Eine Ära geht unwiederbringlich zu Ende: Am
Sonntag, den 20. März hat das
algerische Parlament nach 34 Jahren die Nationalisierung des Erdöl-
und
Erdgassektors aufgehoben. (Der Sonntag ist in Algerien ein normaler
Wochentag, da das dortige Wochenende auf den Donnerstag und den
moslemischen
Gebetstag am Freitag fällt.)
Fast alle Parteien stimmten der
Regierungsvorlage zu, mit Ausnahme der
zwanzig Abgeordneten der linkspopulistischen und ursprünglich
trotzkistischen "Arbeiterpartei" PT (mehr zu dieser Partei:
Anmerkung 1).
Die Parlamentarier der moderat-islamistischen Partei Islah (Reform)
enthielten sich der Stimme.
Jedoch blieben viele Abgeordnete der Nationalen
Befreiungsfront (des FLN,
Parti du Front de libération nationale) der Abstimmung fern. Aus
ihrer Sicht
stellt der Beschluss einen gravierenden Bruch in der Geschichte der
ehemaligen Einheitspartei nach der Unabhängigkeit von 1962, die
heute der
Regierungskoalition neben zwei anderen Parteien angehört, dar. Doch
nachdem
zahlreiche FLN-Parlamentarier die Debatte "geschwänzt" hatten,
wurden sie
kurz vor dem entscheidenden Votum durch die Parteiführung ermahnt:
Wer nicht
mit abstimme, brauche sich keine Hoffnung zu machen, für die
nächsten Wahlen
wieder aufgestellt zu werden.
Der Gesetzestext sieht vor, dass ausländische
Unternehmen nicht mehr nur
Minderheitsbeteiligungen an Förderstätten und -anlagen erwerben
dürfen,
sondern bis zu 70 Prozent. Unter bestimmten Bedingungen können
westliche
Firmen auch hundertprozentige Eigentümer einer Lagerstätte werden.
Die
PT-Abgeordneten hatten über 80 Änderungsanträge vorgelegt, die aber
durch
die drei Regierungsparteien (den FLN, den RND und die islamistische
Partei
MSP-Hamas) ausnahmslos abgeschmettert worden sind.
Was bedeutet der Abschied von der
Nationalisierung des algerischen Erdöls?
Welch einschneidende Veränderung die Öffnung
des Erdölsektors für westliches
Privatkapital bedeutet, ergibt erst die historische Rückschau. Die
Nationalisierung der Öl- und Gasindustrie durch das damalige
FLN-Regime im
Februar 1971 hatte ursprünglich das Herzstück eines autozentrierten
Entwicklungsmodells gebildet: Die vom Staat abgeschöpfte "Ölrente"
sollte in
den Aufbau einer diversifizierten Industrie investiert werden. So
sollte die
strukturelle Unterentwicklung der ehemaligen Kolonie, deren
Wirtschaft
früher auf die Bedürfnisse der "Metropole" Frankreich zugeschnitten
worden
war, überwunden werden. Dieses Vorhaben war aber bereits in den
achtziger
Jahren gescheitert. Dazu trug das Technikdiktat westlicher Konzerne
bei, die
dem nordafrikanischen Land veraltete, überdimensionierte oder den
örtlichen
Bedingungen nicht angepasste Anlagen verkauften oder die Algerier in
Abhängigkeit von Ersatzteilen und Wartungsarbeiten durch eigene
westliche
"Experten" hielten. Aber auch die Korruption der einheimischen
Eliten, die
sich mitunter Schrott andrehen ließen, sofern sie nur selber saftige
Kommissionen kassieren konnten, bildete eine Ursache.
Heute ist Algerien auf den meisten Gebieten
extrem importabhängig.
Finanzieren kann es seine Bedürfnisse überhaupt nur dank des
mächtigen
"Motors" seiner Ökonomie, der Öl- und Gasförderung, die über 97
Prozent der
Deviseneinnahmen des Landes einbringt. Doch selbstverständlich
wuchsen die
europäischen und nordamerikanischen Begehrlichkeiten, einen Fuß auch
in
diesen Sektor zu bekommen.
Ein Teil der ehemals staatssozialistischen
Eliten Algeriens leistete noch
bis vor kurzem heftige Widerstände dagegen. Und am 20. März 2001
sowie Ende
Februar 2003 legten Generalstreiks gegen die Öffnung der Ölindustrie
die
allermeisten Wirtschaftszweige des Landes lahm. Mehrfach hat die
Regierung
ihren Gesetzentwurf zurückgezogen und für "erledigt" erklärt, um ihn
nach
einigen Monaten wieder aus der Schublade zu holen. Doch zu Anfang
dieses
Jahres hat die UGTA-Führung ihren Widerstand gegen die
Privatisierung im
Erdölsektor und auch in anderen Bereichen aufgegeben: Ihr
Generalsekretär
Abdelmajid Sidi-Saïd erklärte im Januar im algerischen Fernsehen, es
gebe
"keine ideologischen Tabus mehr" in dieser Frage. Die UGTA fürchtete
vor
allem, dass eine Privatisierungswelle auch ohne ihre Zustimmung über
die
Bühne gehe, und dass sie in der Folgezeit keine Vertretung mehr in
den
Betrieben beibehalten könne. (Siehe ausführlicher zum
Positionswechsel der
UGTA: Labournet vom 11. März 05)
Internationaler Druck
Doch der Druck der westlichen Gläubigerstaaten
und "Wirtschaftspartner" war
letztendlich stärker. Algerien will in den kommenden Monaten der
Welthandelsorganisation (WTO) beitreten, wofür es die Unterstützung
westlicher Wirtschaftsmächte benötigt und insbesondere der USA,
die in dem
Ausschuss von 40 WTO-Mitgliedsländern, der mit Algerien verhandelt,
Ton
angebend sind.
Die algerische Tageszeitung "La Tribune" vom
Donnerstag, 17. März zitiert
Staatspräsident Abdelaziz Boutefliqa mit den Worten, die politische
Führung
habe das Gesetz nicht frohen Herzens angenommen, "es ist uns
aufgezwungen
worden". Entsprechend habe sich Boutefliqa in einer öffentlichen
Rede im
Jahr 2004 geäußert. (Der Name des Präsidenten wird auch Bouteflika
geschrieben, je nach Transkription aus dem Arabischen.)
Nach Informationen der "Arbeiterpartei" PT ist
der Entwurf "von A bis Z
durch eine Kanzlei in New York" formuliert worden. Deswegen, so
fährt die
Partei der ehemaligen Präsidentschaftskandidatin Louisa Hanoune
fort, sei
auch erklärlich, dass die Abgeordneten keinen einzigen Buchstaben an
der
Vorlage verändern durften. Sogar der PT-Antrag, in dem Gesetz
festzuschreiben, dass künftig zumindest die staatliche
Erdölgesellschaft
Sonatrach die nunmehr private Konkurrenz auf ihrem Tätigkeitsfeld
bekommen
wird nicht privatisiert werden dürfe, wurde abgeschmettert. Dabei
hatten
Präsident Boutefliqa und Energieminister Chakib Khelil in mündlichen
Äußerungen stets hoch und heilig versichert, eine Privatisierung der
Sonatrach komme nicht in Betracht.
Minister Khelil dementierte, dass der
Gesetzentwurf aus einer New Yorker
Kanzlei stamme, und behauptete, er sei durch algerische Experten
formuliert
worden. Khelil arbeitete von 1980 bis 1999 bei der Weltbank in
Washington,
zuletzt als Abteilungsleiter für den Energiesektor in Lateinamerika.
Prâsident Boutefliqa holte ihn nach seiner ersten "Wahl" (ohne
Gegenkandidat), im April 1999, nach Algier und ernannte ihn kurz
darauf zum
Minister. Man braucht keine böswilligen Unterstellungen zu
betreiben, um
Khelil große Nähe zu US-amerikanischen und internationalen Firmen zu
unterstellen.
Erhöhung der Energie- und Treibstoffpreise
für die Bevölkerung
Nach Angaben der Tageszeitung "Liberté", die
ansonsten Privatisierungen im
allgemeinen eher befürwortet, wird die erste Konsequenz des neuen
Gesetzes
für die algerische Bevölkerung aus einer Erhöhung der Energiepreise
bestehen.
In ihrer Montagsausgabe (21. März) zitiert die
Zeitung die Artikel 9 und 10
der Loi sur les hydrocarbures (Gesetz über die Kohlenwasserstoffe),
so
lautet der offizielle Gesetzestitel. Ihren Bestimmungen zufolge
sollen die
Preise für Haushaltsgas, Strom und Benzin sowie Diesel künftig nicht
mehr
durch die Regierung die immerhin noch für politischen Druck
anfällig ist
festgelegt werden, sondern durch eine speziell eingerichtete
"Regulierungsbehörde". Die neue Behörde soll sowohl die Interessen
der
staatlichen Sonatrach als auch der künftigen privaten Investoren
vertreten
und gegeneinander abwägen. Die beiden Gesetzesparagraphen schreiben
ihr vor,
die Energie- und Treibstoffpreise künftig in einer Weise
festzulegen, die
eine Rentabilisierung der durch private Unternehmen getätigten
Investitionen
erlaubt. Liberté setzt hinzu: "Die Regierung scheint keine Garantien
für die
Kaufkraft der Bürger abgegeben zu haben."
Assoziierungsvertrag mit der EU: Ein
weiterer Schritt in dieselbe Richtung
Just am Montag, 14. März 05 wurde auch das
Assoziierungsabkommen mit der
Europäischen Union vom Parlament in Algier ratifiziert, das
ebenfalls eine
weitgehende "Liberalisierung" der algerischen Ökonomie und
Marktöffnung
vorschreibt. In seinem Artikel 61 sieht der Assoziierungsvertrag
auch eine
Liberalisierung des Energiesektors vor, was in offenkundigem
Zusammenhang
mit dem jetzt verabschiedeten Gesetz steht.
Der Assoziierungsvertrag mit der EU wurde im
April 2002 im spanischen
Valencia unterzeichnet. Inzwischen ist er durch Algerien und 14 von
15
damaligen EU-Mitgliedern (die erst später beigetretenen, neuen
Mitgliedsländern brauchen ihn nicht zu ratifizieren) auf
parlamentarischem
Wege ratifiziert worden. Nur die Niederlande müssen ihn jetzt noch
ratifizieren, damit er in Kraft tritt.
Das Abkommen sieht die vollständige
Liberalisierung des algerischen Marktes
bei Ein- und Ausfuhren, sowie eine beschränkte Öffnung der EU für
algerische
Exporte vor. Der Abbau von Handels- und Konkurrenzhemmnissen sowie
Zollschranken soll in zwei Jahren beginnen. Bis in zwölf Jahren,
also bis
2017, soll der Zugang zum algerischen Markt vollkommen frei sein.
Die
Tageszeitung "La Tribune" zitiert den EU-Botschafter in Algier,
Lucio
Guerrato, mit den Worten: "Die algerischen Wirtschaftsakteure werden
damit
(neben den europäischen) auf eine Autobahn gesetzt, von der es keine
Ausfahrt gibt."
Dieselbe Zeitung (16. März 05) wirft freilich
die Frage auf, ob die
algerische Ökonomie in der Lage sei, "dem Orkan standzuhalten", den
"zukünftig die mit der europäischen Konkurrenz einher gehenden
Spielregeln"
zu entfachen drohten.
Positionen der politischen Parteien zum
Assoziierungsvertrag
Die drei Parteien der Regierungskoalition sehen
den Auswirkungen des
Assoziierungsabkommens, wie es ihrer Rolle geziemt, mit Optimismus
entgegen.
Die ehemalige Staatspartei FLN und der (Mitte der 90er Jahre aus
einer
Abspaltung von ihm hervor gegangene) RND behaupteten, die algerische
Ökonomie habe genügend Zeit, sich auf die wirtschaftlichen Folgen
vorzubereiten. Die ebenfalls mit regierende islamistische Partei
MSP-Hamas
kommentierte kurz und knapp: "Wir gehören einer Regierung an, die
dieses
Abkommen unterzeichnet hat. Also können wir nur Ja sagen." Auch die
oppositionelle, "moderat"-islamistische Partei Islah (Reform)
stimmte
ihrerseits für den Assoziierungsvertrag.
Der dem FLN angehörende algerische
Außenminister Abdelaziz Belkhadem zeigte
sich anlässlich der Ratifizierung des Abkommens mit der EU beruhigt,
und
beruhigend gegenüber seinen Landsleuten: Die Auswirkungen auf die
algerischen Ökonomie würden sich "erst ab 2017" bemerkbar machen,
und bis
dahin habe die Wirtschaft des Landes reichlich Zeit, sich zu
modernisieren
und konkurrenzfähig zu machen. Aber dem Text des Abkommens zufolge
beginnt
der Abbau von Schutzvorrichtungen für die einheimische Produktion
bereits
zwei Jahre nach Inkrafttreten des Assoziierungsvertrags! Belkhadem,
der zum
"islamo-konservativen" Flügel des FLN gehört, hatte früher selbst
gegen das
Abkommen opponiert. Allerdings eher aus ideologischen Gründen denn
aufgrund
einer Analyse seiner sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen auf
Algerien. Nunmehr hat er, mit der gesamten algerischen Elite, seine
Weste
umgedreht.
Die linkspopulistische "Arbeiterpartei" PT hat,
wie erwähnt, im Parlament
als einzige Partei gegen den Assoziierungsvertrag gestimmt.
(Ausführlicher
zum PT: vgl. ANMERKUNG 1)
Dagegen lagen die Parteien der in Europa gern
so genannten "demokratischen
Opposition", einmal mehr, gründlich daneben. Unter dieser
Bezeichnung werden
in Europa vor allem die Regionalparteien der berberischen Region
Kabylei
gerechnet, die in Algerien Minderheitenparteien darstellen - aber
als
einzige Parteien in der insgesamt eher "staatsfernen Gesellschaft"
Algeriens
(neben der Staatspartei FLN und den Islamisten) eine wirkliche
soziale
Verankerung aufweisen. Je nach Standpunkt, verkauft man in der
europäischen
Presse die eine oder andere der beiden bürgerlichen Regionalparteien
der
Kabylei als "die algerischen Demokraten": Für die Liberalen ist es
eher der
RCD ("Sammlung für Kultur und Demokratie", gemeint ist: für die
Berberkultur) unter Saïd Sadi, der stärker anti-islamistisch
ausgerichtet
ist und auch die französischsprachigen "modernen Eliten" der
Hauptstadt
Algier repräsentiert.
Die europäischen Sozialdemokraten verkaufen
eher den FFS (Front des forces
socialistes) unter Hocine Aït Ahmed als "die Demokraten". Die so
genannte
"Front der sozialistischen Kräfte" hat nicht mit einer
sozialistischen
Organisation zu tun, sondern ist eine bürgerliche Regionalpartei,
die vor
allem die Interessen der europäischen Sozialdemokratie in Algerien
vertritt.
In den 90er Jahren hatte die Partei sich zeitweise in ein taktisches
Bündnis
mit den Islamisten begeben. Der FFS ist Mitglied in der so genannten
"Sozialistischen Internationalen", dem transnationalen
Zusammenschluss
sozialdemokratisch-staatstragender Parteien. Und sein
innerparteilich
autokratisch agierender Chef, Hocine Aït Ahmed, lebt seit
Jahrzehnten nicht
mehr in Algerien, sondern im schweizerischen Lausanne, wo es ja auch
schön
ist. Abgesehen von kurzen Unterbrechungen: Aït Ahmed lebte von
Dezember 1989
bis Juli 1992 in Algerien. Einige Jahre später kandidierte er
nochmals zu
den Präsidentschaftswahlen: Damals reiste er am 2. Februar 1999 nach
Algerien ein, um zur Präsidentschaftswahl vom 15. April 1999
anzutreten. Und
als er kurz vor den Wahlen Herzprobleme hatte, ließ er sich
ausfliegen, um
sich nicht etwa in Algerien, sondern in der Schweiz behandeln zu
lassen. Man
ahnt also, dass dieser Mann und die Funktionärsstruktur seiner
Partei der
europäischen Presse, sozialdemokratischen Parteifunktionären in
Europa und
den intellektuellen Salondemokraten weitaus "näher steht" als den
Problemen der "Masse" der Algerierinnen und Algerier.
In der aktuellen Frage des
Assoziierungsabkommens und seiner Folgen wird man
vom FFS dementsprechend nicht enttäuscht: Er kritisiert mit keinem
Wort die
europäischen Interessen in Algerien sondern allein das algerische
Regime.
Der Artikel 2 des Vertrages, der den Respekt der Menschenrechte als
"ZielŒ
des Abkommens festhält (das gehört zum symbolischen Klimbim, in dem
die
Wirtschaftsinteressen verkleidet werden), werde durch die algerische
Seite
nicht respektiert. Der FFS beklagte einen "mangelnden politischen
Willen",
den Inhalts des Abkommen "effektiv" zu machen, da es auf algerischer
Seite
keine wirklich funktionierenden staatlichen Institutionen gebe,
aufgrund der
Korruption. Nach Ansicht der Partei sollten "die europäischen
Partner"
stärkeren Druck entfalten, um wirklich auf die Einhaltung der
schönen
Versprechungen des Artikels 2 zu drängen. (Als hätte die europäische
Seite
in Wirklichkeit irgend etwas mit den Menschenrechten am Hut...) Der
FFS
sorgte sich ferner über die "Möglichkeiten der europäischen Partner,
mit der
verallgemeinerten Korruption fertig zu werden" und die Regeln der so
genannte "good governance" durchzusetzen, welche das Abkommen
voraussetze.
(Zitate nach "El Watan" vom 16. März)
An die wirtschaftlich stärkere Seite im Norden
zu appellieren, gegen die
algerische Seite Menschenrechte und "good governance" umzusetzen: So
kann
man die Position von Lakaien des europäischen Imperialismus treffend
zusammen fassen.
Der RCD unter Saïd Sadi seinerseits wünschte,
auf Nachfragen algerischer
Journalisten, keinerlei Stellungnahme zum Assoziierungsabkommen
abzugeben.
Es wäre freilich das erste Mal, würde die Partei Kritik am
Wirtschaftsliberalismus äußern, der ja schließlich « modern » ist.
Die Ex-Kommunisten des MDS (Demokratische und
soziale Bewegung), die im
Namen des allein entscheidenden Abwehrkampfs gegen den Islamismus
jede
soziale Kritik längst aufgegeben haben und zu Liberalen mutiert
sind,
erklärte "weder besorgt noch überrascht" von dem
Assoziierungsabkommen zu
sein. Ohnehin würden 90 Prozent des algerischen Außenhandels mit
Europa
abgewickelt, also sei das Abkommen nur eine logische Folge.
Schnarcht
weiter, "Genossen"...
Und jetzt noch das Trinkwasser...
Anfang kommender Woche (die in Algerien am
Samstag beginnt) beginnt im
algerischen Parlament zudem noch die Debatte über die Privatisierung
des
Trinkwassers. Die Artikel 100 und 103 des debattierten neuen
Wassergesetzes
sehen die Möglichkeit für die staatlichen Behörden vor, die
Wasserversorgung
an öffentliche oder private Akteure abzutreten.
Der französische Vivendi-Konzern sitzt bereits
auf den Rängen, um sich in
den Sektor einzukaufen.
Allgemeines Fazit
Es fällt kurz und knapp aus: Was nach alldem
von der Souveränität des Landes
letztendlich übrig bleiben wird, ist derzeit eine offene Frage.
ANMERKUNG 1: Der PT ging bei der Einführung des Mehrparteiensystems
1989 aus
einer kleinen trotzkistischen Organisation hervor, die seit circa
1974
illegal existierte, der Organisation socialiste des travailleurs
(OST). Die
unbestrittene Galionsfigur des PT ist die ehemalige
Präsidentschaftskandidatin Louisa Hanoune. Ursprünglich war die
Partei
einerseits durch einen extremen Dogmatismus charakterisiert,
andererseits
durch eine mitunter äußerst kuriose Strategie.
Denn die OST bzw. der PT entstand als algerischer Ableger einer
französischen trotzkistischen Richtung, die dort als "Lambertisten"
bekannt
ist. Diese extrem autoritäre und sektierische Spielart des
vielfältigen
französischen Trotzkismus unterstützte im antikolonialen
Befreiungskrieg
Algeriens nicht den FLN (die Nationale Befreiungsfront), sondern
eine
konkurrierende Bewegung, den MNA (Algerische nationale Bewegung).
Dabei
behaupteten die "Lambertisten" nach einer äußerst holzschnittartigen
und
darüberhinaus ziemlich unsinnigen Analyse, der FLN repräsentiere
eine
«bürgerliche Führung», der MNA dagegen «die proletarische
Revolution»
innerhalb der antikolonialen Bewegung Algeriens. Dabei war der MNA
mit
Sicherheit kein bisschen sozialistischer als der von ihm
abgespaltenee FLN.
Die algerische Organisation hat dieses Schema auch später aufrecht
erhalten
und war deswegen immer der Hinsicht, dass der FLN «die algerische
Revolution usurpiert» habe und deswegen als absoluter «Hauptfeind»
zu
bekämpfen sei. Daraus folgerte er u.a. die kuriose, ja
abenteuerliche
Strategie, in den frühen 90er Jahren das Bündnis mit den
aufsteigenden,
radikalen Islamisten der «Islamischen Rettungsfront» (FIS) zu
suchen.
Heute hat der ursprüngliche PT es geschafft, sich in eine breitere,
aber
inhaltlich diffuse Vorfeldorganisation zu verwandeln (der
trotzkistisch-lambertistische «harte Kern» bleibt daneben noch
bestehen).
Bei den Parlamentswahlen vom 30. Mai 2002 trat diese eher
linkspopulistische
Umfeldpartei als einzige anti-wirtschaftsliberale und konsequent
gegen
Privatisierungen eintretende Opposition an. Und konnte so gut 20
Parlamentssitze erobern.
Gleichzeitig ist die Parlamentspartei PT aber auch unverkennbar
links-nationalistisch ausgerichtet: Er kritisiert (zu Recht) das
ausländische Kapital, das Algerien faktisch seiner Souveränität
berauben
wolle, aber weit weniger die einheimische Bourgeoisie und die
korrupten
Eliten. Der PT appellierte wiederholt an Präsident Boutefliqa/Bouteflika
als
« Sachwalter des nationalen Interesses». Beispielsweise auch bei den
(sozial
motivierten und sich gegen Polizeigewalt richtenden) Unruhen in den
berbersprachigen Bezirken im Frühjahr und Sommer 2001. Damals warnte
die
Partei vor einer «Gefährdung der Einheit der Republik» und vor
«Tendenzen
zur nationalen Spaltung». Anstatt die Revoltierenden zu unterstützen
und
ihnen eine andere Orientierung zu geben als ihre oftmals dem
Traditionalismus verhafteten örtlichen Führungszirkel (die so
genannten
Aarouch), stellte die Partei sich so außerhalb der keineswegs
«ethnisch»
ausgerichteten ! Revolte und beschwor die Einheit der Nation.
Allerdings
muss man dem PT zugestehen, dass er zugleich nie den
antiberberischen
Chauvinismus breiter Kreise der politischen Klasse geteilt oder
praktiziert
hat.
Der PT ist ferner nicht zu verwechseln mit dem wesentlich
undogmatischeren
PST (Sozialistische Arbeiterpartei) unter dem ehemaligen Eisenbahner
Chawki
Salhi. Zweiterer hat nie mit den Islamisten geflirtet, sondern immer
sowohl
das bestehende Regime als auch diese reaktionäre "Alternative"
kompromisslos
bekämpft. Die kleine Partei tritt jedoch seit Jahren nicht zu Wahlen
an.
Letzte Anmerkung dazu: Eine Kritik des PT an der Rolle des
ausländischen
Kapitals ist deshalb manchmal vor dem Vordergrund zu sehen, dass die
Partei
die Kritik an den nationalen Eliten mitunter vernachlässigt.
Deswegen ist es
einerseits ideologisch konnotiert, aber dennoch im Kern richtig
(betrachtet
man den real ablaufenden ökonomischen Prozess), wenn der PT den
"nationalen
Ausverkauf" Algeriens anklagt.
Editorische
Anmerkungen
Der Autor stellte uns seinen Text
am 23.03. 2005 in der vorliegenden Fassung zur Veröffentlichung zur Verfügung.
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