Repressionen gegen revolutionäre Linke
Die Verfolgung und Zerschlagung der KPD (ML) in der DDR

Ergänzende Informationen zur Nr. 1/2019 der Zeitung der Roten Hilfe

04/2019

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Vorbemerkungen

In der letzten Ausgabe dokumentierten wir u.a. die Kritik der beiden DKP-Vorsitzenden Köbele und Richter an der Aufarbeitung der Repressionsgeschichte gegen linke Oppositionelle in der DDR durch die Rote Hilfe Zeitung 1/2019. Leider vermissten wir in dieser lobenswerten Roten Hilfe Recherche einen Bericht über die sehr gut dokumentierten Repressionen gegen die DDR-Sektion der KPD/ML in den 1970er und 1980er Jahren. Die nachfolgenden Informationen verstehen sich daher als eine Ergänzung zu den Recherchen der Roten Hilfe Zeitung.

Wir möchten noch hinzufügen, dass uns die Kritik aus den Reihen der DKP an den Rote Hilfe Recherchen keinesweg verwundert hat, waren ihre früheren diesbezüglichen Argumente inhaltlich keine anderen, dafür waren sie aber deutlich handfester. Die Rote Hilfe Deutschland vom April 1977 berichtet anläßlich der widerrechtlichen Festnahme eines KPD(ML)- Mitglieds in der DDR über die DKP auf der Seite vier ihrer Zeitung:

"Sie ist es doch, die für Millionenbelohnung aus Ostberlin schwarze Listen von Kommunisten und Revolutionäre an den Stasi weiterleitet und so erst die Voraussetzungen schafft für Verhaftungen von Genossen wie Bernd Hübner. Sie war es auch, die in panischer Hektik die Plakate abriß, die auf diesen Vorfall aufmerksam machten, die Anschläge auf Parteibüros der KPD/ML in Essen und anderen Städten verübte und Genossen bei der Agitation und Propaganda überfiel. (...)

Während sie sich nämlich als Vorkämpferin für die Interessen der Werktätigen ausgibt, bespitzelt und denunziert sie tagtäglich fortschrittliche Menschen in Betrieb und Schule, in Universität und Bundeswehr, sorgt sie für Kündigungen, Berufsverbote und Gewerkschaftsauschlüsse und besorgt so das Geschäft des Kapitals. (...)

Die RHD hatte Gelegenheit, mit einem Genossen zu sprechen, der den Überfall von D"K"P-Schlägern auf das Essener Parteibüro der KPD/ML miterlebt hat.

Genosse: Es war am Freitag, den 4. März gegen 18.00 Uhr. Wir wollten gerade unser Parteibüro schließen. Plötzlich waren 8-10 Schläger vor der Tür, die versuchten mit brutaler Gewalt einzudringen. Sie waren zum größten Teil mit etwa unterarmdicken Holzknüppeln bewaffnet, die ca. 1m lang waren. Zweien von ihnen gelang es, in den Laden zu kommen, wo einer dann mit einem wuchtigen
Schlag mit dem Holzknüppel auf den Kopf eines Kunden draufschlug. Er konnte sich bloß noch mit dem rechten Arm schützen, sein Arm wurde durch den Schlag knapp unterhalb des Ellenbogens glatt durchbrochen. Seit über einer Woche liegt er nun im Krankenhaus, der Arm muß genagelt werden und er wird weitere zwei Wochen im Krankenhaus bleiben müssen. Das war ganz klar versuchter Totschlag. (...)

RHD: Was ist der Grund für diese Angriffe der D"K"P?

"Der Überfall vom 4. März, wie auch ein Überfall auf das Büro eine Woche zuvor, geschahen im Zusammenhang mit dem Kampf der Partei gegen die Verschleppung unseres Genossen Bernd Hübner in der DDR. Da sind auch in Essen besonders viele Plakate aufgetaucht, die den Terror ihrer Gesinnungsbrüder in Ostberlin anprangerten, an einem Abend allein über 500." (zitiert nach Polifka, S. 137f)

red. trend

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Zu Beginn der siebziger Jahre bildete sich an einer Erweiterten Oberschule (EOS) in Berlin eine Schüler*innengruppe, die "unabhängig von der offiziellen Lesart" den Marxismus-Leninismus studieren wollte. Zu diesem Kreis stießen im Laufe der Zeit weitere Interessierte, darunter sowohl Berufstätige als auch Student*innen. Etwa zur gleichen Zeit bildete sich ein ähnlicher Kreis in Rostock. Beide Gruppen nahmen Kontakt zur albanischen Botschaft in (Ost-)Berlin und zur westdeutschen KPD (ML)auf. Gestützt auf diese Gruppen gründete die KPD(ML) zur Jahreswende 1975/76 eine "Sektion DDR", welche von Westberlin aus angeleitet und  praktisch unterstützt wurde (Flugblätter, Farbe etc.).

1977 erschien die erste DDR-Ausgabe des "Roten Morgen", dem Zentralorgan der KPD(ML). Die Zeitung wurde in Eigens im Westen produziert und in der DDR per Briefkasteneinwurf verteilt wurde. Der Rote Morgen war die erste regelmäßig erscheinende oppositionelle Zeitung in der DDR. Sie erschien zwischen Oktober 1977 und  August 1982.


Roter Morgen, Ausgabe DDR, 1. Jg. (erste Nummer, 1977)

Bis zum Jahr 1980 entstanden rund ein Dutzend illegale KPD(ML)-Zellen in der DDR mit etwa 50 Mitgliedern.

Beobachtung, Zersetzung und Zerschlagung durch die Stasi

"Zur Bearbeitung dieses Personenkreises setzte die Staatssicherheit in diesem Zeitraum etwa 20, später sogar über 30 IM ein, die als Mitglieder in der "Sektion DDR" tätig waren oder direkten Kontakt zu den Parteiaktivisten hatten. Diese Spitzel suggerierten den Instrukteuren im Auftrag des MfS die Existenz etwa weiterer 30 Sympathisanten – und die Parteileitung im Westen war über diesen Zuspruch natürlich hoch erfreut. Im einzelnen sah dies beispielsweise in Cottbus so aus, daß von den mittlerweile vier Zellenmitgliedern nicht weniger als drei IM der Staatssicherheit waren. Unter den dort insgesamt elf Sympathisanten existierten sechs rein fiktiv, während die fünf "echten" der Staatssicherheit namentlich bekannt waren. In Magdeburg hatte das MfS unter den vier Mitgliedern lediglich einen IM, der auch nur zwei Sympathisanten zu suggerieren vermochte (bei drei weiteren "echten" Sympathisanten). Eine der zahlreichen Zellen in Berlin war sogar ein reines Stasi-Produkt: die einzigen beiden Mitglieder waren IM und alle drei an die Leitung gemeldeten Sympathisanten fiktiv." (Wunschik, S.19)

"Insgesamt hat das MfS im Westen 22 Instrukteure, 33 Kuriere, 42 Deckadressen und 6 Decktelefone der KPD/ML identifiziert." (Wunschik, S.20)

"Um weitere Quellen innerhalb der Sektion zu gewinnen, war der Stasi alles recht.
So nutzte sie die Ehekrise eines Parteiaktivisten aus, um diskreditierende
Informationen über ihn zu gewinnen und ihn damit unter Druck zu setzen. (Vgl.
Ergänzung zum Vorschlag zur Werbung des KPD/ML-Funktionärs "Kagel"
unter Ausnutzung kompromittierenden Materials vom 20.5.1980; BStU, ZA,
AOP 643/85 Bd.1, Bl.172f.) Einem anderen Kommunisten (Heinz Reichel) sollte durch eine vom MfS gesteuerte Liebesaffäre sowohl die Ehe zerstört werden
als auch er selber in kriminelle Machenschaften verstrickt werden. Die MfSAgentin scheiterte jedoch. Es wurde auch versucht, die Ehefrau des Genossen als
IM zu gewinnen. Erpressungen und Druck wurden auf Familienmitglieder ausgeübt. Studienplätze wurden verwehrt. Die Rente "Opfer des Faschismus" wurde für Erpressung genutzt. Kommunisten wurden observiert. Über Jahre wurde rund um die Uhr abgehört. In den Akten der Stasi waren Duplikate von Wohnungsschlüssel abgelegt. Mielke selbst gab Anweisungen, "Kenntnisse zu erarbeiten, die wirkungsvoll für offensive Zersetzungs- und Kompromittierungsmaßnahmen genutzt werden können."
(Polifka, S.19)

"Hinter der differenzierten Behandlung der verschiedenen Zellen stand das Konzept, die ohnehin vorhandenen Differenzen der Sektionsleitung mit denjenigen Zellen zu vertiefen, die das MfS noch nicht im Griff hatte, bis nur noch die von inoffiziellen Mitarbeitern des Staatssicherheitsdienstes gesteuerten Zellen übrig bleiben würden." (Wunschik, S.21)

"Die erfolgreiche Ausforschung des "Feindobjektes" bot die Möglichkeit, im Dezember 1980 und vor allem im März 1981 auf eine härtere Linie umzuschwenken und zum großen Schlag auszuholen: Insgesamt acht Mitglieder und Anhänger der "Sektion DDR" wurden verhaftet und Ermittlungsverfahren wegen Vergehens nach § 106 StGB ("staatsfeindliche Hetze") eingeleitet, gegen zwei weitere liefen Ermittlungsverfahren ohne Haft." (Wunschik, S.23)

"Die beiden führenden Aktivisten der "Sektion DDR" – der eine arbeitete als Diplommathematiker, der andere war als Maschinenschlosser pikanterweise in der Druckerei des "Neuen Deutschland" beschäftigt –, wurden beide zu jeweils acht Jahren Freiheitsentzug verurteilt. An ihrer Verteidigung war auch der bekannte Rechtsanwalt Wolfgang Vogel beteiligt. Der eine der beiden Hauptverantwortlichen saß seine Strafe in Brandenburg, der andere in Bautzen ab. Beide stellten noch in der Haft Anträge auf Übersiedlung in die Bundesrepublik; erst nach fünfeinhalbjähriger Haftdauer wurden sie in den Westen abgeschoben." (Wunschik, S.23)

"In der Wohnung einer der beiden Anführer wurde eine verschlüsselte Liste mit 150 Namen gefunden, von denen der Staatssicherheitsdienst binnen kurzem 36 entschlüsselt hatte: 24 davon erwiesen sich als "inoffizielle Positionen" des MfS."
(Wunschik, S.24)

"Als flankierende Maßnahme zu den Verhaftungen leitete das MfS im Frühjahr 1981 in großem Maßstab Reisesperren- und Fahndungsmaßnahmen ein. Insgesamt wurden 357 Reisesperren gegen bundesdeutsche KPD/ML-Anhänger verhängt (betroffen waren 65 Funktionäre, 14 Instrukteure, 16 Kuriere und 262 weitere Parteiaktivisten), was bedeutet, daß der ostdeutsche Geheimdienst mindestens jedes zweite Parteimitglied im Westen namentlich kannte." (Wunschik, S.25)

"Mit Hilfe seiner vielen IM lähmte das MfS die Tätigkeit der "Sektion DDR" und schreckte die Parteiführung von weiteren Versuchen der Einflußnahme und der Mitgliederrekrutierung im Osten Deutschlands ab. Die "Ausgabe DDR" des "Roten Morgen" wurde eingestellt; wegen der drohenden Festnahmen weigerten sich die Kuriere auch zunehmend, in die DDR einzureisen." (Wunschik, S.31)

1986 stellte die Staatssicherheit in abschließend fest, "daß durch geeignete politisch-operative und strafrechtliche Maßnahmen die 'Sektion DDR' 1981 zerschlagen wurde. Die aus der Sicht der KPD existierenden Stützpunkte bestehen aus IM bzw. werden durch IM unter operativer Kontrolle gehalten."

"Ins Visier des MfS kam nicht nur die KPD(ML) in Ost und West. Unter dem Titel "Bearbeitung der ‚linksextremistischen' Organisationen in der BRD" heißt es: In der BRD und Westberlin existieren linksextremistische und trotzkistische Organisationen, Gruppen und Kräfte, darunter

"Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD)
"Kommunistischer Bund Westdeutschlands" (KBW)
"Kommunistischer Arbeiterbund Deutschlands" (KABD) (MLPD)
"Kommunistischer Bund" (KB)
"Gruppe Internationaler Marxisten" (GIM)
"Spartacusbund" (SB)

von ihnen gelenkte Untergrundorganisationen (...) verfolgen trotz aller Differenziertheit und Gegensätze antisowjetische und DDR-feindliche Ziele." (Polifka, S.18)
 

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