Frankreich ist ein Land, das die
Pressefreiheit und jene der Meinungsäußerung hochhält – wie vor
wenigen Wochen die diversen Demonstrationen unter dem Motto
„Ich bin Charlie“ bewiesen haben. Und Frankreich ist
ferner zutiefst um Demokratie und Menschenrechte auf dem
afrikanischen Kontinent und in seiner dortigen, postkolonialen
Einflusssphäre besorgt. Seine Regierungen und Behörden
proklamieren es schließlich immer wieder. So weit zur Theorie.
Nun ein paar Worte zur Praxis. Diese fällt allerdings ziemlich
abweichend von den offiziellen Darstellungen aus.
Am 15. Februar dieses Jahres
nehmen vierzig Polizisten in Zivil in Marokkos Hauptstadt Rabat
den Sitz der „Marokkanischen Menschenrechtsvereinigung“ AMDH
auseinander. Zwei französische Journalisten, die sich zu dem
Zeitpunkt dort aufhalten und die einen Film über Wirtschaft und
Korruption in Marokko drehen wollten, Jean-Louis Perez und
Pierre Chautard, werden festgenommen, rüde behandelt und
umgehend abgeschoben. Ihr Film- und Fotomaterial sowie
Mobiltelefone bleibt beschlagnahmt. Der offizielle Vorwand
lautet, sie hätten keine Drehgenehmigung besessen. Eine solche
ist jedoch für einen privaten Ort wie den Sitz der AMDH nicht
erforderlich, und französische Staatsbürger können visafrei nach
Marokko einreisen. Wenn sie nicht stören...
Das französische Außenministerium – der Quai
d’Orsay – erklärt dazu kurz darauf ausdrücklich, dass man nicht
etwa vorhabe, zu protestieren. „Die Dinge (mit Marokko)
sind gerade dabei, wieder ins Lot zu kommen, wir sind nunmehr
der Zukunft zugewandt“, habe dessen Sprecher Roman Nadal
ihm gegenüber verlautbart, erklärt der für die beiden
Journalisten zuständige Chefredakteur der Agentur
Premières Lignes, Benoît Bringer, dazu. Anders als das
Ministerium sehen es die wichtigsten französischen
JournalistInnengewerkschaften: jene des Dachverbands CGT, jene
des Gewerkschaftsverbands CFDT und die dachverbandslose
Gewerkschaft SNJ. In einer gemeinsamen Erklärung vom 16. Februar
15 sprechen sie von einem „gravierenden Angriff auf das
Grundrecht der Informationsfreiheit“. Und erinnern
daran, dass das Königreich bereits im Januar eine Reportage des
französischen Auslandssenders France 24 über die
Sichtweise der MarokkanerInnen auf die Vorfälle rund um
Charlie Hebdo verhindert habe.
Mit den Worten, dass die Beziehungen mit
Marokko soeben „wieder ins Lot kommen“, meinte das
Außenministerium die erneute Annäherung der Repressionsapparat
beider Länder. Die justizpolitische Kooperation der beiden
Staaten war ein knappes Jahr lang auf Eis gelegt – die Reaktion
der marokkanischen Behörden seit April 14 darauf, dass gegen den
Chef des marokkanischen Nachrichtendiensts DST, Abdellatif
Hammouchi, strafrechtliche Ermittlungen in Frankreich wegen
Foltervorwürfen aufgenommen wurden. Die Behörden mussten diese
prüfen, weil sich unter den klagenden Opfern auch
französisch-marokkanische Doppelstaatsbürger befinden; Hammouchi
musste einen Aufenthalt auf französischem Boden deswegen
abkürzen, um keine richterlichen Fragen beantworten zu müssen.
Doch von der Staatsspitze her wurden diese
hässlichen Vorfälle, die den zwischenstaatlichen reibungslosen
Betrieb so sehr stören, inzwischen einfach abgebügelt. Am 14.
Februar 15 verkündete der französische Innenminister Bernard
Cazeneuve, dass ebendiesem Abdellatif Hammouchi in Bälde in
Paris die Légion d'Honneur verliehen werde, eine
begehrte Verdienstmedaille der französischen Republik. Just am
folgenden Tag erfolgte der polizeiliche Zugriff am Sitz der
AMDH. Allzu offensichtlich fühlt der marokkanische
Repressionsapparat sich nun zu allem ermutigt, was er nur
wünschen kann. Am 27. Februar d.J. wurde publik, dass der
marokkanische Staat den Profiboxer und Doppelstaatsangehörigen
Zakaria Moumni in Paris gerichtlich verfolgt, wegen „übler
Nachrede“. Moumni zählt zu den Klägern wegen schwerer
Misshandlungen in Marokko, er beschuldigte Hammouchi einer
unmittelbaren Teilnahme daran. Er war infolge eines Konflikts
mit marokkanischen Sponsoren, die dem Thron nahe stehen,
festgenommen worden. Der Prozess in Paris ist nun auf den 20.
März 2015 anberaumt.
Nicht alle AkteurInnen in Frankreich sehen
die Umtriebe des marokkanischen Repressionsapparats so
„großzügig“ wie führende Vertreter der Republik. Die Jury, die
seit 1933 jährlich den begehrten Journalistenpreis „Prix Albert
Londres“ für die beste Reportage verleiht, wollte den Preis in
diesem Jahr im marokkanischen Tanger übergeben. Ende Februar
annullierte sie ihren geplanten Abstecher nach Marokko: Ein
Aufenthalt in dem Staat, dem (laut einem Kommuniqué) eine
„systematische Verhinderung der Untersuchungsarbeit couragierter
und integrer Journalisten“ und eine „totale
Respektlosigkeit gegenüber unserem Beruf und unseren Werten“
vorgeworfen werden, komme nun nicht mehr in Frage.
Editorische
Hinweise
Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.
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