Die
Ankündigung löste nur mäßige Begeisterung in seiner Partei aus:
Jean-Marie Le Pen möchte, koste es wolle, in anderthalb Jahren
noch ein – letztes – Mal zur französischen Präsidentschaftswahl
antreten. Es wäre seine vierte Teilnahme an der Wahl, die Le
Pen, in Übereinstimmung mit seiner auf den „starken Mann“
zugeschnittenen Politikkonzeption, als „Königin aller
Schlachten“ betrachtet und als den einzigen Wahlgang, der ihn im
Grunde je interessiert hat.
Erstmalige
"positive" Wahlempfehlung von Le Pen?
Dabei will
der rechtsextreme Politiker übrigens – erstmals, seitdem er 1988
erstmals zur Präsidentschaftswahl kandidieren konnte -, beim
nächsten Mal nicht ausschließen, eine positive Empfehlung für
den entscheidenden zweiten Wahlgang auszusprechen. Sein
konkretes Verhalten vor der Stichwahl wird er davon abhängig
machen, wie er Ende August ankündigte, wer dann die bürgerliche
Rechte vertritt. Falls ihr Kandidat im zweiten Wahlgang wieder
Jacques Chirac wäre (wie 1988, 1995 und 2002) und damit ein
Mann, den Le Pen persönlich hasst wie kaum einen zweiten, „dann
würde es mir schwer fallen“, eine Wahlempfehlung auszusprechen.
Bisher hat Le Pen tatsächlich bei den letzten Malen noch nie zur
Stimmabgabe zugunsten Chiracs aufgerufen – 1995 erklärte er
öffentlich, Chirac, sei „dasselbe wie (sein sozialistischer
Gegenkandidat Lionel) Jospin auf die schlimmere Tour“, 2002
konnte er ihn gar selbst als Gegenkandidat herausfordern.
Wenn jedoch
nicht mehr Chirac, sondern – wie von vielen Beobachtern erwartet
wird – dessen derzeitiger Innenminister Nicolas Sarkozy in der
Stichwahl gegen einen Vertreter oder eine Vertreterin der
Linksparteien antreten wird, dann könne er sich eine
Wahlempfehlung sehr wohl vorstellen, verkündete Le Pen. Sarkozy
wirbt seit Monaten offen mit autoritären Parolen um das Publikum
des FN, am 30. Juni verkündete er gegenüber Journalisten: „Ich
ziele nicht auf die Wählerschaft des FN ab, ich habe sie
bereits“. Immerhin drei Viertel der rechtsextremen
Sympathisanten geben an, von seiner Politik zur Inneren
Sicherheit angetan zu sein.
Nicht so
sehr bei einer Parlamentswahl (bei der das persönliche Profil
des ehrgeizigen Ministers hinter dem allgemeinen Image der
Regierungspartei UMP zurücktreten würde), wohl aber bei einer
Personenwahl wie dem Rennen um die französische Präsidentschaft
könnte Sarkozy derzeit durchaus einen Teil der FN-Wählerschaft
anziehen. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass der FN sein
theoretisches Potenzial sicherlich im Moment - wo die Partei
zerstritten dasteht und ihre Basis eher passiv gehalten denn
mobilisiert wird - nicht voll ausschöpfen könnte. Der
FN-Kandidat würde im Moment wohl eher 10 Prozent als, wie in der
Vergangenheit, 15 Prozent der Stimmen anziehen können; es sei
denn, es kommt ihm erneut die Konjunktur eines
mobilisierungsträchtigen Themas (wie im Jahr 2002 der
"Unsicherheit") zu Hilfe.
Kongress
verschoben
Im Jahr
2007, in dessen erster Hälfte sowohl der Präsident als auch die
Nationalversammlung neu gewählt werden, wird Jean-Marie Le Pen
79 Jahre alt. In den meisten Fällen bedeutet das für einen
Politiker: Zeit, abzutreten und eventuell seine Nachfolge zu
regeln. Nicht so für den Chef des rechtsextremen Front National
(FN), der bestrebt ist, alle innerparteilichen
Entscheidungsstränge in seinen eigenen Händen zusammenlaufen zu
lassen. Die Entscheidung über eine mögliche Nachfolge wird nach
wie vor durch ihn blockiert. Ursprünglich hätte, nach dem
Kalender der bisher im dreijährigen Rhythmus stattfindenden
Parteitage, im Frühjahr 2006 ein Kongress des FN stattfinden
müssen.
Damit aber
nur ja die heikle Erbfolgefrage nicht vor der kommenden
Präsidentschaftswahl aufgeworfen werden kann, hat der Chef des
FN nunmehr entschieden, dass der nächste Kongress auf Ende 2007
verschoben wird. Dann ist das „Superwahljahr“ vorüber. Und falls
er es sich bis dahin nicht noch einmal anders überlegt, gedenkt
Le Pen dann vielleicht auch abzutreten. Bis dahin bleiben aber
noch ein paar größere Steine aus dem Weg zu räumen, vor allem
der allerdickste Brocken: das Problem der 500
Unterstützungsunterschriften.
Um als
Kandidat zur Präsidentschaftswahl antreten zu können, muss ein
Bewerber 500 Unterschriften von Mandatsträgern der Republik –
Bürgermeistern, Angehörigen eines Bezirks-, Regional- oder des
Europaparlaments, Abgeordneten der beiden nationalen
Parlamentskammern – vorweisen können. Bei der letzten Wahl im
April 2002 hatte Le Pen bereits die allergrößte Not, die 500
Unterschriften zusammen zu bekommen; wochenlang hatten seine
vergeblichen Bemühungen darum die Medien im Atem gehalten, was
ihm freilich im Endeffekt damals eine gewisse Publicity
verschaffte. Beim nächsten Mal könnte es aber nun wirklich
extrem eng werden: Zum ersten Mal haben hohe Parteifunktionäre
des FN in der bürgerlichen Presse – etwa in „Libération“ und „Le
Monde“ -, wenngleich meist ohne Namensnennung, klar erkennen
lassen, dass viele der eigenen Parteikollegen 2007 nicht mehr
für Le Pen senior unterschreiben würden. Der FN verfügt über
rund 150 Regionalparlamentarier, und wenn selbst die nicht alle
für die Kandidatur ihres Spitzenmanns unterschreiben, dann wird
es wirklich kritisch. Denn wie die französischen Medien bereits
jetzt berichten (vgl. "Le Parisien" vom 13. 09. 2005,
Schlagzeile: "Die ¨Bürgermeister zeigen Le Pen die kalte
Schulter"), zeigen sich die Bürgermeister auch kleinerer
Kommunen im Hinblick auf die kommende Wahl nunmehr äußerst
zurückhaltend, was eine Unterschrift für Le Pen betrifft:
Erstens hat dessen ausdrückliche Relativierung der mit der
deutschen Besatzung in Frankreich verbundenen Verbrechen (in
einem Interview für die offen pro-nazistische Zeitung "Rivarol"
im Januar 2005) viele von ihnen definitiv abgestoßen. Und
zweitens werden im Jahr 2008, das auf die nächste
Präsidentschaftswahl folgt, frankreichweit die Kommunalwahlen
stattfinden. Und dann werden die kommunalen AmtsträgerInnen sich
vor ihren WählerInnen verantworten müssen. Eine Unterschrift für
Jean-Marie Le Pen erscheint dabei zur Zeit nicht eben als
positives Werbeargument, um eine Mehrheit unter ihnen
anzusprechen.
Bei der
letzten Präsidentschaftswahl im April 2002 fielen solcherart
Bedenken noch geringer aus: Die letzten Kommunalwahlen (März
2001) waren soeben vorüber, die nächsten würden erst einige
Jahre später stattfinden (turnusmäßig eigentlich 2007, aufgrund
des "Superwahljahrs" wurden sie gleich auf 2008 verschoben).
Doch dieses Mal muss Le Pen wirklich ernsthaft um seine
Unterschriften bangen. Deshalb suchte er bereits Ende August,
anlässlich der Sommerakademie des FN, moralischen Druck auf die
Bürgermeister auszuüben: Diejenigen Amtsträger, die "Mut"
bewiesen, "ihrer staatsbürgerlichen Aufgabe nachkommen" und sich
nicht von Druck beeinflussen ließen, würden "in die Geschichte
eingehen", tönte Le Pen.
Rechtskatholik Philippe de Villiers
Neben
Jean-Marie Le Pen selbst und Innenminister Sarkozy kommt noch
ein weiterer Bewerber um die Stimmen des rechten bis
rechtsextremen Wählerpotenzials in Betracht: Der
nationalkonservative, rechtskatholische Graf Philippe de
Villiers, der am 11. September bereits seine eigene
Präsidentschaftskandidatur anmeldete. An jenem Wochenende hielt
seine Partei, das "Mouvement pour la France" (MPF), im
südostfranzösischen Grasse ihre Sommerakademie mit rund 500
Teilnehmern ab.
Seine,
bisher noch im Aufbaustadium steckende, „Bewegung für
Frankreich“ (MPF) konnte im Abstimmungskampf vor dem Referendum
zur EU-Verfassung vom 29. Mai dieses Jahres Aufmerksamkeit
gewinnen. Das MPF hat in den letzten Monaten auch viele
enttäuschte ehemalige FN-Funktionäre gewonnen (darunter den
jetzigen MPF-Generalsekretär Guillaume Peltier, früher Chef der
Jugendorganisation des FN), die hier einen neuen; vom Verdacht
auf Naziparolen und anderen Anrüchigkeiten „unbelasteten“, eher
konservativen Rahmen für „nationale Politik“ entdeckten.
Tatsächlich steht das MPF nicht in einer offen faschistischen
Tradition, wohl aber in jener der rechtskatholischen
Republikgegner der ersten Jahrzehnte nach 1789, von denen einige
auch – neben Kreisen aus der Armee und der Kirche - am
Vichy-Regime teilnahmen. Philippe de Villiers hat Ende August
auch offen erklärt, die Türen seiner Partei stünden ehemaligen
FN-Leuten offen. Und, wie etwa die liberale Pariser Abendzeitung
"Le Monde" (u.a. in ihrer Ausgabe vom 16. September) feststellt,
begibt sich Philippe de Villiers inhaltlich "auf das Terrain des
Front National". Seine Kampagne nährt er zur Zeit vor allem mit
Ressentiments, die er durch Parolen gegen den EU-Beitritt der
Türkei, gegen Immigration und gegen die "zunehmende
Islamisierung Frankreichs in allen gesellschaftlichen Bereichen"
mobilisiert.
Rechtsdissidenten des FN im Kontakt mit den Nationalkatholiken
Der derzeit
einzige FN-Bürgermeister einer Kommune von mehr als 10.000
Einwohnern – Jacques Bompard, Stadtoberhaupt im südfranzösischen
Orange, einer Kommune von rund 30.000 EinwohnerInnen – hat nach
Informationen von „Libération“ (10. September 2005) den Grafen
de Villiers jüngst getroffen. Bompard steht seit längerem mit Le
Pen im Konflikt, der sich verschärft hat, nachdem der
Bürgermeister von Orange es wagte, der FN-Sektion im Département
Vaucluse – und damit der eigenen Partei – im Mai einen
Geldstrafbefehl wegen illegalen Plakatierens in seiner Kommune
auszustellen. Am 9. September 05 wurde Bompard aus den
Führungsgremien des FN ausgeschlossen; er hat bereits
angekündigt, der Partei nicht als einfaches Mitglied angehören
zu wollen.
Ende August
ließ Bompard erneut, wie bereits im Vorjahr, in Orange eine
Sommeruniversität seines Clubs „Esprit Public“ (Staatsmännischer
Geist) beinahe zeitgleich - ihr Beginn war um zwei Tage versetzt
- zur „offiziellen“ Sommeruniversität des FN stattfinden.
Letztere fand dieses Jahr in Bordeaux statt und hatte die
„globalen Probleme“ wie Erderwärmung, Ökologie und Hunger zum
Thema – freilich nur, um zu verkünden, dass lediglich eine
Rückkehr zum Nationalstaat als Politikrahmen Abhilfe verschaffen
könne. In Orange hielt man sich dagegen nicht damit auf, sich
auf diese Weise als pseudo-moderne und aufgeschlossene Kraft zu
präsentieren, sondern widmete sich gleich viel „klassischeren“
rechtsextremen Themen, wie dem Problem der „Meinungsfreiheit“
für Geschichtsrevisionismus. Teile des
katholisch-fundamentalistischen Parteiflügels und militante
rechtsradikale Aktivistenkreise fanden sich in Orange ein.
Aber auch in
Bordeaux, wo der „offizielle“ FN tagte, war die Haltung zu den
Nationalkatholiken um Philippe de Villiers ein Thema. Denn ein
Teil des Hardlinerflügels und der „alten Garde“, der zwischen
der Unterstützung für die innerparteiliche „Nummer zwei“ Bruno
Gollnisch und jener für Jacques Bompard schwankt, machte sich am
Rande der Tagung von Bordeaux für eine „Annäherung“ an die neue
Partei des rechtskonservativen Grafen stark. „Schon seit dem
Referendum (Ende Mai) hätten wir uns an diese Leute annähern
sollen“ forderte etwa Marie-France Stirbois, die der Partei seit
den 70er Jahren angehörte, in Bordeaux vor der Presse.
Hintergrund ist, dass dieser Teil der „alten Garde“ sich von
einer Annäherung an die Nationalkatholiken verspricht, einer
„modernistischen Aufweichung der Werte“ vorbeugen zu können –
denn diese Gefahr ist in ihren Augen mit dem möglichen späteren
Aufstieg der Le Pen-Tochter, Marine, an die Parteispitze
verbunden. Dagegen plädierte die innerparteiliche „Nummer drei“,
FN-Generalsekretär Carl Lang, gegen eine solche Annäherung, da
Philippe de Villiers nicht mit dem bürgerlichen Konservativismus
und der Regierungspartei UMP gebrochen habe.
Befürchtet
wird von den Gegnern einer solchen Annäherung vor allem, dass
der sozial schwächere, vor allem von den „Protest“aspekten des
FN-Parteidiskurses angezogene Teil der Wählerschaft ihr nicht
folgen würde. Tatsächlich ist das Publikum des Grafen de
Villiers mehrheitlich materiell weitaus besser situiert, und in
anderen Wohngegenden ansässig, als zumindest ein Teil der
Wählerbasis des FN.
Editorische Anmerkungen
Der Text wurde uns vom Autor am
19.9. 2005 zur Verfügung gestellt.
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