine individuelle Klage beheben können. Ich habe einen anderen
Weg gewählt und das Ziel der vollen Auszahlung des Lohnes im
Krankheitsfall mit einer „Kampagne“ für einen Betriebsrat bzw.
die Legalität von Gewerkschaft und Belegschaftsvertretung im
Betrieb gemacht. Um es kurz zu machen: Es gelang mir eine
Konfrontation zwischen Lohnarbeit und Kapital in diesem
reaktionären Laden. Eine Minderheit beteiligte sich aktiv an
meiner „Kampagne“ und über 80% unterstützten sie. Wir bekamen
auch den Betriebsrat. Daraufhin stellte „Bigboss“ auf seine
Weise die „Systemfrage“, indem er damit drohte, den Laden
dicht zu machen, wenn ich Betriebsratsvorsitzender bliebe. Auf
einer Belegschaftsversammlung in schroffster Konfrontation
wurde das ausgetragen und ich stellte als
Betriebsratsvorsitzender die Vertrauensfrage. Das neue
Ergebnis: ebenfalls rund 80% stellten sich gegen meine
„Strategie“, wollten aber das ich Betriebsratsvorsitzender
bleibe. Den Gefallen habe ich ihnen nicht getan. Die volle
Lohnfortzahlung hat „Bigboss“ nach dem Schreck aber
„freiwillig“ gezahlt.
Das Ganze will sagen: Unterhalb
der Systemfrage kann und muss eine kleine radikale Minderheit
eine ganze Menge tun, je nach den konkreten Bedingungen. Die
jeweiligen Forderungen, also Ziele auf die man sich
verständigen kann, erscheinen dem Außenstehenden oft als
beliebig und so werden sie schon hin und wieder von besonders
„radikalen Revolutionären“ prinzipiell in Frage gestellt. Wer
„in der Materie“ steckt, also sich konkret mit den sozialen
Umständen (theoretisch!) beschäftigt und sie kritisiert, der
kann auch Forderungen/soziale Ziele formulieren, unter denen
sich Lohnabhängige im Betrieb, in der Branche, national oder
auch international gegenüber dem Kapital zusammenschließen
können. Eine solche Agitation erfordert allerdings intensive
Untersuchungsarbeit und jedes Flugblatt sollte eine Stück
Enthüllungsliteratur sein. Weniger wäre, wie so oft, besser.
Dies wäre aber nur eine der wichtigen Aufgaben von
Sozialrevolutionären, deren Bearbeitung sie z. B. bei Rainer
Roth und Klartext lernen können.
IV.
Bei den Bundestagswahlen stand
eine Systemalternative nicht zur Wahl. Die Partei „die Linke“
ist eine sozialdemokratische Partei mit (vielleicht) ein paar
geduldeten sozialistischen Zirkeln. Trotzkistische und
maoistische Parteien und Parteiaufbauorganisationen sind
allein durch ihr „prinzipielles“ Festhalten an der Leninschen
Parteikonzeption „wenig vertrauenswürdig“, um es mal
vorsichtig auszudrücken. Sie sind in aller Regel mit ihrem
Latein am Ende, wenn sie – ganz und gar unduldsam - auf der
führenden Rolle dieser Partei als dominanter
Klassenorganisation beharren. Das muss mensch nicht nochmal
haben! (Womit ich nicht die Notwendigkeit herunterspielen
will, diesen Parteimythos gründlich zu demontieren, aber
weniger in Abgrenzung zu diesen hierzulande unbedeutenden
Sekten, sondern in Abgrenzung zum Realsozialismus!)
Wie diese Wahl unter dem Zeichen einer tiefen ökonomischen
Krise auch zeigt, ist der theoretische Aufschein einer
überzeugenden sozialistischen/kommunistischen Alternative
dringend nötig! Wer es ernst meint mit einer solchen
Alternative, muss nicht nur das Kapital grundlegend
kritisieren, sondern auch den „realen Sozialismus“. Er muss
sich mit der Geschichte des Sozialismus/Kommunismus
beschäftigen, wie es beispielsweise in der Prokla unter dem
Titel „Sozialismus?“ passiert ist und Antworten auf die hier
aufgeworfenen Fragen geben können. (Partei- und Staatsfrage
müssen in deutlicher und überzeugender Abrenzung zu allen
bisherigen Formen des Realsozialismus beantwortet werden.
Gelingt dies nicht, bleiben kommunistische Überzeugungen
Makulatur und die Aussichten düster.) Es geht um die
Neubegründung eines modernen Kommunismus in offener und
solidarischer Debatte! Auch hier ist Verständigung ein
wichtiges Ziel, das nur möglich wird, wenn man sich auf
praktische, soziale Ziele, wie etwa Gemeineigentum,
Selbstverwaltung und demokratische Planung, einigt. (Wie diese
theoretisch untermauert und begründet werden, ist zweitrangig
und sollte unter KommunistInnen in gegenseitigem Respekt
voreinander ausgetragen werden.) Eine Neubegründung des
Kommunismus dient nicht primär dazu, um heute die „Massen“ zu
begeistern, sondern damit sich jene Kräfte zusammenschließen
und organisieren können, die im Sinne des Kommunistischen
Manifests ihren Beitrag zu sozialen Befreiung der Klasse der
LohnarbeiterInnen leisten können. Das würde dann sicherlich
auf etwas größere Kreise der Lohnabhängigen ausstrahlen.
(Die Sache der sozialen
Revolution ist aus meiner Sicht vorrangig weder eine Frage der
„Aufklärung der Massen“, noch eine Frage der „Kunst des
Aufstandes“, sondern wesentlich eine Sache des Kapitals
selbst, dass in seiner Entwicklung eine Situation erzeugt, in
der die soziale Revolution eine praktische Notwendigkeit wird.
Wir werden erfahren, wenn es soweit ist!
V.
Die Sozialdemokratie hat eine
verheerende Niederlage erlitten! Gut so!
Die Partei „Bündnis 90/Die Grünen“ hat es leider nicht
erwischt. Schade!
Schwarz-Gelb bildet die neue Regierung! Gut so!
Warum?
1. In der Schröder-Ära hat die
Sozialdemokratie mit jeder „sozialistischen Tradition“ (also
auch mit dem einem bestimmten Sozialreformismus) gebrochen.
Die Agenda 2010 ist die größte soziale Schweinerei seit
Gründung der Bundesrepublik! Sie ist das Werk von SPD und
Grünen, ebenso wie Deutschlands Rückkehr in den Kreis der
Krieg führenden imperialistischen Mächte. Dass den Grünen
weder Agenda-Politik noch Kriegspolitik das Rückgrat gebrochen
haben, ist ein Skandal und wirft ein bezeichnendes Licht auf
die Wählerschaft dieser Partei. Soweit sich das um sogenannte
„Alt-68er“ handelt, verschlägt es einem schon fast die
Sprache.
In der großen Koalition hat die
SPD die Politik der Agenda fortgesetzt und sich zum
„Vorkämpfer“ der Rente ab 67 gemacht! Für wie blöd halten die
Macher dieser Politik eigentlich die Mitgliedschaft ihrer
Partei und den wehrten „Wähler“? Meinen sie, das ihre dämliche
Propaganda alle soziale Erfahrung übertönen kann? Etwas über
20% waren durchaus angemessen. Weniger hätte auch nicht
geschadet.
2. Die Politik der neoliberal
gewendeten SPD war Wegbereiter von Schwarz-Gelb. Die Leute
sind fern geblieben oder haben schwarz gewählt. Dass
Schwarz-Gelb jetzt im Sattel sitzt, ist auch gut so! Das ist
eine echte Herausforderung, wenn das Original der
„Marktgläubigen“ jetzt dran ist. In Anbetracht der tiefen
Krise und der verbleibenden Perspektiven für
Kapitalakkumulation, können sie eigentlich nur verlieren! (Das
wird eine Probe aufs Exempel radikaler Kapitalkritik!
Der prokapitalistische
Reformismus der SPD hat restlos abgewirtschaftet und jetzt
darf Schwarz-Gelb sich an der Misere des Kapitals die Zähne
ausbeißen. Es reicht nicht, dass das Privateigentum versagt,
die „politischen Ordner“ seiner Verwertungsbedingungen müssen
auch restlos abgewirtschaftet haben, bevor die Fragen einer
sozialen Revolution für mehr Menschen von Interesse sein
werden.
Ich gehöre nicht zu denen, die
jetzt schon ganz sicher sind, dass die jetzige Krise bereits
eine soziale Katastrophe bisher unbekannten Ausmaßes (nach
1945) in den hoch entwickelten Ländern produzieren wird. Es
mag einen Aufschwung geben, aber wenn er kommt, wird er nicht
lange dauern. Wachstum durch staatliche Verschuldung ist nicht
bedeutend besser und dauerhafter als Wachstum durch private
Verschuldung. (Keynesianismus-Neoliberalismus). Das aber ist
der einzige Wechsel der stattgefunden hat .... man freut sich
über den ökonomischen Erfolg von Abwrackprämien, die Banken
genießen die Senkung der Leitzinsen auf Null etc. Gönnen wir
es den Priestern der scheiternden Marktökonomie für einen
Moment. Das dicke Ende kommt so sicher wie das Amen in dieser
Kirche der „Volkswirtschaft“.
VI.
Wie die erwähnte Prokla im
Editorial richtig vermerkt, hat der Sozialismus notwendig auch
eine systemimmanente Variante. Er drückt sich nicht zuletzt
aus in den bestehenden Sozialversicherungen. Die Kritik daran
ist hierzulande in sozialrevolutionären Kreisen wohlfeil,
solange man nicht unter amerikanischen Verhältnissen leidet
oder in Schwellen- oder Entwicklungsländern lebt!
In Deutschland ist
beispielsweise die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall eine
Selbstverständlichkeit. „Normalo“ weiß sowieso nicht, woher
die kam, es sei denn von wohlmeinender bürgerlicher Politik
(tatsächlich:langer, erbitterter Streik). Ich kenne praktisch
keinen Artikel von Sozialrevolutionären, der diese
Errungenschaft des Reformismus preist als ein Stück sozialer
Emanzipation im Kapitalismus. (Das Kapital muss aus dem Profit
auf Zeit alle Kosten für den „Arbeitsausfall“ von
LohnarbeiterInnen zahlen!!) Es sind nicht die sozialen
Reformen des Kapitalismus, die die soziale Revolution
verhindern können, auch wenn sie in dieser Absicht zugestanden
werden. Wie man mittlerweile aus der Geschichte des
Kapitalismus nach dem 2. Weltkrieg lernen kann, verhindern
solche zugestandenen Reformen nicht den Prozess einer sich
verschärfenden Krisendynamik und geraten unweigerlich unter
den Hammer, wo nicht große Klassenkämpfe das verhindern. Wo
aber große Klassenkämpfe geführt werden, ist alles möglich,
sogar der Umschlag in eine soziale Revolution.
Bei mir kommt eine verbreitete Kritik am Reformismus, die den
Kampf um soziale Reformen gering schätzt, mittlerweile so an:
Die soziale Lage der Klasse der
Lohnabhängigen geht auch vielen Sozialrevolutionären am Arsch
vorbei. Was sie interessiert, ist die Zustimmung zu ihrem
Konzept „sozialer Befreiung“. Viel Zustimmung erhalten sie
nicht, was sie aber nicht dazu veranlasst, über ihre Konzepte
nach- zudenken, sondern eher über manipulative, reformistische
Kräfte, die die massenhafte Zustimmung zu ihrem je einzig
revolutionären Konzept von sozialer Befreiung, verhindern.
Derweil ist größte Zersplitterung bei größter
„Prinzipientreue“ angesagt. Doch bei aller Kritik am
bürgerlichen Staat, wollen wir mal festhalten, dass
KommunistInnen zu keiner Zeit des entwickelten Kapitalismus
eine solche Freiheit genossen haben, ihre Auffassungen zu
artikulieren und zu verbreiten, wie in der parlamentarischen
Republik eines hochentwickelten kapitalistischen Landes
unserer Tage. Und da leben wir... ohne Zustimmung durch die
Mehrheit der Lohnabhängigen, trotz der sich dramatisch
zuspitzenden ökonomischen und sozialen Widersprüchen. Wem das
nicht Anlass ist, alle existierenden Organisationsansätze mit
„Führungsanspruch“ in Frage zu stellen, dem kann eigentlich
nicht mehr geholfen werden.
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Peter Trotzig schreibt ab der TREND Nr. 1-05 in unregelmäßigen
Abständen seine Kommentare zum Zeitgeschehen.
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