Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

Die Macron-Exekutive nach der Benalla-Affäre

08/2018

trend
onlinezeitung

Es war - und es ist immer noch - die erste authentische politische Krise der Ära Emmanuel Macron, welche mit der Wahl des gleichnamigen Staatspräsidenten am 07. Mai 2017 begonnen hat. Das prominenteste Opfer dieser Krise wurde mutmaßlich die geplante „Verfassungsreform“, deren definitive Verabschiedung im französischen Parlament ursprünglich just für diese Tage programmiert worden war. In aller Eile musste sie Ende vorletzter Weise um unbestimmte Zeit verschoben werden, nachdem es den Regierenden unmöglich erschien, das Parlament hinreichend zu „beruhigen“ und es zur so genannten Sachdebatte zurückzubringen.

Parlamentspräsident François de Rugy – ein ehemaliger weit rechts stehender „grüner Realpolitiker“, der vor anderthalb Jahren mit fliegenden Fahnen zum Wirtschaftsliberalen Macron überlief – spricht nun in der Öffentlichkeit davon, die Debatte über diese „Reform“ könne Ende September dieses Jahres wieder aufgenommen werden. Anderswo in Regierungskreisen gibt man sich weniger optimistisch und will zumindest keinerlei Datum nennen. Es ist gut möglich, dass zumindest dieses Vorhaben nun im Orkus der Geschichte endet. Gegenstand der geplanten Verfassungsänderungen wäre es u.a. gewesen, beide Parlamentskammern im Namen von Effizienz und Sparerfordernissen um ein Drittel zu verkleinern. Änderungsanträgen an Gesetzestexten hätten nur dann noch im Plenarsaal diskutiert werden können, wenn sie zuvor in den jeweils zuständigen Fachausschüssen eine Mehrheit gefunden hätten – Änderungswünsche von Parlamentsmitgliedern außerhalb der zwei größten etablierten Parteien wären dann wohl in aller Regel unter den Tisch gefallen. Denn die Medien berichten zwar über die Debatten im Plenum, doch nur selten über jene in den einzelnen Ausschüssen.

Der Gegenstand der derzeit schwelenden politischen Krise steht mit dieser Regierungsphilosophie durchaus in engem Zusammenhang. Bei ihr geht es darum, dass die qua Selbstermächtigung durchgeführten Prügeleinsätze des 26jährigen Alexandre Benalla (vgl. Jungle World 30 / 2018) – der Leibwächter hatte den Status eines Beraters und stellvertretenden Referatsleiters, seine Entlassung wurde jedoch infolge der jüngsten Enthüllungen in die Wege geleitet – erkennen lassen, dass sich im Elysée-Palast außergesetzliche Parallelhierarchien zu den offiziellen Organigrammen des staatlichen Sicherheitsapparats herausgebildet haben.

Das muss bei Emmanuel Macron nicht befremden. Denn der erst 40jährige Präsident stampfte mit der ihm ergebenen Präsidentenpartei La République en marche (LREM) – ihr ursprünglicher Name, En marche, mit dem Kürzel EM verwies nicht zufällig auf seine eigenen Initialen – an den etablierten Parteiapparaten von Sozialdemokratie und Konservativen vorbei eine neue Struktur aus dem Boden. Aber auch seine gesellschaftspolitische Vision korrespondiert mit den nun zu beobachtenden Vorgängen. Denn als sein Vorbild für sozialen und wirtschaftlichen Erfolg gilt unter anderem Uber, ein Unternehmen, das es Personen ohne berufliche Qualifikation und ohne Lizenz erlaubt, auf dem Dienstleistungsmarkt als Anbieter aufzutreten. Uber-Transportunternehmer etwa wurden auf diese Weise zu einer ruinösen Konkurrenz für die Taxifahrer, die von Letzteren erforderten Ausbildungspersonen und teuren Lizenzkäufe werden von Ersteren nicht verlangt. Mitunter konnten sich dadurch halbmafiöse Unternehmensstrukturen, die etwa in den sozialen Krisenzonen der banlieues verankert sind, verankern. Sie erlaubten es Personen, sowohl an bestehenden Diskriminierungsbarrieren als auch an tradierten Berufsbildern und -strukturen vorbei Erfolg zu haben. Ähnliches trifft auch auf den Banlieue-Sprössling und grenzenlos ehrgeizigen Aufsteiger Benalla offensichtlich zu.

Benalla fehlt es dabei nicht an Unverfrorenheit. Auch nachdem seine Karriere im Elysée-Palast nun ein jähes Ende nahm, versuchte er noch am vorigen Freitag, den 27. Juli d.J., seine vormalige Dienstlimousine eigenmächtig auf dem Abstellplatz auszulösen, wohl, um sie auf eigene Faust weiter zu nutzen. Auch die etablierte Polizeihierarchie war von seinem Vorgehen befremdet. So lud Innenminister Gérard Collomb als ihr oberster Vorgesetzter bei seinen Anhörungen im Parlament alle Verantwortung auf den Elysée-Palast ab, seine Untergebenen taten es ebenso. Ende voriger Woche diskutierten die Medien nun darum, warum die beiden Opfer von Benallas Prügeleinsatz am Abend des 1. Mai dieses Jahres – ein 29jähriger Grieche und eine dreißigjährige Französin – eigentlich von Strafverfolgung verschont blieben, obwohl das Paar angeblich eine Flasche und zwei Aschenbecher vom Tisch eines Restaurants in Richtung Polizei geworfen hatte. Mutmaßlich hielten die polizeilichen Einsatzkräfte sich aus der Angelegenheit heraus, nachdem Benalla eine illegale Festnahme vorgenommen hatte, und ließen das Paar laufen. Hinterher heißt es nun, die Polizei sei an jenem Tag überlastet gewesen.

Emmanuel Macron seinerseits scheint sich halbwegs aus der Affäre zu ziehen. Während die linke wie die bürgerliche und rechtsextreme Opposition im Parlament Sturm läuft – an diesem Dienstag, den 31.07.18 wurden von linker wie von konservativer Seite Misstrauensanträge gegen Regierungschef Edouard Philippe zur Abstimmung gebracht, welche jedoch aufgrund der parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse von vornherein chancenlos blieben – und alle Presseorgane ausführlich berichtet, scheint der politische Schaden für das Staatsoberhaupt sich in Grenzen zu halten. Am Wochenende des 28./29. Juli 18 legte Macron in einer am Samstag neu publizierten Umfrage um zwei Prozentpunkte zu; in einer anderen (welche die Sonntagszeitung JDD publizierte) verlor er ein Prozent. Hingegen baute er in einer dritten, ebenfalls ungefähr zeitgleich durchgeführten Umfrage um vier Prozentpunkte ab ; vgl.

http://www.lefigaro.fr/

Nichts genaues wissen die demoskopischen Institute also nicht. Unterdessen betonen Macrons Parteigänger/innen unermüdlich, es handele sich um einen politischen „Sturm im Wasserglas“, und: „Die Franzosen interessiert das alles nicht, es interessiert nur Zeitungsredaktionen!“ Dagegen spricht - werfen Kritiker/innen ein - jedenfalls die Tatsache, dass in den ersten Tagen des Skandals (welchen die Pariser Abendzeitung Le Monde ab dem 18. Juli 18 durch ihre Veröffentlichungen auslöste) über 1,5 Millionen Nachrichten auf Twitter zum Thema ausgetauscht worden seien.

Macron hatte sich im Laufe voriger Woche dazu entschieden, mächtig in die Offensive zu gehen. Nachdem seine Partei LREM in die Krise geriet, weil untergeordnete Parteifunktionäre sich darüber beschwerten, dass sie aufgrund von Fehlleistungen im Elysée-Palast in die Schusslinie von Vorwürfen gerieten und mit der Verwaltung der Krise allein im Regen stehen blieben, trat Macron am Dienstag Abend ( 24. Juli 18) überraschend und unangekündigt bei einem Treffen ihrer Parlamentsfraktion in der Maison de l'Amérique latine – einem Pariser Veranstaltungssaal - auf. Dabei rief er wahrhaftige Euphorie unter seinen Anhänger/inne/n hervor, indem er alle Verantwortung für sich allein übernahm, seine politischen Mitstreiter dezidiert entlastete und zum Schluss sehr offensiv ausrief: „Sollen sie mich doch holen kommen!“

Unter dem Motto „Macron holen“ fanden daraufhin in Paris und mehreren anderen Städten linke Kundgebungen statt, u.a. veranstaltet vom Front Social – einem ziemlich minoritären Zusammenschluss linksradikaler Gewerkschaftsfraktionen -, die jedoch im dreistelligen Bereich der Teilnehmer/innen/zahlen blieben. (Zu einer faschistischen Kundgebung unter ähnlichem Motto, vgl. https://www.youtube.com/, wiederum kamen am Wochenende in der Nähe des Pariser Museums Le Grand Palais rund fünfzig Personen.) Unterdessen standen die Telefone in der Anrufzentrale des Elysée-Palasts kaum noch still, nachdem im Internet halb scherzhaft dazu aufgerufen worden war, auf der – daneben bekannt gegebenen – Nummer anzurufen, um sich für „das Abholen Macrons“ anzumelden. Das war wenigstens lustig daran...

Editorischer Hinweis

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.