2.000 Rechtsextreme bei
Jean-Marie Le Pen – Letzte (?) Mai-Rede des Alt-Neofaschisten zu
Themen der Wirtschaftskrise. Die Gewerkschaften mobilisieren
rund 30.000 Personen in der französischen Hauptstadt und
vielleicht eine Viertelmillion landesweit. Aber ihre Verfassung,
jedenfalls ihre Vorgehensweise ist außerordentlich
schlapp
Die Botschaft der „Modernisierung“ und „Mäigung“, die für
manche Beobachter – oder auch nach Bündnisoptionen suchende
konservative Politiker – angeblich vom Aufstieg der
„Cheftochter“ Marine Le Pen bei der extremen Rechten ausgeht,
ist nicht bei Allen angekommen.
Beispielsweise nicht bei dieser
Abteilung der Parteijugend, die am 1. Mai dieses Jahres in Paris
unter dem Transparent des Regionalverbands „FN Lothringen“ aus
Ostfrankreich aufmarschierte. „Erste, zweite, dritte Generation:
Wir sind alle – Kinder von Faschisten“ (Abwandlung eines
Slogans, der üblicherweise lautet „ – Kinder von
Eingewanderten“) oder auch „Abschiebeflüge für die Illegalen“
lauteten einige der Parolen, die sie riefen. Unterbrochen vom
Absingen der Hymne ,Maréchal, nous voilà’, mit welcher bestimmte
Leute in den frühen 40er Jahren den Marschall Philippe Pétain
feierten. Dazwischen viel Bier aus Dosen oder Bechern.
LONSDALE-Klamotten oder T-Shirts mit der Aufschrift ,Charles
Martel’: Der fränkische Krieger Karl Martell (der zwar
existierte, dessen heutiges Bild aber in weiten Teilen eine
Legendenfigur darstellt) soll im Jahr 732 n.Chr. in der Nähe von
Poitiers „die Araber und die Ausbreitung des Islam“ gestoppt
haben. Die historische Wirklichkeit entspricht der
vereinfachenden Legende zwar nicht ganz – das Häufchen von ihm
besiegter arabischer Krieger stand im Dienste katholischer
spanischer Feudalherren -, aber jeder Rassist versteht die mit
seinem Namen verknüpfte Botschaft.
Im Publikum finden sich aber auch
einige „normale“ Familien mit kleinen Kindern. Und ältere Leute,
die die Sätze ihres Führers mit Hilfe von Diktiergeräten
aufnehmen. Es ist voraussichtlich das letzte Mal, dass
Jean-Marie Le Pen aus Anlass des 1. Mai vor der Statue der
„Nationalheiligen“ Jeanne d’Arc im Pariser Zentrum spricht. Denn
im kommenden Jahr dürfte sein Nachfolger oder – wahrscheinlicher
– seine Nachfolgerin, der oder die auf dem nächsten Parteitag am
15./16. Januar 2011 in Tours bestimmt wird, die Leitung
innehaben. Das Publikum applaudiert dem Anwärter Bruno Gollnisch
höflich und ruft ihm aufmunternd zu, aber sehr viel mehr Applaus
erhält doch die sehr viel aussichtsreichere Anwärterin Marine Le
Pen. Rund 2.000 Anhänger/innen sind zusammengekommen. (Laut
Angaben der französischen Polizei, die zweifellos realitätsnäher
ausfallen; die Veranstalter sprechen hinterher von 8.000
Teilnehmern.) Im vergangenen Jahr hatten rund 1.200 bis 1.500
Personen (Polizei: 1.200, Veranstalter: 5.000) an der
rechtsextremen Kundgebung teilgenommen. Es gibt also einen
gewissen Wieder-Anstieg der Teilnehmerzahl, doch ist sie noch
weit von jener entfernt, die noch 1999 erzielt wurde – damals
erreichten beide Hälften des kurz zuvor zwischen Le Pen- und
Mégret-Anhängern gespalteten Front National jeweils gut 3.000
Teilnehmer.
Zu Anfang seiner Rede wird
Jean-Marie Le Pen, der sich mehrfach bei seinen verbliebenen
Aktivisten für ihre „Treue“ bedankt, erklären, dass die Partei
in diesem Jahr leider den Aktivisten nicht ihre Busfahrt in
Richtung Paris bezahlen konnte. Tatsächlich hat der FN nach wie
vor massive Geldprobleme, infolge seines sehr schlechten
Abschneidens bei der letzten Parlamentswahl (Juni 2007) und der
gesunkenen staatlichen Parteienfinanzierung. In naher Zukunft
dürfte allerdings durch die soeben gewählten 118
Regionalparlamentarier des FN wieder Geld in die Kassen gespült
werden.
Seine diesjährige Rede widmete Jean-Marie Le Pen zu guten Teilen
der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise, protektionistischen
Perspektiven und sozial klingenden Forderungen. Dafür versuchte
er (ähnlich wie der FN im Raum Paris auf Flugblättern von Anfang
März 10) auch den früheren Chef der französischen KP, Georges
Marchais, der sich 1981 für einen Stopp von Neuzuwanderung
ausgesprochen hatte, für sich zu vereinnahmen. Die
sozialdemokratische und sogar die kommunistische traditionelle
Linke – mit Ausnahme ihrer zum „Immigrationismus“ (ungefähr: zur
Einwanderungs-Religion) bekehrten Führungen – stehe „uns viel
näher als die Eliten der amerikanisierten Linken und der
Schicki-Micki-Rechten“, betonte Le Pen demagogisch. Diejenigen,
die er bekämpft („den kapitalistischen und den kommunistischen
Materialismus“, wie er an anderer Stelle ausführte) versuchte Le
Pen im aktuellen Geschehen in zwei Figuren zu kristallisieren:
„Der Spekulant von (der Bank) Goldman Sachs, der Milliarden
verpulvert hat; und der Dealer in den Banlieues, der in einem
Tag verdient, was andere in einem Monat mit Arbeit verdienen“;
und der durch die Polizei „aus Angst vor Aufständen (in den
Sozialghettos)“ angeblich nicht behelligt werde.
Gewerkschaften: Es wäre Zeit, andere Saiten aufzuziehen...
Die französischen Gewerkschaften wüssten, wie es auch anders
ginge - wenn sie denn wollen täten. Vor nunmehr 15 Jahren
beispielsweise verhinderten die Gewerkschaften im öffentlichen
Dienst einen Angriff auf die Rentenregelungen der
Eisenbahner/innen, indem sie vier Wochen lang keinen einzigen
Zug verkehren, keinen Bus fahren und keinen Brief austragen
ließen. Der Streik im November und Dezember 1995 war
ausgesprochen populär und wurde bis zum Schluss durch über 60
Prozent der Bevölkerung unterstützt. Denn viele wussten, dass es
auch ihren „sozialen Errungenschaften“, einer nach der anderen,
an den Kragen gehen sollte.
Nichts dergleichen ist im Augenblick zu beobachten. Die zentrale
Auseinandersetzung, die sich derzeit abzeichnet, ist jene um die
drohende „Rentenreform“, deren genauer Inhalt im Juni bekannt
gegeben wird. Voraussichtlich wird die Zahl der obligatorischen
Beitragsjahre zur Rentenkasse auf mindestens 42,5 angehoben. Sie
lag vor einem guten Jahrzehnt noch bei 37,5, inzwischen ist sie
- seit den letzten „Reformen“ - bei 40 angekommen.
Aber die Gewerkschaften erweisen sich ausgesprochen zögerlich.
Zunächst gingen sie am 23. März 10 erstmals gegen die drohende
neuerliche „Reform“ auf die Straße, rund 600.000 Personen kamen.
Das ist für französische Verhältnisse kein Bombenerfolg, aber
ein beachtliches erstes Kräftemessen. Doch eine Woche später
beschlossen die versammelten Gewerkschaftsführungen - nach einer
ätzenden Polemik zwischen der rechtssozialdemokratisch geführten
CFDT und den linken Basisgewerkschaften SUD-Solidaires -, erst
am 1. Mai und im Rahmen der an dem Tag ohnehin üblichen
Aufmärsche wieder zu protestieren.
Dies dürfte Präsident Nicolas Sarkozy kaum beeindruckt haben.
Zumal der Mobilisierungserfolg kein bedeutender war. Je nach
Angaben, jenen des Innenministeriums oder der
Gewerkschaftsführungen, kamen zwischen knapp 200.000 und 350.000
Menschen zu den Maidemonstrationen - weniger, als gleichzeitig
laut DGB-Angaben in Deutschland demonstrierten: 484.000 laut dem
Gewerkschaftsbund.
In Paris waren es rund 30.000. Das sind zwar doppelt so viele,
wie üblicherweise in der französischen Hauptstadt zu einer
Demonstration am 1. Mai kommen, wenn gerade nichts auf dem Spiel
steht. Dennoch hatte die Sache keine richtige Power.
Und, vor allem: Die Mobilisierung wurde an jener vom Vorjahr
gemessen. Damals hatten die Gewerkschaftsverbände ihre
Mobilisierung - gegen die Krisenpolitik Nicolas Sarkozys -
ebenfalls mit den Maidemonstrationen zusammengelegt. Dazu kamen
im vergangenen Jahr frankreichweit knapp eine Million Menschen
(und über 50.000 in Paris). Was seinerzeit schon einen Rückgang
darstellte, denn im Januar und März 2009 waren es auch schon mal
zwei Millionen gewesen. – Entsprechend triumphierte die rechte
Regierungspartei UMP auch am Sonntag: Die Maidemonstrationen
seien nur „ein schwacher Mobilisierungserfolg“ gewesen, so
Parteivorsitzender (und Ex-Arbeits- und Sozialminister) Xavier
Bertrand oder Sarkozys Sozialberater Raymond Soubie. Letzterer
fügte sogar hinzu, dies belege, dass die Franzose „eine Reform
der Renten für notwendig erachteten“. Hingegen zeigte sich der
neue Arbeitsminister Eric Woerth, der aus einer
katholisch-monarchistischen Familie und vom
Rechts(fast)auenflügel der Bürgerlichen kommt, von
raffiniert-zynischer Subtilität. Genüsslich zynisch führte er am
o2. Mai aus: „Auch wenn nur einer in Frankreich demonstriert,
interessiert mich das. Und ich höre genau hin, was er zu sagen
hat.“
Am Donnerstag dieser Woche nun wollen die Gewerkschaftsverbände
über ihre nächsten Schritte beraten. Verbal läuft sich die CGT,
der mitgliederstärkste Gewerkschaftsband in Frankreich - der
früher parteikommunistisch beeinflusst war, und heute eher
sozialdemokratisiert ist - zwar warm. Er warnte die Regierung am
Sonntag, sie solle sie eher mäßige Mobilisierung am 1. Mai
keinesfalls als „Entwarnung“ werten - sie werde dafür sorgen,
dass die Lohnabhängigen wachsam blieben und keine gravierenden
Einschnitte hinnehmen müssten. Aber de facto lassen alle
größeren Gewerkschaftsapparate die Mobilisierung derzeit ins
Leere laufen.
Dies widerspiegelt auch die Tatsache, dass die regierende Rechte
in den letzten Jahren intelligent genug war, die CGT - früher
ein „rotes Tuch“ in den Augen der französischen Konservativen -
einzubinden. Die seit 2008 laufende Reform der „Tariffähigkeit“
begünstigt die größten Dachverbände, also die CGT und die CFDT.
Und sie wird dafür sorgen, dass kleinere, rechtere Verbände,
„gelbe“ und christliche Gewerkschaften in absehbarer Zeit
verschwinden oder aber fusionieren müssen. Da möchte man lieber
nicht in die Suppe spucken, meinen die zentralen Apparate der
beiden Dachverbände. Im Gegenzug dazu geht aber auch die CGT
überwiegend zu einer Gewerkschaftspolitik über, die sich
vorrangig am Verhandlungstisch abspielt und nicht - wie früher -
zuallererst ihre soziale „Gegenmacht“ auf der Straße zeigen
möchte, bevor sie sich eventuell auf Verhandlungen einlässt. Die
deutschen Gewerkschaften, die früher nur für die deutlich rechts
von ihr stehende CFDT-Spitze das „Modell“ bildeten, erscheinen
inzwischen auch der früher „roten“ Konkurrenz zunehmend als
Vorbild.
Doch an der Basis radikalisieren sich, auf örtlicher Ebene, die
Proteste zunehmend – mit der Gefahr eines Auseinanderdriftens
zwischen beiden Ebenen, die sich immer weiter auseinander
entwickeln könnten.
Ausführliches dazu demnächst an dieser Stelle...
Editorische Anmerkung
Den Artikel erhielten wir von
Bernard Schmid zur Veröffentlichung in dieser Ausgabe.
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