Wer etwas über die
Zusammenarbeit zwischen der EU und der Türkei lernen
will, sollte sich einen Prozess gegen türkische Linke in
Perugia (Italien) ansehen. Die
Angeklagten müssen dem Prozess im Eisen-Käfig
verbringen. Da kann der hohe
Polizeioffizier aus Istanbul, der beim nächsten Prozesstermin
aussagen soll, sicher etwas lernen.
Die Altstadt von Perugia ist alljährlich das Ziele vieler
Touristen aus aller Welt. Doch mitten in
diesem Touristenviertel befindet sich auch das
Gericht. Tribunale steht gross am Eingang. Wer es
betreten will, braucht viel Zeit und
Geduld. Die Namen aller Eintretenden samt Adresse und
Geburtsdatum werden sorgsam aufgeschrieben. Dann werden
alle Gegenstände,
die man mitnimmt durchleuchtet. Wenige Minuten später werden
noch einmal
die Personalien aufgenommen.
Vorher war es die Polizei, jetzt
sind es die Carabineri, die haben eine
eigene Hierarchie und arbeiten in der Regel gegen- statt
miteinander. So kommt es auch, dass man
die Personalien eben gleich zweimal aufnehmen lassen
muss, zumindest, wenn man einen politischen Prozess
besuchen will. Am 17.09. ging es um ein
hochpolitisches Verfahren. Zwei türkische Linke sind
der Zugehörigkeit zu einer terroristischen Organisation
angeklagt. Obwohl sie völlig legal
gearbeitet haben, werden sie beschuldigt, die DHKP/C
(Revolutionäre Volksbefreiungspartei/Front unterstützt zu
haben Seit dem 1.April 2004 sind die
beiden schon in Untersuchungshaft. Sie wurden als
Teil einer grossen Polizeioperation verhaftet, bei in der
Türkei, in Holland und in Italien
insgesamt fast 60 Menschen festgenommen worden sind.
Ziel dieser Aktion war die Zerschlagung der DHKP/C und
ihrers vermeintlichen Umfelds. Dazu
zählen für die türkischen und europäischen Behörden
sowohl legale Menschenrechtsvereine, linke Zeitungen und
Rechtsanwaltsbüros. Diese Einrichtungen waren am 1.April
2004 Ziel der Polizeioperation sowohl in
der Türkei als auch in Italien und den
Niederlanden. Auch in Deutschland gab es Hausdurchsuchungen,
aber keine Festnahmen.
Bei dieser grenzübergreifenden Razzia on lief die
Zusammenarbeit der
Sicherheitsbehörden der EU-Staaten und der Türkei blendend. Mag
es auf anderen Gebieten noch Vorbehalte
geben, die Türkei in die EU aufzunehmen,
auf dem Gebiet der Sicherheitszusammenarbeit
gibt es diese Vorbehalte jedenfalls in der Praxis
nicht.
Das wurde am vergangenen Samstag
beim Prozess in Perugia auch wieder
deutlich. Es wurde ein hoher Beamter der Carabinerie als Zeuge
befragt. Er erwies sich als grosser
Verteidiger der türkisch-italienischen
Sicherheitspartnerschaft. Nachfragen der
Anwälte der Angeklagten zur Situation der Menschenrechte in der
Türkei wehrte er ab. Das sei Politik und
gehöre hier nicht hin,meinte er kurz.
Ansonsten hat er sich alle Wertungen des türkischen Regimes
gegenüber linken Oppositionellen zu eigen
gemacht Für ihn handelt sich sowohl bei der
DHKP/C als auch bei der DHKC um terroristische
Organisationen und die
Gefangenenhilfsorganisation Tayad gehört zu diesem Umfeld.
Der nächste Prozesstermin ist am
1.Oktober. Beginn ist wieder 9 Uhr vor
Gericht in Perugia. Dann soll der Sicherheitschef in Istanbul
als Zeuge vor Gericht aussagen. Der wird
sicher die Ausführungen des italienischen
Carabinerie nur bestätigen. Ausserdem kann der Istanbuler
Sicherheitschef
noch etwas in Italien lernen. Wie man Untersuchungshäftlinge,
die eigentlich noch als unschuldig zu
gelten haben, in einen kleien Eisenkäfig
sperrt und sie so im wahrsten Sinne während des ganzen Prozesses
ausstellt. Wenn die RechtsanwältInnen etwas mit ihren
Mandanten zu besprechen hatten, mussten
sie aufstehen und am Gitter reden. So ist die
Vertrauichkeit zwischen Anwalt und Mandantne bestimmt
nicht gewahrt. Doch das Verfahren in
Perugia zeigt wieder einmal, wie fruchtbar die
Zusammenarbeit zwischen einem EU-Staat und der Türkei
sein kann, wenn man gemeinsam gegen Linke
vorgehen kann.
Nächster Termin. 1.10.05 - Tribunale -
Centro von Perugia
Editorische Anmerkungen
Der Text wurde uns vom Autor am
17.9. 2005 zur Verfügung gestellt.
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