Tatsache
- das Wort «Tatsache» («Fakt»,
«Faktum», «Datum») wird in der |
philosophischen
und methodologischen Literatur in verschiedenen Bedeutungen
verwendet. So werden mit «Tatsache» sowohl Sachverhalte
(z.B. «Tatsachen feststellen») als auch wahre
Aussagen bezeichnet (z.B. «Tatsachen verallgemeinern»). Mit
diesen beiden Grundbedeutungen von «Tatsache» sind weitere
Bedeutungsvariantcn verbunden. Sie sind durch den Charakter
der Philosophie bedingt, in deren Zusammenhang oder unter
deren Voraussetzung das Wort «Tatsache» benutzt wird, aber
auch durch die speziellen Zwecke, die bestimmte
methodologische Untersuchungen verfolgen. So werden in der
marxistischen Philosophie als «Tatsache» bisweilen nur
objektiv-reale Sachverhalte oder sogar nur bestimmte dieser
Sachverhalte bezeichnet. |
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Die vielfache Verwendungsweise des Wortes «Tatsache» bedingt,
daß mit den unterschiedlichen Tatbeständen, die es bezeichnet,
auch unterschiedliche philosophische und methodologische Fragen
verknüpft sind. Viele dieser Fragen werden aber bereits durch
andere bewährte Termini beschrieben, zu denen dann «Tatsache»
nur als Synonym auftritt. So ist das Verhältnis einer wahren
Aussage zu einem objektiv-realen Sachverhalt nur ein
Spezialfall der Relation, in der ein Abbild zum Abgebildeten
steht, usw.
Eine besondere philosophische und methodologische Problematik
eröffnet sich hingegen dann, wenn wir als «Tatsachen» bzw.
«Tatsachenaussagen» jene wahren Aussagen bezeichnen, die
innerhalb eines Aussagensystems andere Aussagen begründen oder
durch andere Aussagen erklärt werden. In diesem funktionalen
Sinne soll nun «Tatsache» verstanden werden. Eine wahre
Aussage ist also in bezug auf andere Aussagen eines
Aussagensystems genau dann eine Tatsache, wenn sie dazu
dient, andere Aussagen zu begründen, oder wenn sie durch andere
Aussagen dieses Systems erklärt wird. Wenn ein solches
Aussagensystem wissenschaftlicher Natur ist, dann heißen die in
Frage stehenden Aussagen wissenschaftliche Tatsachen und
die diese erklärenden bzw. die durch die wissenschaftlichen
Tatsachen begründeten Aussagen theoretische Aussagen. Wahre
Aussagen, die innerhalb eines wissenschaftlichen Systems
theoretische Aussagen sind, können innerhalb eines davon
verschiedenen Systems als Tatsachen füngieren. Die marxistische
Philosophie beispielsweise stützt sich auf wahre
theoretische Aussagen anderer Wissenschaften, d.h., sie benutzt
sie als Tatsachen. Die mit dieser Bedeutung von «Tatsache»
verbundenen methodologischen und philosophischen Probleme
betreffen etwa folgendes: die Abhängigkeit der der Menschheit
zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Tatsachen vom
Entwicklungsstand der Praxis und insbesondere auch von den
theoretischen Bedürfnissen der Gesellschaft; die zwischen den
Tatsachen und den theoretischen Aussagen bestehenden Beziehungen
( Empirisches und Theoretisches); die Art und Weise des
Verallgemeinerns von Tatsachen; die Beschaffenheit von
Tatsachenmengen, die eine Hypothese zu begründen oder zu
beweisen vermögen usw. Soweit eine Wissenschaft die von ihr
benötigten Tatsachen nicht anderen Wissenschaften oder auch dem
Alltagswissen entnehmen kann, werden Tatsachen durch spezielle
Methoden gewonnen: etwa Beobachtung, Experiment, empirische
Sozialuntersuchungen, historische Quellenstudien usw. Tatsachen,
die quantitative Stufungen bestimmter Wirklichkeitsbereiche
wiedergeben, können heute mittels Automaten gruppiert und
klassifiziert werden (Datenverarbeitung).
Das Verhältnis der Tatsachen zu den sie erklärenden
theoretischen Aussagen eines wissenschaftlichen Systems
unterliegt in der Gegenwart heftigen philosophischen
Auseinandersetzungen. So verabsolutieren Vertreter des modernen
Empirismus den zwischen den Tatsachen und den theoretischen
Aussagen eines wissenschaftlichen Systems bestehenden
Unterschied dahingehend, daß nur den Tatsachen ein Bezug zu den
Sachverhalten zugesprochen wird, nicht aber den theoretischen
Aussagen.
Neupositivistische Philosophen meinen, daß die theoretischen
Aussagen eines wissenschaftlichen Systems nicht auf Sachverhalte
zutreffen könnten, die nicht bereits durch die diesem System
zugrunde liegenden Tatsachen erfaßt worden sind. Im Gegensatz
hierzu demonstriert die Geschichte der Wissenschaften, daß
Aussagen über bislang nicht erschlossene Bereiche der
Wirklichkeit aus theoretischen Aussagen abgeleitet und daß somit
wissenschaftliche Voraussagen getroffen werden können. Das zeugt
zugleich davon, daß durch die Verallgemeinerung von Tatsachen
neue wahre Aussagen gewonnen werden können, die ebenso
wie die Tatsachen selbst Sachverhalte der Wirklichkeit abbilden.