Gurgaon/Indien
Am 25. Juli 2005 wurden 800 Honda-ArbeiterInnen bzw.
Angehörige in Gurgaon/Bundesstaat Haryana, Indien bei
einem Polizeiangriff auf ihre
Demonstration zum Teil schwer verletzt. 28 ArbeiterInnen gelten
weiterhin als vermisst. Die Polizeiaktion richtete sich
gegen den mehrwöchigen Streik von rund
2.000 Honda-ArbeiterInnen für Wiedereinstellung
von entlassenen KollegInnen, gegen Drangsalierungen von
Seiten des
Managements und für bessere Arbeitsbedingungen. Die moderne
Fabrik liegt in dem ‘Vorzeige’-Industriegebiet
in der Nähe von New Delhi, viele
ausländischen Investoren werden durch die niedrigen Löhne und
angeblich befriedete Arbeitskraft
angelockt. Der Streik der Honda-ArbeiterInnen ist
Ausdruck allgemeiner Unruhe in den (internationalen)
Grossunternehmen der Region. In den
letzten Monaten haben ArbeiterInnen gezeigt, dass sie ihre
zugedachte Rolle als zahme Billigarbeitskraft für den
Weltmarkt nicht weiter spielen werden.
Auch der Streik bei Honda wurde von vielen so verstanden.
Der brutale Polizeiangriff war ein Zeichen an alle, dass
das ‘Investitionsklima’ Vorrang haben
soll vor dem Bedürfnis der ArbeiterInnen
nach einem besseren Leben.
Berlin/Deutschland
Am 8. September 2005 beginnt in Berlin im Hotel
Ritz-Carlton ein Deutsch-Indischer Investitionskongress.
Eingeladen sind u.a. der Aufsichtsrat von
Siemens, Vorstandsmitglieder von Thyssen und
der Deutschen Bank, indische Unternehmensgrössen und
Infrastruktur-Manager. Hier werden
Investitionen abgesprochen, wie sie beim Massaker in Gurgaon
gegen die ArbeiterInnen verteidigt wurden. Auf ähnlichen
Treffen hat Siemens auch diskutiert, das
Bosch-Siemens Hausgerätewerk in Berlin zu schliessen
und die Produktion ins Ausland zu verlagern. Die
Beschäftigten bei Bosch-Siemens wollen
sich auf Kosten-Logik und Standortwettbewerb nicht
einlassen, sie wehren sich. Die Honda-ArbeiterInnen in
Indien haben gezeigt, dass das Kapital
kein ruhiges Investitionsparadies mehr findet.
Eine Vorlage. Zeit, den Ball zurückzuspielen.
Bringt Blitz und Donner - Kein Schönwetter für Investoren!
Treffpunkt: Ritz-Carlton, Potsdamer Platz 3, Berlin
Zeitpunkt: Donnerstag, 8. September 2005, 8:30 Uhr
Information zum Streik bei Honda
Motorcycle and Scooter India (HMSI)
Einleitung
Der einmonatige Streik bei HMSI und der Polizeiübergiff auf die
streikenden ArbeiterInnen sorgte in Indien für großes Aufsehen.
Dies lag vor allem daran, dass der Streik in einer modernen
Fabrik eines multinationalen Unternehmens in einer bisher als
konfliktfrei erachteten neuen Investitionszone stattfand und er
drohte, zum Funken in einer insgesamt spanunngsgeladenen
Atmosphäre der modernen indischen Industrie zu werden. Die
Brutalität des Polizeiangriffs kann nicht aus dem Streik bei
Honda allein, sondern nur aus der allgemeinen Unruhe in den
Investitionsregionen erklärt werden.
Zur Region
Gurgaon liegt im Bundesstaat Haryana in der Nähe von Neu Delhi.
Eine Stadt innerhalb einer ländlichen Region ohne Tradition von
ArbeiterInnenkämpfen. Der neue Stadtkern ist geprägt durch
moderne Bürokomplexe, Call Center, Einkaufszentren. Firmen wie
Nokia, IBM Microsoft haben hier ihre Firmensitze. Die Regierung
von Haryana fuhr bisher eine harte anti-gewerkschaftliche Linie,
u.a. durch spezielle rechtliche Regelungen und Repression gegen
Organisierungsversuche von ArbeiterInnen. Dies wird als
Standortvorteil gegenüber internationalen Investoren verkauft.
Der Industriegürtel ist innerhalb der letzten fünf Jahre aus dem
Boden geschossen und umfasst rund 90 Fabriken, vor allem der
Automobilindustrie. So werden zum Beispiel 70 Prozent aller in
Indien produzierten Motorroller in der Region hergestellt.
Besondere Präsenz haben japanische Unternehmensgruppen. Japan
ist der viertgrößte ausländische Investor in Indien, und rund 70
Prozent aller japanischen Unternehmen in Indien haben ihren Sitz
in Gurgaon. Die wichtigste Gewerkschaft in Gurgaon ist die AITUC,
die von der kommunistischen CPI(M)unterstützt wird. Die CPI
selbst ist Regierungspartei in West Bengal, dem Bundesstaat mit
dem zweitgrößten Zufluss von ausländischen Direktinvestitionen,
u.a. hat Mitsubishi gerade einen Vertrag für eine 500 Millionen
USD schwere Investition abgeschlossen.
Zur Situation in der modernen Industrie
Dem Streik bei Honda gingen verschiedene Konflikte innerhalb der
neuen Automobilindustrie und innerhalb der internationalen
Unternehmen voraus, die ein wachsendes Selbstbewusstsein der
dort beschäftigten ArbeiterInnen ausdrückten und zu zum Teil
beachtlichen Lohnsteigerungen führten. Bei HMSI haben die
ArbeiterInnen laut Unternehmensführung bereits im Jahr vor dem
Streik 100 bis 150prozentige Lohnerhöhungen erhalten. Im Juni
2005 forderten die ArbeiterInen bei Toyota in Bangalore
100prozentige Lohnerhöhungen. Ein Streik wurde abgewendet, das
Management versprach 25 Prozent mehr Lohn. Bei den
Autozulieferern Speedomax, Hitachi Electrics und Omax Auto in
Gurgaon wurden Arbeitsniederlegungen erst einen Tag vor dem
Polizeiangriff auf die Honda-ArbeiterInnen am 25. Juli 2005
beendet.
Zur Fabrik
Die Fabrik ist modern, erst vier Jahre alt. Sie produziert rund
2.000 Motorroller am Tag, beschäftigt zwischen 1.900 und 2.500
ArbeiterInnen. Diese werden zum Großteil über Tagesverträge
und/oder Subunternehmen eingestellt. Die Löhne reichen ‚gerade
zum Überleben’. Auch kommen die meisten ArbeiterInnen aus dem
ländlichen Umfeld, viele von ihnen sogar aus den benachbarten
Bundesstaaten. Insgesamt soll HMSI im Jahr 2004 rund 550.000
Roller in Indien verkauft haben.
Zum Anlass des Streiks
Der Konflikt begann im Dezember 2004, als Manager einen
Arbeiteraktivisten geschlagen und vier weitere ArbeiterInnen
entlassen haben, die angeblich an den Gründungsversuchen einer
Gewerkschaft im Betrieb beteiligt waren. Als offiziellen Grund
der Kündigung gibt das Unternehmen ‚Disziplinlosigkeit im
Betrieb’ an. Die Unruhe im Betrieb steigerte sich in den
folgenden Monaten und brach in offenen Konflikt aus, als die
Unternehmensführung 57 weitere ArbeiterInnen feuerte, die sich
solidarisch mit den vier KollegInnen gezeigt hatten. Mitte Juni
2005 traten fast alle ArbeiterInnen der Fabrik in Streik. Das
Unternehmen reagierte Ende Juni mit der offiziellen Entlassung
von 1.000 ArbeiterInnen und Aussperrung der Streikenden.
Zum Streik
27. Juni: ArbeiterInnen aus dem Umland werden nicht von den
Unternehmensbussen abgeholt. Sie sollen ein Papier
unterschreiben, nach dem sie von Forderungen und Streiks
absehen.
10. Juli: Rund 38 Prozent der ArbeiterInnen sollen weiterhin an
der Arbeit seien. Es ist unklar, wie viele davon neu
eingestellte Streikbrecher sind. Zwei Tage später wird die
Anzahl der Arbeitenden mit 200 (unklar ist, ob pro Schicht oder
insgesamt) angegeben. Die Produktion soll auf 30 Prozent
geschrumpft sein. Der Verkauf des Rollers Unicorn soll im Juni
66,5 Prozent gegenüber Vormonat Mai zurückgegangen sein.
13. Juli: Die Arbeitgebervereinigung der Autozulieferindustrie (ACMA)
fordert von der Regierung Schritte gegen den Streik bei Honda zu
unternehmen, da er die Produktion in den umliegenden Fabriken zu
beeinflussen droht.
17. Juli: Die Presse berichtet, dass das Unternehmen bereits 200
Millionen USD durch den Streik verloren hat. Sie berichtet
ebenfalls, dass ein Großaufgebot an Polizeieinheiten aus den
umliegenden Regionen nach Gurgaon verlegt werden. Gewerkschafter
berichten von ersten Provokationen und Einschüchterungsversuchen
seitens der Polizei und des Managements. Das Management bietet
gleichzeitig an, 100 der ausgesperrten ArbeiterInnen wieder an
die Arbeit zu lassen.
25. Juli: Zwischen 2.000 und 3.000 ArbeiterInnen von Honda und
von benachbarten Fabriken demonstrieren in Gurgaon. Sie werden
unterstützt durch Angehörige. In der Nähe der Fabrik kommt es zu
Handgemenge mit der Polizei. Die Demo geht weiter. Es wird
berichtet, dass ArbeiterInnen versuchen, den Highway 8 zu
besetzen. Die Polizei greift angeblich ohne Vorwarnung die
Demonstration mit Schlagstöcken, Tränengas und Gummigeschossen
an. Im Fernsehen werden Bilder von Polizisten gezeigt, die auf
bereits bewusstlose ArbeiterInnen einschlagen. Ein Arbeiter soll
bereits auf der Straße gestorben sein. Die Angabe zur Anzahl der
Verletzten schwankt zwischen 300 und 800. Viele haben
Knochenbrüche und schwere Kopfverletzungen. Es kommt zu weiteren
Straßenschlachten. Polizeifahrzeuge und Busse werden in Brand
gesteckt. Das Fernsehen zeigt Bilder einer Gruppe von hunderten
von Frauen, die Polizisten mit ihren eigenen Schlagstöcken
verprügeln. Rund 300 ArbeiterInnen werden festgenommen, 60 – 80
von ihnen sitzen weiterhin im Knast, einige von ihnen sind wegen
versuchten Mordes angeklagt.
26. Juli: ArbeiterInnen und Angehörige suchen in Krankenhäusern
und Polizeistationen nach Vermissten. (Später gibt ein
Gewerkschaftsanwalt an, gesehen zu haben, wie ein Arbeiter in
einer Polizeistation zu Tode geprügelt und anschließend
verbrannt wurde. Indische Zeitungen melden am 26. August, dass
weiterhin 28 ArbeiterInnen als vermisst gelten.) Es kommt zu
weiteren Straßenschlachten mit der Polizei, die sich auch am
Folgetag fortsetzen.
28. Juli: Solidaritätsstreik in Gurgaon, ausgerufen von linken
Parteien, allerdings laut offiziellen Medien mit geringer
Beteiligung. Ein Indienweiter Protesttag wird für den 1. August
angekündigt.
1. August: Die Produktion wird offiziell wieder aufgenommen,
produziert werden allerdings nur 800-900 Roller pro Tag. Der
Arbeitsaufnahme ist eine Schlichtungsvereinbarung
vorausgegangen, an der jedoch keine ArbeiterInnenvertreter
teilgenommen haben.
Zu den Resultaten des Streiks
Insgesamt soll der Streik bzw. die Aussperrung das Unternehmen
1,2 Billionen Rupien gekostet haben. Als offizielles Resultat
wird in der Presse präsentiert: Wiedereinstellung der
entlassenen ArbeiterInnen mit der Bedingung, dass sie eine ‚good
conduct’-Erklärung unterschreiben, also von zukünftigen
Konflikten und Forderungen absehen. Lohnerhöhung, ohne Angabe
der Höhe, aber mit Vorbedingungen, dass für den Rest des Jahres
keine weiteren Forderungen gestellt werden. Es gibt
widersprüchliche Angaben zur Frage, ob die Streiktage bezahlt
werden. Einige Quellen geben an, dass die Löhne für Mai und Juni
gezahlt werden. Andere sagen, dass ‚Streiktage’ nicht bezahlt
wurden. Die AITUC fordert die Freilassung der noch inhaftierten
ArbeiterInnen und ihre Anerkennung im Betrieb. Es ist unklar,
wie sie zu dem Schlichtungsresultat steht. Sie wird allerdings
von der CPI(M) besänftigt.
Zu den Reaktionen auf den Streik
Der Streik und der Polizeiangriff sorgten in Indien für großes
Aufsehen und zwischen Indien und Japan für diplomatische
Spannungen. Premierminister Singh traf Vertreter der linken
Parteien, um über den Streik und seine Konsequenzen zu beraten.
Am zweiten Tag der Straßenschlachten traf die Vorsitzende der
regierenden Kongreßpartei Sonia Gandhi in Gurgaon ein, um zu
vermitteln. Der japanische Botschafter spricht in den Medien
davon, dass zukünftige Investitionen auf dem Spiel stehen.
Lokale Automobilunternehmen drücken die Befürchtung aus, dass
der Streik das Produktionsklima in ihren Fabriken gefährden
wird. Im Fernsehen flimmern Hunderte von SMS, die Solidarität
mit den Honda-ArbeiterInnen ausdrücken. In den Tagen nach dem
Streik erscheinen zahlreiche Artikel in den großen
Tageszeitungen, die sich fragen, ob der Streik ein Vorläufer
einer Welle von Kämpfen in der Exportindustrie bzw. in den
multinationalen Unternehmen sei, nachdem seit 2000 die
allgemeinen Streikaktivitäten stark zurückgegangen waren. Die
BJP übt sich in Nationalismus gegen ‚ausländische Investoren’,
die CPI schließt sich dem einerseits halbherzig an, ruft aber
einen Generalstreik für den 29. September gegen die
Verschärfungen beim Arbeitsrecht aus. Die Unternehmer
diskutieren ihre Forderungen hinsichtlich der veränderten
Arbeitsgesetze vor dem Hintergrund des Streiks, nehmen ihn zum
Anlass. Sie fordern u.a., dass Streiks in Zukunft drei Wochen
vorher angekündigt werden müssen und Zustimmung von rund 75
Prozent der Belegschaft haben sollten. Für jeden Tag eines
wilden Streiks sollen den ArbeiterInnen acht Tageslöhne
abgezogen werden.
Editorische Anmerkungen
Der Artikel
erschien am 5.9. 2005 bei Indymedia.
|