Es
hätte alles so schön sein können. Die Fußball-Weltmeisterschaft,
die vom 11. Juni bis 11. Juli dieses Jahres in der Republik
Südafrika stattfindet, hätte den Erfolg der „Regenbogennation“
zelebrieren und ihm die Krone aufsetzen sollen.
Sechzehn Jahre nach den ersten „gemischtrassigen“ Wahlen in dem
Land am Kap hätte man, rückblickend, den Übergang in eine neue
Ära feiern können. Das weiße Rassistenregime der Apartheid, das
seit 1948 existiert hatte, und seine insgesamt 1.700 Gesetze zur
detaillierten Ausführung der „Rassentrennung“ gehören der
Vergangenheit an. Nach wie vor lebt die weiße Minderheit im
Lande im Durchschnitt, und trotz erheblicher sozialer
Ausdifferenzierungen in ihrem Inneren, materiell weitaus besser
als die schwarze Mehrheit. Aber eine neue schwarze Bourgeoisie,
die freilich eng mit der Staats- und Parteibürokratie des
regierenden African National Congress (ANC) verbunden ist und
ihren erreichten Standard oft von Korruption und
Vetternwirtschaft ableitet, hat sich an den Schalthebeln der
politischen Macht breit gemacht und stellt ihren Reichtum
unverhohlen zur Schau. Gar zu sehr hätte diese Schicht, die sich
heute auf der Gewinnerseite wähnt, auch die WM zu ihrer
glorreichen Selbstinszenierung genutzt.
Doch dann das: Am
laufenden Band werden, nur wenige Wochen nach dem Anpfiff der
Spiele zwischen Pretoria und Cap Town, Streiks und soziale
Protestbewegungen – von Slumbewohnern etwa, deren versprochene
Ersatzbehausungen bis zur WM nicht fertig sein werden – vom Zaun
gebrochen. Jetzt oder nie!, so lautet die Devise, gilt es für
die Armen und Vernachlässigten des südafrikanischen „Wunders“,
ihrerseits eine kleine Seite des erwarteten Einnahmenschubs und
Prestigegewinns durch die WM für sich abzuschneiden.
Jetzt oder nie, denn der
Herbst 2010 – respektive der Frühling auf der Südhalbkugel -,
der auf die während der Nordsommers und Südwinters stattfinde
Weltmeisterschaft folgen wird, zeichnet sich sehr unerfreulich
ab. Das Versprechen des vor einem Jahr angetretenen
populistischen Präsident Jacob Zuma, eine Million Jobs zu
schaffen, hat sich als Schall und Rauch herausgestellt: Die
weltweite Wirtschaftskrise hat auch Südafrika voll erfasst. Im
vergangenen Jahr ist die offizielle Arbeitslosenquote von zuvor
23 auf 25 Prozent geklettert, real wird der Erwerbslosenanteil
auf rund 40 Prozent geschätzt. Dies, und die ausgesprochen
geringe und qualitativ schlechte Schulbildung, die ganzen
Generationen von Schwarzen während der Apartheid-Ära erteilt
wurde – weshalb Einwanderer aus anderen Ländern des
afrikanischen Kontinents, in denen Schwarze ein besseres
Schulniveau genossen, oft durch Arbeitgeber bevorzugt werden –
drückt den Preis der Ware Arbeitskraft. Wenn eine Eintrittskarte
zur WM zehn Wochenlöhne kostet und man als Township-Bewohner das
Ereignis allenfalls im Fernsehen mitbekommen wird, fällt der
Trost gering aus. Warum also nicht versuchen, im Vorfeld der WM,
dann, wenn die Arbeitskraft eines Teils der Armen und das
Ruhighalten der übrigen dringend benötigt werden, ein bisschen
etwas abzubekommen?
Am
14. April erklärte sich die Südafrikanische Wirtschafts- und
Handelskammer (SACCI) besorgt über den massenhaften Ausstand von
Kommunalbediensteten, der „nur 56 Tage vor WM-Beginn“
ausgebrochen war. Über 130.000 Kommunalbedienstete waren am
Vortag auf Aufruf der Gewerkschaft SAMWU hin auf die Straße
gegangen, um gegen schlechte Löhne und für ein besseres System
der Bewertung ihrer Arbeitsergebnisse zu demonstrieren. Die
Industrie- und Handelskammer erklärte sich besorgt darüber, dass
viele Geschäfte sich ihren Warenvorrat nicht rechtzeitig vor der
WM fertig anlegen könnten. In Städten wie Johannesburg, Cape
Town oder Tshweni wurden Not-transportdienste eingerichtet,
während die im Verband SALGA zusammengeschlossenen Kommunen in
Verhandlungen mit den Gewerkschaften eintraten.
Ungefähr zeitgleich, am
13. April 10, war die Regierungspartei ANC mit dem Kongress der
südafrikanischen Gewerkschaften COSATU zusammengetroffen. « Da
war Blut auf dem Boden », fasste der ANC-Sprecher Jackson
Mthembu hinterher die Atmosphäre mit einem englischen
Kraftausdruck zusammen. In vergangenen Tagen, in den Jahren des
gemeinsamen Kampfs gegen das Apartheid-Regime, hatten COSATA,
ANC sowie die südafrikanische Kommunistische Partei (SACP)
zusammen ein kaum zertrennliches « Dreigesterin » gebildet.
Heute, wo die sozialen Forderungen der armen Mehrheit unter den
Schwarzen gegen jene, die ihre Hautfarbe teilen und sich in den
letzten Jahren hemmungslos bereichern konnten, in den
Vordergrund rücken, werden diese Bindungen locker.
COSATU-Generalsekretär Zwelinzima Vazi, der den « krassen
Materialismus, der den ANC zerfrisst », und das Profiteursdenken
anprangert, sagt heute « eine Implosion » des formell noch immer
gemeinsam die Regierung stützenden Ex-Bündnisses voraus. In
Anbetracht dessen knüpft die COSATU, über ihre traditionell
Gewerkschaftsklientel in Industrie oder Bergwerken hinaus, heute
auch zunehmend enge Bindungen zu sozialen Bewegungen etwa für
bessere Wohnungsbedingungen und Trinkwasserbewegungen in den
Township-Slums.
Am letzten Wochenende
(15./16. Mai) traten zudem 46.000 Transportbedienstete in den
Streik, legten Züge, aber auch den Schiffsverkehr etwa in der am
östlichen Rand Südafrikas gelegenenen Hafenstadt Durban lahm. Am
Mittwoch, den 12. Mai war zuvor ein Zug mit Benzin und Diesel
zwischen Durban und Johannesburg entgleist - Beobachter
vermuteten Sabotage, welche der Wut vieller Beschäftigten über
Regierungspläne zur Privatisierung des Transportbetriebs
TransNet Audruck verleihen konnte. Der aktuell (bei
Redaktionsschluss) noch anhaltende Arbeitskampf hat eine
Lohnerhöhung von 15 Prozent zur zentralen Forderung. Doch die
COSATU ist fest entschlossen, auch die angestrebte
Privatisierung zugunsten einer Clique von Profiteuren aus
Regierungspartei und Unternehmensvorstand zu blockieren.
Dass Anfang Mai 10 zum
ersten Mal der neue Vorzeige-Schnellzug zwischen Pretoria und
Johannesburg verkehren konnte, gibt zwar einen wichtigen
Prestigeerfolg ab. Doch wird er nun durch den breit befolgten
Streik im Transportsektor überschattet.
Das « Modell » für
Streikbewegungen lieferte der Ausstand der Bauarbeiter während
einer Woche im Juli 2009, der den Neubau von sechs Stadien für
die Fussball-WM – die bis zum Dezember fertiggestellt werden
sollten, und es mit leichten Verzögerungen dann auch wurden –
blockierte. Damals hatten die Beschäftigten auf den Baustellen,
die u.a. vom französischen Betronkonzern Bouygues betrieben
wurden, die Arbeit niedergelegt und 13 Prozent mehr Lohn sofort
eingefordert. 70.000 Lohnabhängige hatten an ihrem Ausstand
teilgenommen.
Am frühen Morgen des 14.
Juli 2009 wurde der Streik, nach einer Woche und nächtelangen
Marathonverhandlungen, durch ein Lohnabkommen beendet. Unter dem
hohen Zeitdruck, mit dem die Errichtung der Stadien erfolgen
sollten, genossen die Lohnabhängigen eine günstige
Verhandlungsposition. Doch sie gaben damit anderen Teilen ihrer
Klasse das Signal, das vièle von ihnen in diesen Tagen nicht
vergessen haben: Es geht, man muss nur an der richtigen Stelle
Druck ausüben !
Editorische Anmerkung
Den Artikel erhielten wir vom Autor. es handelt sich um
eine leicht überarbeitete Fassung
, die am Donnerstag (20. Mai 1o) in der
Berliner Wochenzeitung ,Jungle World’ publiziert wurde. Dort
erschienen weitere Artikel zum Thema Südafrika vor der WM.
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