Die Beantwortung der Frage
nach den langfristigen Entwicklungstendenzen des
kapitalistischen Systems im Rahmen des Marxschen Systems
war und ist strittig. Dies gilt sowohl für die
klassischen Kontroversen über die Marxschen
Reproduktionsschemata wie auch für das „Gesetz des
tendenziellen Falls der Profitrate“ (vgl. a. Shaikh
1978). Die Beantwortung dieser Fragestellung ist dabei
nicht nur von akademischer, sondern auch von praktischer
Relevanz. Lässt sich nämlich zeigen, daß die
kapitalistische Produktionsweise einen endogenen
Krisenmechanismus enthält, dann ist die Forderung nach
einem alternativen Modus gesamtgesellschaftlicher
Reproduktion kein abstraktes Postulat mehr, sondern hat
eine Fundierung in der materiellen Basis der
gesellschaftlichen Verhältnisse ( vgl.a. Luxemburg 1979:
375f.). Im
folgenden wird diese Fragestellung aufgegriffen. Im
Zentrum meiner Ausführungen steht das „Gesetz des
tendenziellen Falls der Profitrate“. Bekanntlich hat
Marx seinen Ausführungen zum Fall der Profitrate die
Annahme einer steigenden organischen Zusammensetzung
zugrundegelegt. In meinen Überlegungen soll der Frage
nachgegangen werden, inwieweit sich diese Annahme
endogenisieren lässt. Meine Argumentation erfolgt dabei
in zwei Schritten. In einem ersten Schritt werde ich die
Marxschen Hinweise rekonstruieren, die die Endogenität
einer wachsenden organischen Zusammensetzung versuchen
zu plausibilisieren. Es soll gezeigt werden, daß sich
die Marxsche Modellierung lediglich auf einen
Spezialfall reduziert, der die Tendenz der Profitrate
zum Sinken nicht hinreichend zu begründen vermag. Im
Gegensatz zur Marxschen Argumentation werde ich ein
Modell präsentieren, das versucht plausibel zu machen,
das zumindest in längerer Frist rückläufige
Akkumulationsquoten dominieren.
Während Marx im ersten
Band des „Kapital“ versucht die Zunahme der organischen
Zusammensetzung über einer vergleichende Analyse der
Zusammensetzung der Preise der einzelnen Waren zu
plausibilisieren (vgl. Marx 1987: 411), so lässt sich im
dritten Band im Kontext der Analytik konjunktureller
Schwankungen ein Argumentationsmuster identifizieren,
das versucht dieselbe zu endogenisieren. Ausgangspunkt
der Marxschen Überlegungen ist eine Situation von
Vollbeschäftigung, in der zusätzliche Investitionen in
konstantes und variables Kapital zu einer Konstanz oder
sogar Reduktion der Mehrwertmasse führen. Im Gegensatz
zum ersten Band, wo diese Situation zu einer Reduktion
des Investitionsvolumens führt (vgl. Marx 1987: 648 f.,
661 f.), modelliert Marx hier einen verschärften
Konkurrenzkampf der Kapitale um die Mehrwertmasse.
Entscheidend ist nun, daß im Zuge dieses
Konkurrenzkampfes Technologien zum Einsatz kommen, die
aufgrund der progressiv steigenden Ausgaben pro
zusätzlich eingestellter Arbeitskraft einen hohen Grad
der organischen Zusammensetzung aufweisen. „Der
Preisfall und der Konkurrenzkampf hätten (...) jedem
Kapitalisten einen Stachel gegeben, den individuellen
Wert seines Gesamtprodukts durch Anwendung neuer
Maschinen, neuer verbesserter Arbeitsmethoden, neuer
Kombinationen unter dessen allgemeinen Wert zu senken,
d.h. die Produktivkraft eines gegebenen Quantums Arbeit
zu steigern, das Verhältnis des variablen zum konstanten
zu senken und damit Arbeiter freizusetzen, kurz eine
künstliche Überbevölkerung zu schaffen.“ (Marx 1979:
265). Die Problematik der Marxschen Argumentation
besteht darin, daß sie lediglich zeigt, daß die Existenz
einer industriellen Reservearmee ein systemkonstitutives
Moment kapitalistischer Vergesellschaftung ist; eine
langfristige Entwicklungstendenz der organischen
Zusammensetzung lässt sich daraus nicht ableiten. Die
These eines tendenziellen Falls der Profitrate bleibt
somit unausgewiesen.
Von einigen Autoren ist
daraus die Konsequenz gezogen worden, daß die
Entwicklungsrichtung der Profitrate indeterminiert ist
(vgl. z.B. Gillman 1969: 34f., Sweezy 1970: 123ff.).
Dabei dürften nicht nur theorieinterne Defizite eine
Rolle spielen bzw. gespielt haben, sondern auch die
historische Erfahrung überzyklischer
Wachstumsschwankungen. Insbesondere die
Nachkriegsprosperität dürfte ein Interpretationsschema
der Marxschen Theorie begünstigt haben, das die
prinzipielle Offenheit kapitalistischer Entwicklung
betont. Im Gegensatz dazu wird hier ein Modell
kapitalistischer Entwicklung vertreten, in dem die
Zunahme der organischen Zusammensetzung eine endogene
Größe darstellt. Überzyklische Wachstumsschwankungen
sind zwar auch im Rahmen dieses Modells nicht
ausgeschlossen; gleichwohl wird kapitalistische
Entwicklung nicht einfach als offener Prozess
konzipiert, sondern es wird davon ausgegangen, daß
zumindest in längerer Frist der tendenzielle Fall der
Profitrate dominiert.
Legt man die Marxschen
Ausführungen im ersten Band des „Kapital“ zugrunde, dann
besteht aus zwei Gründen die Notwendigkeit einer
maximalen Kapazitätsauslastung der Kapitale. Marx hat im
ersten Band des „Kapital“ gezeigt, daß die Kapitale mit
den fortgeschrittensten Produktionstechnologien einen
Extramehrwert erzielen (vgl. Marx 1987: 336f.) Da der
Produktivitätsvorsprung dieser Kapitale zeitlich
limitiert ist, hängt die Masse des zu erzielenden
Extramehrwerts vom Grad der Kapazitätsauslastung ab.
Wird der Grad der Kapazitätsauslastung gesteigert, dann
nimmt in entsprechender Weise die Masse des
Extramehrwerts zu wie auch umgekehrt. Legt man ferner
die Marxsche Überlegung zugrunde, daß die fixen Elemente
des konstanten Kapitals bereits vor ihrer physischen
Vernutzung aufgrund der intrasektoralen Konkurrenz aus
dem Produktionsprozess ausscheiden (vgl. Marx 1980:
171ff.), so ist auch in diesem Fall der
Kapazitätsauslastungsgrad für die zu erzielende
Mehrwertmasse von Relevanz. Die Möglichkeiten der
Maximierung des Kapazitätsauslastungsgrades mit einer
gegebenen Anzahl von Arbeitern sind indes limitiert
durch die natürlichen und sozialen Grenzen des
Arbeitstages. Erstens bedarf der Arbeiter Zeit zur
Reproduktion seiner Arbeitskraft. Zweitens führt der
extensive Gebrauch der Arbeitskräfte zu deren
frühzeitigen Verschleiß, so daß die Notwendigkeit einer
Normierung des Arbeitstages besteht (vgl. Marx 1987:
247ff.). Soll der Kapazitätsauslastungsgrad dennoch
gesteigert werden, so müssen zusätzliche Arbeitskräfte
eingestellt werden. Die Höhe der Ausgaben, die einen
maximalen Kapazitätsauslastungsgrad gewährleisten, hängt
dabei vom Grad der organischen Zusammensetzung ab.
Produzieren die Kapitale mit hoher organischer
Zusammensetzung, dann fallen die Ausgaben für die
zusätzlich einzustellenden Arbeitskräfte geringer aus
als wenn die organische Zusammensetzung einen geringen
Grad aufweist. Technologien mit hoher organischer
Zusammensetzung haben –zumindest aus der Perspektive des
Einzelkapitals- mithin den Effekt einer Steigerung der
Mehrwertmasse pro eingesetzter Kapitaleinheit.
Langfristig dürfte daher die organische Zusammensetzung
zunehmen, so daß die Profitrate tendenziell fällt. Dies
gilt auch dann, wenn man die durch die Steigerung der
Produktivkraft der Arbeit bewirkte Verbilligung des
variablen Kapitalteils in Rechnung stellt. Zwar wird
durch dessen Verbilligung der Fall der Profitrate
gebremst, doch nimmt der kompensierende Effekt mit
fortschreitender Zunahme der organischen Zusammensetzung
ab aufgrund der sukzessiven Reduktion der
„gleichzeitigen Arbeitstage“ (Marx). Ferner dürften
aufgrund der mit der relativen Mehrwertproduktion
einhergehenden konsumtiven Nachfragelücke die zyklischen
Ausschläge des Wachstumsverlaufs verstärkt werden (vgl.
a. Hickel 1979: LXXXVI ff.).
Auf modelltheoretischer
Ebene lässt sich somit zeigen, daß in längerer Frist mit
rückläufigen Akkumulationsquoten zu rechnen ist. Ob
dieser Prozess linear verläuft, lässt sich allerdings
theoretisch nicht beantworten, sondern hängt im
wesentlichen von exogenen Faktoren ab. Durch das
Auftreten von Produktinnovationen kann der tendenzielle
Fall der Profitrate verzögert bzw. ein überzyklischer
take-off generiert werden (vgl. Kleinknecht 1979: 97ff.,
s.a. Marx 1979: 246f.). Da insbesondere in
Krisensituationen Produktinnovationen in verstärktem
Maße zum Einsatz kommen (vgl. Kleinknecht 1984: 64ff.),
ist es zumindest nicht unplausibel davon auszugehen, daß
sich kapitalistisches Wachstum in Form „langer Wellen“
vollzieht. Durch das massierte Auftreten von
Produktinnovationen wird die Zunahme der organischen
Zusammensetzung zunächst reduziert, um dann langfristig
wieder anzusteigen (vgl. Kleinknecht 1979: 97ff.). Die
Nachkriegsprosperität dürfte im wesentlichen durch
diesen Mechanismus bedingt gewesen sein. Aufgrund einer
umfassenden Durchkapitalisierung des
Reproduktionsbereiches konnte die zunehmende organische
Zusammensetzung gebremst werden (vgl. Kleinknecht 1979:
97ff., s.a. Hirsch/Roth 1986, Lutz 1984). Durch die
damit einhergehenden Wachstumsprozesse wurde die
institutionalisierte Arbeiterbewegung gestärkt, so daß
eine hinreichende Nachfrage sowohl für die
Produktinnovationen wie auch für die sich sukzessiv
verbilligenden Finalprodukte bestand (vgl. a. Lipietz
1985: 124). Das statistisch zu registrierende Phänomen
„langer Wellen“ im Rahmen kapitalistischer Entwicklung
ist somit mit der Marxschen Hypothese einer langfristig
zunehmenden organischen Zusammensetzung kompatibel. Die
Notwendigkeit einer Revision dieser Hypothese besteht
daher weder in theoretischer noch in empirischer
Hinsicht.
Die politischen
Implikationen dieser Hypothese habe ich bereits eingangs
angedeutet. Wenn die organische Zusammensetzung in
längerer Frist zunimmt, dann ist von einer sukzessiven
Zunahme der industriellen Reservearmee wie auch –damit
einhergehend- einer sukzessiven Reduktion des
Reproduktionsniveaus der Arbeiterklasse auszugehen.
Einer politischen Regulation entzieht sich dieser
Prozess weitestgehend. Dies gilt sowohl für die durch
das neoliberale wie auch durch das keynesianische
Paradigmata angeleiteten Politikansätze. Eine forcierte
Erhöhung der Mehrwertrate, wie sie dem neoliberalen
Paradigma zugrunde liegt, wirkt allenfalls als
Palliativ, das lediglich kurzfristig positive
Beschäftigungseffekte zeitigt. Aufgrund der mit der
Erhöhung der Mehrwertrate einhergehenden Reduktion der
konsumtiven Endnachfrage dürfte der Wachstumsverlauf
darüber hinaus insgesamt eine instabilere Form erhalten.
Während im Rahmen keynesianischer Politikmuster dieser
Effekt vermieden werden kann, so besteht deren
Problematik darin, daß die Stärkung der konsumtiven
Endnachfrage den Fall der Profitrate beschleunigt, so
daß vermehrte Freisetzungseffekte zu erwarten sind. Auf
der Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise ist
somit die Bewältigung der mit der zunehmenden
organischen Zusammensetzung einhergehenden Probleme
nicht möglich. Erst wenn die gesamtgesellschaftliche
Reproduktion unter unmittelbar gesellschaftliche
Kontrolle gestellt wird, lassen sich die skizzierten
Problematiken vermeiden.
Literatur
Gillman, J.M.: Das Gesetz
des tendenziellen Falls der Profitrate, Frankfurt/M.
1969
Hickel, R.: Konjunktur
und Krise – neu betrachtet, in: Diehl, K., Mombert, P.
(Hrsg.): Wirtschaftskrisen, Frankfurt/M. u.a. 1979, S.
V-CXLV
Hirsch, J./Roth, R. Das
neue Gesicht des Kapitalismus, Hamburg 1986
Kleinknecht, A.:
Innovation, Akkumulation und Krise, in: Prokla 35,
Berlin 1979, S.85-104
Kleinknecht, A.:
Innovationsschübe und Lange Wellen: Was bringen „Neo-Schumpeterianische“
Kriseninterpretationen?, in: Prokla 57, Berlin 1984,
S.55-78
Lipietz, A.:
Akkumulation, Krisen und Auswege, in: Prokla 58, Berlin
1985, S. 109-138
Lutz, B.: Der kurze Traum
immerwährender Prosperität, Frankfurt/M. u.a. 1984
Luxemburg, R.:
Sozialreform oder Revolution?, in: Luxemburg, R.:
Gesammelte Werke, Bd. 1.1., Berlin (O) 1979, S.367-466
Marx, K.: Das Kapital,
Bd. 1, Berlin (O) 1987
Marx, K.: Das Kapital, Bd. 2, Berlin (O) 1980
Marx, K.: Das Kapital, Bd. 3, Berlin (O) 1979
Shaikh, A.: Eine
Einführung in die Geschichte der Krisentheorien, in:
Prokla 30, Berlin 1978, S. 3-42
Sweezy, P.M.: Theorie der
kapitalistischen Entwicklung, Frankfurt/M.1970
Editorische
Anmerkungen
Der Autor stellte uns diesen Artikel am 8.04.2005 zur Veröffentlichung zur Verfügung.
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