„Der David – Der Westen und sein Traum von Israel“ von Daniel Cil Brecher

rezensiert von Anton Holberg

09/11

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Anfang August veröffentlichte der Kölner PapyRossa Verlag ein wichtiges und, um es vorweg zu sagen, hervorragendes Buch von Daniel Cil Brecher über zentrale im Westen kursierenden Mythen über Israel.

Der Autor, 1951 in Tel Aviv geboren und heute in den Niederlanden lebend ist Historiker und hat an der Universität Haifa und der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem gearbeitet und war Direktor des Leo Baeck Instituts in Jerusalem.

In der Einleitung und fünf weiteren Kapiteln zeigt D.C.Brecher auf, wie einerseits die jüdische Nationalbewegung, die aus europäischer Judenverfolgung und Adaption nationalistischer Ideologie durch sekuläre europäische Juden im 19.Jh. erwachsen ist, stets bemüht war, eine Rechtfertigung in der Anerkennung ihrer Bestrebung nach einem Staat für alle Juden dieser Welt durch die christliche Umwelt zu suchen. Sie sollte von dieser als eine Form legitimer Rückkehr zur antiken jüdischen Staatlichkeit verstanden und unterstützt werden.

Andererseits zeigt der Autor auf, dass und wie die entsprechenden historischen Beispiele des „Philosemitismus“ bei näherem Hinsehen keineswegs den behaupteten eindeutigen Charakter haben. Vielmehr handelt es sich um Mythen. Insbesondere seit der Gründung Israels ist deren mächtigste die Idee, dass sich hier ein kleines an und für sich unterlegenes Land wunderbarerweise gegen die übermächtige feindliche arabische Umwelt behauptet, der biblische Mythos von David und Goliath.

Brecher zeigt das für die Zeit bis zur Staatsgründung unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg. Den Anfang machte eine Proklamation Napoleons von 1799, die diesem 1940 von Franz Kobler zugeschrieben wurde, in der er angeblich ankündigt, das zu diesem Zeitpunkt von seiner in Ägypten stehenden Armee noch keineswegs eroberte Palästina an die „seit tausenden Jahren“ seiner „heimatlichen Erde“ beraubten „einzigartigen Nation, Israel“ zurückzugeben. Darauf folgte die von der britischen Protektoratsmacht über Palästina nach dem 1.Weltkrieg veröffentlichen „Balfour Erklärung“ zu Gunsten einer „jüdischen Heimstatt“ in Palästina und schließlich die Unterstützung und völkerrechtlichen Anerkennung des neugegründeten Staates durch die Siegermächte des 2.Weltkriegs, zuerst durch die UdSSR und sodann durch die USA.

In all diesen Fällen handelte essich in Wirklichkeit allerdings keineswegs um Ergebnisse fester projüdischer Haltungen, sondern um machtpolitische Manöver. Diese hatten bestenfalls am Rande etwas damit zu tun, dass die genannten Verantwortlichen der Meinung gewesen wären, die Gründung eines jüdischen Staates auf arabischem Boden sei auf Grund der Geschichte - sei es der Existenz jüdischer Staaten in der Antike, sei es auf Grund des im Nazi-Holocaust gipfelnden europäischen Antisemitismus – selbstverständlich legitimiert.

Von besonderer Bedeutung scheint mir das von Zionisten und nicht-jüdischen Anhängern des Zionismus geteilte Bild vom zionistischen Staat und seinen – jüdischen – Bewohnern zu sein. Es ist das Bild von einem Volk von Pionieren, die die bis zu ihrem EingreifenPalästina vermeintlich prägende natürliche und kulturelle Wüste zum erblühen gebracht haben.

Wenn man es etwas bösartig formulieren will, kann man die Eigenschaften dieses „neuen Juden“ so zusammenfassen: „Flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl“. Damit ist der zionistische Siedlerkolonialist das genaue Gegenteil der europäischen Juden, die jahrhundertelang Europas Kultur so wesentlich bereichert haben. Nicht nur keine kleinen Händler, Geldverleiher und dergleichen in osteuropäischen Ghettos oder in wohlhabenderer Form in Westeuropa, sondern auch keine Komponisten wie Felix Mendelssohn oder Gustav Mahler, Schriftsteller wie Heinrich Heine, Hugo von Hofmannsthal oder Franz Kafka und Wissenschaftler wie Siegmund Freud oder Albert Einstein.

Stattdessen Wehrbauern – muskulös, und, wenn man Hollywoods prozionistischen Werbefilmen „Ben Hur“ und „Exodus“ glauben will, auch blond und blauäugig (Charlton Heston, Paul Newman). Unverkennbar bezieht sich diese Projektion keineswegs auf „die“ Juden, sondern auf die Juden, die alleine die treibende Kraft des zionistischen Projektes waren und so gut wie die gesamte herrschende Klasse Israels stellten – die europäischen Juden.

In gewisser Weise erweist sich auf diesem Hintergrund auch der fanatische Philosemitismus der „Antideutschen“, denen Brecher im Kapital „Sprachstunde Null – Wie die Bundesrepublik Deutschland über Juden und Israel zu sprechen lernte“ mehrere Seiten widmet, als besonders deutsch.

An dieser Stelle möchte ich eine Überlegung hinzufügen, deren Fehlen dem Buch keineswegs vorgehalten werden sollte, denn sie ergibt sich auch aus den Ausführungen des Autors. Mir scheint, dass ein nicht unwesentlicher Grund für die Sympathie, die Israel im Westen genießt, nicht nur Ergebnis machtpolitisch geleiteter Propaganda ist oder wie im Fall der insbesondere in den USA starken Evangelikalen seine Einordnung in biblische Weltuntergangsmythen („Armageddon“), sondern ganz allgemein auch Ergebnis kultureller Nähe.

Ungefähr bis zur „Entdeckung“ des südländischen Arbeitsimigranten waren die Juden in Europa die einzigen als religiöse und - oft nur vermeintlich - ethnische Minderheit Fremden. Nachdem man sie mittels des Holocausts weitgehend losgeworden war, standen sie in Israel wie Phönix aus der Asche auf, nun in der vermeintlich nur muslimischen arabischen Umgebung als die Verkörperung des Europäertums, wenn nicht gar seiner „arischen“ Variante.

Wer kannte neben Ben Gurion, Gold Meir, Begin, Perez usw. schon irgendeinen arabischen Juden oder auch nur dessen Namen aus dem Jemen, dem Irak oder Marokko?

 

Daniel Cil Brecher:
„Der David – Der Westen und sein Traum von Israel“.

PapyRossa Verlag
Köln 201, 246 S.,
€ 15,90 [D]
 € 16,40 [A]