Erst fällt Eisregen,
dann hagelt es auch noch. Doch die versammelten
Radaukonservativen, deren Altersdurchschnitt eher
im höheren Bereich liegt, harren eisern aus. Viele
von ihnen sind von außerhalb angereist, aus allen
Ecken Frankreichs; in den Métrozügen sah man sie an
den Bahnhöfen Gare du Nord, Gare de l'Est oder Gare
Saint-Lazare zusteigen, bewaffnet mit ihren
blau-weiß-roten Fähnchen. Weitere Winkelemente in
den Nationalfarben der Trikolore werden auf dem
Platz verteilt, wo Ordnerinnen und Ordner sie in
Hunderterbündeln bereit halten.
Am vergangenen
Sonntag (den 05. März 17) in Paris ist eine
Schaubühne auf dem Trocadéro-Platz aufgebaut, mit
Blick auf den Eiffelturm, den jedoch dunkle Wolken
verhängen. 35.000 bis maximal 40.000 Menschen fasst
der Platz, der tatsächlich voll wird, laut
polizeilichen Angaben. Die Organisatoren werden
jedoch hinterher von angeblichen 200.000
Teilnehmenden sprechen. Heute sind sie gekommen, um
dem zuzujubeln, der trotz Justizermittlungen in
Sachen Korruption und Unterschlagung öffentlicher
Gelder in Höhe einer knappen Million Euro ihr Idol
bleibt: François Fillon, im November nominierter
Präsidentschaftskandidat der französischen
Konservativen. Die Vorredner machen es kurz, danach
wird Fillon eine gute halbe Stunde zu seinen Fans
sprechen. Kaum hat er seine Ansprache beendet,
reißt für kurze Zeit der Himmel auf und lässt die
Sonne durch, auch wenn es nicht lange vorhält. Ein
Symbol für manche der Anwesenden.
Einige von ihnen sind
demofest und waren, ausweilich ihrer Aufkleber und
Buttons, in mehr oder weniger massiver Zahl an der
Straßenmobilisierung gegen die Öffnung der Ehe für
homosexuelle Paare in den Jahren 2012 bis 2014
beteiligt. François Fillon spricht den "identitären
Konservativen" - ein Ausdruck, den die bürgerliche
Presse in Frankreich in den letzten Monaten
verstärkt aufgreift - aus der Saal. Er sagt seinem
Publikum: "Ihr seid das Frankreich der Bauern, das
Frankreich der Kathedralen, das Frankreich der
Schlösser, das Frankreich der Sansculotten. Das
Frankreich der zwanzigjähren Helden der
Résistance." Das kommt gut an, auch wenn Fillon
sich dabei - dem von ihm geprägten Ausdruck vom
roman national als dem Geschichtsbild,
das gefälligst künftig vom Schulunterricht
vermittelt werden solle, treu bleibend - auf
widersprüchlich und oft gegeneinander agierende
gesellschaftliche Kräfte gleichzeitig bezieht.
Darauf kommt erst bei ihm nicht an, soll das Ganze
doch wie ein Abziehbild einer ebenso glorreichen
wie vermeintlich weitgehend widerspruchsfreien
Nationalgeschichte wirken.
Ex-Präsident Nicolas
Sarkozy hatte es vorgemacht, doch ihm nehmen viele
Konservative es längst nicht mehr ab, dass er es
mit seinen Überzeugungen auch erst meinte. Fillon,
der fünf Jahre lang Sarkozys Premierminister war,
wirkte weniger bling-bling, also
weniger als neureicher Angeber und dafür seriöser.
Dies begründete seinen Erfolg bei der konservativen
Basis. Nun wird er vor allem durch die aus der
Bewegung gegen die Homosexuellenehe hervor
gegangene Gruppierung Sens commun (ungefähr:
"Gemeinsinn"), die der stärksten konservativen
Partei Les Républicains (LR) als
Mitgliedsorganisation angegliedert ist,
unterstützt. Nachdem Fillons Basis
zusammenschnurrte, weil dummerweise herauskam, dass
er durch die formale Einstellung von
Familienmitgliedern als parlamentarische
Mitarbeiter mehrere Hunderttausend Euro für
mutmaßlich nicht existierende Arbeitstätigkeiten
zweckentfremdete, bleibt er auf diese Basis
angewiesen. Manche sehen ihn inzwischen sogar als
ihre politische Geisel.
Sens commun, die
zwischen 6.000 und 9.000 Aktive auf die Beine
bringen dürfte, stellt inzwischen jedenfalls das
organisatorische Rückgrat der Pro-Fillon-Kampagne
dar. Und ihr Gewicht wird inzwischen wiederum als
drohendes Argument eingesetzt: "Wo würden ihre
Anhänger denn hingehen, falls François Fillon nicht
mehr Kandidat der bürgerlichen Rechten wäre? Alain
Juppé würden sie jedenfalls nicht wählen, vielmehr
würden sie in Scharen zum Front National
überlaufen." So lautet die Argumentation, die durch
Fillons Berater nun auf und ab quer durch die
Presse wiederholt wird. Juppé, früher einmal
Premierminister in den Jahren 1995 bis 1997 und
zuletzt Außenminister unter Sarkozy, wurde am 27.
November vorigen Jahres durch Fillon bei den
Vorwahlen im konservativen Lager mit einer
Zwei-Drittel-Mehrheit geschlagen. Infolge der
Betrugsvorwürfe gegen Fillon wurde er wieder als
potenzieller Ersatzkandidat ins Gespräch gebracht.
Am Montag dieser Woche verzichtete Juppé endgültig
auf das Angebot, das von verschiedener Seite an ihn
herangetragen wurde. Zur Begründung führte er bei
einer Pressekonferenz unter anderem an, aufgrund
seines Alters stehe er nicht für eine glaubwürdige
Erneuerung - "Es ist zu spät" -, fügte aber auch
kritisch hinzu: "Der harte Kern der LR-Aktiven hat
sich radikalisiert."
Unter den
radikalisierten Konservativen, die am Sonntag auf
dem Trocadéro-Platz für ihren starken Mann
demonstrieren, besteht bei Vielen jedenfalls kein
Hauch eines Zweifels: Alain Juppé ist kein
Parteifreund, sondern ein ideologischer Gegner.
"Soll Juppé doch den Abgang machen und zu Macron
gehen!", also zu dem linksliberal auftretenden
Ex-Wirtschaftsminister François Hollandes, ist aus
der Menge zu tören. Beifall ist in ihren Reihen am
stärksten und lautesten zu hören, als Fillon auf
die staatspolitischen Anforderungen der kommenden
Präsidentschaft zu sprechen kommt: Die Armee gilt
es zu stärken. Er fügt hinzu, den islamistischen
Terrorismus gelte es zu bekämpfen. "Einwanderung
auf Null reduzieren!" ertönt an mehreren Stellen
dazu aus der Menge. Die Botschaft wurde verstanden:
Es handelt sich vermeintlich um ein
Ausländerproblem.
Seit der Sarkozy-Ära,
zu deren Anfang 2007 ein "Ministerium für
Einwanderung und nationale Identität" eingerichtet
wurde - es ist seit 2011 wieder abgeschafft - und
in deren Verlauf eine staatsoffizielle "Debatte
über nationale Identität" mit Veranstaltungen in
350 Städten organisiert wurde, haben sich Teile der
französischen Konservativen beträchtlich
ideologisch radikalisiert. Dies lässt eventuelle
künftige Bündnisse möglich erscheinen. Allerdings
steht dabei vor allem die Ausrichtung des
jeweiligen Diskurses in Sachen Sozial- und
Wirtschaftspolitik im Wege: Die Mehrheit im
konservativen Lager steht für eine Option des
brutalen wirtschaftsliberalen "Durchreformierens",
Fillon bezieht sich gar explizit positiv auf
Margaret Thatcher.
Dagegen wendet der FN
sich eher an die sozial Enttäuschten, Deklassierten
und Frustrierten und attackiert verbal die Folgen
neoliberaler Politik. Als Rezept hat er die Idee
anzubieten, dass das Ausland und die Ausländer
schon bezahlen würden. So soll ein EU-Austritt
Frankreich, das angeblich in die Union mehr
einzahlt als herausbekommt, sanieren. Diesbezüglich
hat Marine Le Pen, die im vergangenen Jahren in
Sachen Propagierung eines Euro-Austritts zu zögern
schien, ihre Positionen vereindeutigt. Es gelte,
"mit der EU Schluss zu machen", rief sie bei einer
Konferenz zu ihrer außenpolitischen Orientierung am
23. Februar auf. Bei der Vorstellung ihrer
Konzeptionen zur internationalen Politik saßen laut
Angaben ihrer Berater Diplomaten aus 42 Ländern im
Saal, darunter Vertreter aus den USA und China. Die
Botschafter Kubas, Saudi-Arabiens, Kambodschas,
Vietnams und Taiwan waren selber gekommen. Bei
einigen dieser Staaten gilt möglicherweise, das der
Feind des langjährigen Feindes USA zumindest
interessant sein muss - sicherlich nicht in den
Fällen Saudi-Arabiens und Taiwans, wo eher der
historisch tief verwurzelte Antikommunismus den FN
als nicht so schlimm erscheinen lässt.
Auch der FN hat
Justizermittlungen am Hals. Dabei geht es
insbesondere um den anhaltenden Betrugsvorwurf
betreffend die Beschäftigung von "parlamentarischen
Beratern" im Europaparlament, die in Wirklichkeit
ausschließlich inländische FUnktionen für die
rechtsextreme Partei ausübten - praktisch für die
ermittelnden Behörden ist dabei, dass am Parteisitz
des FN in Nanterre bei Paris die Arfbeitszeit der
Angestellten elektronisch genau erfasst wurde. So
war erkennbar, wer wirklich in Brüssel oder
Strasbourg gewesen sein könnte, und wer dagegen
nachweisbar nur in Nanterre tätig war. 340.000 Euro
an sofortigen Rückzahlungen fordert die
EU-Parlamentsverwaltung vom Front National, und die
französische Justiz lud Marine Le Pen mehrfach vor,
um sie zur Sache zu vernehmen. Vergeblich, denn die
FN-Chefin verweigerte sich dem offensiv. Bis nach
den Wahlen, erklärte sie, werde sie keinerlei
Vorladung Folge leisten.
Bei einer
Großveranstaltung am 26. Februar 17 im
westfranzösischen Nantes - die von militanten
antifaschistischen Aktionen begleitet war - schlug
sie schärfere Töne an. Sie warnte "Beamte", gemeint
waren Justizbedienstete und Richter, davor,
angeblich "illegalen Anordnungen" der Regierenden
gegen ihre heutigen Opponenten - welche miundtot
gemacht werden sollten - Folge zu leisten.
Ansonsten drohten sie, unter einer künftigen
"nationalen" Regierung, selbst mit
Strafverfolgungen belegt zu werden. Anfang dieser
Woche kündigte Marine Le Pen ferner an,
antifaschistische Gruppierungen zu "verbieten".
Auch François Fillons
Kundgebung sollte sich ursprünglich klar gegen die
Justiz richten. Eine Demo "gegen den Staatsstreich
der Richter" hatte das zwischen Konservativen und
Rechtsextremen angesiedelte Magazin Valeurs
Actuelles - das Fillon unterstützt, aber
auch dem FN stets ein Forum bietet - angekündigt.
Das ging einigen bürgerlichen Rechten zu weit, die
einen Angriff auf die Institutionen des
bürgerlichen Staates fürchteten. Der Negativbezug
auf die Richter wurde kurzfristig aus den Aufrufen
entfernt. Doch das gemeinsam empfundene Leid könnte
radikalisierte Konservative und radikale Rechte
aneinander annähern.
Editorische
Hinweise
Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese
Ausgabe.
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