Die französische Regierung versucht seit einigen Monaten, ein
Gesetz gegen Urheberrechtsverletzungen im Internet
durchzusetzen. Der Entwurf sieht für so genannte Raubkopierer
Internetsperren vor, die Verfassungsrichter sehen darin die
Verletzung des Grundrechts auf Informationsfreiheit.
Die französische Regierung blieb eisern, und hielt an ihrem
Fahrplan fest: Auf HADOPI 1 folgt jetzt HADOPI 2 - und demnächst
HADOPI 3… Das Kürzel ist inzwischen fast allen Französinnen und
Franzosen geläufig. Was für seltsame Krümelmonster haben sich
die Regierenden da nun wieder ausgedacht?
Auf dieses Namensungetüm, das auch in den Titel des neuen und
demnächst zur Verabschiedung anstehenden Gesetzeswerks zur
„Regulierung“ des Internet und gegen „Raubkopieren“ eingegangen
ist, hört eine neu zu schaffende Institution. Es handelt sich um
die „Hohe Behörde für die Verbreitung von Werken und
(Urheber-)Rechten im Internet“.
Das dazu gehörige Gesetz, kurz Loi HADOPI, kam nach längeren
vergeblichen Bemühungen (siehe unten ausführlich) vor kurzem in
einem neuen Anlauf ins französische Parlament, und wurde nun am
15. September 2009 durch die Nationalversammlung definitiv
verabschiedet. Die Abstimmung erfolgte mit 285 gegen 225
Stimmen. (Der Senat, also das parlamentarische „Oberhaus“ in
Frankreich, hatte die Gesetzesvorlage bereits früher, im Juni
dieses Jahres, angenommen. Da jedoch die dort verabschiedete
Fassung leicht von jener Version abweicht, die durch die
Nationalversammlung angenommen wurde, tagt nun ein
Vermittlungsausschuss von je sieben Mitgliedern beider
Parlamentskammern, um eine gemeinsame definitive Endfassung zu
finden.)
Längeres Gezerre & Gewürge bis zur Verabschiedung
Bei dem jetzt verabschiedeten Gesetz - der Loi HADOPI II -
handelt es sich um die zweite Fassung, aber bereits um den
dritten Versuch: Anfang April 2009 war die damals geplante
feierliche Verabschiedung von HADOPI I daran gescheitert, dass
die erforderliche Mindestanzahl von Abgeordneten der
Nationalversammlung (von zehn Prozent ihrer Mitglieder) nicht
zusammengebracht werden konnte. Nur 16 Parlamentarier hatten
sich eingefunden: Die Abgeordneten der oppositionellen
Sozialdemokraten hatten die Sitzung boykottiert, und zahlreiche
Mitglieder der konservativ-liberalen Mehrheitsfraktionen wollten
sich gern um die Notwendigkeit drücken, zu dem Gesetzentwurf
„Farbe zu bekennen“. Denn auch im bürgerlichen Lager herrschten
erhebliche Bedenken gegen das Vorheben vor, die von „Zensur des
Internet“ über „Verletzung von Grundrechten“ bis zu
„handwerklichem Pfusch des Gesetzgebers“ reichten.
Am
12. Mai 2009 war es dann doch so weit: Nachdem die Einpeitscher
des Kabinetts die Abgeordneten der Regierungspartei UMP auf die
Fraktionsdisziplin einschwören konnten, wurde die erste Fassung
des „HADOPI-Gesetzes“ doch noch verabschiedet. Aber das Glück
der Regierenden hielt nur für kurze Zeit an: Am 10. Juni 09
kassierte das französische Verfassungsgericht, das durch die
Oppositionsfraktionen eingeschaltet worden war - die
französischen Verfassungsrichter können nicht durch die
einzelnen Bürger, sondern nur durch mindestens 60 Parlamentarier
angerufen werden - den Entwurf. Es sah eine Verletzung von
Grundrechten, nämlich der juristischen „Unschuldsvermutung“
sowie der „Kommunikationsfreiheit“, unmittelbar drohen. Verletzt
sahen die Richter diese Bürgerrechten auf gravierende Weise vor
allem durch die längerfristigen Intersperren für Nutzerinnen und
Nutzer, die laut dem Entwurf HADOPI I durch die gleichnamige
Behörde im Alleingang, also ohne gerichtliches Urteil, hätten
vorgenommen werden sollen.
Dabei ließen sich die französischen Verfassungsrichter auch
durch eine Resolution des Europaparlaments inspirieren, die kurz
zuvor - am o6. Mai 2009 - verabschiedet worden war: Darin wird
der Zugang zum Internet für alle europäischen Bürger als ein
grundlegendes Recht definiert, das nicht beliebig eingeschränkt
werden dürfe. Eine Mehrheit der Abgeordneten in Strasbourg
hatten einen Antrag in diesem Sinne, gegen den ausdrücklichen
Wunsch und Willen des europäischen Ministerrats, angenommen.
Nun gilt es also ernst, das Votum der französischen
Nationalversammlung vom 15. September 2009 sorgt für die Annahme
der Vorlage in ihrem oberflächlich überarbeiteten Neuentwurf
(HADOPI II). Aber eine neue Anrufung des Verfassungsgerichts
durch die Oppositionsparteien, vor allem die Sozialdemokratie,
ist bereits angekündigt. Und dann wird, neben dem politischen
Streit, auch der Rechtsstreit in eine neue Runde gehen. Noch ist
völlig unsicher, wie die neun Richter dieses Mal entscheiden
werden; die Regierung darf nicht davon ausgehen, dass sie die
Neufassung des Gesetzes einfach durchwinken werden, da es nur in
kleinen Teilbereichen abgeändert worden ist und die Änderungen,
laut Kritikern, eher kosmetischer Natur. Unterdessen kündigte
der seit Frühsommer 2009 amtierende neue Kulturminister Frédéric
Mitterrand bereits die Ausarbeitung eines weiterführenden
Textes, also HADOPI III, für die nahe Zukunft an.
Der Kern des Pudels
Aber worum ging es bei dem Streit um die Vorlage, im Kern? Es
handelt sich bei den diversen HADOPI-Entwürfen um ein
„Anti-Raubkopier-Gesetz“, das die Nutzung des Internet
regulieren soll. Es sieht in seinen unterschiedlichen Fassungen
jeweils vor, dass, wer gegen die Regeln verstöbt,
mit dem Absperren seines Zugangs zum Internet sanktioniert
werden kann. Eine kleine, aber tückische Zusatzbestimmung
schreibt ferner vor, dass die solcherart bestrafte Person
dennoch für die Dauer eines Jahres weiterhin ihren - gesperrten
- Internetzugang bezahlen muss, also nicht etwa kostenlos vom
Internet abgeschnitten wird. Der Druck der Internetprovider, die
sich weniger an den Sperren als am drohenden Verdienstausfall zu
stören schienen, ermöglichte es. Eine Doppelbestrafung? Nein,
falsch, sondern eine dreifache: Denn auch die Kosten für die
technischen Vorrichtungen, die zur Sperrung eines Access zum
„Netz der Netze“ mobilisiert werden, werden in einem solchen
Fall dem User aufgehalst, der sich einer Regelverletzung
schuldig gemacht haben soll.
„Soll“, denn bestraft wird die Userin oder der User nicht für
nachgewiesenes eigenes Verhalten, sondern für mutmabliches
„Nichtbeherrschen der Schaffung eines sicheren Internetzugangs“.
Das bedeutet: Wenn eine Person einen Access unterhält und ihr
Computer auch von anderen Personen - etwa heranwachsenden
Kindern, Lebensgefährten oder auch Freundinnen u. Bekannten -
genutzt wird, dann ist der Anmelder haftungspflichtig, sofern
„Raubkopieren“ von ihrem Internetzugang aus festgestellt wird.
Zuständig dafür war, nach dem ersten Entwurf, zunächst allein
die Aufsichtsbehörde HADOPI. Diese Bestimmung wurde nun durch
die Verfassungsrichter kassiert, denn sie verletzt laut ihrer
Auffassung die Unschuldsvermutung - und das Recht auf
richterliches Gehör, welches einer Sanktion vorausgehen müsse.
Zumal die Sanktion, für bis zu einem Jahr lang vom Internet
ausgeschlossen zu werden, einen doch ziemlich gravierenden
Charakter habe, da sie eben in ein Grundrecht eingreife. Die
Neufassung des Gesetzeswerke wurde an diesem Punkt abgeändert,
aber nur oberflächlich: Die HADOPI muss demnach künftig eine
Eilklage bei einem Strafrichter erheben und eine Einstweilige
Verfügung erwirken, um die Internetzugänge möglicher Übeltäter
sperren zu können. Dabei wird jedoch deren „Schuld“ noch gar
nicht geklärt sein, denn eine Einstweilige Verfügung ist eine
vorübergehende Maßnahme, die bis zu einer Klärung des
Sachverhalts erlassen wird.
Die Behörde HADOPI wird dann aktiv werden, wenn sie von den
Eigentümern privater Urheberrechte angerufen wird. Das kann zum
Beispiel im Namen von Künstlern oder auch ihre Erben, aber auch
von Plattenfirmen oder Filmgesellschaften geschehen. Dabei ist
höchst unwahrscheinlich, dass die finanzschwache Künstlerin, die
sich in ihren Werken selbst verwirklicht und nur mit Müh’ und
Not von ihrem Schaffen (über)leben kann, ins Spiel kommt, um
ihre Urheberrechte geltend zu machen: Antragsberechtigt bei der
HADOPI sind nämlich private Verfolgungsgesellschaften - eine Art
Privatdetektive im Internet -, die das technische Know-How dazu
haben, um als Experten tätig zu werden, die der Verletzung von
Urheberrechten im Internet nachspüren. Die nötigen Mittel,
solche Agenturen tätig werden zu lassen, besitzen aber eher die
Kulturfirmen denn die jetzt in diesem Zusammenhang viel
beschworenen kleinen Künstlerinnen, freien Journalisten und
andere Geistesschaffende ohne finanzielle Mittel.
HADOPI, Antiterrorismus, Zensur und „autoritäre Regierungen“
Die HADOPI kann sich dabei zunutze machen, dass seit dem im
November/Dezember 2005 verabschiedeten Anti-Terrorismus-Gesetz
„praktischerweise“ alle Internetprovider gesetzlich dazu
verpflichtet worden sind, zwölf Monate lang sämtliche
Zugangsdaten aufzubewahren. Dies können die Verfolger der
„missbräuchlichen Internetnutzung“ sich nun ihrerseits, zu ganz
anderen Zwecken als den ursprünglich vorgesehen
(„Terrorismusbekämpfung“), zunutze machen – und dadurch die
Vorratsspeicherung nochmals neu legitimieren.
Während einzelne prominente Künstler aus vermeintlichem
finanziellem Interesse heraus für das neue Gesetz aktiv wurden
und die französische Sozialdemokratie für ihre Opposition zur
Gesetzesvorlage tadelten, hagelte es von Bürgerrechtlern und
auch vielen anderen Kulturschaffenden Kritik. Noch ist
unterdessen völlig unklar, ob die Kulturschaffenden überhaupt,
wie von manchen erhofft, finanzielle Vorteile von diesem
(brachialen) Vorgehen gegen „Raubkopierer“ im Internet haben
werden. Denn wenn junge Leute heute – technisch versiert - im
Internet „wie wild“ Musikstücke oder Filme herunterladen und
ihnen dies morgen verwehrt wird, bedeutet dies ja noch lange
nicht, dass sie dann umso mehr CDs kaufen oder kostenpflichtige
Downloads vornehmen werden. Sofern es ihnen am nötigen Kleingeld
fehlt, werden sie schlicht und einfach weniger Zugang zur Kultur
haben als bisher. Und die fündigeren unter ihnen werden ohnehin
schnell jene Webseiten, auf denen Downloaden unter
gleichzeitiger Anonymisierung ihrer Daten möglich ist, zu nutzen
wissen.
Es
hätte auch Alternativen gegeben, wie etwa die radikal linke
Zeitung Tout est à nous (Alles gehört uns) dazu anmerkte. So
hätte die Regierung oder Parlamentsmehrheit dafür sorgen können,
dass die Urheberrechte mit dem Tod des oder der
Kulturschaffenden erlischt; anstatt die
Plattenfirmen/Filmgesellschaften/Buchverlage usw. dazu zu
verpflichten, auch über das Ableben des Anspruchsberechtigten
hinaus dessen Erbinnen und Erben (bis zum Eintritt der
Verjährungsfrist) einen regelmäbigen
Obulus zu überweisen. Die dadurch frei werdenden Mittel – die
dann nicht mehr Leuten zukämen, die keinerlei Inhalte
„geistigen Eigentums“ geschaffen haben, sondern aussschlieblich
von ihrer juristischen Person als Nutznieber
einer Erbschaft profitieren – hätten dazu dienen können, bspw.
einen Fonds zu alimentieren, der einen allgemeinen Zugang zu
Kulturgütern garantiert und finanziert.
Eher, weitaus eher als im Interesse der Kulturschaffenden
handelte die französische Regierung, als sie an die Schaffung
des Gesetzesmonstrums Loi HADOPI ging, im Auftrag der groben
kulturindustriellen Konzerne, ihrer Anwältinnen und Anwälte.
Noch ein weiterer Aspekt wird auch in Zukunft für heftigen
Streit sorgen: Das „HADOPI-Gesetz“ sieht ferner vor, dass die
Aufsichtsbehörde ein Qualitätsurteil über im Internet
anzuklickende Seiten abgibt. Der Zugang zu „illegale“ Webseiten,
und insbesondere solchen, über die das „Raubkopieren“ von
Inhalten möglich ist, soll französischen Internet-Usern verwehrt
werden können. Umgekehrt soll die HADOPI ein Label für
„Qualitätsseiten“, die nur „überprüfte“ Informationen ins Netz
stellen - und etwa von professionellen Journalisten betrieben
werden - erteilen können, um diese Seiten von den zahllosen
Blogs unterscheiden zu können. In einem Beitrag für die Pariser
Abendzeitung Le Monde gibt der Präsidentenberater und frühere
Mitarbeiter des Kulturministeriums Franck Louvrier - der den
Entwurf zu dem umstrittenen Gesetz mit verfasste - folgende
Zielsetzung aus: Künftig müsse man das Internet „vor der
Manipulation durch Inhalte, die von autoritären Regierungen“
ausgingen, durch ihre Agenten ausgearbeitet und ins Netz gesetzt
würden, schützen. Jérémie Zimmermann, Mitbegründer der
Bürgerrechtsinitiative
La
Quadrature
du Net, freilich ist der Auffassung, genau dadurch töte man die
Informationsfreiheit im Internet, die man zu schützen vorgebe.