Algerien
Machtkämpfe innerhalb des vor sich hin wesenden Regimes


von Bernard Schmid

08/2018

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Nicht in jedem Behältnis ist drin, was die Aufschrift verspricht. Auf sieben Containern, die Ende Mai dieses Jahres an Bord eines aus Brasilien kommenden Schiffes im Hafen der westalgerischen Metropole Oran beschlagnahmt wurden, wurde etwa „Halalfleisch“ angekündigt. In Wirklichkeit enthielten sie 700 Kilogramm reines Kokain. Der Drogenfund gilt als „Rekordfang“ in den Annalen der jüngeren Justiz- und Polizeigeschichte Algeriens.

Örtliche Polizeibehörden griffen zu. Doch in der Folgezeit erwiesen sich die mit der Untersuchung beauftragten Beamten, aus Sicht der obersten Behördenleitung, als ein bisschen zu forsch. Darauf reagierte am 25. Juni 18 der Leiter der Generaldirektion für Nationale Sicherheit (DGSN), also der mit einem Generalsrang ausgestattete Polizeichef Abdelghani Hamel, mit der Äußerung: „Es gab viele Überschreitungen (von Befugnissen), welche die Richter dank ihrer Wachsamkeit kontern konnten, im Zuge der Voruntersuchung.“ Er fügte hinzu: „Wir sind entschlossen, unseren Kampf gegen die Korruption fortzusetzen. Derjenige, der die Korruption bekämpfen möchte, muss selbst sauber sein.“ Ungefähr zeitgleich erklärte Justizminister Tayeb Louh vor den Abgeordneten der algerischen Nationalversammlung: „Die Untersuchung wird niemanden verschonen, welches auch immer sein Status sein möge.“

Diese Erklärungen blieben für Außenstehende eher kryptisch, ließen jedoch durchblicken, dass hinter den Kulissen ein Konflikt um die Fortführung des Untersuchungsverfahrens tobte. In dessen Rahmen waren mehrere hohe Staatsfunktionäre in Untersuchungshaft genommen worden. Als besonders delikat wurde betrachtet, dass, wie in den Medien inner- und außerhalb Algeriens vermeldet wurde, der „persönliche Chauffeur“ Hamels zu dem verdächtigen Personenkreis gezählt wurden, gegen den sich Ermittlungen richteten. Die DGSN antwortete darauf in einer Erklärung, es handele sich um einen „Verantwortlichen des Fuhrparks“ der Polizeidirektion, nicht um einen „persönlichen Fahrer“. Was nicht unbedingt dazu geeignet ist, die politische Verantwortung des Chefs dieser Polizeidirektion abzumildern.

Wenige Stunden nach seinen Äußerungen musste Abdelghani Hamel am folgenden Tag – dem Dienstag vergangener Woche – seinen Hut nehmen. Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika (europäisierte Schreibweise; oder in einer Transkription nahe am arabischsprachigen Original: 'Abdel'aziz Butefliqa) entließ ihn aus seinem Amt, offiziell ohne Angaben von Gründen. Dies ließ sofort die Spekulationen ins Kraut schießen und die politische Gerüchteküche hochbrodeln. Der 63jährige Hamel, ursprünglich als Computeringenieur ausgebildet und als Quereinsteiger zunächst bei der Armee gelandet, bekleidete den Posten in der Polizeiführung seit 2010.

In weiten Teilen enthält diese politische Story, die, wie man in einem Film ankündigen würde, „auf wahren Begebenheiten beruht“, auf ziemlich klassischen Elementen. Die algerischen Häfen am Mittelmeer bilden tatsächlich seit langem das Terrain für die Einfuhr „legaler“ und „illegaler“ Produkte, auf deren Import bestimmte faktische Monopole bestehen. Dabei spielt oft beispielsweise ein Mitglied der politisch einflussreichen Armeeführung im Generalsrang den „Paten“, der dabei abkassiert, wenn im Schmuggelgeschäft aktive ökonomische Netzwerke beispielsweise Grundnahrungsmittel oder Textilwaren an Zoll und Steuerbehörden vorbei einführen und im Anschluss auf dem ausgedehnten Schwarzmarkt verteilen. Letzterer bildet, nach der Erdöl- und Erdgasförderung, den mächtigsten Wirtschaftszweig.

Kokain aus Südamerika ist hingegen nicht oder nur in geringem Ausmaß für den einheimischen Markt vorgesehen, sondern für den Weitertransport in Richtung Südeuropa, und seine Weiterleitung bildet in der gesamten Nordhälfte Afrikas eine lukrative Einkommensquelle für staatliche oder nichtstaatliche Strukturen. Die klassische Route führte eher von Brasilien über Häfen in Westafrika – eine wichtige Drehscheibe bildete das lange Zeit als faktischer Mafiastaat geltende Guinea-Bissau -, dann über Transportstrecken mit LKWs oder Inlandsflügen oder die Sahelzone bis ans Mittelmeer. Doch die Transportwege haben sich, wie andere Wirtschaftszweige auch, diversifiziert.

Überraschend ist im derzeitigen Kontext nicht so sehr, dass sich die Ereignisse abspielten, sondern dass sie einem hohen Verantwortlichen im Staatsapparat das Amt kosteten. Dafür gibt es jedoch eine plausible politische Erklärung: Der seit spätestens 2013 schwerkranke und nur eingeschränkt bewegungsfähige Präsident Bouteflika, 81 Jahre alt und seit 1999 im Amt, bildet derzeit die Kompromissfigur, auf deren Beibehaltung in der Staatsführung – als schwache Gallionsfigur – sich unterschiedliche Seilschaften in Staat und Wirtschaft einigen können. Diese tragen ihre Konflikte, etwa um die Frage nach mehr Protektionismus oder mehr Konkurrenz, hinter den Kulissen aus. Hamel wurde jedoch als potenzieller Konkurrent Bouteflikas oder möglicher Unterstützer für einen Gegenkandidaten betrachtet. Seit der zweiten Junihälfte dieses Jahres drängt die frühere Einheitspartei der Jahre 1962 bis 1989 und derzeit wieder regierende „Partei der Nationalen Befreiungsfront“ (P-FLN) Bouteflika bereits zu einer erneuten Kandidatur im Frühjahr 2019. Dies dürfte den wahren Grund dafür liefern, warum Hamel geschasst wurde.

Editorischer Hinweis

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.