Am
Anfang sind die Mieterinnen und Mieter der Lychener Straße noch
kämpferisch. Das buntzusammengewürfelte Häufchen von Menschen,
die noch im Jahr 2005 in einem unsaniertem Haus in Prenzlauer
Berg mit Kohleofen und Außentoilette wohnen, haben gerade
erfahren, dass ein Investor aus Leipzig das Haus gekauft hat und
die unmittelbar bevorsteht. In dieser Situation sagt eine
Mieterin sinngemäß: Die rechtliche Situation ist die eine Sache.
Aber noch sind wir hier und wir lassen uns nicht einfach von
wildfremden Menschen aus Leipzig vorschreiben, wie wir zu leben
haben. Zu dieser Zeit lernt sich die Hausgemeinschaft erst
kennen. Der äußere Druck schweißt für kurze Zeit zusammen. Genau
hier beginnt auch der Dokumentarfilm Lychener Straße.
Die
beiden FilmemacherInnen Jakob Rühle und Teresina Moscatiello,
die selber in dem Haus wohnten, zeigten wie schnell die
kämpferische Stimmung verflogen war. Schon nach wenigen Wochen
packten die ersten MieterInnen die Koffer. Am Ende harrten der
ukrainische Student Viktor und seine Freundin Ljusik alleine auf
der Baustelle. Als das Pärchen in eine noch schlechtere
Ersatzwohnung zog, wurden sie vom Eigentümer um die mündlich
zugesagte Kaution betrogen. Doch nicht nur die beiden waren in
dem Konflikt Verlierer. Die erwerbslose Graphikerin Simone
richtete mit der Abfindung ein neues Domizil für sich und ihre 8
Papageien her. Doch kaum war sie damit fertig, informierte sie
ein Schreiben, dass auch das neue Haus verkauft und vielleicht
bald saniert wird.
Die
Starken gehen zuerst
Allerdings gab es in der Hausgemeinschaft auch scheinbare
Gewinner der Situation. So konnte die Schülerin Sophie, die
anfangs noch sehr kämpferisch auftrat, mit der Abfindung ihre
schon länger geplante Mexiko-Reise nach dem Abitur finanzieren.
Auch der Gastronom Carsten, der einer der längsten Mieter des
Hauses war und viel Geld in die Renovierung gesteckt hatte und
daher auch eine erkleckliche Abfindung bekam, hatte sich als
schnell verabschiedet. Auch Frank, der von seinen politischen
Aktivitäten Anfang der 90er Jahre berichtet, geht den Weg des
geringsten Widerstands. Er bekommt eine Umsatzwohnung in einem
sanierten Haus in der Dunkerstraße, dass nach der Wende besetzt
worden war.
Der
Prototyp der Generation Durchschlängeln aber ist der Tänzer
Hermann, der sich zunächst wortreich darüber auslässt, dass der
doch so freundliche Eigentümer so gar nicht zum Feindbild taugt.
Dass kurz darauf die Schikanen beginnen und Menschen, die keine
gültige Mietverträge haben, innerhalb einer Woche ihre Wohnung
verlassen sollen und auch die Rechtmäßigkeit von Simones
Papageienzucht angezweifelt wird, zeigt ein anderes Gesicht der
Hausbesitzer. Doch Hermann wird deswegen nicht kämpferischer. Er
sucht sich neue Nischen bis zur nächsten Sanierung. Er fühle
sich durch den Zwang zum Umzug nicht in seinen Grundrechten
eingeschränkt, betont er. Da ist es auch nur konsequent, wenn
der ganze Komplex des rechtlichen Widerstandes bis auf das kurze
Statement von zwei Mieteranwältinnen weitgehend ausgeblendet
wird. Das zeigt sich besonders in der letzten Szene, wo der um
die Abfindung geprellte Viktor nicht gegen den Eigentümer klagen
kann, weil er kein Geld hat. Warum die Hausbewohner nicht in
eine Mietrechtsorganisation eingetreten sind, als sie vom
Verkauf des Hauses erfuhren, bleibt schleierhaft. Damit wären
sie auch in den Genuss des Rechtschutzes gekommen, was eine
Klage nicht an fehlenden, individuellen Geldmitteln hätte
scheitern lassen.
So
verlässt der Zuschauer den Film mit einem schlechten Gefühl
nicht, weil die Eigentümer in erster Linie an der Verwertung
ihres Besitzes interessiert sind, was unter kapitalistischen
Gesichtspunkten nicht anders zu erwarten ist. Auch dass nur die
MitarbeiterInnen der bezirkseigenen Mieterberatung und der
Gesellschaft für behutsame Stadtsanierung (Stern) an der
möglichst geräuschlosen der Mieter interessiert sind, kann nicht
überrasch, wer die Aktivitäten von Stern Ende der 80er Jahre im
damaligen Sanierungsbezirk Kreuzberg noch im Gedächtnis hat. Das
eigentlich Beunruhigende ist das unsolidarische Verhalten eines
Großteils der Mieter. Diejenigen, die gute Verhandlungschancen
hatten, gingen zuerst. o war es kein Zufall, dass das Paar aus
dem Osten am Ende leer ausging und die erwerbslose Simone auch
in ihrer neuen Wohnung erneut die Vertreibung befürchten muss.
Es fehlte eben die Solidarität und so waren die kämpferischen
Worte am Anfang waren so nur die Ouvertüre für die Unterwerfung
unter die Verwertungslogik der Generation Aal, für die das
Durchschlängeln zum Lebenszweck geworden ist.
Eine andere Wohnungspolitik
Zwischen den sehr privaten Szenen sind einige politische
Sequenzen eingestreut, beispielsweise aus einer Rede zur
Wohnungspolitik während einer SED-Sitzung. Im Kino wird bei
diesen Szenen immer gelacht. Tatsächlich scheinen sie, obwohl
erst 25 Jahre her, wie aus einer ganz anderen Welt. Aber
schienen hier nicht auch Alternativen einer Gesellschaft auf, in
denen Wohnen eben keine Ware mehr ist. Im Nominalsozialismus
waren diese Vorstellungen natürlich völlig deformiert. Trotzdem
betonen die DDR-Bürger und -kritiker Carsten und Simone, dass
damals die Angst vor einem Verlust der Wohnung unbekannt war.
Hier müsste die Diskussion ansehen. Wenn selbst im
Nominalsozialismus trotz allem Zentralismus und trotz aller
Reglementierung schon die Vorteile spürbar waren, wenn Wohnen
keine Ware ist, welche Möglichkeit gäbe es erst in einer
Gesellschaft, in der die Kapitalverwertung der Geschichte
angehört?
Editorische Anmerkung
Den Artikel erhielten wir zur
in dieser Ausgabe vom Autor.
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