Antisemitismus und Finanzkapital
Zur Kritik des völkischen Denkens des ehemaligen Linken Jürgen Elsässer

von Hans-Peter Büttner

04/09

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Elsässers These setzt m.E. auf drei Ebenen falsch an.

Erstens behauptet Elsässer, die derzeitige Finanzkrise sei das Ergebnis eines „bewußten Angriffs“ des internationalen Finanzkapitals auf den „Rest der Welt“. Hier wird also vorausgesetzt, daß mit dem „internationalen(!!!) Finanzkapital“ eine zentral koordinierte und einheitlich agierende Akteursgruppe vorliegen würde. Mit dieser Aussage ignoriert Elsässer nicht nur das eminente Koordinationsproblem der Finanzakteure, sondern vor allem die strukturelle und systemnotwendige Verbindung des Finanzkapitals mit dem Industriekapital. Seine Überlegung ist nicht nur fragwürdig aufgrund der logisch notwendigen Verbindung von Geld, Kredit und Kapitalakkumulation wie ich sie bereits erörtert habe, sondern auch aufgrund der Entwicklung des Industriekapitals selbst. Es ist nämlich eine Tatsache, daß die meisten größeren Industriekapitalien bereits über eigene, ausgegliederte Finanzsparten verfügen, mit denen sie einerseits die eigene Kreditvergabe organisieren und andererseits sich über die Finanzmärkte refinanzieren. Es sei nur an die Opelbank, die VW-Bank, die BMW-Bank oder die auf Autokredite spezialisierte "Bank Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe AG" (BDK) mit Sitz in Wuppertal erinnert. Die französische Firma Renault hat beispielsweise über ihre firmeninterne Finanzabteilung „Société Foncière Financières et de Participations“ in den neunziger Jahren das Unternehmen mit „Finanzdienstleistungen“ wettbewerbsfähig gehalten. Eine fein säuberliche Trennung des Kapitals in Industrie- und Finanzkapital hat also keine reale Basis, vielmehr müssen die funktionalen Beziehungen und Überschneidungen beider Sphären berücksichtigt werden – was dann natürlich eine moralisch aufgeladene Aufspaltung in „gutes“ und „böses“ Kapital nicht mehr so einfach zuläßt. Die kapitalistische Krise ausschließlich dem „internationalen Finanzkapital“ in die Schuhe zu schieben ist auch ein überaus alter Ladenhüter, über den sich Karl Marx schon in seinem Artikel „Die Handelskrise in England“ aus dem Jahre 1857 folgendermaßen äußerte: 

„Wenn Spekulation gegen Ende einer bestimmten Handelsperiode als unmittelbarer Vorläufer des Zusammenbruchs (crash) auftritt, sollte man nicht vergessen, daß die Spekulation selbst in den vorausgehenden Phasen der Periode erzeugt worden ist und daher selbst ein Resultat und eine Erscheinung (accident) und nicht den letzten Grund und das Wesen (the final cause and the substance) darstellt. Die politischen Ökonomen, die vorgeben, die regelmäßigen Zuckungen (spasms) von Industrie und Handel durch Spekulation zu erklären, ähneln der jetzt ausgestorbenen Schule von Naturphilosophen, die das Fieber als den wahren Grund aller Krankheiten ansehe”[1]

Was Elsässer gar nicht bedenkt in seiner monokausalen Welt, sind die Ursachen der Expansion des Finanzkapitals, also die Wachstumskrise, die Überakkumulation des Kapitals, der Investitionsrückgang und die veränderte Struktur der Investitionen[2].

Im Übrigen bewegt sich Elsässer mit seiner Auffassung von der Verursachung der Krise durch das US-Finanzkapital in erlauchter Gesellschaft solch bekannter „Anti-Imperialisten“ wie dem wirtschaftsliberalen Leiter des Münchner Ifo-Instituts Hans-Werner Sinn, der im Gespräch mit der „FAZ“ beklagt, daß die derzeitige Finanzkrise „nicht auf einem grundsätzlichen Fehler des Kapitalismus basiert“, sondern „viel mehr in der Regulierung des amerikanischen Finanzsystems“[3] bzw. einem US-spezifischen „Glücksrittertum“[4] liege. Der Entlastungsdiskurs über das US-Finanzkapital und die „spekulativen Exzesse“ – vor denen sogar das ultraliberale Österreichische Hayek-Institut ausdrücklich warnt[5] – eint übergreifend all jene gesellschaftlichen Gruppierungen, denen die prinzipiellen Funktionszusammenhänge des kapitalistischen Weltsystems als nicht kritisierbare „Naturgrundlagen“ erscheinen. Offenbar wiederholt sich hier die von Marx bereits in der „Kritik des Gothaer Programms“ konstatierte vulgäre Gesellschaftstheorie, in welcher das Bestehende nur „innerhalb der Grenzen des polizeilich Erlaubten und logisch Unerlaubten“[6] kritisiert wird. 

Zweitens sind laut Elsässer die „finanzielle Massenvernichtungswaffen" des Finanzkapitals – er meint damit Kreditderivate wie die oben beschriebenen „Collateralized Debt Obligations“ oder „Residential Mortgage-Backed Securities“ – „nicht aus Überakkumulation, sondern aus ‚fiktivem Kapital’ munitioniert“. Diese Aussage ist zunächst einmal überaus unsinnig, denn sie läuft auf die nichtssagende Tautologie hinaus, daß fiktives Kapital (hier: „finanzielle Massenvernichtungswaffen") aus fiktivem Kapital „munitioniert“ wird. Elsässer möchte hier letztlich die empirisch nicht sinnvoll zu leugnende Überakkumulation größerer industrieller Marktsegmente leugnen, weil er sonst seine These von dem äußeren Widerspruch zwischen Industrie- und Finanzkapital nicht halten kann. Elsässers Verwirrung in der Sache steigert sich noch, wenn er in seinem Text „Bomben aus fiktivem Kapital“ schreibt, daß fiktives Kapital „in Computern generiert wurde“ und “aus finanzieller Hexerei entstanden“[7] sei. Er übersieht dabei komplett so zentrale Zusammenhänge wie die Ankurbelung der US-Wirtschaft (und damit der Weltwirtschaft!) über fast eine Dekade durch die Verschuldung der US-Konsumenten. Hätte hier ausschließlich „Hexerei“ statt gefunden, hätte sich nicht so eine massive Rückkoppelung mit den produzierenden Kapitalien abspielen können[8]. Wie Robert Kurz sehr überzeugend gezeigt hat, stellt die Aufspaltung des Kapitals in ein „böses“ und ein „gutes“ Kapital und die Zuweisung der Schuld an der Krise an das böse Finanzkapital die „archetypische“ Grundlage antisemitischer Denker dar, die 

„in ihrer Kritik von zinstragendem Kapital und ‚unproduktiver’ Spekulation die Logik des wirklichen Prozesses auf den Kopf stellen und die Wirkung mit der Ursache verwechseln. Während sie behaupten, daß es der Tribut der industriellen Warenproduktion an das zinstragende Kapital und dessen spekulative Wucherung aus sich heraus sei, wodurch die krisenhafte Stockung der realen Produktion verursacht werde, verhält es sich genau umgekehrt: die Stockung der realen Warenproduktion durch ihre eigenen inneren Widersprüche läßt die in der Geldform realisierten Gewinne vergangener Produktionsperioden in den Finanz- und Spekulationssektor strömen. Es ist das industrielle Kapital selbst, das letztlich den spekulativen Prozeß des ‚fiktiven Kapitals’ in Gang setzt“[9]

Drittens ging die von Lenin formulierte und von Elsässer übernommene Imperialismustheorie vom Kapitalexport als wesentlichem Merkmal des Imperialismus aus, während gerade die USA ja das Weltzentrum des Kapitalimports (u.a. aus dem gerade seine weltmarktkonforme „nachholende Entwicklung“ vollziehenden China) waren. Mit Blick beispielsweise auf die Beziehungen Chinas zu den USA paßt die Leninsche Imperialismustheorie also überhaupt nicht, aber auch eine „imperialistische“ Stellung der USA z.B. zur Bundesrepublik Deutschland läßt sich aus dem deutschen Kapitalexport in die USA mit Sicherheit nicht so einfach extrapolieren. Interessanterweise hat Lenin – ganz im Gegensatz zu Elsässer – den Kapitalexport ganz eng mit der Überakkumulation von Kapital in Verbindung gebracht: 

„Die Notwendigkeit der Kapitalausfuhr wird dadurch geschaffen, daß in einigen Ländern der Kapitalismus ‚überreif’ geworden ist und dem Kapital (unter der Voraussetzung der Unentwickeltheit der Landwirtschaft und der Armut der Massen) ein Spielraum für ‚rentable’ Betätigung fehlt“[10]. 

Das Fehlen eines „Spielraums“ für „rentable Betätigung“ ist nun gerade die Grundcharakteristik einer Überakkumulation an Kapital. Man kann hier also guten Gewissens Lenin vor Elsässer in Schutz nehmen auch ohne Leninist zu sein.

Elsässers „Antiimperialismus“ ist dabei eine höchst dubiose Konstruktion, dienen ihm doch ausgerechnet Figuren wie der russische Präsidenten Dmitrij Medwedew oder Bundeskanzlerin Angela Merkel als Kronzeugen für den US-Imperialismus (und den „Opfer“-Status solcher Staaten wie Deutschland oder Rußland). Für Medwedew ist nämlich „die Dominanz der Vereinigten Staaten in Politik und Wirtschaft zu brechen“, während Frau Merkel kritisiert, daß die USA und Großbritannien „sich freiwilligen Regelungen (der Finanzmärkte, HPB) zu lange widersetzt haben“[11]. Auch Bundesfinanzminister Peer Steinbrück spricht Elsässer mit dem Satz „die USA sind der Ursprung der Krise“ voll aus dem Herzen[12]. Elsässers „Antiimperialismus“ ist also problemlos kompatibel mit der Fluchtbewegung nationaler „Eliten“, denen der Verweis auf die USA (und Großbritanniens) als bösen Schuldigen willkommener Anlaß ist, die Öffentlichkeit für blöd zu verkaufen. Angela Merkels CDU (gemeinsam mit der FDP) befand noch im Jahr 2002 in der Kurzfassung des Abschlußberichtes der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zum Thema „Globalisierung der Weltwirtschaft – Herausforderungen und Antworten“[13] in bester Deregulierungstradition, daß die Forderung, „die internationalen Finanzmärkte wieder stärker zu regulieren und eine neue Finanzarchitektur zu errichten (...) jeder Grundlage entbehrt“[14]. In einem auch von Angela Merkel unterschriebenen Antrag „Förderung des Finanzplatzes Deutschland“ forderte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion im April 2003, die Bundesregierung solle sich nicht nur als Regulierer und Aufseher, sondern als „Partner der Finanzdienstleister“ verstehen und die Wettbewerbsfähigkeit „nicht durch neue administrative Auflagen“ verschlechtern[15]. Entsprechend folgten 2004 und 2005 weitere gesetzliche Liberalisierungen. In der Kleinen Anfrage Nr. 15/5496 vom 10. Mai 2005[16], unterschrieben u.a. von Angela Merkel und Michael Glos,  beschwerte sich die CDU über „Hemmnisse für die True-Sale-Verbriefung“, besonders für Immobilienkredite. Das Schröder-Regime antwortete am 30.5.05 schließlich standesgemäß: „Die Stärkung des deutschen Verbriefungsmarktes und insbesondere von True-Sale-Verbriefungen ist eines der von der Bundesregierung mit besonderer Priorität verfolgten finanzmarktpolitischen Ziele. Die Bundesregierung ist sich der wachsenden Bedeutung von True-Sale-Verbriefungen sowohl für den Finanzsektor als auch für die gewerbliche Wirtschaft bewußt. Verbriefungen stellen für Unternehmen eine volkswirtschaftlich sinnvolle und vielfach günstigere Refinanzierungsalternative zur Kreditfinanzierung dar. Zur Förderung des deutschen Verbriefungsmarktes hat die Bundesregierung bereits eine Reihe von Maßnahmen ergriffen. Um es Kreditinstituten zu erleichtern, Kreditforderungen zu verbriefen, wurden Zweckgesellschaften, die von Kreditinstituten Kreditforderungen übernehmen und verbriefen, gewerbesteuerrechtlich den Banken gleichgestellt“. Die „True-Sale-Verbriefungen“ waren die später als „Toxic Waste“ (Giftmüll) bezeichneten US-“Subprimes“, welche die globale Finanzkrise ab 2008 auslösten.

Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition vom Herbst 2005 war dann zu lesen, daß die Bundesregierung „den verstärkten Einsatz neuer Finanzierungsinstrumente“[17] – also Derivate wie CDO und CDS – vorschlage. „Zur Erleichterung der Kreditvergabe durch die Banken werden wir auch die Regulierung der Finanzaufsicht auf das notwendige Maß zurückführen“[18] lautet der weitere Kotau in wirtschaftsliberalem Beamtendeutsch. Frau Merkel als Kronzeugin gegen entfesselte, deregulierte Finanzmärkte zu bemühen ist also in etwa so sinnvoll, wie einen Pornostar zur Oberbetschwester eines katholischen Nonnenordens zu machen.

2. Bei der Abwehr dieses Angriffs spielt der Nationalstaat die entscheidende Rolle. Supranationale Koordinationen in Gremien, in denen die aggressiven Staaten und ihre Vertreter eine Rolle spielen (EU, G8, IWF usw.), sind für die Katz. Wichtig ist eine Koordination der angegriffenen Nationalstaaten.

Elsässer setzt in der Finanzkrise auf den Nationalstaat angesichts des Fehlens supranationaler Staatlichkeit. Er unterscheidet hier ganz klar zwischen „aggressiven“ und „angegriffenen“ Nationalstaaten“. Letztere sollen eine „Koordination“ eingehen in ihren „Abwehr“-Bemühungen gegen das von außen kommende Übel. Die bereits von Elsässer getroffene äußerliche Gegenüberstellung eines „bösen“, aggressiven Finanzkapitals mit einem „guten“, angegriffenen „Opfer“-Kapital der Industrie wiederholt sich hier auf der Ebene staatlicher Akteure. Das Ergebnis ist das gleiche Desaster. Offenbar hat Elsässer weder von der Beteiligung deutscher Staatsbanken am „Subprime“-Geschäft gehört noch bedacht, daß nationale Kapitalien nicht als klar abgrenzbare Kapitalgruppen – die dann zu eindeutigen „Opfern“ und „Tätern“ stilisiert werden können – existieren. Deutsches Kapital ist nicht erst seit der Übernahme von „Bankers Trust“ – eines der „bedeutendsten und traditionsreichsten Bankhäuser der USA“[19] – im Jahr 1999 eng verflochten mit dem US-Markt. Die Suche nach den guten und den bösen Kapitalgruppen erweitert sich hier auf die irrwitzige Idee, im Zentrum des Weltkapitals aggressive Staaten faktischen „Opfer-Staaten“ gegenüberzustellen. „Irrwitzig“ nicht deshalb, weil es nicht in der Geschichte zahlreiche Beispiele für zwischenstaatliche Aggressionen und imperialistische Kriege gäbe; sondern weil hier nur ein gängiges Vorurteil breit getreten wird, das vom Islamisten über den Neonazi bis zum Esoteriker jedem Idioten eine Möglichkeit gibt, in antisemitisch aufgebaute Denk- und Wahrnehmungsmuster einzusteigen und so die strukturelle Gewalt des Kapitals in einer regressiven Revolte zu potenzieren. An die Stelle der Kritik der falsch eingerichteten Welt und ihrer gegenüber den Menschen verfestigten Herrschaftsstrukturen tritt die Idee der Verortung klar eingrenzbarer „Täter“-Gruppen. Die kritische Auseinandersetzung mit den gesamten an die historisch-sozialen Umstände gebundenen Praxisformen bleibt außen vor. Vielmehr wird dieser gesellschaftliche Kontext, der den konkreten Akteuren erst ihre Rollen und Funktionen ermöglicht unkritisch vorausgesetzt. Daß Kapital und Arbeit sich wechselseitig genauso voraussetzen wie Industrie- und Finanzkapital bzw. Kredit bleibt hier unberücksichtigt weil nicht vereinbar mit dem moralischen Gut-Böse-Konstrukt[20]. Die gesamte gesellschaftskritische Debatte zum Verhältnis von Warenform und Staatsform[21] ist aus Elsässers jüngeren Texten radikal getilgt im Zuge seiner „realpolitischen“ Formierung.

Der notorische Verweis auf den „Imperialismus“ der USA und Israels[22] dient somit der Konstitution einer undifferenzierten „Opfer“-Gruppe, deren innere Heterogenität und Herrschaftsstruktur vor der Formierung gegen den äußeren Feind verschwindet. Dergestalt konstituiert sich völkisches Denken als klassenübergreifendes „wir“ gegenüber dem äußeren Feind. Folglich sympathisiert Elsässer auch offen mit völkischem Mob, dessen „kleinster gemeinsamer Nenner“ ist, daß „die Deutschen gute Arbeit machen, und die Amis uns als Dankeschön aussaugen“[23]. Dieser Aussage, die auch direkt von einem NPD-Kader stammen könnte und die an Dummheit nicht zu überbieten ist, attestiert Elsässer einen für „die Linke“ relevanten Wahrheitsgehalt, weil sie „die ökonomische Realität, die dem zugrunde liegt“, nicht „ignorieren“[24] dürfe. Mit dieser „ökonomischen Realität“ mein Elsässer nun wiederum ganz klar den Imperialismus des US-Finanzkapitals gegen deutsches Industriekapital. Letztlich sind also – Elsässer ist nicht der erste zwischen Braunau und Teheran, der auf diese Idee kommt –  die USA, Israel und Großbritannien[25] die bösen staatlichen Aggressoren und der Rest der Welt mehr oder weniger die „Opfer“. Wenn wir nur mal die Verflechtung des deutschen Kapitals (einschl. beispielsweise der Landesbanken) mit dem US-Kapitalmarkt genauer anschauen, ist allerdings gar nicht mehr so klar, wer hier der „Imperialist“ ist. Wenn nämlich im Rahmen der gegenwärtigen Finanzkrise amerikanische Familien von deutschen Gläubigern vor die Tür ihrer Häuser gesetzt und zwangsenteignet werden während die deutsche Exportwirtschaft jahrelang von der Nachfrage dieser Kreditnehmer profitiert hat, kann man das ganze Szenario auch genau umgekehrt verstehen. So wird im Hamburger „Spiegel“[26] die Geschichte der US-Mittelschichtsfamilie Smith erzählt, die im Juli 1995 einen Hypothekenkredit aufgenommen hat, der letztlich über Kreditverbriefungen in den Händen des Deutsche-Bank-Ablegers „Deutsche Bank National Trust“ gelandet ist. Als der Familienvater schließlich seinen besser bezahlten Job verliert und die Zinsen steigen, droht der Familie die Zwangversteigerung. Verzweifelt kämpft Tim Smith um den Erhalt seines Eigenheims. Als er eines Tages eine dubiose Rechnung über 5000 Dollar bekommt und den von der Deutschen Bank beauftragten Finanzdienstleister fragt, wie er das dann bezahlen soll wird ihm gesagt: „Keine Ahnung, hör doch auf zu essen“[27]. Es ist kaum zu erwarten, daß Jürgen Elsässer, würden deutsche Familien von US-Investoren auf die Straße gesetzt und gedemütigt, deutschen Imperialismus wittern würde. Genau dies ereignet sich aber gerade in großem Ausmaß, und US-Steuergelder zur Unterstützung bedrängter Schuldner wie die Familie Smith – die neue US-Regierung hat Mitte Februar 2009 hier ein Hilfsprogramm von zunächst 75 Milliarden US-Dollar verabschiedet – landen letztlich auch zum Teil auf Konten deutscher Finanzinstitute wie dem „Deutsche Bank National Trust“. In Elsässers „anti-imperialistischer“ Welt dürfen solche Tatsachen offenbar nicht wahrgenommen werden.

3. In allen Staaten, auch in Deutschland, entwickelt sich ein zunehmender Widerspruch zwischen dem Industrie- und dem Bankkapital. Letzteres, eng mit den angloamerikanischen Angreifern verbunden, erdrosselt ersteres in einer Kreditklemme.

Diese Auffassung geht an der langjährigenweltwirtschaftlichen Entwicklungsdynamik komplett vorbei, denn Elsässer unterschlägt in diesem Argument die Jahre, in denen das überakkumulierte Industriekapital nur durch die von der Finanzsphäre generierte effektive Nachfrage und die Ausdehnung des Kreditsystems dem tendenziellem Fall der Profitrate entgehen konnte. „Ohne die Kreditblase wäre die Überproduktionskrise schon Jahre früher ausgebrochen“, so auch das Fazit des Ökonomen Thomas Kuczynski[28]. Auch taucht hier bei Elsässer das vollkommen verkürzte Bild von den „angloamerikanischen Angreifern“ auf, obwohl der Hypothekenmarkt ein absolut internationaler Markt war, der vollgestopft war auch mit Geldern deutscher privater und staatlicher Finanzinstitute von der Hypo Real Estate bis zur Sachsen LB, von der Deutschen Bank bis zur HSH Nordbank. Was mit dieser Art Argumentation bemüht wird, ist das alte Bild des habgierigen Spekulanten (hier „angloamerikanischer Angreifer“ genannt), der den ehrlichen Arbeiter und sein Unternehmen (hier „Industriekapital“ genannt) durch unproduktive Spekulationsexzesse in den Ruin treibt. Dabei wird vollkommen unterschlagen, daß im Rahmen kapitalistischer Warenproduktion „Spekulation nicht nur an der Börse statt findet, sondern schon in der so genannten Realwirtschaft, mithin bei der Güterproduktion“, so Georg Fülberth[29]. Anders kann es auch gar nicht sein, denn kapitalistische Märkte konstituieren sich ja wesensmäßig durch private Produktion für anonyme Märkte, also unter dem Vorbehalt des Absatzrisikos bzw. der Absatzspekulation. Die Produktion der Ware ist also in aller Regel mit spekulativen Erwägungen verbunden – mit allen historisch bekannten Folgen im Fall großflächiger Fehlspekulation der Produzenten. Elsässers ökonomische Naivität wird allerdings erst so richtig rührend wenn er meint, daß ohne die neueren Finanzderivate die „Finanzoligarchie“ bzw. die „Superreichen“ gezwungen gewesen wären, “ihre gestiegenen Profite aus der Ausbeutung vergleichsweise konventionell zu verwenden: Entweder für traditionelle Anlagen in Sparguthaben, Anleihen oder Aktien, wo sie zum großen Teil den jeweiligen Banken, der öffentlichen Hand oder den Aktiengesellschaften zur Weiterverwendung auch in der Realwirtschaft zur Verfügung gestanden hätten. Oder in der Form von Luxuskonsum, das heißt für goldene Badewannen und Super-Yachten, was ebenfalls der Realwirtschaft in Form von Aufträgen zu Gute gekommen wäre. Eine Blasenbildung im jetzigen Umfang wäre ausgeblieben“[30]

Auch hier bleibt der Leser erstaunt zurück, denn Elsässer hat offenbar nicht mitbekommen, daß die Finanzderivate von Kreditinstituten gehandelt wurden, bei denen jeder Bundesbürger Einlagen haben konnte und keineswegs nur „Superreiche“. Mit der Möglichkeit der Auslagerung von Zweckgesellschaften wurde ja gerade vom deutschen Gesetzgeber diese Möglichkeit für jedes Kreditinstitut in nahezu unbegrenztem Umfang eröffnet. Im Fall der KfW wurden sogar ordinäre Steuergelder verpulvert. Es sei auch an die eigentlich für die Mittelstandsfinanzierung zuständige Deutsche Industriebank AG (IKB) und ihre Zweckgesellschaften Rhineland Funding Capital Corp., Havenrock Ltd und Rhinebridge plc erinnert.

Elsässer glaubt ferner, daß gewöhnliche „Anlagen in Sparguthaben, Anleihen oder Aktien“ automatisch „der Realwirtschaft zur Verfügung gestanden hätten“ und daß die Reichen ansonsten durch Luxuskonsum die Realwirtschaft belebt hätten. Elsässer übersieht nicht nur, daß Aktien (durch die Kursbewegungen infolge des zu erwartenden Unternehmenserfolges) und Anleihen (z.B. in Gestalt von Wandelschuldverschreibung oder Aktienanleihen) keineswegs nur „der Realwirtschaft zur Verfügung stehen“, sondern typische Finanzmarktprodukte sind. Er geht  des Weiteren allen ernstes davon aus, daß die Märkte problemlos die in den Finanzüberbau geflüchteten Billionenbeträge hätten aufnehmen können und eine Art „Kapitalknappheit“ bestanden hätte. Das Geld hätte nur schön „konservativ“ von den Bankern an florierende Industrieunternehmen verliehen werden müssen und der Kapitalismus hätte die von der Wall Street ausgeheckten und verschuldeten Verwerfungen vermeiden können. Mit der Realität überakkumulierter Märkte und jahrzehntelang aufgebauter Reproduktionsprobleme hat diese geradezu „romantische“ Sicht auf den Kapitalismus nichts zu tun. Sogar dekadentem Luxuskonsum redet Elsässer das Wort ohne auch nur entfernt zu bedenken, daß die hohe Sparquote der „Superreichen“ und der „Besserverdienenden“ gerade die konsumtive Lücke der Weltwirtschaft erst geöffnet hat[31]. Im Prinzip wiederholt er hier nur die alte Keynessche Weisheit, daß der Staat wenn nötig Pyramiden bauen oder Löcher in die Erde graben und wieder zuschütten lassen sollte wenn nur Aufträge für Investoren zustande kommen. Elsässer hat offenbar mit dem privaten Bau von Luxuspyramiden bzw. „goldenen Badewannen und Super-Yachten“ nicht das geringste Problem, wenn dadurch nur Arbeitsplätze geschaffen werden[32]. Gerade diese Denkweise ist allerdings typisch für das Selbstzweckdenken des bürgerlich-kapitalistischen Subjekts und seine militante Gleichgültigkeit gegenüber menschlichen Bedürfnissen und einer vernünftigen Bestimmung ökonomischer Tätigkeitsinhalte.

4. Hauptaufgabe der Linken ist der Aufbau einer Volksfront, die das national bzw. ‚alt-europäisch’ orientierte Industriekapital einschließt. Reduzierung auf Klassenkampf ist sektiererischer Unsinn.

Die logische Folge des nationalstaatlich und industriekapitalistisch orientierten Blickwinkels Elsässers ist der Kampf gegen den Klassenkampf. Hier wird auf völkisch-nationalkapitalistischer Ebene die Überwindung des Klassenkampfs gepredigt. Die Einsicht in die fiktive Natur der zusammengebrochenen Finanzmarktgewinne wird nicht mit einer Kritik der Produktionsweise selbst verbunden, sondern im Gegenteil mit dem Willen zur Verwertung im betriebswirtschaftlichen Funktionsraum – vorausgesetzt dieser Raum ist industrieller und national bornierter Art. Elsässer unterliegt hier im Prinzip der antisemitischen Optik, die Jean-Paul Sartre (s.o.) im Begriff des „magischen Eigentums“ deutlich gemacht hat: das Kapital wird völkisch-national zugeordnet und statt des Klassenkampfs die Identifikation mit dieser völkisch-national bestimmten Kapitalgruppe gefordert. „Volksgemeinschaft“ geht hier in „Betriebsgemeinschaft“ über, „Blut und Boden“ in „nationale Arbeit“ und industriellen Mehrwert. Im Prinzip demonstriert Elsässer hier den direkten Übergang von seinem völkisch-reaktionären „Antiimperialismus“ in die blanke NS-Ideologie. Verständlicherweise ist diese Identität den Neonazis selbst nicht verborgen geblieben. So fand sich am 10. Januar bei der eingangs erwähnten, von Elsässer initiierten Diskussion in Berlin als neuer Anhänger Elsässers der Holocaustleugner Gerd Walther ein[33]. Der NPD-Vorsitzende Holger Apfel wiederum attestierte Elsässer entsprechend enthusiastisch:  

„Der Gründungsaufruf von Jürgen Elsässer für eine Volksinitiative gegen Finanzkapital ist ein bemerkenswertes Signal. Jürgen Elsässer betätigt sich als Eisbrecher, der auf nationaler Grundlage den Dualismus von Rechts und Links durch die Schaffung einer antiglobalistischen und antiimperialistischen Gerechtigkeitsbewegung überwinden will. Mit den Forderungen, die er in seinem Gründungsaufruf vertritt, hat er sich NPD-Positionen nicht angenähert, nein, er vertritt NPD-Positionen“[34]

Diese Vereinnahmung Elsässers durch die NPD ist also nicht etwa purer Zufall oder ein „Mißverständnis“, sondern beruht auf einer im Prinzip lückenlosen Übereinstimmung in der Bewertung der gesellschaftlichen Lage. Wenn Elsässer selbst sich nach rechts öffnen will mindestens bis zur Position des CSU-Rechtsaußen und  Peter Gauweiler[35], dann wird hier implizit eine „Querfront-Strategie“ eingeschlagen; allerdings eine, die letztlich nur rechtsextreme Ideologie und nichts Linkes beinhaltet – außer ein paar „anti-imperialistischen“ Vokabeln, die in rechtsextremistischen und islamistischen Kreisen längst Standard sind. Peter Gauweiler war es übrigens auch, der am 24. Februar 1997 in München mit tausenden Neonazis Seit an Seit gegen die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht" des Hamburger Instituts für Sozialforschung aufmarschiert ist zur Kranzniederlegung am Grab des Unbekannten Soldaten – unter Slogans wie „Keine Diffamierung unserer tapferen Wehrmachtssoldaten“[36]. Wer sein Spektrum bis Gauweiler öffnet, steht also faktisch für der NS-Ideologie nahestehende Denker offen, denn beim CSU-Rechtsaußen Gauweiler findet sich die Ideologie der Nazis in teils offener, teils notdürftig verschleierter Form wieder[37].

5. Hauptaufgabe der Volksfront ist die entschädigungslose Nationalisierung des Finanzsektors und die Abdrängung des anglo-amerikanischen Finanzkapitals aus Europa, in der Perspektive ein eurasisches Bündnis. Den Sozialismus, also den Stoß gegen das System insgesamt, zur Hauptaufgabe zu erklären, ist linksradikale Kraftmeierei bzw. ‚imperialistischer Ökonomismus’ (Lenin). 

Das logische Ende des völkischen Lieds ist natürlich die nationalstaatliche Aneignung des Finanzkapitals und die Abschottung gegen das böse US-Finanzkapital. Ausnahmsweise ist nun neben dem US-Finanzkapital auch die radikale Linke „imperialistisch“ bzw. Anhängerin eines „imperialistischen Ökonomismus“[38]. Dieses Denkmotiv reiht sich überaus nahtlos in Elsässers neurechtes Weltbild ein, in dem bereits die Differenz zwischen „schaffendem“ und „raffendem“ Kapital – implizit, nicht explizit in der Differenz zwischen „gutem“, nationalen Industriekapital und „bösem“ internationalem Finanzkapital – übernommen wurde. Die rechte Kritik an den Spekulanten wurde ebenfalls, wie gesehen, mit gleichem Inhalt begrifflich „modernisiert“ im Terminus des „anglo-amerikanischen Finanzkapitals“ als „imperialistischem Angreifer“. Daß europäische Finanzinstitute – Elsässer würde wohl sagen: „eurasisches Finanzkapital“ – in den USA durchaus gewaltige kriminelle Energie entwickelt haben beweist nicht zuletzt der Fall des weltweit größten Verwalters privater Vermögen, der Schweizer UBS, deren Top-Vermögensverwalter Bradley Birkenfeld in einem siebenseitigen Geständnis vor US-Behörden einräumen mußte, daß die UBS als gewaltige Maschine zur Steuerhinterziehung („tax-evasion machine“) gewirkt habe[39]. Dabei wurden u.a. auch Diamanten am US-Fiskus vorbei ins Ausland geschmuggelt in Zahnpastatuben.

Der Mythos vom „besseren“ europäischen und dem „bösen“ US-Finanzkapital ist schlichtweg lächerlich. Elsässer tut außerdem notorisch so, als sei die „Nationalisierung (= Verstaatlichung, HPB) des Finanzsektors“ eine sinnvolle Lösung und das Finanzkapital würde sich in nationalisierter Staatshand in Gummibärchen und Wohlgefallen verwandeln[40].

Es sollte dabei nicht vergessen werden, daß die neuere Entwicklung in Europa mit Nachdruck herbeigeführt wurde auf staatlicher Ebene. Bereits das rotgrüne Schröder-Regime hat die Deregulierung der Finanzmärkte auf seine – später an die Große Koalition weiter gereichte – Fahne geschrieben. So wurden im Jahr 2003 von Rotgrün jene Finanzderivate, welche die heutige Krise unmittelbar ausgelöst haben, offiziell für die Bundesrepublik zugelassen und durch steuerliche Privilegien – keine Gewerbesteuerpflicht für Verbriefungsgesellschaften – gefördert. Von SPD-Finanzminister Hans Eichel wurde die Steuerfreiheit der Veräußerungsgewinne im Jahr darauf eingeführt. Es war ein immenses Steuergeschenk auch für jene Private-Equity-Fonds, die Franz Müntefering später als „Heuschrecken“ bezeichnete. Noch unter Rotgrün wurden im Jahr 2003 im Rahmen der „Agenda 2010“ außerbilanzielle Zweckgesellschaften – wie jene „Depfa“, mittels derer die „Hypo Real Estate“ so in Kalamitäten geriet, daß der Staat das Unternehmen bis heute mit über 102 Milliarden Euro Steuergeldern vor dem Zusammenbruch schützen muß – ermöglicht, um dem Markt neue „Refinanzierungstechniken“ zu ermöglichen. „Mit diesen Gesetzen wurde“, wie in einem Beitrag von Hauke Fürstenwerth auf den „Nachdenkseiten“ zu lesen ist, „die Risikobegrenzung bei der Kreditvergabe für das Geldgewerbe de facto aufgegeben. Kredite und strukturierte Finanzprodukte müssen seither nicht mehr mit Eigenkapital unterlegt sein, sie werden in Zweckgesellschaften ausgelagert und nicht mehr in den Bilanzen der Banken ausgewiesen. Zusätzlich wurden die Zweckgesellschaften von der Gewerbesteuer befreit. FDP und Union haben diese von SPD und Grüne eingereichten Gesetze nachweislich der Plenarprotokolle des Bundestages ausdrücklich begrüßt“[41]. Der SPD-Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, Jörg Asmussen, wiederum „war Mitglied im Gesellschafterbeirat der Lobbyorganisation True Sale International GmbH (TSI), die sich für die Entwicklung des deutschen ABS-Marktes einsetzt“[42], also des Marktes für just jene Finanzderivate, welche allgemein als Ursache der Finanzkrise betrachtet werden. „Noch 2006 schrieb Asmussen, das Bundesfinanzministerium achte darauf, ‚daß den Instituten keine unnötigen Prüf- und Dokumenationspflichten entstehen werden, wenn sie in gängige ABS-Produkte mit gutem Rating investieren’ (ABS = Asset Backed Securities, Wertpapiere, die mit Vermögensansprüchen – z.B. Immobilienkrediten, Pfandbriefen – besichert sind)“[43]. Asmussen war auch Teil der „Sechserbande“ (Winfried Wolf), bestehend aus Bundesbank-Chef Axel Weber, dem Präsidenten der Finanzaufsicht Bafin, Jochen Sanio, dem Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, dem Finanzminister Peer Steinbrück, Jörg Asmussen und dem Abteilungsleiter Wirtschaft im Kanzleramt, Jens Weidmann, welche den am 13. Oktober 2008 der Öffentlichkeit vorgestellten, 500 Milliarden Euro schweren „Bankenrettungsplan“ erstellt hat. Hier wurde gewissermaßen Stamokap von Gnaden der Deutschen Bank betrieben.

Noch im Februar 2008 ließ der Vorsitzende des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, Eduard Oswald (CSU), verlauten: 

„Zur Deregulierung der Finanzmärkte gibt es keine Alternative. Sie hat der Wirtschaft und den Bürgern neue Anlage- und Finanzierungsmöglichkeiten eröffnet, und sie hat zur Risikostreuung beigetragen“[44]. 

Die derzeitige Krise der Weltwirtschaft kann also beim besten Willen nicht nur den USA, Großbritannien oder dem „imperialistischen US-Finanzkapital“ angelastet werden. Wie ich gezeigt habe, ist diese Wahnvorstellung ökonomisch wie auch politisch falsch und basiert auf einem Vorverständnis der Problematik, das stark antisemitische Denkmuster aufweist. Entsprechend ist dieses Erklärungsmuster Faktenresistent und an jeder Stelle reduktionistisch. Mit Marxismus und Kritischer Theorie hat diese Verklärung völkischen Denkens und industrieller Kapitalverwertung rein gar nichts zu tun. Sie stellt allerdings die notwendige Begleitmusik jeder Krise des kapitalistischen Weltsystems dar. Daß besonders ehemalige Linke wie Jürgen Elsässer sich dabei hervortun, muß wohl daran liegen, daß jene immer ganz besonders inbrünstig gegen ihr ehemaliges Gewissen anrennen müssen und deshalb von der Rechten ganz besonders geschätzt werden.

Wenn die Grundlagen der gesellschaftlichen Ordnung eine Krisephase eintreten, gerät offenbar ein großer Teil der Intelligenz ebenfalls in die Krise. Dieser „Krise des Bewußtseins“ sollte die radikale Linke ein aufklärerisches Bewußtsein der Krise entgegensetzen – mit Blick auf emanzipatorische Alternativen jenseits regressiver Verblödung.

Literatur: 

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Fußnoten

[1] MEW 12, S. 336.

[2] Sh. dazu genauer Büttner (2008b), S. 3 ff.

[3] „Wir sollten uns nicht verrückt machen lassen“. Gespräch vom 12. Oktober 2008. Sh. http://www.faz.net

[4] Sh. Grit Beecken (2008).

[5] Sh. die dort zustimmend zitierte Aussage des Geschäftsführers des Aktienforums Markus Fichtigner auf http://www.hayek-institut.at5

[6] MEW 19, S. 29.

[7] Jürgen Elsässer (2008b).

[8] Dies schließt natürlich nicht aus, daß die mathematisch hoch komplexen Programme zur Wertberechnung der Finanzderivate gerade angesichts großflächig falscher Risikoeinschätzungen teilweise absurde Buchwerte ergeben haben. Mit dieser richtigen Erkenntnis ist aber nicht belegt, daß die über Kreditderivate bewerteten Basiskredite keine Rückwirkung auf die Realökonomie, also die effektive Nachfrage der Kreditnehmer und die davon abhängigen Investitionsströme, gehabt hätten.

[9] Robert Kurz (1995), S. 186.

[10] W.I. Lenin (1960), S. 245.

[11] Zit. nach Jürgen Elsässer (2008b). Allerdings verweist der von Angela Merkel benutzte Begriff der „freiwilligen Regelungen“ der Finanzmärkte bereits darauf, daß hier die Quadratur des Kreises versucht wurde, denn „freiwillige Regelungen“ sind angesichts der eindimensionalen Ausrichtung des Kapitals auf maximale Verwertung nicht mehr wert als päpstliche Weihnachtsappelle.

[12] Ebd.

[13] Sh. den kompletten Bericht auf der Homepage des Deutschen Bundestags unter: http://www.bundestag.de/gremien/welt/glob_end/sb_glob_kurz.pdf

[14] Ebd., S. 99.

[17] Sh. den Koalitionsvertrag online unter: http://www.bundesregierung.de/ , S. 22.

[18] Ebd., S. 23.

[19] Sh. Daniela Eschlbeck (2006), S. 454.

[20] Es ist ja gerade der Clou der Marxschen Theorie, daß sie aufzeigt, wie sich in der bürgerlichen Gesellschaft Arbeit in der Wertform darstellt und so die nationalökonomischen Kategorien überhaupt erst als Voraussetzungen und Produkte menschlichen Handelns erklärt werden können. So sind „Geld“ und „Kapital“ nur Formen, in denen Arbeit in gesellschaftlich synthetisierter Gestalt erscheint. Die Wertform ist hier der erkenntnistheoretische Nexus, durch den Marx das Geld von der bloß technisch verstandenen Verkörperung der Geldfunktionen (der Standpunkt der Standardökonomie) auf die Ebene gesellschaftlichen Handelns gehoben hat. Somit wird in der Wertformanalyse die von der Standardökonomie hartnäckig verdrängte Frage gestellt, wie monetäre Operationen überhaupt erst möglich sind und welches ihre gesellschaftsstrukturellen Voraussetzungen sind.

[21] Sh. zum Verhältnis von Staats- und Warenform die exzellenten Ausführungen bei John Holloway (2002), S. 111 ff.

[22] Elsässer (2009) ist als Kritiker des US-Finanzkapitals selbstverständlich auch mittlerweile ein Gegner Israels, der Israels Kampf gegen die neofaschistische Hamas für „unverhältnismäßig“ hält und ihm eine „Zwei-Staaten-Lösung“ und einen „Friedensplan“ mit einer Gruppierung vorschlägt, deren erklärtes Ziel es ist, jeden jüdischen Menschen zu ermorden. Die gesamte Struktur und Ausrichtung der „Hamas“ nimmt Elsässer nicht einmal ansatzweise zur Kenntnis.

[23] Elsässer (2008b).

[24] Ebd.

[25] Für Elsässer (ebd.) wurden die jüngsten „Spekulationsgeschäfte (...) geschaffen von einer internationalen Finanzaristokratie, die ihre Hauptbastionen in den USA und Großbritannien hat“.

[26] Der Spiegel, Nr. 47 vom 17.11.2008, Titelstory „Der Bankraub“, S. 44-80.

[27] Zit. nach ebd., S. 62.

[28] Thomas Kuczynski (2008), S. 70.

[29] Georg Fülberth (2008), S. 54.

[30] Jürgen Elsässer (2008b).

[31] Sh. hierzu die sehr empirisch fundierte Untersuchung von Engelbert Stockhammer (2008).

[32] “Arbeit, Arbeit, Arbeit”, der SPD-Wahlslogan zur Europawahl 1994, ist offenbar auch Elsässers letztes Bekenntnis.

[35] Elsässers „Volksfront“ soll explizit offen sein für alle „von Lafontaine bis Gauweiler“ (http://de.wikipedia.org/wiki/J%C3%BCrgen_Els%C3%A4sser  ) .

[37] Sh. zur Kritik an Gauweilers Rechtsextremismus z.B. Sebastian Edathy (2007).

[38] Unweigerlich fühlt man sich auch hier an die NS-Ideologie erinnert, die einerseits gegen die böse („jüdische“) Wall-Street polemisiert hat, andererseits gegen den (ebenfalls „jüdischen“) Bolschewismus bzw. Kommunismus.

[39] Sh. dazu Lars Petersen (2008), S. 45.

[40] Die bereits „nationalisierten“ Banken wie die Bayern LB oder die IKB waren allerdings schon längere Zeit in Derivatgeschäfte verstrickt wie so ziemlich jedes größere deutsche Kreditinstitut.

[43] Winfried Wolf (2008).

[44] Sh. Die komplette Rede auf der Seite der CDU/CSU-Bundestagsfraktion: http://www.cducsu.de .

 

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.