Nur noch vier
„tariffähige“ Gewerkschaften bei der SNCF übrig. Linke
Basisgewerkschaft SUD Rail bestätigt, CFDT geschwächt, kleinere
rechte Gewerkschaften von der Bildfläche verschwunden;
„moderate“ UNSA zählt zu den Hauptgewinnern.
Am
vergangenen Donnerstag fanden die Personalratswahlen bei der
französischen Eisenbahngesellschaft SNCF statt. An ihnen nahmen
rund 121.600 Eisenbahner/innen teil, bei einer Beteiligungsquote
von rund 73 % (die damit sinkt, gegenüber 80 % und dann 77 % bei
den letzten Wahlgängen, 2004 und im März 2006). Ein wichtiger
Kräftetest für die französischen Gewerkschaften.
Die Personalvertretungswahlen bei der SNCF und die
Tariffähigkeit der Gewerkschaften
Es
war das erste größere Kräftemessen für diese
Beschäftigtenorganisationen, seitdem das Gesetz vom 20. August
2008 in Kraft trat, das die Bedingungen für die
„Repräsentativität“ (ungefähr: Tariffähigkeit) von
Gewerkschaften und Gewerkschaftsverbänden neu regelt. Seit
diesem Gesetz fällt die alte Regelung, wonach automatisch jede
Gewerkschaft, die einem der offiziell anerkannten Dachverbände
(CGT, CFDT, FO, CFTC = Christenheinis und CGC =
Angestelltengewerkschaften) angehört, zwingend als
„repräsentativ“ gelten muss. Seit dem Gesetz vom August
vergangenen Jahres gilt vielmehr, dass jede Gewerkschaft ihre
reale ‚représentativité’ durch Wahlergebnisse in den Betrieben
oder in ihrer Branche unter Beweis stellen muss.
Dadurch entfällt vor allem für Mitgliedsgewerkschaften der
„kleineren“, und i.d.R. rechteren, Dachverbände wie CFTC, CGC
oder mitunter auch FO (nach außen hin „unpolitisch“, nach innen
hin schillernd mit manchmal kämpferischen und manchmal mafiösen
Zügen) vielerorts die „Tariffähigkeit“. Jedenfalls sind sie
ernsthaft von ihrem Verlust bedroht, auf dem Hintergrund der
Betriebsrats- und Personalratswahlen, die von jetzt ab in den
kommenden vier Jahren allerorts stattfinden werden.
Dieses Gesetz vom 20. August 2008 war ein „Geschenk“ der
Regierung (und des Kapitals) an die CFDT und auch an die CGT,
die dadurch begünstigt werden. Unter anderem besteht das Ziel
darin, die CGT längerfristig in eine „sozialpartnerschaftliche“
Politik mit einzubeziehen - der Dachverband verhält sich bereits
entsprechend. Zuvor hatte im Herbst 2007 und Winter 2007/08
innerhalb der Kapitalverbände eine Art Putsch stattgefunden,
genauer: ein Durchmarsch des Dienstleistungskapitals gegen
andere Kapitalfraktionen, aber insbesondere die
Metall-Arbeitgeberschaft. Letztere in Gestalt des
Metallindustrieverbands UIMM, für den die CGT noch immer quasi
eine ‚rote Bande’ darstellt, hielt daran fest, auch kleinere
rechte Gewerkschaftsverbände wie die CFTC künstlich „tariffähig“
zu halten. Hingegen gingen das Dienstleistungskapitals und
Nicolas Sarkozys Chefberater in sozialen Angelegenheiten,
Raymond Soubie, davon aus, dass es nun an der Zeit sei, die CGT
einzubinden. Ihre Kampagne begann am o4. September 2007, als die
konservative Tageszeitung ‚Le Figaro’ mit Enthüllungen über ein
finsteres Finanzgebaren der UIMM (20 Millionen Euro in bar
abgehoben und verteilt, Geldfluss in der Vergangenheit - im
Wahlkampf 1974 - an Rechtsradikale) aufwartete. Die
zweitgenannte Option konnte sich daraufhin durchsetzen.
Nunmehr drohen Verbände wie die Christenheinis von der CFTC
längerfristig aus vielen Sektoren als „tariffähige“ Gewerkschaft
zu verschwinden, oder aber mit anderen
Gewerkschaftsorganisationen fusionieren zu müssen. Dieser
Prozess hat bereits begonnen. Und die Pariser Abendzeitung ‚Le
Monde’ gab in ihrer Samstags-Ausgabe (28. März) Beispiele für
Unternehmen, in denen bspw. die CFTC nun unter die
10-Prozent-Hürde bei Betriebsratswahlen gerutscht ist und damit
ihre „Repräsentativität“ verlieren wird. Das bedeutet: Verlust
der Befähigung, ein Abkommen mit den Arbeitgebern rechtswirksam
unterzeichnen zu können; Verlust von freigestellten
Gewerkschaftsfunktionären im Betrieb u.a. So rutschte die CFTC
bei der Bank BNP-Paribas mit 9,8 % der Stimmen knapp unter die
Hürde. Beim Reifenhersteller Dunlop in Amiens, in der
Autoindustrie, rutschten bei einer Betriebsratswahl im Februar
2009 hingegen alle „klassischen“ Gewerkschaften (d.h.
Mitgliedsgewerkschaften der gröbten
Dachverbände) aufgrund der Aufsplitterung ihrer Stimmen unter
die Zehn-Prozent-Hürde: CGT, CFDT, FO und CGC. Hier bleibt nur
noch die UNSA als tariffähige Gewerkschaft übrig. Vielerorts
treibt diese Drohung mit dem Verlust des Status als tariffähige
Gewerkschaft die Verbände zu Fusionen oder Annäherungen. So bei
der französischen Telekom zwischen der UNSA und der
Angestelltengewerkschaft CGC, oder bei den Sparkassen in
Südwestfrankreich zwischen der CGC, dem christlichen
Gewerkschaftsbund CFTC und der UNSA. Auf die Dauer dürften
überall vor allem die bisherigen kleineren rechten
Gewerkschaftsverbände, eventuell erweitert um die UNSA,
zusammenrücken.
Nur noch vier „tariffähige“ Gewerkschaften bei der SNCF
Im
Vorfeld der Personalratswahlen bei der SNCF hatte sich aus
diesem Grunde die CFDT, die sich dort einige Sorgen machen
musste (sie „wiegt“ dort in den letzten Jahren nur zwischen 10
und 15 Prozent der Stimmen, nach Abgängen in den Streikjahren
von 1995 und 2003 zugunsten von SUD), bereits mit einer anderen
Gewerkschaft zusammengeschlossen. Es handelte sich um die bis
dahin „autonome“ (d.h. nicht in einem
berufsgruppenübergreifenden Verband mit anderen
zusammengeschlossene) Lokführergewerkschaft FGAAC. Letztere
hatte sich in der Vergangenheit zwar in einigen Konfliktfällen
als streikfreudig erwiesen, aber vertrat zugleich ein relativ
enges korporatistisches (= berufsgruppenbezogenes,
gruppenegoistisches) Profil. Hingegen bot die CFDT ein
Berufsgruppen übergreifendes Profil, aber auch eine
Vergangenheit, in der ihre Führung wichtigen Streikbewegungen
der letzten Jahre „in den Rücken fiel“. (Jedenfalls die Führung
des Dachverbands CFDT, während jene der
Transport-Branchengewerkschaft FGTE-CFDT oft links von der
Erstgenannten stand und steht.) Es handelte sich also durchaus
um ein widerspruchsreiches Gespann.
Allein, geholfen hat es ihnen nicht so viel: Die gemeinsame
Liste von CFDT und FGAAC überspringt zwar die Zehn-Prozent-Hürde
- was erforderlich ist, um künftig noch als „repräsentativ“ zu
gelten (also einen Kollektivvertrag oder ein Abkommen
rechtswirksam unterzeichnen zu können). Aber sie erhält dennoch
nur 11,59 % der Stimmen, das bedeutet - für beide
zusammengenommen - rund 3 Prozent weniger als bei der Wahl 2006.
Damals erhielt die CFDT noch allein 11,58 % und die FGAAC
ihrerseits 3 % der Stimmen. (Und damals hatte die CFDT noch von
einem speziellen Klima profitiert. Denn die eher „moderaten“
Gewerkschaften CFDT und CFTC waren damals durch die Debatte um
ein Abkommen zur Gewinnbeteiligung - das die anderen
Gewerkschaften ausgeschlagen hatten, von ihnen aber als
vorteilhaft präsentiert wurde - „konjunkturell“ begünstigt
worden; vgl. ttp://www.lemonde.fr/cgi-bin/ACHATS/938840.html -
Im Jahr 2006 die CFDT, die zuvor massiv verloren hatte und im
März 2008 von zuvor 18 % auf nur noch 9 % gepurzelt war, doch
noch 3,5 Prozent zurück gewonnen. Nunmehr, in 2009, stagniert
sie aber auf demselben Niveau; und dies obwohl die 3 % der FGAAC
ihrem damaligen Gewicht noch hinzugefügt worden sind. Auf die
Dauer bleibt die CFDT gegenüber „alten Zeiten“, bevor ihre
Verbandsspitze der Bewegung gegen die „Rentenreform“ 2003 in den
Rücken fiel, also erheblich geschwächt.)
Nur
noch vier Gewerkschaften „tariffähig“
Drei
weitere Gewerkschaften sind bzw. bleiben demnach „tariffähig“.
Erstens, und das wundert nicht, die CGT. Die Gewerkschaft, die
früher allein die Mehrheit unter den Eisenbahner/inne/n
innehatte, erhält bei diesem Mal 39,3 % der Stimmen. Das ist
etwas weniger als beim letzten Mal (ein Stimmenverlust von 0,8
Prozent gegenüber 2006 mit 40,14 %; damals allerdings hatte sie
bereits einen Verlust von 3,9 % gegenüber dem Wahlgang zuvor
verzeichnet). Noch immer bleibt die CGT damit aber die stärkste
Gewerkschaftsorganisation bei der Bahngesellschaft SNCF.
Auf
die zweite Stelle rückt nun, relativ überraschend, die UNSA mit
18,06 % (und einem Zugewinn von plus 3,58 % gegenüber März 2006
und ihren damaligen 14,48 %). Die UNSA, die sich für
„unpolitisch“ und „moderat“ erklärt und vor allem viele
Angestelltenvoten anzieht, gilt auf nationaler Ebene nicht als
anerkannter Dachverband und musste deshalb überall um ihre
Tariffähigkeit rechtlich kämpfen. Nunmehr liegt sie, als
zweitstärkste Gewerkschaft bei Eisenbahnern, ziemlich weit
vorne. Die „moderat“ auftretende UNSA legt ein ähnliches
gewerkschaftspolitisches Profil wie die CFDT - oder früher FO,
bevor die ehemals deutlich rechtslastige Gewerkschaft ab circa
1995 einen verbalradikalen Diskurs annahm -, gilt dabei aber
gleichzeitig als wesentlich „sauberer“. Die UNSA blickt so nicht
auf eine jüngere Geschichte von „Verrats“vorfällen gegenüber
massiven Streikbewegungen, wie die CFDT-Spitze, zurück. Dadurch
kann sie zugleich als „gemäßigt“ und als relativ „sauber“
auftreten. Dies haben die Wählenden offenkundig honoriert.
An
dritter Stelle, vor der gemeinsamen Liste von CFDT und
Lokführern, behauptet sich auch die linksalternative
Basisgewerkschaft SUD Rail (SUD Schienenverkehr) ziemlich gut.
Bei einem Ergebnis von im Durchschnitt 17,67 % legt sie um rund
2,7 Prozent gegenüber den Personalratswahlen von 2006 - damals
erhielt sie 14,97 % - zu. Allerdings hatte sie ihr jetziges
Ergebnis bei den Wahlen der Beschäftigtenvertreter im
Aufsichtsrat der SNCF, im März 2008, mit damals 18,65 % noch
übertroffen.
Während die Direktion der Bahngesellschaft in ihren
Presseverlautbarungen triumphiert, dass SUD Rail „stagniert“
(und „der reformistische Pol“, zu dem die Direktion v.a. CFDT
und UNSA rechnet, „30 Prozent statt erwarteter 27 oder 28 %“
erzielt habe), entspricht dies also nicht ganz der Realität. SUD
Rail konnte sowohl Zugewinne verzeichnen als auch sich
landesweit behaupten. Ihr stärkstes regionales Einzelergebnis
liegt in der Auvergne, wo früher die CFDT deutlich links war
(aber aufgrund ihrer Positionen, oder der ihres Dachverbands,
sehr viel Sympathien verloren hat), mit genau 30 Prozent.
Am
Pariser Bahnhof Saint-Lazare (wo SUD-Rail im Dezember 2008 und
Januar 2009 einen spektakulären Ausstand mit angeführt hat - was
ihr einen öffentlichen Bannfluch von Präsident Sarkozy eintrug,
vgl. www.labournet.de/internationales/fr/sud_vs_sarkozy.html)
konnte SUD Rail kräftig „absahnen“. Dort erhielt sie stattliche
53 % der Stimmen, gegenüber 30 Prozent beim Mal davor. Die
Wählenden haben dort, auf dem Netz der Vorortzüge in die
westlich an Paris angrenzenden Vorstädte, offenkundig die
Positionen von SUD Rail honoriert.
Nicht
mehr „tariffähig“ bei der Bahn sind nunmehr die CFTC
(Christenheinis) mit 5,36 % (minus 2,78 Prozent, im März 2004
erhielt sie noch 8,14 %) und FO sowie die
Angestelltengewerkschaft CGC. Letztere beiden hatten, das
Absinken unter die Zehn-Prozent-Hürde befürchtend, eine
gemeinsame Liste aufgestellt. Doch letztere erhielt, je nach den
(in diesem Fall variierenden) Angaben, 7,98 % oder und 8,02 %,
und scheitert damit an der neu eingerichteten Prozenthürde. Im
März 2006 hatte FOP allein noch 6,62 %, und die
Angestelltengewerkschaft CGC hatte SNCF-weit ein Prozent
erzielt. Ihr Ergebnis bleibt damit also in derselben
Größenordnung, kostet die beiden nun aber die Existenz als
„tariffähige“ Gewerkschaft. - Auch die Lokführergewerkschaft
FGAAC ist ansonsten als solche (jedenfalls auf nationaler Ebene)
nicht mehr „tariffähig“, da ihr Anteil an der gemeinsamen Liste
mit der CFDT prozentual nach dem Ausmaß ihrer Beteiligung
angerechnet wird.
Editorische
Anmerkungen
Den Artikel
erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.
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