Der ökonomische und politische
Riese Deutschland taumelt auf dem von ihm beherrschten
Kontinent. Auf den brasilianischen Fußballfeldern, die mit dem
Blut der Arbeiter errichtet wurden, tanzte er. Der 10. Juli 2014
könnte Epoche machen für die neuen Deutschen: Im Bundestag, und
zwar von ganz links bis ganz rechts, begrüßten alle
Volksvertreter die von großem Tamtam begleitete Ausweisung eines
US-Geheimdienstverantwortlichen aus Deutschland. Der Anlass ist
nichtig, wie der Finanzminister mit stolz geblähter Brust
verkündet. Damit sind inzwischen alle Mächte der
Anti-Hitler-Koalition düpiert, disqualifiziert, in die Schranken
verwiesen. Erst Frankreich, ökonomisch in die Knie gezwungen,
Genosse Hartz wird jetzt vom Genossen Holland nach Frankreich
eingeladen, Ordnung in die Unterwerfung der Arbeitslosen zu
bringen. Dann Russland, mit Hilfe der anderen Teilnehmer der
Anti-Hitler-Koalition in Sachen Ukraine clever ausmanövriert.
Dann Großbritannien, im Gefolge von EU-Querelen mit
Unschuldsmiene elegant vom Kontinent gefegt. Jetzt die Staaten.
„Ausweisung nach Textbuch“, schreibt einen Tag später der
Tagesspiegel lakonisch. Wie heißt es in der Präambel des
Zwei-plus-Vier-Vertrages vom 12. September 1990? Die
wiedervereinigten Deutschen verpflichten sich zur
„Zusammenarbeit in Europa“ und „zu Vertrauen“, zur
„Bereitschaft, sich gegenseitig nicht als Gegner zu betrachten“
und dazu, „Gegensätze endgültig zu überwinden.“ Das Gegenteil
ist eingetreten.
Niemand auf der Welt hatte die
Deutschen gedrängt, sie sollen die DDR abschaffen. Jetzt wird
sie dringend gebraucht, selbst eine mit Stasi-Seilschaften. Als
die Kommunistin Margot Honecker 1990 nach Chile emigrierte,
sagte sie den widervereinigten Deutschen ein böses Ende voraus.
Man lachte sie aus. Aber bewegen wir uns nicht Schritt für
Schritt exakt auf diese Wahrheit zu? Anlässlich einer anderen
„Wiedervereinigung“, der vom Januar 1871, prognostizierte der
französische Dichter Arthur Rimbaud in seinem Gedicht „Soir
historique“ (Historischer Abend): „À sa vision esclave, – l‘
Állemagne s’échafaude vers des lune…“ („Deutschland in seiner
knechtischen Vision baut ein Blutgerüst hoch in die Monde.“) Es
kam exakt so. Als dieses Blutgerüst von den Alliierten der
Anti-Hitler-Koalition gestürmt und zum Einsturz gebracht wurde,
hielt ein anderer Emigrant Ende Mai 1945 in der Library of
Congress in Washington eine bemerkenswerte Rede, in der er
ausdrücklich vor einer Wiederauflage eines wie auch immer
gearteten deutschen Staatsgebildes im Herzen Europas warnte. Es
war Thomas Mann, der seine Deutschen kannte wie kein
anderer.
Sein Resümee lautete:
„Der deutsche Drang zur Einigung
und zum Reich, von Bismarck in preußische Bahnen gelenkt, war
mißverstanden, wenn man nach gewohntem Muster eine
Einigungsbewegung national-demokratischen Gepräges in ihm sah
…Aber es erwies sich, dass der europa-übliche
national-demokratische Weg zur Einigung der deutsche Weg nicht
war. Bismarcks Reich hatte im Tiefsten nichts mit Demokratie
und also auch nichts mit Nation im demokratischen Sinn dieses
Wortes zu tun. Es war ein reines Machtgebilde mit dem Sinn der
europäischen Hegemonie, und unbeschadet aller Modernität,
aller nüchternen Tüchtigkeit knüpfte das Kaisertum von 1871 an
mittelalterliche Ruhmeserinnerungen, die Zeit der sächsischen
und schwäbischen Herrscher an. Dies eben war das
Charakteristische und Bedrohliche: die Mischung von robuster
Zeitgemäßheit, leistungsfähiger Fortgeschrittenheit und
Vergangenheitstraum, der hochtechnisierte Romantizismus. Durch
Kriege entstanden, konnte das unheilige Deutsche Reich
preußischer Nation immer nur ein Kriegsreich sein. Als solches
hat es, Pfahl im Fleische der Welt, gelebt, und als solches
geht es zugrunde.“
Editorische
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Den Kommentar
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