10./12.
Juli 18
Polizisten, Gendarmen,
Berufssoldaten und dazwischen ein paar Individuen,
die sich für Intellektuelle halten: Dies ist das
Profil der seit Ende Juni dieses Jahres durch die
französischen Sicherheitsbehörden ausgehobenen,
mutmaßlichen rechtsterroristischen Gruppierung
unter dem Kürzel AFO. Dieses steht für die
Bezeichnung, welche die Struktur sich selbst
gegeben hatte, also Action des forces
opérationnelles, ungefähr: „Aktion der
einsatzbereiten / einsatzfähigen Kräfte“.
Der
polizeiliche Zugriff erfolgte im westfranzösischen
Bezirk Charente-Maritime – dem Verwaltungsbezirk
von La Rochelle -, im ebenfalls westfranzösischen
Bezirk Vienne, im Großraum Paris sowie auf Korsika.
Zehn Personen, unter ihnen neun Männer, wurden
dabei im Laufe des Wochenendes vom 23./24. Juni
d.J. festgenommen. Zu Anfang der darauffolgenden
Woche wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Bildung
einer als terroristisch bezeichneten Vereinigung
gegen sie aufgenommen, und am 27. Juni wurden die
Verdächtigen in Untersuchungshaft überstellt. Die
Betreffenden sind zwischen 32 und 69 Jahre alt und
waren zum Teil seit mehreren Monaten überwacht
worden.
32 Feuerwaffen und mehrere
Tausend Schuss Munition wurden bei ihnen
aufgefunden. Aber auch eine Substanz, die in die
Herstellung des Sprengstoffs TATP einfließt.
Letzterer, den etwa auch die jihadistischen
Attentäter vom 13. November 2015 in Frankreich
benutzten, ist relativ leicht zu fabrizieren,
jedoch gefährlich im Umgang, weil er instabil ist
und deswegen leicht detoniert. Insofern sind
gewisse Spezialkenntnisse im Umgang mit Chemikalien
zu seiner Erzeugung erforderlich.
Die Aktionsplanung des
Zusammenschlusses, dessen Mitglieder unter anderem
auch Erste Hilfe- sowie Survival-Trainings
durchliefen, war laut Auffassung der
Sicherheitsbehörden noch nicht vollständig
festgelegt worden. Offensichtlich gab es einen
Streit über die Vorgehensmethoden unter den
Mitgliedern. Ein Teil von ihnen wollte, im Namen
des „Kriegs gegen die Islamisierung“ in Frankreich
und Europa, den die rechte Zelle ausrief, als
halal eingestufte – also muslimischen
Speisevorschriften genügende – Nahrungsmittel
vergiften, um einen möglichst großen Effekt zu
erzielen. Dieses „Halal-Projekt“, wie
es laut jüngsten Medienberichten intern bezeichnet
wurde, war jedoch innerorganisatorisch umstritten.
Andere Angehörige der sich formierenden rechten
Untergrundorganisation plädierten eher für
gezieltere Angriffe auf Personen. Einige wollen
dabei Imame mit angeblicher oder tatsächlicher
salafistischer Tendenz attackieren, andere
Strafgefangene mit islamistischem Hintergrund.
Nachdem erste Haftentlassungen in den letzten
Jahren verurteilter Jihadisten für Ende 2019
angekündigt wurden, war es in jüngster Zeit bereits
zu einem Streit in den französischen Medien über
den Umgang mit „Terrorhelfern“, die ihre Strafe bis
dahin verbüßt haben werden, gekommen. Die rechten
Aktivisten, die vom Aufbau einer anti-muslimischen
Miliz planten, wollten die Sache nun in Form von
Selbstjustiz in Angriff nehmen. Wieder Andere
plädierten den Sicherheitsbehörden zufolge dafür,
Kopftuch tragende Frauen auf der Straße oder im
öffentlichen Raum zu attackieren.
Als Vorbild diente unter anderem
die OAS oder „Bewegung der Geheimarmee“ (Organisation
de l’armée secrète), die ab 1961 in der
Schlussphase der Entkolonisierung Algeriens bombte
und mordete und in der europäischen
Siedlerbevölkerung Nordafrikas sowie unter
französischen Berufsmilitärs eine relevante Basis
aufwies.
Als Kopf der Gruppierung wurde
ein gewisser Guy Sibra identifiziert. Es handelt
sich bei ihm um einen 65jährigen pensionierten
Polizisten, der seine Laufbahn als Uniformträger
2004 in Marseille beendete, wo er bereits als
aktiver Rechtsextremer eingestuft wurde. Derzeit
lebt er im westfranzösischen Tonnay-Charente.
Dortselbst wirkte er bei den Präsidentschafts- und
Parlamentswahlen im April, Mai und Juni 2017 als
Beisitzer in einem Wahlbüro, das heißt, er wachte
im Namen erst einer Präsidentschaftskandidatin und
dann einer Partei über den Ablauf des
Stimmvorgangs. Ernannt worden war er für diese
Aufgabe, um die Bewerberin Marine Le Pen sowie ihre
Partei, den rechtsextremen Front National zu
vertreten. Letzterer wurde am 1. Juni dieses Jahres
nun offiziell in Rassemblement national
(RN, „Nationale Sammlung“) umbenannt. Sibra und ein
weiterer Verdächtiger wurden am Mittwoch dieser
Woche ( 04. Juli 18 ) unter Meldeauflagen
aus der U-Haft entlassen.
Die FN- und jetzt RN-Vorsitzende
Marine Le Pen reagierte auf diese Enthüllungen,
indem sie darauf insistierte, Sibra sei
„weder Mitglied noch Kandidat“ ihrer Partei
gewesen. Sie wahre sich gegen „ein
Amalgam“, also eine unzulässig Vermischung,
und ihre Partei habe „zu keinem Zeitpunkt
Gewalttaten hervorgerufen oder begünstigt“.
Diese Behauptung ist zweifellos falsch. Drei
Plakatierer des damaligen FN ermordeten etwa im
Februar 1995 in Marseille den 17jährigen
komorischer Herkunft Ibrahim Ali, der gegen
Mitternacht seinem Bus hinterherlief – angeblich in
Notwehr, weil er gelaufen sei. An ihrem Prozess im
Juni 1998 nahmen die beiden damaligen obersten
Parteiführer Jean-Marie Le Pen und Bruno Mégret
persönlich als Leumundszeugen der drei Angeklagten
teil. Und nach der Haftentlassung einer der drei
Täter wurde er umgehend im Rathaus von Vitrolles in
der Nähe von Marseille – wo Bruno Mégrets Gattin
Catherine Mégret von 1997 bis Ende 2002 als
Bürgermeisterin amtierte – angestellt.
Dennoch ist es sicherlich richtig, dass der FN
respektive RN im Wesentliche eine institutionelle,
auf Wahlteilnahme ausgerichtete - und nicht eine
auf Straßenterror oder gar bewaffnetem Kampf
basierende - Strategie verfolgt. Aber das Scheitern
von Marine Le Pen als Präsidentschaftskandidatin in
der Stichwahlrunde im Mai 2017, das deutlicher
ausfiel als vielfach erwartet, lässt die
Frustration an der rechtsextremen Basis wachsen.
Einige Mitglieder oder Sympathisanten zweifeln
deswegen stärker als zuvor an der Tauglichkeit des
„demokratischen Wegs“.
Die Aktivisten der AFO, die zehn
bekannten und eventuelle weitere unbekannte, waren
zuvor bei einer legal agierenden rechtsextremen
Gruppierung unter dem Namen Volontaires pour
la France (VPF, ungefähr: „Freiwillige für
Frankreich“) aktiv. Deren denkender Kopf ist ein
gewisser Yvan Blot, den man in der Vergangenheit
als rechtsextremen Multifunktionär kannte, bevor er
sich weitgehend auf eine Position als
Schriftsteller zurückzog. Blot baute in den 1970er
Jahren den rechtsintellektuellen Club de l’Horloge
mit auf, machte sich dann zusammen mit dessen
Kadern auf einen „Marsch durch die Institutionen“
in den Parteien der bürgerlichen Rechten und schlug
parallel dazu eine gehobene Beamtenlaufbahn ein. In
den 1980er Jahren war er ein Führungsmitglied der
neogaullistischen Partei RPR – eines der Vorläufer
der heutigen zentralen konservativen Rechtspartei
Les Républicains (LR) -, bevor er 1989, später als
manche seiner Gesinnungskumpane, zum FN überlief.
Die Spaltung zwischen den Anhängern Jean-Marie Le
Pens und Bruno Mégret sorgte für seinen, anfänglich
verbittert und verwirrt wirkenden, Rückzug aus der
Parteipolitik. Zu Ende des vorigen Jahrzehnts
bemühte er sich um Aufnahme bei der konservativen
UMP, Nachfolgerin des RPR und Vorläuferin der
heutigen Partei LR, zog sich jedoch später von ihr
zurück. Er arbeitete zugleich als hoher Beamter im
Innenministerium. Heute ist er im Rentenalter und
berät den „internationalen Diskussionsclub Waldai“,
der der russischen Regierung ausgesprochen nahe
steht.
Allerdings waren die diskursiven
Bemühungen eines Yvan Blot, zu dessen Hobbythemen
das zivilisatorische Erbe des antiken Griechenland
– und generell die nicht-christlichen, heidnischen
„Wurzeln Europas“ – sowie das vehemente Plädoyer
für eine „allen menschlichen Gesellschaften
notwendige Ungleichheit“ zählen, den
Aktivisten der Dissidentenfraktion auf die Dauer zu
ermüdend. Die Gründer der AFO zogen ihnen
handfestere Aktivitäten vor.
Editorischer
Hinweis
Wir erhielten
den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.
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