Gegen das Vergessen
Kosova und Albanien in Waldkraiburg

von Max Brym

02/2019

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Erinnerungen - Kosova und Albanien in Waldkraiburg Geschichte ist geronnene Erfahrung. Dazu ein Leseauszug meinem Buch „ Es begann in Altötting

“Nach 1945 entwickelte sich aus dem Aussiedlerlager Pürten die Gemeinde und dann die Stadt Waldkraiburg. Es ließen sich hauptsächlich Menschen aus dem ehemaligen Sudetenland und aus Schlesien hier nieder. Ab Anfang der fünfziger Jahre kam ein Schwung von Albanern aus Kosova, Albanien und Mazedonien in die neue Gemeinde. Diese landeten nicht zufällig hier. Bis Ende der vierziger Jahre beschäftigte die US- Armee viele ehemalige Nazikollaborateure und Ballisten (Balli Kombëtar) in verschiedenen US-Kasernen in Bayern. Diese Leute wurden in der Nähe von München ausgebildet, um anschließend via Italien als Fallschirmspringer über Albanien abgesetzt zu werden. Dort sollten sie Basislager bilden und den Kampf gegen das neue antikapitalistische Regime unter Enver Hoxha in Albanien aufnehmen. Ab Ende der vierziger Jahre wurden die Aktionen weitgehend sinnlos. Die albanischen Abwehrkräfte schossen die Diversanten ab oder verhafteten sie. Die US-Basis in Neubiberg brachte diese Leute dann relativ konzentriert im neu entstehenden Waldkraiburg unter. Hier bildeten sie verschiedene Clubs. Im Lauf der Zeit wurden diese Herrschaften natürlich älter. Es bildeten sich verschiedene Gruppen. Auf der einen Seite – offene Nazikollobarateure- Königsanhänger (Zogisten) - und auf der anderen Seite Anhänger von Hysen Terpeza aus Kosova, welcher die meiste Zeit in New York lebte. Sein Bruder und ein Teil seiner Familie lebten ständig in Waldkraiburg. Hysen Terpeza war ungefähr drei Monate pro Jahr in Waldkraiburg. Die Anhänger von Terpeza distanzierten sich zunehmend von dem offen antikommunistischen Flügel in der Emigration. Hysen Terpeza selbst war in den vierziger Jahren ein wichtiger Kommandeur der ballistischen Formationen in Kosova. In dieser Zeit verfolgte Terpeza ein nationalistisches Konzept. Er bekämpfte die Partisanen auf der anderen Seite, hielt aber auch Distanz zu den kosovarischen Kollaborateuren. Der Widerstand gegen den serbischen Nationalismus in Kosova wurde spätestens ab den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts von links her geführt. Es entstanden in Anlehnung an Enver Hoxha „marxistisch- leninistische“ Gruppierungen in Kosova und in der Emigration. Diese Entwicklung ging auch an Waldkraiburg nicht vorbei. Viele sogenannte Gastarbeiter aus Jugoslawien waren Albaner aus Kosova und Mazedonien. Auch in Waldkraiburg gab es Anhänger der „Bewegung für eine albanische Republik in Jugoslawien“. Der Albaner Nesa von der „Roten Front“ (Front i Kuq) nahm 1980 engeren Kontakt mit mir auf. Er empfahl mir vorsichtig gegenüber Terpeza zu sein. Er meinte aber auch: „Der Alte bekämpft uns nicht mehr. Es kann nicht schaden, wenn du mit ihm sprichst.“ In Kosova wurde die Situation im Jahr 1981 immer explosiver. Im April 1981 kam es in Kosova zu Massendemonstrationen gegen die ökonomische und politische Benachteiligung der Albaner. Die Demonstranten forderten eine Republik und mehr von dem Rohstoffreichtum Trepcas mit seinem Zentrum in Mitrovoca. Die damalige Staatsführung in Jugoslawien schlug den Aufstand gewaltsam nieder. Offiziell gab es dabei neun Tote und Tausende verschwanden in den Gefängnissen Jugoslawiens. Auch in der Emigration kam es zu massiven Protesten. Ich reiste damals zu Demonstrationen nach Genf, Straßburg, Stuttgart und München. Diese Reisen führte ich auch im Auftrag des Arbeiterbundes durch. Dabei vermittelte mir Nesa Gesprächstermine mit den führenden Personen der linken, albanischen Emigration. Ich traf mehrmals Jusuf Gervalla, seinen Bruder Bardosh Gervalla und Kadri Zeka. Jusuf Gervalla war ein ruhiger und sehr gebildeter Mann. Er betonte in den Gesprächen, dass es ihm nicht darum gehe, das serbische Volk zu bekämpfen. Sein Bruder Bardosh ergänzte: „Das serbische Volk kann nur frei sein, wenn es keine anderen Völker unterdrückt.“ Kadri Zeka war eher laut und sehr selbstbewusst. Er bezeichnete sich als Marxist-Leninist und nannte Enver Hoxha „unseren großen proletarischen Führer“. Im Januar 1982 wurden alle drei nachts in Untergruppenbach bei Heilbronn von jugoslawischen UDBA Agenten erschossen. Die deutsche Presse schrieb über „Differenzen im kriminellen Milieu“. Diese Darstellung erfolgte wider besseres Wissen. In der damaligen Zeit gab es ausgezeichnete Beziehungen zwischen der BRD und Jugoslawien. Selbstverständlich nahm ich an der Beerdigung der drei Genossen in Stuttgart teil. Eine der Trauerreden hielt Ibrahim Kelmendi. Vor zwei Jahren publizierte Kelmendi in Kosova den Roman „Attentat“. Darin erhebt Kelmendi schwere Vorwürfe gegen heute führende Politiker in Kosova. In Interviews nannte er Namen von Leuten welcher seiner Meinung nach als albanische UDBA-Agenten in das Attentat verwickelt waren. Die jugoslawische Propaganda behauptete damals, dass die Volksbewegung in Kosova „irredentistisch“ und „konterrevolutionär sei. Die jugoslawische Propaganda schreckte damals vor keiner Lüge zurück.

 
An einem bestimmten Tag im Frühjahr 1982 warf irgendwer eine Bombe auf die jugoslawische Botschaft in Tirana. Dabei entstand geringer Sachschaden. Einige jugoslawische Zeitungen schrieben folgenden Unsinn: „Die albanischen Stalinisten haben geheim den Faschisten Terpeza nach Albanien eingeflogen. Dieser Naziterrorist warf die Bombe.“ Der angebliche Naziterrorist Terpeza saß nur an dem Tag, an dem die Bombe geworfen wurde, mit mir im Café Wimösterer in Waldkraiburg. Er war damals schon weit über siebzig Jahre alt. Eine Gegendarstellung der jugoslawischen Pressemeldungen lehnte sowohl die „Süddeutsche Zeitung“, als auch der „Spiegel“ ab. Damit es zu keinen Missverständnissen kommt, ich war damals ein begeisterter Anhänger von Enver Hoxha. Bis heute habe ich sämtliche Werke von Enver Hoxha im Bücherschrank. Damals bemühte sich Albanien darum, als „Leuchtturm des Sozialismus in Europa“ dazustehen. Es gab „Radio Tirana“ nicht nur in deutscher Sprache. Alle Werke von Hoxha aber auch Romane von Kadare und Agolli wurden ins Deutsche übersetzt. Albanien hatte den Anspruch das revolutionäre Zentrum in der Welt zu sein. Der Arbeiterbund, dem ich angehörte, war nicht die offizielle Bruderpartei der Partei der Arbeit Albaniens. Als Bruderpartei galt die KPD/ML. Dennoch gab es Beziehungen mit Albanien. Meine Hoxha-Begeisterung wurde im Arbeiterbund nicht geteilt. Der Arbeiterbund berief sich auf die Ideen von Mao Tse-tung, wohingegen Hoxha im Jahr 1978 China wegen der „Drei Welten Theorie“ angriff und dabei auch Mao scharf attackierte. Der Arbeiterbund lehnte gleichfalls diese „neue chinesische Theorie“ ab, verteidigte aber gleichzeitig Mao Tse-tung.
Die vulgärmarxistische „Drei Welten Theorie“ ging von den zwei Hauptfeinden der Menschheit, dem „Sowjetischen Sozialimperialismus“ und dem „US-Imperialismus“ aus. Dagegen gelte es ein klassenübergreifendes Bündnis der zweiten Welt und der dritten Welt zu schaffen. Wir machten damals Witze über diese unsinnige Theorie. Ein Genosse sagte mir: „Vorwärts mit Strauß und Pinochet gegen Moskau und Washington.“ An dieser unsinnigen Theorie ging in Deutschland, die Horlemann Semmle- KPD und der KBW-Zug zugrunde. Später schafften es viele Figuren von KPD und KBW aus der Generation 50 plus X wichtige Funktionen bei den Grünen und teilweise in der SPD zu übernehmen. Auch einige lange in Albanien lebenden „Kämpfer“ und „Übersetzer“ sind heute gefragte Balkanspezialisten in der bürgerlichen, deutschen Presselandschaft. Besonders Joachim Röhm sei hier genannt. Dieser hundertfünfzigprozentige Ex-Stalinist versuchte mich vor einigen Jahren anlässlich einer Debatte mit Ismail Kadare als „unbelehrbaren Kommunisten“ abzustempeln. Meine Hoxha-Sympathie erhielt im Jahr 1983 einen schweren Dämpfer als Röhm noch brav in Reih und Glied in Tirana stand. Eine Delegation wurde von Enver Hoxha in Tirana empfangen. Unsere Delegation lauschte fünf Stunden lang den Ausführungen des „Genossen Hoxha“. Dabei rauchte Enver Hoxha eine Zigarette nach der anderen und trank viel Kaffee mit viel Zucker. Plötzlich erschien gebückt der spätere Antikommunist und spätere albanische Ministerpräsident Sali Berisha im Raum. Damals arbeitete er als Herzspezialist in der unmittelbaren Umgebung von Enver Hoxha. Schüchtern sagte Berisha: „Genosse Hoxha, rauchen Sie nicht soviel und trinken Sie weniger Kaffee.“ Daraufhin fauchte ihn Enver Hoxha an: „Ich bin Marxist-Leninist und ich habe bereits einen Artikel gegen Dein medizinisches Gutachten geschrieben. Hau ab.“ Wie ein geprügelter Hund verließ daraufhin Sali Berisha den Raum. Mir stellten sich dabei die Nackenhaare auf. Irgendetwas stimmte nicht im Staate „Dänemark“, also eigentlich Albanien.“

Ankündigung Neues Buchprojekt- „Mao in Altötting und Waldkraiburg“

Gegenwärtig arbeite ich an zwei Büchern. Die Trilogie „ Verrat in München und Burghausen“ wird fortgesetzt. Der zweite Band ist fast fertig. Den ersten Band könnt ihr unter http://www.bookra-verlag.de/b17.html  oder in jeder Buchhandlung bestellen. Jetzt fesselt mich aber auch noch ein anderes Projekt. Viele Menschen wurden in den siebziger Jahren in maoistischen K- Gruppen politisch sozialisiert. Nach der Forschung durchliefen rund 100.000 Personen in der BRD solche Gruppen. Besonders stark waren außerhalb der Großstädte in Bayern solche Gruppen in den Landkreisen Altötting und Mühldorf. Diese Geschichte in der ich persönlich stark involviert war will ich aufarbeiten. Geschichte ist geronnene Erfahrung und darf nicht vergessen werden. Es wird ein Buch welches „ Mao in Altötting und Waldkraiburg“ heißt. Es geht um die SIK, die KPD/ML und den „Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD“ sowie die nichtmaoistische DKP im ländlichen Raum. Stark stütze ich mich dabei auf mein Buch „ Es begann in Altötting“ welches nur noch antiquarisch erhältlich ist.

Siehe https://www.amazon.de/%20Es-begann-Alt%C3%B6tting-Max-Brym/dp/3944264703  . Es werden aber auch neue Quellen ausgewertet. Erinnerungen von anderen Personen und Dokumente. Das Buch beginnt mit der Gründung des Habermas Lesekreises in Altötting im Jahr 1968. Es geht weiter über die Auseinandersetzung bezüglich des Jugendzentrums in Altötting. Dann folgte die Spaltung der SIK es entstanden die „ Arbeiter Basis Gruppen“ in Altötting. Die KPD/ML sorgte Anfang der siebziger Jahre für viel Aufsehen in Burghausen und insbesondere in Töging am Inn. Ziemlich viel Arbeit also.

Per Email am 30.1.2019 vom Autor.