Wer kennt ihn nicht, den Vorwurf, Sozialismus
bedeute Gleichmacherei. Doch gerade der Kapitalismus hat seine
ihm eigene Gleichmacherei. Beispiel: Rente.
Der Schrei nach längerer Lebensarbeitszeit, nach
Rente ab 67, wird zumeist hinausposaunt von Leuten, die mit 8
Jahren „Arbeit“ als Politiker einen Pensionsanspruch erworben
haben, der keine Wünsche übrig lässt.
„Wir müssen alle länger arbeiten!“ so lautet das
Motto bürgerlicher Gleichmacherei. Dass das kein Problem sei,
dass betonte Altbundeskanzler Helmut Schmidt mal vor laufender
Kamera mit dem Verweis darauf, dass er ja schließlich im Alter
von über 80 Jahren noch täglich mehrere Stunden „arbeite“.
Bravo! Zeitungen und Bücher lesen, Schreiben und Vorträge
halten. Ja, das möchte ich auch noch in hohem Alter. Was aber
würde der gute Mann wohl sagen, wenn man ihn in irgend eine
scheiß Fabrik stellen würde – wortwörtliche, nämlich stundenlang
stehen - , und er von dem dort verdienten Geld auch tatsächlich
leben müsste? (Keine dicke Pension im Hintergrund!)
Der Schrei nach längerer Arbeit für alle trägt
Züge eines abstoßenden sozialen Zynismus. Würde die Rente ab 67
tatsächlich für alle durchgesetzt, müssten alle bis 67 arbeiten,
dann wäre das so eine Art Euthanasie-Programm, um Menschen, die
heute schon mit Mitte 55 von ihrer schweren Arbeit in Fabrik und
Handwerk verschlissen sind, den Rest zu geben. (Aber der
demographischen Kurve täte das sicher gut!) Die Jobs hier alle
aufzuzählen, die zum „vorzeitigen Ausscheiden aus dem
Berufsleben“ zwingen(!), würde zu weit führen. Unsere sauberen
politischen Ökonomen könnten sich ja mal bei den
Berufsgenossenschaften ein paar arbeitsmedizinische Erkenntnisse
anlesen und nachschauen welchen enormen Belastungen und
gesundheitlichen Gefährdungen die Menschen in vielen Berufen
ausgesetzt sind.
Ich glaube, niemand hätte etwas dagegen über 80
Jahre alt zu werden, noch immer recht fit, um dann ein paar
Stunden zu lesen, zu schreiben oder zu sprechen. Das alles in
ansehnlichem Wohlstand, den man sich mit paar Jahren in
Staatsdiensten „verdient“ hat.
(Apropos: Eine neuere Untersuchung aus
SPD-Kreisen weist übrigens nach, dass die Bezieher niedriger
Renten, die ihre Leben lang oft schwer körperlich arbeiten
mussten, im Schnitt ca. 9 Jahre eher versterben. Ihre Beiträge
in die Rentenkassen, sorgen dann dafür, dass die länger lebenden
Betuchten auch ordentlich was von der Rente haben.)
Immerhin, man freut sich schon, wenn da ein paar
Zwischentöne zu hören sind, etwa vom Rheinland-Pfälzischen
Ministerpräsidenten Beck, dem doch wenigstens der Dachdecker
einfiel, der vielleicht mit 67 doch etwas überfordert wäre,
sollte er noch auf Dächern herum turnen und Ziegel durch die
Luft werfen und fangen. Oder auch der IGM Typ, der anlässlich
der neuen Vorruhestandsregelung bei VW darauf hinwies, dass
Fließbandarbeit mit 67 vielleicht nicht mehr geht. Aber diese
Zwischentöne gehen unter in Mitten des Schreis nach längerer
Arbeit. Ganz so dumm, wie sie tun, sind unsere Politiker und
Unternehmer aber in Wirklichkeit nicht. Sie wissen sehr wohl,
dass das Arbeiten bis 67 für sehr viele Menschen nicht geht. Sie
wollen gerade diesen am härtesten arbeitenden Menschen die Rente
kürzen.
Sie bejammern die demographische Kurve und
meinen, alles sei nicht mehr bezahlbar. „Deutschland“ sei
verschuldet. „Deutschland“ ist nicht verschuldet, vielmehr ist
„das Ausland“ bei „Deutschland“ verschuldet. „Wir“ sind
Exportweltmeister! Verschuldet ist nur der Staat und die Frage,
bei wem er verschuldet ist, wagt kaum jemand zu fragen. Wo ein
Schuldner ist, da ist aber auch ein Gläubiger. In diesem Fall
ist es eine stolze Zahl von privaten Gläubigern, bei denen Vater
Staat verschuldet ist. Die Reichtümer in der Privathand einer
kleinen radikalen Minderheit quellen über. Sie wissen nicht
wohin damit und zocken mittlerweile immer häufiger an der Börse
oder leihen es dem armen Staat, um Zinsen dafür zu kassieren.
Die demographische Kurve hat nicht verhindert,
dass das Bruttoinlandprodukt pro Kopf der Wohnbevölkerung (!)
bis in die 90iger Jahre hinein ungebrochen anstieg (aktuelle
Zahlen liegen mir nicht vor.) Wohlgemerkt, pro Kopf der
Wohnbevölkerung, nicht der Erwerbstätigen! Man könnte also
darauf verweisen, dass genug da ist, auch für Kinder und alte
Menschen, und man es nur umverteilen bräuchte, damit es allen
stetig immer besser geht. Aber so einfach ist die Sache nicht!
Warum wurde denn bisher so verteilt, dass der Staat bei den
privaten Akkumulatoren des Reichtums so verschuldet ist? Woher
überhaupt haben sie dieses viele Geld, diesen Reichtums? Niemand
hat es ihnen gegeben und vom Himmel ist es auch nicht gefallen.
Sie haben es sich selbst „erworben“ nämlich durch einen genialen
Tausch. Die Geldbesitzer legen ihr Geld an, kaufen Fabriken und
Arbeitskraft damit, die ihnen dann ihr Geld vermehrt, indem sie
eine Menge schöner Sachen produziert, deren Verkauf mehr Geld
zurück lässt, als die Geldbesitzer angelegt haben. Wirft der
Einsatz dieser Arbeitskraft nicht mehr genug ab, ist die Rendite
im Spielkasino der Börse höher, oder sind die Zinsen höher, die
man erhält, wenn man dass aus der Produktion stammende Geld
Vater Staat leiht, dann machen die Geldbesitzer lieber das.
Ohne an diesen Verhältnissen etwas zu ändern,
ohne das Produktionsverhältnis des kapitalistischen
Privateigentums, dass für diese Verteilung sorgt zu attackieren
und zu beseitigen, wird es keine gesicherte soziale Verteilung
geben und wir werden alle länger arbeiten müssen, stündlich,
täglich, wöchentlich, monatlich , jährlich und bezogen auf unser
ganzes Leben, selbstverständlich bei gekürzten Löhnen und
Renten. Damit sich die Geldanlage in Produktion und
Dienstleistung ordentlich lohnt und die Rendite steigt!
Die Forderung nach einer Rente ab 55
(vielleicht), von der man leben kann, sollte man sich deshalb
allerdings nicht verkneifen. Als Maßstab für den Renteneintritt
kann man getrost, die tatsächliche Verrentung durch das Kapital
nehmen, also den üblichen „Vorruhestand“ so ab Mitte 50.
Bezahlen sollen die kapitalistischen Geldbesitzer!
Editorische Anmerkungen
Peter
Trotzig schreibt ab der Nr. 1-05 in unregelmäßigen Abständen seine
Kommentare zum Zeitgeschehen.
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