Nicht in jedem Behältnis ist
drin, was die Aufschrift verspricht. Auf sieben
Containern, die Ende Mai dieses Jahres an Bord
eines aus Brasilien kommenden Schiffes im Hafen der
westalgerischen Metropole Oran beschlagnahmt
wurden, wurde etwa „Halalfleisch“ angekündigt. In
Wirklichkeit enthielten sie 700 Kilogramm reines
Kokain.
Der Drogenfund gilt als „Rekordfang“ in den Annalen
der jüngeren Justiz- und Polizeigeschichte
Algeriens.
Örtliche Polizeibehörden griffen
zu. Doch in der Folgezeit erwiesen sich die mit der
Untersuchung beauftragten Beamten, aus Sicht der
obersten Behördenleitung, als ein bisschen zu
forsch. Darauf reagierte am 25. Juni 18 der Leiter
der Generaldirektion für Nationale Sicherheit
(DGSN), also der mit einem Generalsrang
ausgestattete Polizeichef Abdelghani Hamel, mit der
Äußerung: „Es gab viele Überschreitungen
(von Befugnissen), welche die
Richter dank ihrer Wachsamkeit kontern konnten, im
Zuge der Voruntersuchung.“ Er fügte hinzu:
„Wir sind entschlossen, unseren Kampf
gegen die Korruption fortzusetzen. Derjenige, der
die Korruption bekämpfen möchte, muss selbst sauber
sein.“
Ungefähr zeitgleich erklärte Justizminister Tayeb
Louh vor den Abgeordneten der algerischen
Nationalversammlung:
„Die Untersuchung wird niemanden verschonen,
welches auch immer sein Status sein möge.“
Diese Erklärungen blieben für
Außenstehende eher kryptisch, ließen jedoch
durchblicken, dass hinter den Kulissen ein Konflikt
um die Fortführung des Untersuchungsverfahrens
tobte. In dessen Rahmen waren mehrere hohe
Staatsfunktionäre in Untersuchungshaft genommen
worden. Als besonders delikat wurde betrachtet,
dass, wie in den Medien inner- und außerhalb
Algeriens vermeldet wurde, der „persönliche
Chauffeur“ Hamels zu dem verdächtigen Personenkreis
gezählt wurden, gegen den sich Ermittlungen
richteten. Die DGSN antwortete darauf in einer
Erklärung, es handele sich um einen
„Verantwortlichen des Fuhrparks“ der
Polizeidirektion, nicht um einen
„persönlichen Fahrer“. Was nicht unbedingt
dazu geeignet ist, die politische Verantwortung des
Chefs dieser Polizeidirektion abzumildern.
Wenige Stunden nach seinen
Äußerungen musste Abdelghani Hamel am folgenden Tag
– dem Dienstag vergangener Woche – seinen Hut
nehmen. Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika
(europäisierte Schreibweise; oder in einer
Transkription nahe am arabischsprachigen Original:
'Abdel'aziz Butefliqa) entließ ihn aus seinem
Amt, offiziell ohne Angaben von Gründen. Dies ließ
sofort die Spekulationen ins Kraut schießen und die
politische Gerüchteküche hochbrodeln.
Der 63jährige Hamel,
ursprünglich als Computeringenieur ausgebildet und
als Quereinsteiger zunächst bei der Armee gelandet,
bekleidete den Posten in der Polizeiführung seit
2010.
In weiten Teilen enthält diese
politische Story, die, wie man in einem Film
ankündigen würde, „auf wahren Begebenheiten
beruht“, auf ziemlich klassischen Elementen. Die
algerischen Häfen am Mittelmeer bilden tatsächlich
seit langem das Terrain für die Einfuhr „legaler“
und „illegaler“ Produkte, auf deren Import
bestimmte faktische Monopole bestehen. Dabei spielt
oft beispielsweise ein Mitglied der politisch
einflussreichen Armeeführung im Generalsrang den
„Paten“, der dabei abkassiert, wenn im
Schmuggelgeschäft aktive ökonomische Netzwerke
beispielsweise Grundnahrungsmittel oder Textilwaren
an Zoll und Steuerbehörden vorbei einführen und im
Anschluss auf dem ausgedehnten Schwarzmarkt
verteilen.
Letzterer bildet, nach der Erdöl- und
Erdgasförderung, den mächtigsten Wirtschaftszweig.
Kokain aus Südamerika ist
hingegen nicht oder nur in geringem Ausmaß für den
einheimischen Markt vorgesehen, sondern für den
Weitertransport in Richtung Südeuropa,
und seine Weiterleitung bildet
in der gesamten Nordhälfte Afrikas eine lukrative
Einkommensquelle für staatliche oder
nichtstaatliche Strukturen.
Die klassische Route führte eher von Brasilien über
Häfen in Westafrika – eine wichtige Drehscheibe
bildete das lange Zeit als faktischer Mafiastaat
geltende Guinea-Bissau -, dann über
Transportstrecken mit LKWs oder Inlandsflügen oder
die Sahelzone bis ans Mittelmeer. Doch die
Transportwege haben sich, wie andere
Wirtschaftszweige auch, diversifiziert.
Überraschend ist im derzeitigen Kontext nicht so
sehr, dass sich die Ereignisse abspielten, sondern
dass sie einem hohen Verantwortlichen im
Staatsapparat das Amt kosteten. Dafür gibt es
jedoch eine plausible politische Erklärung: Der
seit spätestens 2013 schwerkranke und nur
eingeschränkt bewegungsfähige Präsident Bouteflika,
81 Jahre alt und seit 1999 im Amt, bildet derzeit
die Kompromissfigur, auf deren Beibehaltung in der
Staatsführung – als schwache Gallionsfigur – sich
unterschiedliche Seilschaften in Staat und
Wirtschaft einigen können. Diese tragen ihre
Konflikte, etwa um die Frage nach mehr
Protektionismus oder mehr Konkurrenz, hinter den
Kulissen aus. Hamel wurde jedoch als potenzieller
Konkurrent Bouteflikas oder möglicher Unterstützer
für einen Gegenkandidaten betrachtet. Seit der
zweiten Junihälfte dieses Jahres drängt die frühere
Einheitspartei der Jahre 1962 bis 1989 und derzeit
wieder regierende „Partei der Nationalen
Befreiungsfront“ (P-FLN) Bouteflika bereits zu
einer erneuten Kandidatur im Frühjahr 2019. Dies
dürfte den wahren Grund dafür liefern, warum Hamel
geschasst wurde.
Editorischer
Hinweis
Wir erhielten
den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.
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