Der Streik im öffentlichen Dienst
lockt immer mehr Gewerkschaftsfeinde aus
der Reserve. „Mit Horrorgeschichten von nicht operierten Babys
und ansteckenden Müllbergen versuchen die
öffentlichen Arbeitgeber Stimmung gegen
den Streik im Öffentlichen Dienst zu machen“, klagt der
DGB-Bezirk Südbaden-Hochrhein. Die
Stimmungsmache zeigt Folgen. So wurde der
ver.di-Geschäftsführer Bernd Riexinger im Bezirk
Stuttgart-Ludwigsburg von dem Vater einer
Tochter angezeigt, deren Routineoperation wegen des Streiks
verschoben werden musste. „Die Story ist von Bild und
anderen Medien groß aufgegriffen worden,
um den Streik als unmoralisch darzustellen“,
kommentierte Riexinger.
Doch es blieb nicht bei solchen
symbolischen Aktionen. In Freiburg wurde der
Streik der Müllabfuhr unterlaufen, weil die zu 49 %
private Gesellschaft für
Abfallbeseitigung und Stadtreinigung (ASF) über 100 Leiharbeiter
als Streikbrecher einsetzte. Der
Vorsitzende der DGB-Region Südbaden-Hochrhein
Jürgen Höfflin erklärt, dass der Einsatz von
Streikbrechern große Verärgerung in der
Belegschaft und eine „Jetzt erst – Recht- Stimmung bei
den Streikenden ausgelöst habe.
Erpressung mit Streikbruch wirft ver.di auch dem Mannheimer
Oberbürgermeister Gerhard Widder (SPD) vor. Der hatte
erklärt, dass er eine Privatfirma mit der
Müllabfuhr beauftragen werde, falls die
Dienstleistungsgewerkschaft nicht zum Abschluss von
Notdienstvereinbarungen bereit
sei.
Besonders sauer ist man in
Gewerkschaftskreisen, dass in mehreren Städten
Baden-Württembergs und Niedersachsen neben ABM-Kräften
auch Ein-Euro-Jobber zum Unterlaufen des
Streiks eingesetzt werden. Insgesamt 70 bis 130
Ein-Euro-Jobber und Leiharbeiter seien bisher in
Baden-Württemberg zu
Streikbrecherdiensten herangezogen worden, erklärte der Leiter
der Rechtsabteilung der
Dienstleistungsgewerkschaft ver.di in
Baden-Württemberg, Carsten Scholz. Er erinnerte daran, dass
Ein-Euro-Jobber wegen ihrer sozialen
Situation leichter erpressbar seien. Der
stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Kommunalen
Arbeitgeberverbands Baden-Württemberg (KAV) Andreas Stein
verteidigt hingegen den Einsatz von
Leiharbeitern und Ein-Euro-Jobbern als
Streikbrecher: „Wenn uns jemand gegen das Schienbein tritt,
dürfen wir Schienbeinschützer anziehen“.
Bei einer verbalen Aufrüstung
blieb es allerdings nicht überall. Im
niedersächsischen Osnabrück wurden in der vergangenen Woche
gewerkschaftlichen Streikposten bei einem Polizeieinsatz
die Arme verdreht und die Megaphone
beschlagnahmt. Die Gewerkschafter wollten die Durchfahrt
von mit Ein-Euro-Jobbern besetzten Müllwagen blockierten.
Einen solch massiven Polizeieinsatz gegen
Streikende habe er noch nicht erlebt,
monierte der Osnabrücker ver.di-Bezirksgeschäftsführer Jürgen
Humer. Er „habe in seinen langen Jahren
"noch nie erlebt, dass ein solch massiver
Polizeieinsatz vom Arbeitgeber angefordert wurde".
Mehrere für die Müllabfuhr eingesetzten Ein-Euro-Jobber
berichteten, dass ihnen die Vorgesetzten
mit der Meldung beim Arbeitsamt gedroht hätten, wenn
sie nicht ordentlich arbeiten. Die Specherin des
Verdi-Bundesvorstands Cornelia Haß hält
einen Einsatz von Ein-Euro-Jobbern als Streikbrecher für
rechtswidrig. Schließlich dürfen die nach dem Gesetz nur
zu nicht durch reguläre Planstellen
abgedeckte Tätigkeiten herangezogen werden. Sie rät den
Betroffenen sich an ihre Gewerkschaft zu werden.
Heftige Kritik an dem Einsatz von
Ein-Euro-Jobbern als Streikbrecher übte
der parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion im
Bundestag Ulrich Maurer.
Und die Linke ?
Die Außerparlamentarische Linke
hat sich bisher hingegen kaum zu den Streiks
und den Streikbrechern positioniert. Von lobenden
Ausnahmen wie der FAU und der
Organisierten Autonomie Nürnberg abgesehen, war weder der Streik
im Öffentlichen Dienst noch der
mehrwöchige AEG-Streik bisher bei der
außerparlamentarischen Linken scheinbar kein Thema. Mensch würde
sich mal wünschen, die würde sich mit
solcher Verve über die Verteidigung von
Streikposten gegen Bullen und Streikposten unterhalten, wie sie
vor einigen
Jahren über das Pro- und Contra des Mitführens von
Nationalfahnen irgendwelcher
Lieblingsstaaten gestritten hat.
Eine andere Falle, in die auch
manche sozialpolitisch engagierte Linke
tappen, ist das ausschließliche Rekurrieren auf prekär
Beschäftigte. Die Debatte über prekäre
Arbeitsverhältnisse ist notwendig und zeigt, dass sich
zumindest ein Teil auch der radikalen Linken wieder den
sozialen Verhältnissen zuwendet. Doch es
ist falsch, hier eine Frontstellung zwischen
prekär und sogenannten Normalbeschäftigten aufzumachen.
Lohnarbeit ist immer ein
Ausbeutungsverhältnis und damit immer auch prekär. Selbst wenn
mensch den Prekaritätsbegriff stärker
eingrenzt, könnte ,man allenfalls davon
sprechen, sich die Kernarbeiterschaft im „goldenen Zeitalter“
des Keysianismus in bestimmten Metropolen
Arbeitsbedingungen erkämpft hatte, die
das Ausbeutungsverhältnis des Kapitalismus nicht so deutlich zum
Vorschein kommen ließ Doch ungelernte
oder angelernte Lohnabhängige waren ebenso immer
prekär beschäftigt, wie die Lohnabhängigen im größten
Teil der Welt. Richtig ist aber, dass
sich die Zahl der Prekär Beschäftigten immer mehr in breite
Teile der Kernarbeiterschaft auch in den Metropolen
ausdehnt.
Deswegen sollte die Solidarität
mit den streikenden Belegschaften
selbstverständlich sein, egal ob man vom Prekarität oder vom
Proletariat ausgeht.
Editorische Anmerkungen
Der Artikel
wurde uns vom Autor am 1.3.2006 zur Verfügung gestellt.
Über Streiks hier und anderswo
berichtet regelmäßig:
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