Die schwarz-rote Koalition in
Berlin hat beschlossen, das gesetzliche Renteneintrittsalter
sukzessive über einige Jahre von 65 Jahren auf 67 Jahren
anzuheben. Kaum war es beschlossen, hob
eine Debatte an, angestoßen von der sozialen Front der
bürgerlichen Parteien.
Die einen, wie Berlins
Regierender Bürgermeister Wowereit kritisierten, dass man doch
zunächst dafür sorgen solle, dass die Alten tatsächlich erst mit
65 Jahren in Rente gehen, und nicht schon mit 58 oder gar 55
Jahren. Flankierend werden die in den letzten Jahren exorbitant
angestiegenen Kosten der aus der Rentenkasse finanzierten
Frühpensionierungen und Altersteilzeiten u.ä. problematisiert.
Die anderen, wie z.B. der Vorsitzende der SPD-Fraktion im
Bundestag, Struck, fordern, dass bestimmte Berufsgruppen wie
Dachdecker, Altenpfleger oder Bauarbeiter von der Heraufsetzung
des Renteneintrittsalters ausgenommen werde, da man ihnen a)
wegen der körperlichen Schwere der Arbeit eine Beschäftigung bis
67 Jahren nicht zumuten könne, und b) die Lohnarbeiter dieser
Berufszweige in der Regel schon weit vor der 60 körperlich so
verbraucht sind, dass sie gar nicht mehr in der Lage sind, ihren
Beruf auszuüben, geschweige denn bis 67. Worum geht es bei
diesem Streit?
1.
Die Rentenkasse ist die
Solidarkasse der Lohnabhängigen. Sie soll sie bei
Einkommenslosigkeit wegen des Alters und ihrer nicht mehr
gegeben Verwendbarkeit fürs Kapital davor schützen, drauf zu
gehen. Jedem Lohnabhängigen mit einem Einkommen unterhalb einer
bestimmten Grenze (sog.
Versicherungspflichtgrenze) zieht der Staat an der Quelle einen
bestimmten Prozentsatz ab, der die Kasse füttert (Zwangskasse).
Die jährlichen Einnahmen werden genutzt, um die aktuelle
Rentnergeneration zu unterstützen (Umlageverfahren) und ihnen
ein bestimmtes (niedriges) Einkommen zu sichern.
2.
Ideologisch verschleiernd wird so
getan, als zahlten Arbeitgeber und Arbeitnehmer paritätisch in
die Kasse ein. Letztlich ist aber auch der so
genannte Arbeitgeberbeitrag ein Teil des Preises der
Arbeitskraft und somit ein Abzug vom Lohn des Arbeitnehmers, den
der Arbeitgeber zahlt, weil und solange er den Arbeitnehmer
gewinnbringend, also rentabel, beschäftigen kann. Das Gejammer
um die angeblich zu hohen Lohnnebenkosten ist also nichts weiter
als eine sehr praktische Kritik am Einkommen der auf Lohnarbeit
angewiesenen Bürger und ihren Lebensstandard, ob sie nun
arbeiten oder Rentner sind.
3.
Die Einnahmen der Rentenkasse
ergeben sich also als Produkt der Anzahl der rentabel
eingesetzten Lohnabhängigen und ihrem Durchschnittsverdienst.
Das ist die Seite der „Wirtschaft“. Der Staat vergleicht die
Einnahmen mit der Anzahl der zu versorgenden Rentner und legt
einen Prozentsatz fest, der das Einkommen des aktiven
Arbeitnehmers zugunsten der Rentenkasse mindert und Einnahmen
und Ausgaben der Rentenkasse zum Ausgleich bringt.
Die Rentenkasse als ein Bereich
der Sozialversicherung trägt also mit dazu bei, die
Arbeiterklasse zu erhalten. Den Verdienenden werden zwangsweise
Mittel entzogen, um ihre chronisch eigentums- und mittellosen
alten Klassengenossen durchzufüttern. Weil das (Lebens-)Einkommen
des einzelnen Lohnarbeiters nie hinreicht, in allen Lebensphasen
über zumindest das nackte Überleben sichernde Geldmittel zu
verfügen, organisiert der Staat die zwangsweise Solidarität der
Arbeiterklasse, indem er ihre aktiven Mitglieder zwingt, einen
Teil ihres Einkommens den inaktiven zu spendieren. Rationaler
und kostengünstiger kann im Kapitalismus Armut nicht
bewirtschaftet werden: Die, die wenig haben, unterstützen die,
die gar nichts haben.
4.
In Zeiten der
Massenarbeitslosigkeit erreichen die Einnahmen der Kassen jedoch
nicht mehr das erforderliche Niveau, weil einerseits weniger
Arbeiter beschäftigt werden und einzahlen. Andererseits zwingt
der Druck des Arbeitslosenheeres die (noch) Beschäftigten zu
materiellen Zugeständnissen, die auch die Einnahmen der Kasse
schmälern.
Gleichzeitig haben die heutigen
Rentner durch ihre Einzahlungen in ihrer aktiven Zeit
Zahlungsversprechen erhalten, die die staatliche Versicherung
immer weniger aus den eintrudelnden Einnahmen bedienen kann.
Hinzu kommen die frühzeitig in Rente geschickten, deren
Unterhaltskosten die Rentenkasse von den Unternehmern, die sie
feuerten, übernimmt (Sozial verträgliche Rationalisierungen).
Aus diesem Missverhältnis
zwischen schwindenden Einnahmen und gewachsenen Rentenansprüchen
ergibt sich der permanente Reformbedarf der Rentenkassen.
Der Staat hat nur zwei
Möglichkeiten, die Solidarkasse, die die alten Arbeitsleute mehr
schlecht als recht am Leben hält, zu reformieren.
Erstens könnte er die Einnahmen
erhöhen, in dem er den Prozentsatz des Lohnabzuges zugunsten der
Rentenkasse anhebt. Einfache Sache. Schlichtes Gesetz
erforderlich. Problem dabei ist jedoch, und deswegen versucht
der Staat es soweit wie möglich zu vermeiden, dass sich dadurch
der Preis der Arbeit erhöht, was die Rentabilität der deutschen
Arbeit und damit die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands auf den
internationalen Märkten in Mitleidenschaft zieht. Das Überleben
der Arbeiterklasse ist nun einmal eine schwer zu akzeptierende
Kost für den Unternehmer, die möglichst klein gehalten werden
muss, will man auch morgen noch Exportweltmeister sein.
Die zweite Möglichkeit, und in
den letzten Jahren die beliebteste, ist, die Leistungen, sprich
die Auszahlungen zu senken. Hier ist der Kreativität der
Sozialpolitiker keine Grenze gesetzt. Man kann einen
demografischen Faktor einführen, der die Auszahlungen an die
Anzahl der Arbeitnehmer koppelt, also zu Senkungen führt, wenn
die Erwerbstätigkeit stagniert oder zurückgeht. Man kann eine
„Nullrunde“ durchsetzen, also den Rentnern keinen
Inflationsausgleich zahlen, so dass sie real weniger in der
Tasche haben. Man kann aber auch gleich die Zahlungsansprüche
mindern, in dem man die aus der staatlichen Kasse zu erwartenden
Rentenzahlungen mindert und den Arbeitnehmer verpflichtet,
freiwillig durch geförderte Kapitalanlagen fürs Alter
vorzusorgen (Riester-Rente).
5.
Eine andere Möglichkeit
praktiziert die neue Berliner schwarz-rote Koalition. Sie setzt
das gesetzliche Renteneintrittsalter herauf, erhöht es von 65
Jahren auf 67. Ergebnis: Erstens erhalten Rentner bei
gleichbleibendem Lebensalter weniger Rentenzahlungen, da sie
später in Rente gehen, also weniger Kosten für die Kasse.
Zweitens müssen die Frührentner, also die, die wegen
Arbeitslosigkeit oder Vernutzung aus dem aktiven Erwerbsleben
ausscheiden müssen, mit höheren Abschlägen rechnen, da sie zwei
Jahre länger nicht einzahlen, also erhalten sie de facto weniger
Rente. Drittens dürfen die nicht vergessen werden, die zwischen
dem 65. und 67. Lebensjahr ins Gras beißen. Für diese
Lohnarbeiter fallen zukünftig überhaupt keine Kosten mehr an,
wenn sie alt sind. Sie sterben, bevor sie Ansprüche realisieren
können. Bei zunehmender Arbeitshetze ein nicht zu
unterschätzender Faktor. Viertens erhöhen sich die Einnahmen,
schafft es tatsächlich jemand, bis 67 Jahren durchzuhalten.
6.
Der Lebensstandard der
Arbeiterklasse wird also weiter abgesenkt. Und die einzigen
Proteste die man vernehmen kann, sind die eingangs zitierten
Klagen. Was fordern denn nun die sozialen Sozialdemokraten? Der
Berliner Regierende wünscht sich, dass die Arbeiter erstmal bis
65 Jahre arbeiten sollen. Das faule Pack scheint immer schon
früher in Rente gehen zu wollen. Das erhöht nicht nur die
Ausgaben der Kassen. Nein, auch die Einnahmen leiden darunter.
Also, liebe Arbeiter, nehmt Euch ein Herz und schuftet bis 65.
Der andere, der ehemalige Verteidigungsminister, will die
ausnehmen, die schon mit unter 60 Jahren körperliche Wracks
sind. Sehr sozial, ihre Rente nicht weiter zu mindern. Auch aus
Kassensicht einigermaßen akzeptabel, da diese Kostgänger
sicherlich nicht besonders lange Rentenzahlungen aus der
staatlichen Kasse erhalten. Aber aufgepasst, die Gruppe der
Betroffenen sollte nicht zu groß werden. Wenn man erstmal
Altenpfleger, Bauarbeiter und Dachdecker
„privilegiert“, fühlen sich dann nicht ganz schnell andere
Berufsgruppen mit gleichfalls schwerer körperlicher Arbeit
berufen, gleiches einzufordern, z.B. Krankenschwestern,
Landwirte, Spargelstecher, Gerüstbauer oder Müllmänner und –frauen?
7.
Das sind so die Fragen, mit denen
sich soziale Reformpolitiker herumschlagen. Die Arbeiter
verdienen entweder zuviel, so dass sie unrentabel sind, nichts
verdienen, aber unterstützt werden wollen, und dummerweise auch
nichts in die Kasse einzahlen. Oder sie verdienen zuwenig, so
dass sie zwar in die Rentenkasse einzahlen, aber nicht genug, so
dass die Sozialpolitiker, „leider“, gezwungen sind, ihnen von
dem weniger werdenden Lohn mehr abzuziehen, die private
Verantwortung des Einzelnen für seine Altersvorsorge zu stärken,
um den Preis der Arbeit wettbewerbsfähig zu halten, oder die
Leistungen zu kürzen.
Sozial ist,
was Arbeit schafft. Auch wenn die potentiellen Rentner länger
arbeiten dürfen. Was spricht also dagegen?
Editorische Anmerkungen
Der Artikel
wurde uns vom Autor am 2.3.2006 zur Verfügung gestellt.
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