kamue.
In der TAZ vom
4.5.2010 war zu lesen, dass die Gruppe "Avanti", die maßgeblich
die Demo am 8.5.2010 anläßlich der Öffnung des Tempelhofer
Flughafens organisiert, ihre Politik als Mobilisierung
"betroffener MieterInnen gegen drohende Mieterhöhungen und
Vertreibung" versteht. An "praktischen Tipps und Tricks für
MieterInnen" werde noch gearbeitet, hieß es dort. Oder anders
ausgedrückt: Es fehlt zwar noch an praktischen Vorschlägen, von
den Zielen ganz zu schweigen, doch machen wir erstmal auf
Bewegung.
Warum das Rad neu
erfinden?
In den Anfangsjahren
der Alternativen Liste verfügten deren ProtagonistInnen nicht
nur über "Tipps und Tricks", sondern auch über ziemlich klare
Vorstellungen, wie Grund und Boden, Miete und Wohnen
"gemeinwirtschaftlich" betrieben werden könnten. 1985 legten sie
ein entsprechendes Programm auf, woraus wir nachfolgend
zitieren.
Diese Überlegungen
sind es deswegen Wert in der aktuellen Bewegung gegen Stadtumbau
und Verdrängung diskutiert zu werden, da es sich um
Reformvorschläge handelt, die in den Profitmechanismus des
Kapitals direkt eingreifen und somit die Konturen eines Leben
jenseits des Kapitalismus sichtbar werden lassen. Der Kampf um
die Verwirklichung von Forderungen, die dieser Logik folgen,
kann zur Schule für den entscheidenden Schritt zur gänzlichen
Abschaffung des Kapitalismus werden. Gemeinhin heißt dieser
Schritt Revolution.
Nachbemerkung:
Mensch denke beim Lesen an den Unterschied zwischen Staat
und Kommune, der in diesem Vorschlägen berücksichtigt ist.
Leitlinien
der AL-Wohnungspolitik (Auszüge)
Dies sind unsere
wichtigsten Grundsätze und Ziele: NIEDRIGE MIETEN
Wir wollen
niedrigere Wohnkosten sowohl im Altbau als auch im Neubau
schaffen und langfristig sichern. Dabei sind wir nicht bereit,
niedrigere Mieten durch Abstriche an der Ausstattung der Wohnung
zu erkaufen. Durch Ausschaltung der Gewinne der Hauseigentümer,
Banken und Spekulanten kann preisgünstiger Wohnraum geschaffen
und erhalten werden, der auch langfristig nicht ständigen
Mietpreissteigerungen unterworfen ist.
DEMOKRATISIERUNG UND
DEZENTRALISIERUNG
Die Bewohner müssen
entscheiden können, was mit ihren Wohnungen und auch mit ihrem
Wohnumfeld geschieht. Dies kommt nicht nur den Bedürfnissen der
Bewohner entgegen, sondern bildet auch einen Schutz gegen
Vernachlässigung, Spekulation und Verfall. Die Absicherung
dieser Rechte erfordert ein offenes Demokratisierungsmodell.
Dabei muß das Spektrum der Möglichkeiten von Einrichtung und
Mitsprache- und Kontrollrechten über die Bildung von
Verwaltungsgenossenschaften bis hin zur völligen
Selbstverwaltung reichen.
UMWELTSCHUTZ
Umweltschutz und
ökologische Verträglichkeit muß vorrangiges
Entscheidungskriterium in allen »Baufragen« werden. Dies gilt
sowohl bei der Errichtung neuer Gebäude im Gewerbe- und
Wohnungsbau, als auch vor allem in der Stadterneuerung.
Um diese Ziele umzusetzen, sind
strukturelle
Veränderungen der wohnungs- und bauwirtschaftlichen
Rahmenbedingungen erforderlich.
Die folgenden Vorschläge sind
in den Kernstücken zugleich ein Einstieg in
Strukturveränderungen. Ihre Perspektive ist die langfristige
Herstellung eines Verbunds von Finanzierungs-, Bau- und
Verwaltungsträgern auf Non-Profit-Basis. Dabei sind die
unterschiedlichen Eingriffsmöglichkeiten je nach Art der
jetzigen Träger zu beachten (Gemeinnützige
Wohnungsunternehmen, landeseigene Wohnungen, städtische
Gesellschaften und »freie« Gesellschaften).
In diesem Verbund haben eine
reformierte Gemeinwirtschaft ebenso Platz wie eine
demokratisierte Kommunalverwaltung und Bewohnerselbstverwaltung.
Die Träger arbeiten ökonomisch nach dem Prinzip der Deckung
gebrauchsbezogener Kosten unter Ausschaltung von Profiten.
Ziel ist die rechtliche
Überführung des überwiegenden Teils der Wohnungen im Alt- und
Neubau in öffentliches Eigentum und die Übertragung der
tatsächlichen Verfügungsrechte an die Bewohner. Dabei
müssen die Verfügungsrechte an die tatsächliche
Nutzung gebunden bleiben: Verkauf und individuelle Verwertung
sind ausgeschlossen.
Die Selbstverwaltung
wird im Bereich der Belegung freiwerdender Wohnungen, bei der
Instandhaltung und bei der Festlegung der Miethöhe durch
gesetzlich geregelte kommunale Eingriffsmöglichkeiten
beschränkt. Damit soll verhindert werden, daß sich
Gruppenegoismen durchsetzen (etwa bei der Festlegung der
Miethöhe). Die Vernachlässigung von Instandhaltung und die
Diskrminierung von Minderheiten und sozial schwächeren Gruppen
bei der Vergabe von Wohnungen soll verhindert werden.
(...)
PROFITE STREICHEN
...
Langfristig ist die Sicherung
niedriger Mieten und der Ausschluß von Spekulation
nur durch andere
Trägerschaften der
Finanzierung, der Verwaltung und des Wohnungsbaus möglich. Mit
dem Antrag »Mietenpooling unter Gewinnverzicht«, der von der AL
eingebracht wurde, sollen 200.000 Wohnungen, die sich im Besitz
der städtischen Gesellschaften befinden (= 20% des
Berliner Wohnungsbestandes), zum Ausgangspunkt einer
grundlegenden Reform gemacht werden. 57.000 Wohnungen aus diesem
Bestand sind Altbauwohnungen, die restlichen 143.000 sind
Wohnungen aus dem Bestand des Sozialen Wohnungsbaus. Der Antrag
sieht vor, den Wohnungsbestand der städtischen Gesellschaften in
bezirkliche Wohnungsvermögen zusammenzufassen. Gleichzeitig
erfolgt die Verwaltung dieser Wohnungen in überschaubaren und
mieternahen Einheiten. Bauverwaltungs- und Bauträgeraufgaben
werden getrennt.
... UND SELBST
VERWALTEN!
Den Bewohnern ist in Fragen der
Bewirtschaftung, Instandhaltung und Modernisierung ihres Hauses
ein Recht auf Mitbestimmung oder -soweit sie dies wünschen - ein
Recht auf gemeinschaftliche Selbstverwaltung zu gewähren. Dieses
offene Demokratisierungsmodell wird in England bereits von
vielen Verwaltungsgenossenschaften im Rahmen des Kommunalen
Wohnungsbaus praktiziert. Die Bewohner erhalten dabei von der
Gemeinde Geldmittel, die sie für ihre Selbstverwaltung und die
Instandhaltung benötigen. Wenn sie durch Selbsthilfe Geld
einsparen, können sie dies eigenverantwortlich z. B. für
Gemeinschaftseinrichtungen verwenden.
Dieses vorgeschlagene
Mieten-pooling unterscheidet sich wesentlich von der sogenannten
Unternehmensmiete. Bei der Unternehmensmiete (»Stadtteilmiete«)
geht es um die Beseitigung der großen finanzierungsbedingten und
standardunabhängigen Mietunterschiede. Dabei sind drastische
Mietsteigerungen für ältere Wohnungen zu erwarten, da die
überdurchschnittlich hohen Mieten der neueren Wohnungen im
Rahmen einer »Mischmiete« verteilt werden. Das vorgeschlagene
Modell erfolgt dagegen auf der Basis, daß zuerst das Land Berlin
und die städtischen Gesellschaften darauf verzichten,
finanzielle Überschüsse und versteckte Gewinne aus den alten
Sozialwohnungen zu ziehen. Die daraufhin gebildete
Durchschnittsmiete führt zu einer Mietsenkung für alle
einbezogenen Wohnungen. Sie würde im Durchschnitt DM 3,80/qm
betragen, im Gegensatz dazu die Unternehmensmiete ca. DM
5,00/qm.
(...)
Editorische
Anmerkungen
Der
Text ist ein Auszug aus: Wahlprogramm der Alternativen Liste
1985, S. 129ff
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