Während des letzten Jahrzehnts
hat sich weltweit das "Gendermainstreaming" durchgesetzt.
Während einige Frauen von der Integration in Markt und Staat
profitierten, wurde das Leben von anderen Frauen überflüssig.
Diese Analyse zeigt, wie das feministische Projekt zusammen mit
Markt und Staat umstrukturiert wurde. Wenn wir uns darüber
bewußt werden, wie wir funktionieren und beeinflußt werden,
können wir unsere eigenen Strategien hinterfragen und die
Machtanalyse zurück in den feministischen Diskurs bringen.
Der globale feministische Kanon kritisch hinterfragt:
Plädoyer für eine neue feministische Gesellschaftskritik
Feminismus als Gesellschaftskritik und soziale Bewegung trat für
politische wie persönliche Freiheit und ökonomische
Gerechtigkeit ein, stellte eine Verbindung her zwischen
Institutionen wie Familie, Markt oder Staat und der
Unterdrückung von Frauen und setzte sich für die Umgestaltung
von Machtstrukturen in den Geschlechterverhältnissen ein.
Allerdings hat sich während des letzten Jahrzehnts weltweit das
sog. Gendermainstreaming durchgesetzt, ein Ansatz, der
feministische Themen in einem neoliberal umorganisierten Markt
und Staat verortet. Zwar wurden Frauen politisch sichtbar und
traten in den Arbeitsmarkt ein, gleichzeitig jedoch vergrößerten
sich die Einkommensunterschiede zwischen ihnen, und die Zahl von
Frauen, die ihre Existenzgrundlage verloren und in Armut leben,
ist angestiegen. Parallel dazu wurde Feminismus als soziale
Bewegung und Gesellschaftskritik marginalisiert.
Was hat sich verändert?
Diese Interpretation der Entwicklung möchte ich an Hand der
Veränderungen in den feministischen Diskursen der frühen 1990er
und der frühen 2000er Jahre aufzeigen. In der „Women’s Action
Agenda for a Healthy Planet", die im Vorfeld des Erdgipfels von
Rio entstanden ist, haben Feministinnen und Aktivistinnen noch
soziale Ungleichheit, umweltschädliche Produktionsmuster,
Unternehmensinteressen und militärische Kontrolle kritisiert.
Heute beschäftigt sich der UN-zentrierte globale feministische
Umweltdiskurs vor allem mit Themen wie Frauen und Klimawandel
oder Frauen und Verkehr. Ähnliche Veränderungen sind auch im
Armutsdiskurs zu erkennen. In den späten 1980er und frühen
1990er Jahren kritisierten Feministinnen Armut noch als ein
systemisches Problem. Ein Beispiel dafür ist der gemeinsame
Bericht über systemische Krisen und alternative Visionen der
Gruppe „Development Alternatives with Women for a New Era"
(DAWN; 1987), der die Unterdrückung von Frauen und den Verlust
von Wasser, Land und Lebensgrundlagen als miteinander verbundene
Konsequenzen der Krisen benennt, die aus den Formen der
Kapitalakkumulation erwachsen. Auch die Weltbank hat in den
1970er und 1980er Jahren noch ganz anders über Armut gesprochen:
Damals war Armut eine Frage der Grundbedürfnisse.
Heute bewegen sich die Diskussionen von Feministinnen und der
Weltbank im Rahmen der Millennium-Entwicklungsziele (MDGs). Aber
in den MDGs geht es weder um soziale Gerechtigkeit noch um die
Bekämpfung der Ursachen von Armut. Vielmehr wird versucht,
bisher ohne nennenswerten Erfolg, lediglich die Symptome der
Armut zu anzupacken, beispielsweise den sinkenden Zugang von
Mädchen zu Bildung. Es scheint, als sollten NGOs in ewige
Debatten über Armut verwickelt werden, um dadurch vorzutäuschen,
daß die Probleme angegangen werden – ohne jedoch die Wurzeln der
Armut zu bekämpfen und zu beseitigen.
Mainstreaming wohin?
Eine neue Entwicklung in den frühen 1990er Jahren war die
Öffnung von Organisationen wie der UN und der Weltbank für
soziale Bewegungen. Im Kontext ihrer Partizipations- bedingungen
kürte die UN die Frauen-NGOs zu einer „wichtigen Gruppe", einer
sog. Major Interest Group, die mit anderen Stakeholdern um
Aufmerksamkeit und Ressourcen konkurrieren. Wie die
Veränderungen im UNDiskurs zeigen, ging diese Öffnung für
Frauen- NGOs aber nicht einher mit politischem Einfluß. Ganz im
Gegenteil: Die politischen Rahmenbedingungen waren nicht
verhandelbar. Die Rolle der NGOs wurde beschränkt auf
Schadensbegrenzung oder darauf, Frauen begrifflich in offizielle
Dokumente zu integrieren. Gehört zu werden, ohne Einfluß zu
haben, hat Feministinnen und andere Aktivisten in eine
schwierige Position gebracht. Gleichzeitig verwandelten sich
soziale Bewegungen in NGOs, die unternehmensähnliche
Organisationsformen annahmen (mit Aufsichtsräten, Managern und
Angestellten). Um ihr organisatorisches Überleben zu sichern,
sind aus NGOs Dienstleister oder Interessensgruppen geworden.
Dies hat dazu beigetragen, daß der Staat seine soziale
Verantwortung quasi privatisieren, d. h. auf die NGOs übertragen
konnte.
Feministinnen, die zu Regierungen oder zwischenstaatlichen
Organisationen gewechselt sind, versuchten durch die Entwicklung
einer Sprache, die das System verstehen konnte, die
Institutionen von innen zu verändern. Dieser Ansatz wurde
schließlich erfolgreich als Gendermainstreaming formuliert. Sein
Erfolg liegt in dem Versprechen begründet, Frauen in das
allgemeine Wohlstandswachstum zu integrieren.
Das Instrumentarium des Gendermainstreaming verband normative
und rechnerische Ansätze miteinander. Sichtbarkeit, individuelle
Rechte und Empowerment, Quoten und Finanzkalkulationen hatten
nun Priorität. Rechtebasierte Argumente zur Integration von
Frauen unterstützen Kosten-Nutzen- Rechnungen, die wiederum
belegen sollten, daß die Integration von Frauen in Markt und
Staat enorme Effizienzsteigerungen bewirkt. Geber und globale
Governance-Netzwerke schätzten dieses „Unternehmensmodell" für
Geschlechtergerechtigkeit sehr. Die Akquise von Mitteln schuf
Gendermainstreaming- Fachwissen und einen neuen Markt für Kurse,
Lehrbücher, Methodenarsenale oder Workshops, wodurch
Gendermainstreaming und Frauenrechte als feministischer globaler
Kanon etabliert wurden.
Der Einsatz von Gendermainstreaming-Konzepten und -instrumenten
wie „triple gender roles", Human Development Gender Index, „gender
and empowerment" und Rapid Gender Analysis verwandelte
Ungleichheiten in saubere Zahlenkolonnen – und somit in eine
Sprache, die z.B. auch die Weltbank verstand. Auch wenn solche
Reformstrategien zweifellos wichtig sind: Die Analyse der
systemischen Probleme wurde darüber vergessen.
Zwischen Widerstand und Anpassung
Numerische Instrumente des Gendermainstreaming haben
unbeabsichtigterweise dazu beigetragen, den globalen Feminismus
zu entpolitisieren. Auch wenn Menschenrechte durchaus eine
strategische Bedeutung haben, so darf man doch nicht übersehen,
daß der Menschenrechtsdiskurs als solcher normativ ist und ein
statisches Bild der gesellschaftlichen Probleme liefert. Er
zeigt, wie Frauen ausgeschlossen werden und macht Verletzungen
der Rechte von Frauen sichtbar.
Das globale System von Produktion und Konsum hängt stark mit der
ungleichen Integration von Frauen zusammen – als billige
Arbeitskräfte, Verbraucherinnen, Versorgerinnen oder unbezahlte
Pflegekräfte. Spätestens mit dem Ende des 20. Jahrhundert war
alles menschliche als auch nicht menschliche Leben in dieses
System einbezogen. Doch ohne Analyse der Machtstrukturen bleiben
die systemischen Probleme und Bedingungen der Integration von
Frauen unsichtbar, und der Feminismus verliert sein
transformatorisches Potential.
Die positiven wie die negativen Auswirkungen von Frauenrechten,
Gendermainstreaming und NGOisierung sind eng miteinander
verbunden. Die Diskussion über systemische Probleme ist störend
– weshalb sie aus den unterschiedlichsten Gründen vermieden
wird.
UN-NGOs sind gefangen zwischen zwei Fronten: Widerstand und
Anpassung. Werden politische Maßnahmen diskutiert, ohne den
Ursachen des Problems auf den Grund zu gehen, so hat das zwei
Folgen: Erstens können Multi-Stakeholder-Dialoge als eine
politische Taktik aufrecht erhalten werden, die die Kritiker
permanent mit ihren Gegnern zusammenbringt, und zweitens
reproduziert sich dadurch das System permanent selbst.
Feministische Politik und die neoliberale Umgestaltung von Macht
Der Reiz der Gendermainstreaming-Strategie liegt in der Annahme,
daß sie Global Governance von innen verändert. Mainstreaming
geht von der Annahme aus, daß das Problem im Ausschluß von
Frauen aus dem allgemeinen Wohlstandswachstum und in der
Verweigerung ihrer Rechte liegt. Dabei wird übersehen, daß die
ständige Wohlstandsvermehrung für alle einer der neoliberalen
Gründungsmythen ist. Die Möglichkeit eines ständig wachsenden
Wohlstands für alle, die sozialen Kosten und ökologischen
Grenzen von Wohlstand werden nicht hinterfragt.
In dieser Logik liegt der Schwerpunkt auf der Ausgrenzung von
Frauen, weshalb politische Energie aufgebracht wird, um Frauen
zu integrieren. Dadurch wird es unmöglich, die Bedingungen,
durch die Frauen in Staat und Markt integriert werden sollen,
als Teil des Problems zu erkennen.
Seit den 1970er Jahren hat sich eine neue Theorie über die
Lenkung von Staat, Markt und Menschen entwickelt, die den Markt
und den Homo Oeconomicus als überlegenes Modell für die
Neuausrichtung von Staat, Gesellschaft und Menschen machte. Der
DAWN-Bericht sprach über diesen Prozeß als die „Vermarktlichung"
von Governance. Der französische politische Philosoph Michel
Foucault hat darauf hingewiesen, daß neoliberale
Wirtschaftswissenschaftler das Konzept von Markt mit inhärenten
Attributen wie Effizienz, optimaler Allokation von Ressourcen,
Selbstorganisiertheit und Freiheit rekonstruiert haben. Die
Umsetzung dieses Marktmodells verlangt, daß der Markt als eine
Art permanentes ökonomisches Gericht funktioniert.
Frauen und Männer streben danach sich anzupassen, um zu
selbstbestimmten, unternehmerisch denkenden Menschen zu werden,
zu Menschen, die intensivierte Arbeitsabläufe aushalten und
bereit sind, in sich selbst, in ihre Gesundheit und Bildung zu
investieren, um zu menschlichem Kapital zu werden. Daraus ergibt
sich eine strategische Frage: Inwieweit optimiert das
Gendermainstreaming- Projekt Frauen, um diese Art von
Gesellschaft zu produzieren? Ein Beispiel des Problems des
Gendermainstreaming ist die feministische Budgetanalyse – ein
sowohl wünschenswertes als auch politisch machbares Instrument,
das den Kuchen effizienter verteilt. Das paßt nahtlos zur
Priorität des neoliberalen Staates der effizienten Allokation
von Ressourcen. Gleichzeitig werden aber die Einkünfte des
Staates, die andere Seite der öffentlichen Finanzgleichung,
ignoriert. Zentrale Fragen werden nicht gestellt, wie z. B.
„Woher kommen die Einkünfte?", „Werden Profite nicht auch durch
die Ausbeutung von Frauen erzielt?", „Was sind die Kosten der
Vermehrung von Finanzkapital für Frauen?" Das Endergebnis ist
das, wovor Bella Abzug und Gita Sen gewarnt haben: Frauen werden
dazu gebracht, für ihr Stück eines schmutzigen Kuchens zu
kämpfen.
Machtanalyse und Alternativstrategien
Die treibende Rolle des Finanzkapitals, Profitmaximierung durch
Kosteneinsparungen und neue Technologien – sie alle produzieren
überflüssige Menschen, die als Soldaten, Mütter oder Arbeiter
nicht mehr gebraucht werden. Während einige Frauen von der
Integration in Markt und Staat profitieren, wird das Leben von
anderen Frauen überflüssig (deshalb die wachsende Popularität
und die Investitionen in Enthaltsamkeitsstrategien und die
verstärkten Kontrollen der Bewegung der Menschen).
Feminismus als eine neue Gesellschaftskritik muß die
Machtanalyse zurück in den feministischen Diskurs bringen. Zu
lange war der weit verbreitete Glaube der AktivistIinnen, daß
die Macht bei den Regierungen, den Unternehmen oder beim Militär
liegt, während die Opponenten außerhalb der Macht ihre
privilegierte Position beibehielten. Das global integrierte
ökonomische System von Produktion und Konsum gleicht einer außer
Kontrolle geratene Maschine. Machtverhältnisse, durch die dieses
System aufrechterhalten wird, sind dynamisch und historisch
begründet.
Macht funktioniert durch das Verschmelzen und das
Gegeneinanderausspielen von Diskursen, wodurch sozialer Kontext,
Prozesse und Subjektivitäten mit entstehen. Doch feministische
Netzwerke und Aktivistinnen stehen nicht außerhalb dieser
Machtstrukturen. Vielmehr zeigt die obige Analyse, daß das
feministische Projekt zusammen mit Markt und Staat
umstrukturiert wurde. Nur wenn wir uns darüber bewußt werden,
wie wir funktionieren und beeinflußt werden, können wir
beginnen, unsere eigenen Strategien zu hinterfragen.
Editorische Anmerkungen
Der Artikel
erschien bei Indymedia am 18.08.2005
|