Gefährdet die zunehmende Kapitalkonzentration im Mediensektor die
Pressefreiheit in Frankreich? Diese Frage wird seit einigen Wochen
in Frankreich mit zunehmender Heftigkeit diskutiert. Den Auftakt
für die mit teilweise bangem Tonfall geführte Debatte setzte Anfang
Juli die Nachricht, dass die satirisch-politische Puppensendung
Les Guignols de l’info ab der kommenden rentrée
– so bezeichnet man in Frankreich das Ende der Sommerpause ab circa
1. September – bedroht sei. Noch lange nicht zu Ende war die
Debatte mit einer Nachricht vom 29. Juli, die die Befürchtungen
vieler KritikerInnen bekräftigt. Die Leitung des Fernsehsenders
Canal+, auf dem übrigens auch die Guignols de
l’info („Die Nachrichten-Kasper“) seit 1988 ausgestrahlt
werden, hat demnach im Mai dieses Jahres die bewusste Entscheidung
getroffen, einen Dokumentarfilm zu zensieren.
Im
Mittelpunkt stehen in beiden Fällen dieselben Akteure: Vincent
Bolloré, Multimilliardär, achtgrößter
französischer Vermögensbesitzer und seit 2014
Aufsichtsratsvorsitzender des Mischkonzerns Vivendi, sowie die
Leitung des zu ihm gehörenden Senders Canal+. Wie
Ende Juli die Internetzeitung Mediapart en détail
berichtete, griff Bolloré dort im Mai dieses Jahres persönlich ein,
um die Ausstrahlung eines Dokumentarfilms mit bisher unbekanntem
Titel zu verhindern. Dieser könnte nun, wie durchsickerte, im
kommenden Herbst beim öffentlich-rechtlichen Regionalsender
France 3 doch noch ausgestrahlt werden.
„In
fünfzehn Jahren (Tätigkeit) habe ich noch nie eine derart offene
und brutale Zensur gesehen“, erklärt dazu Jean-Pierre
Canet, der Hersteller des Dokumentarfilms, in Le Monde.
Es geht in ihm um Praktiken der Schweizer Bank Pasche, eine Filiale
des französischen Crédit Mutuel-LCI, welcher aktive Beihilfe zu
Steuerhinterziehung und -betrug durch ausländische Kunden
vorgeworfen wird. Offen benannt wurde auch der Grund für die
Zensurentscheidung bei Canal+, um die keinerlei
Diskussion zugelassen wurde: Bolloré steht dem Chef des Crédit
Mutuel-LCI, Michel Lucas, persönlich nahe. Die Bank beriet den
Konzernchef bei Übernahmegeschäften.
Bolloré
begann seine Karriere durch die Übernahme der elterlichen
Papierfabrik und wurde vor allem im neokolonialen Afrikageschäft
reich – im französischsprachigen West- und Zentralafrika
kontrolliert er heute weite Teile des Transportsektors,
Infrastruktur und Häfen. ist nicht die Art von Patron, die sie
nicht direkt in das Redaktionsgeschäft der von seinem Konzern
kontrollierten Medien einmischt. Im Gegenteil. Der seit dreißig
Jahren mit ihm bekannte Schweizer Jean-Clément Texier, der beim
Ringier-Konzern tätig ist, erklärte im Magazin Society
(Juli-Ausgabe) ber Bolloré, er stehe „in
der großen
französischen Kolonialtradition seit dem 19. Jahrhundert“,
was bedeutet: „Die Anderen haben sich an ihn anzupassen,
nicht er.“
Bolloré
kam erst 2014 an die Spitze des 21 Milliarden Eigenkapital schweren
Konzerns Vivendi – er kaufte in den letzten drei Jahren 15 Prozent
der Kapitalanteile zusammen, hält aber damit den stärksten
einzelnen Block, der Rest entfällt meist auf Streubesitz. Anfang
Juli beschloss er, bei Canal+ aufzuräumen. Er entließ
die Nummer Zwei in der Hierarchie, Rodolphe Belmer, weil dieser in
den Medien zu freimütig über Gespräche hinter den Kulissen
gesprochen hatte. Anfang Juli wurde bekannt, er wolle die
einflussreiche Satiresendung Les Guignols de l’info
einstampfen. Inzwischen wurden die Pläne modifiziert: Sie wechselt
„nur“ ins Bezahlfernsehen, während sie bislang kostenlos betrachtet
werden konnte. Allein am Sonntag soll sie noch gratis zu sehen
sein. Zudem werden die vier bisherigen Textschreiber zu Anfang 2016
gehen, angeblich sind sie „zu teuer“. Vor allem aber verlautbart,
dass Bolloré ihre Art von bisweilen beißendem
Humor nicht schätze. Seine Pläne laufen darauf hinaus, aus Vivendi
eine Kopie seines weltweiten Hauptkonkurrenten, des Disney-
Konzerns, zu machen: Geld soll vor allem im internationalen
Vertrieb von gelabelten und standardisierten Kulturprodukten
verdient werden.
Eine am
25. Juli auf der Webseite touchepasauxguignols („Rühr die Kasper
nicht an“) publizierte Petition gegen das Verdrängen der
Guignols aus dem allgemein zugänglichen Angebot erzielte
innerhalb von nur vier Tagen bereits 115.000 Unterschriften. Auch
Persönlichkeiten aus Politik und Kulturleben wenden sich gegen
diese Verarmung der Medienlandschaft.
Hinter
diesem Problem steht jedoch die Frage nach deren zunehmender
Kontrolle durch wenige große
Konzerngruppen. Fünf im Mediengeschäft tätige Konzerne erzielen in
Frankreich einen jährlichen Umsatz oberhalb von 500 Millionen Euro,
mit 5,5 Milliarden ist Vivendi der größte
davon. Soeben entsteht ein sechster, nachdem am 27. Juli bekannt
wurde, der französisch-israelische Geschäftsmann Patrick Drahi
werde voraussichtlich bis 2019 über Allianzen die Kontrolle über
die Sender BFM TV (Fernsehen) und RMC (Radio) übernehmen. Bereits
bislang ist er nicht nur im Mobiltelefongeschäft gut verankert,
sondern auch Hauptaktionär der linksliberalen Tageszeitung
Libération und des Wochenmagazins L’Express.
Immer
mehr Medieneintopf, zeigt der Menuplan für die kommenden Jahre an.
Auch wenn eine wachsende Anzahl von FranzösInnen daran wenig
Geschmack findet.
Editorische Hinweise
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